FRANKFURT AM MAIN. (hpd) Im zweiten Teil des Exklusivinterviews des hpd mit Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide geht es um Integration von Muslimen, die Rolle der Islamverbände sowie die Beschneidung von Jungen und Mädchen.
hpd: Thema "Islam und Integration". Deutschland ist hier, im Grunde seit den 60er-Jahren, aufgerufen, sich verantwortungsvoll zu positionieren. Ist der Islam eher ein Integrationshindernis oder ein Integrationsmotor? Was hindert? Was treibt an?
Mouhanad Khorchide (MK): Es hängt immer von der Lesart des Islams ab. Von welchem Islam sprechen wir? Vom salafistischen Islam, vom Islam derer, die jegliche Reformen verweigern oder von einem reflektierten Islam? Man kann nicht sagen, der Islam ist konstruktiv oder dekonstruktiv für die Integration. Welche Lesart des Islams ist konstruktiv? Sehen Sie meine humanistische Lesart des Islams: Ich nehme immer den Anspruch des Islams an sich selbst, in dem er im Koran in Sure 21,107 sagt: "Wir haben dich, Mohamed, lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt, als Maßstab."
Alles in diesem Selbstanspruch ist keine Projektion von mir oder der Moderne, sondern der Koran sagt: "Du bist Barmherzigkeit für alle Welt". Nicht nur für Muslime, für Gläubige, sondern für alle Menschen. Das heißt, jede Interpretation des Korans und der Tradition Mohameds, die mit der Barmherzigkeit nicht übereinstimmt, verwerfe ich ohne Wenn und Aber. Das kann nicht Mohamed sein, ohne dass das jetzt Selektion ist. Barmherzigkeit ist mein hermeneutischer Schlüssel. Mit diesem Verständnis vom Islam als Quelle der Spiritualität und ethischen Grundsätzen hat, glaube ich, niemand ein Problem - als Botschaft der Barmherzigkeit, des Humanismus. Es gibt andere Muslime, die gerade dieses Verständnis vom Islam bekämpfen. Diese haben Probleme mit der Integration.
Hamed Abdel-Samad (HAS): Für mich ist der Islam definitiv ein Integrationshemmnis, denn der Islam wurde mit einem Selbstverständnis und einem politischen Anspruch geboren. Er hat sich in der Geschichte auch auf eine Weise durchgesetzt, die mit Integration heute überhaupt nichts zu tun hat. Nämlich: Islam ist gekommen, um zu herrschen, um eine neue Gesellschaftsordnung herzustellen, in der der Islam das Sagen hat. In der Menschen nicht gleichberechtigt zusammen leben, sondern in der der Islam die Hierarchie bestimmt. Der Islam ist mit dem Anspruch gekommen, dass Gott der Gesetzgeber ist und nicht der Mensch. Im Koran gibt es bestimmte Körperstrafen, aber auch Regeln in Bezug auf Familienrecht.
Die islamische Tradition hat viele dieser Regeln in die Gegenwart übertragen und diese Regeln bauen eindeutig eine politische und geistige Mauer zwischen Muslime und moderne Gesellschaft: moralische Werte im Umgang mit Sexualität, Alkohol, Essengewohnheiten, aber auch politische Vorstellungen, dass letzten Endes das Reich Gottes wiederhergestellt werden sollte. Das ist der raison d’être des Islams. Der Islam ist nicht gekommen, um Teil der Welt zu werden, sondern um den Lauf der Geschichte zu verändern, um eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten.
Wenn man die Illusion verfolgt, dass der Islam positiv auf die Integration wirken kann, dann ist das ein zweischneidiges Schwert. Ich bin für Religionsfreiheit, ich bin dafür, dass alle Muslime ihre Religion hier frei ausüben dürfen. Aber wie ich eingangs sagte: der Islam ist eine spirituelle und soziale Lehre, die ich wunderbar finde, und er hat eine politische und juristische Seite, die ich katastrophal finde. Wenn sich der Islam nicht von diesem authentischen Teil, von diesem juristisch-politischen Teil trennt, dann kann der Islam nur noch ein Hindernis werden. Wenn, wie Mouhanad Khorchide das anstrebt, nur die sozialen und spirituellen Aspekte des Islams mehr betont werden und die politische und juristische Seite in ihrer Zeit begraben werden, dann kann natürlich dieser Islam - wenn er existiert, noch tut er es nicht - eine Rolle in der Gesellschaft spielen. Wer bin ich, Muslimen ihren Glauben wegzunehmen?
hpd: Zekeriya Altug vom türkischen Moschee-Dachverband Ditib hatte Ihr Buch als "Schmähschrift" bezeichnet. Für Sie scheint es ein wichtiger Beitrag zur Grundrenovierung des Islams zu sein, bevor sich die Muslime mit der Gebrauchsanweisung für Deutschland auseinandersetzen. Woher kommen Ihrer Meinung nach diese diametral auseinanderliegenden Positionen, da nach außen alle stets nur die Integration muslimischer Bürger in unsere Gesellschaft vor Augen haben?
HAS: Das ist sehr interessant, dass Herr Altug das über das Buch gesagt hatte - am gleichen Tag, als das Buch erst erschien. Wann er die Zeit fand, es zu lesen, ist mir schleierhaft. Vielleicht hat er parapsychologische Fähigkeiten. Aber es ist typisch: das Buch wurde kritisiert – Wochen bevor es auf dem Markt war. Diese Kritik ist typisch und auch reaktionär, gerade für die Islamverbände, weil man jede Kritik als Frontalangriff auf die Existenzberechtigung der Muslime und der Islamvereinigungen selbst sieht. Da besteht die Gefahr, dass man das alles 1 zu 1 sieht. Ich unterstelle Ditib, dass sie überhaupt kein Interesse hat, dass sich Muslime in Deutschland integrieren. Sie haben das Interesse, dass Türken in Deutschland eng an Erdoğan gebunden werden. Punkt! Und sie tun alles, dass es so bleibt. Integration und "wir leben zusammen" und "Tag der offenen Moschee" und alle diese Maßnahmen können vielleicht dem deutschen Staat und Bürger das Gefühl vermitteln, dass es anders ist. Aber das sind nur Lippenbekenntnisse.
Der beste Beweis dafür, dass Ditib und andere Islamverbände nicht an Integration interessiert sind, ist nicht, dass sie mich kritisieren oder versuchen, mich in ein schlechtes Licht zu rücken, sondern dass sie Mouhanad Khorchide kritisieren, dass sie (gemeinsam mit den anderen Verbänden. Ergänzung durch Prof. Khorchide) ein Gutachten geschrieben haben – 70-seitig – um ihm seine Lehrerlaubnis zu entziehen, weil er aus dem Islam etwas Brauchbares für die Moderne schaffen will und weil er ein anderes Islambild lehren will, damit die Lehrerinnen und Lehrer in der Schule und Imame einen anderen Islam präsentieren.
Was haben sie für ein Problem mit ihm, nur weil er ihnen die Deutungshoheit über den Islam streitig macht? Sie wollen den authentischen Islam behalten und sie wollen die Deutungshoheit. Aber er ist ein gläubiger Moslem. Er lehnt nicht die Grundlagen des Islams ab. Er versucht sich auch im Rahmen der islamischen Theologie zu bewegen. Aber sie kritisieren ihn nicht nur, sondern greifen ihn an, wollen ihm sogar seine Lehrerlaubnis entziehen. Das ist das beste Beispiel, dass sie Antidemokraten sind, dass sie nicht an Integration interessiert sind.
hpd: Herr Prof. Khorchide, Sie und Herr Abdel-Samad werden also von der Ditib nicht geliebt. Sie selbst wurden in Beirut, dem Paris des Nahen Ostens, geboren. Später lebten Sie in Saudi-Arabien mit seinem wahabitischen Islamverständnis. Hat dieser scharfe Kontrast zu Ihrer heutigen Sicht auf den Islam geführt; eine Sichtweise, die konservativen Islamverbänden in Deutschland viel zu moderat erscheint?
MK: Die Biographie eines jeden Menschen spielt natürlich eine Rolle, wie er sich entwickelt. Ich habe das erlebt, als wir in den Ferien im Libanon waren: eine sehr heterogene Gesellschaft, in der unsere Nachbarn auf der einen Seite Christen, auf der anderen Seite Schiiten - wir sind Sunniten – waren. Das war alles friedlich und das Zusammenleben konstruktiv. In Saudi-Arabien habe ich etwas ganz anderes gelernt, dass Schiiten Abtrünnige, keine Muslime seien. Mit Christen darf man sich nicht einlassen. Man darf ihnen nicht zu Weihnachten gratulieren usw.
Natürlich, das prägt einen Menschen und spätestens, als ich zum Studieren nach Wien kam und dort viele Rechte hatte, die ich in Saudi-Arabien von den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern nicht bekam. Allein, dass ich dort in Saudi-Arabien als Ausländer nicht studieren und keine Sozialversicherung haben durfte. Diese Rechte habe ich bei den "Nichtmuslimen" bekommen. Natürlich stellen sich dann die großen Fragen im Kopf eines jungen Menschen: Warum soll Gott diese Menschen bis in alle Ewigkeit verdammen? Nur, weil sie die falsche Überschrift haben? Kommt es Gott wirklich nur darauf an, was wir in den Geburtsurkunden stehen haben? Großes Fragezeichen. Das führte schon zum kritischen Nachdenken.
hpd: Herr Abdel-Samad. Sie stammen aus Ägypten und wurden - vermutlich im Gegensatz zu Prof. Khorchide - religiös sehr stark durch ihren Vater indoktriniert. Was hat Ihnen geholfen, diese Prägung zu überwinden, so dass Sie heute – aus islamischer Sicht – vom Paulus zum Saulus wurden und sogar mit dem Propheten abrechnen?
HAS: Das ist eine lange Reise. Ich kann nur bestätigen, was Mouhanad Khorchide gesagt hat. Natürlich spielt die Biographie eines jeden Einzelnen eine Rolle. Aber wer soll kritisieren, wenn nicht Menschen, die unterschiedliche Welten gesehen haben? Die Ditib wird den Islam nicht kritisieren, weil sie vom Islam Geld kassiert. Das ist ihre Existenzgrundlage. Das heißt die, die vielleicht darunter gelitten und andere Erfahrungen gemacht haben, die andere Welten gesehen haben, sind viel berechtigter das zu tun. Das sollte man ihnen nicht vorwerfen, dass sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, und sie deshalb kritisieren.
Wie kam ich zu meiner kritischen Haltung? Ich begann Fremdsprachen zu lernen und andere Literatur zu lesen, ein Fenster auf die Welt zu sehen. Als ich zum Beispiel zum ersten Mal Faust gelesen habe, war ich fasziniert von dem Gedanken, dass man mit Gott hadern kann. Dass man seinen eigenen Weg gehen kann, auch wenn es Gott nicht gefällt. Geholfen hat auch, als ich die Doppelmoral der Muslimbruderschaft gesehen habe, dass sie Wasser predigen und Wein trinken. Auch als ich diese Doppelmoral bei mir selbst festgestellt habe und mitbekam, dass viele arabische Studenten in meiner Umgebung – mit der gleichen Biographie wie ich - das eine erzählen und privat etwas ganz anderes leben. Weil diese idealisierte Haltung zur Religion und dieser moralische Purismus nicht menschlich sind. All das hat dazu geführt, dass ich überlegt habe: Moment mal, irgendetwas stimmt nicht. Als ich das alles deutschen Studenten als Islamwissenschaft beibringen sollte, habe ich mich wissenschaftlich mit der Biographie von Mohamed und dem Koran auseinandergesetzt. Doch was sollte ich ihnen beibringen? Dass der Prophet Mohamed in einer Höhle war und eine Botschaft von Gott empfangen hat? Das ist unwissenschaftlich. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Ich musste eine menschliche Erklärung für das alles finden. Ich musste sowohl die positive als auch die negative Seite von Mohamed beleuchten. Das gleiche mit dem Koran. Erst dann, als ich das vermenschlicht hatte, wurden die Widersprüche und die damit verbundenen Probleme deutlich - auch die Konsequenzen für unsere Zeit. Das hat zu meiner kritischen Haltung geführt.
hpd: Herr Prof. Khorchide, ein muslimisch sozialisierter Bürger mag Allah sehen wie er will. Mir als Ungläubigem wurde beim Lesen des Korans angst und bange. Hunderte von Male werde ich mit Höllenfeuer bedroht, falls ich nicht aufrichtigen Herzens konvertiere oder eine Kopfsteuer bezahle. Es gibt etliche Kenner, die diese Angstpädagogik als erwünschte Wirkung von Bibel und Koran sehen. Was hat Sie dazu gebracht, Allah als barmherzig anzusehen – außer der Tatsache, dass sie selbst Moslem sind?
MK: Na ja, das ist der Selbstanspruch des Korans. Wenn 113 der 114 Suren immer mit der Formel "Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen" beginnen oder wenn jemand einen Brief an Sie schreibt und immer mit dieser Barmherzigkeits-Formel beginnt, dann denken Sie sicher, dass es selbstverständlich ein Anliegen dieser Person ist, sich barmherzig zu zeigen. Natürlich gibt es diese Stellen im Koran, die Gewalt ansprechen oder mit Höllenfeuer drohen. Die Frage ist wie gesagt: Wie liest man das alles heute? Auch Hölle und Paradies lese ich metaphorisch. Das ist meine Lesart, die übrigens auch von großen muslimischen Gelehrten wie al-Ghazali, der 1111 gestorben ist, vertreten wird.
Angst zu machen bedeutet, dass man Menschen zum Beispiel zwingen will zu beten oder an Gott zu glauben, sonst würden sie in die Hölle gehen. Das heißt, man macht den Menschen kein Angebot, zu Gott zu kommen, sondern droht ihnen: Wenn ihr das nicht macht, geschieht dieses oder jenes. Das heißt, die Menschen müssen gehorchen und aus Angst vor einer Strafe oder einer Sanktion so tun, als würden sie an Gott glauben. Aber im Grunde ihres Herzens tun sie das nicht.
HAS: Aber wenn Gott an den Menschen glaubt – was die These Ihres Buches ist –, dann würde er sie einladen, seine Botschaft anzuerkennen, ohne, dass er sie gleich mit dem ewigen Höllenfeuer bedroht. Die Tatsache, dass er sie bedroht, zeigt, dass er nicht an sie glaubt. Das zeigt auch, warum der Begriff "Mensch" im Koran immer negativ besetzt ist. Der Mensch ist ein Versager, der Mensch ist ein Lügner, der Mensch ist ein Ungläubiger, der Mensch ist anmaßend, der Mensch ist arrogant. Wann immer der Begriff "Mensch" im Koran auftaucht, gibt es immer ein negatives Attribut dazu. Wenn Gott wirklich an den Menschen glaubte, dann wäre der Begriff "Mensch" im Koran positiv besetzt. Auch der Begriff "das Leben" wird im Koran immer negativ beschrieben, denn dieses Leben gilt nichts. Nur das ewige Leben im Jenseits ist das Ziel. Ich kann daraus nicht lesen, dass Gott tatsächlich an den Menschen glaubt. Er arbeitet mit Angstpädagogik.
MK: Der Ton und die verwendeten Bilder im Koran verraten mehr über die Adressaten im 7. Jh., als über Gott. Adressaten, die es notwendig hatten, dass man mit ihnen in diesem Ton redet. Deshalb kann ich das historisch verorten. Offensichtlich hatten es die Mekkaner nötig gehabt, dass man so mit ihnen redet, aber dennoch bleibt für mich heute die Barmherzigkeit als Selbstanspruch des Korans oberste Maxime. Entsprechend dieser Maxime stelle ich die Frage: Wie würde der Koran heute zu uns sprechen, mit welchem Ton und mit welchen Bildern? Wie wird sich die Barmherzigkeit entfalten? Die Adressaten sind immer beteiligt an der Ausrichtung der jeweiligen Botschaft.
hpd: In den 17 Punkten der Gründungserklärung des Muslimischen Forums Deutschland habe ich vermisst, dass Sie sich zur rituellen Beschneidung von Jungen und Mädchen positioniert haben. Halten Sie - provokant formuliert - Vorhautamputation für harmloser als Kopftuchtragen?
MK: Also ich glaube, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man Menschen nicht verstümmelt.
hpd: Aber warum fehlt das dann als 18. Punkt?
MK: Weil es eine Selbstverständlichkeit ist.
hpd: Das sehen Muslime anders.
MK: Also wenn es um Frauenbeschneidung geht, glaube ich, dass die absolute Masse der Muslime, hoffe ich zumindest, das als grausame, archaische Praktik ansieht.
hpd: In Ägypten ist es noch ein großes Problem.
MK: Ja. Die Frage ist, ob das primär islamisch begründet ist. Also, wenn Sie in die Türkei gehen und wegen Mädchenbeschneidung nachfragen, kennen die Leute dort das nicht. Aber in Afrika kennen das Muslime und Nichtmuslime. Es ist eine afrikanische Tradition, die dann einige Muslime natürlich islamisch zu legitimieren versuchen.
hpd: Aber im Koran steht auch kein Auftrag zur Knabenbeschneidung – anders als im Alten Testament.
MK: Beschneidung gibt es im Judentum. Das ist eine sehr alte Tradition, die im Lauf der Geschichte kaum für Kontroversen gesorgt hat und über die sich bis heute keiner beschwert hat. Es geht nicht um eine Verstümmelung, sondern um eine Vorhaut, die beschnitten wird. Anders als bei Mädchenbeschneidung, wo in der Tat ein Organ teilweise beschnitten wird. Das kann man beides nicht in einen Topf werfen.
hpd: Das heißt: Was ist Ihre Position?
MK: Meine Position: Mädchenbeschneidung muss strafbar sein. Knabenbeschneidung ist in meinen Augen ein legitimer Akt. Ob man sie religiös oder medizinisch begründen will, ist jedem selbst überlassen. Ob man es islamisch oder jüdisch begründen will, ist jedem selbst überlassen. Ich finde, es ist ein legitimer Akt.
hpd: Auch als Zwangsbeschneidung? Wenn ein unmündiges Kind oder gar ein acht Tage altes Baby beschnitten wird, ist das immer Zwang. Warum kann man das nicht ab achtzehn Jahren und auf freiwilliger Basis machen?
MK: Wo ist da die Grenze?
HAS: Die Grenze ist das Grundgesetz, die körperliche Unversehrtheit.
MK: Die Frage ist: Ist das Körperverletzung?
HAS: Ja, das ist Körperverletzung. Es ist eine nicht notwendige Körperverletzung. Wenn eine Entzündung da ist, dann okay. Aber so ist es eine nicht notwendige Körperverletzung. Darüber müssen wir mal reden. Es ist genau diese Traditionsgläubigkeit: "Ja ja, weil die Juden und die Muslime das machen, dann sollte man darüber nicht diskutieren." Jetzt erst Recht sollten wir darüber diskutieren.
MK: Darüber sollten Mediziner diskutieren, nicht Theologen.
HAS: Nein, denn das wird auch religiös legitimiert. Auch Mädchenbeschneidung wird unterstützt, weil es auch eine afrikanische Tradition ist aus dem Bereich Äthiopien, Eritrea und Somalia. Je mehr man sich davon entfernt, desto weniger gibt es das. Deshalb haben das die alten Ägypter, die Pharaonen gemacht. Aber der Islam – es gibt auch dazu Texte, wo der Prophet ganz genau sagt, wie viel man wegschneiden soll von der Frau usw.
Also kann man nicht so tun, als hätte das mit dem Islam nichts zu tun. Deshalb müssen wir darüber reden. Der Staat – zumindest hier in Deutschland – garantiert die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Auch ein kleiner Schnitt ist heute strafbar, wenn man das ohne Grund macht. Man muss fragen: Womit hat das Kind das verdient? Das Kind überhaupt nicht, ob es Jude, Moslem, Christ oder Atheist ist! Das Kind kann nicht wählen und wird mit dieser körperlichen Verletzung, wie ich finde, sein Leben lang verbringen müssen. Warum wartet man nicht, bis es selbst imstande ist, das zu entscheiden?
MK: Ich glaube, das sollten Mediziner entscheiden, ob das eine körperliche Versehrtheit ist oder nicht.
HAS: Das ist alles bekannt.
MK: Es gibt solche und solche Positionen. (Nachträgliche Ergänzung durch Prof. Khorchide: Dann sollten die Mediziner untereinander streiten und uns dann aufklären. Wie ich den Islam verstehe, darf nichts legitimiert werden, was eine Körperverletzung darstellt. Die Theologen besitzen aber nicht die Kompetenz, feststellen zu können, was Körperverletzung darstellt, gerade wenn es unklar ist, daher sind sie hier auf die Expertise der Medizin angewiesen.)
HAS: Es gibt natürlich auch die Behauptung, dass Beschneidung Krebs vorbeugt. Also das ist alles ganz dünn, ganz dünn. Da kann man keine wissenschaftliche Erkenntnis daraus gewinnen. Selbst wenn das so wäre, dann wäre das auch Zwangsmedizin. Das heißt: das darf man nicht!
hpd: 70 Prozent der Deutschen haben in Umfragen gesagt, dass sie gegen die medizinisch nicht notwendige Beschneidung von unmündigen Jungen sind.
MK: Aber aus welchen Gründen? Ist es ideologisch oder medizinisch begründet?
HAS: Die Ärzte sagen, dass es nicht notwendig ist. Das mündet auch manchmal in Traumata oder in Komplikationen. Also warum geht man so ein Risiko ein? Selbst wenn es ein einziger Fall wäre, dass ein Junge ausblutet und stirbt, weil er Bluter ist. Das weiß man erst, nachdem man ihn verletzt hat und das Blut hört nicht auf. Die Wunde heilt nicht.
MK: Die Beschneidung sollte in den ersten Tagen nach der Geburt erfolgen. Ich bin froh, dass ich mit 15 Tagen beschnitten wurde, sonst wäre ich heute traumatisiert.
HAS: Ich habe mit vier Jahren "nein" gesagt. Und trotzdem…
(wird fortgesetzt)
22 Kommentare
Kommentare
Rerun am Permanenter Link
Vielen Dank für das interessante Interview.
Zwei Fragen an Herrn Khorchide hätte ich allerdings, wenn er sagt:
"Es geht nicht um eine Verstümmelung, sondern um eine Vorhaut, die beschnitten wird. Anders als bei Mädchenbeschneidung, wo in der Tat ein Organ teilweise beschnitten wird. Das kann man beides nicht in einen Topf werfen."
Ist der Penis kein Organ und gehört die Vorhaut nicht zum Penis und wenn das sein Argument ist, warum findet er dann eine Klitorisvorhautbeschneidung bei Mädchen nicht gleichermaßen ok?
Yasmin El-Hakim am Permanenter Link
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung wird im harmlosesten Fall die Klitoris komplett weggeschnitten. Im schlimmsten Fall Klitoris, innere Schamlippen und äußere Schamlippen und dann alles zunähen!!
Bei der Vorhautbeschneidung von Jungen wird die empfindliche Eichel nicht beschädigt. Ich finde zwar auch, dass ein Mann wenn er volljährig ist selber entscheiden soll, ob er das möchte oder nicht und wenn ja, dies in einer ordentlichen Klinik unter Narkose machen lässt. Die Empfindsamkeit des männlichen Geschlechtsteils wird durch eine Vorhautbeschneidung nicht gestört. Bei Mädchen sind die empfindsamen Geschlechtsteile entfernt worden, vergleichbar mit einer Penissmputation.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Liebe Yasmin El-Hakim,
Sie schrieben:
"Bei der weiblichen Genitalverstümmelung wird im harmlosesten Fall die Klitoris komplett weggeschnitten. Im schlimmsten Fall Klitoris, innere Schamlippen und äußere Schamlippen und dann alles zunähen!!"
Das ist so nicht richtig. Im harmlosesten (in Deutschland auch verbotenen) Fall wird entweder nur die Klitorisvorhaut beschnitten oder sogar nur geritzt, um ein paar Tropfen Blut zu gewinnen. Wann hört dieses Märchen endlich auf, weibliche Genitalverstümmelung sei stets schlimmer, als männliche?
Des weiteren:
"Die Empfindsamkeit des männlichen Geschlechtsteils wird durch eine Vorhautbeschneidung nicht gestört. Bei Mädchen sind die empfindsamen Geschlechtsteile entfernt worden, vergleichbar mit einer Penissmputation."
Sie sollten sich mit der Anatomie des männlichen Genitals beschäftigen. Auch wenn es inzwischen alles bestens dokumentiert publiziert wurde (z.B. Stefan Schritts Großes Zirkumpendium) noch einmal in aller Kürze: Der empfindlichste Teil des Penis ist die Vorhaut (für die Frau ist sie wegen ihrer Rollfunktion beim Geschlechtsakt der wichtigste Teil).
Durch die Vorhautamputation gehen ca. 75% der für das Lustempfinden notwendigen Nervenenden unrettbar verloren - da hilft auch keine Vorhautrestauration. Des Weiteren keratinisiert die nun dauerhaft schutzlose Eichel, weil sonst jede Berührung mit Stoff (Unterhose) schmerzhaft wäre. D.h. sie stumpft ab und die Haut verdickt sich (Keratinisierung), um widerstandfähiger und stumpfer zu werden. Mit ein bisschen Vorstellungsvermögen kann man sich das auch leicht vorstellen.
Ich empfehle als Test für Männer UND Frauen einmal die Zunge eine Stunde lang (nur eine Stunde lang!) herauszustrecken und trocken zu lassen. Oder die Fingerkuppen mit Sekundenkleber einzuschmieren. Der Verlust an Empfindlichkeit wird sofort plastisch erfahrbar. Wer danach noch meint, der Verlust des Schutzes der Eichel hätte keine negativen Effekte für diese, ist ignorant.
D.h.: Die Empfindsamkeit wird massiv gestört, was ein als Kind beschnittener Mann kaum nachempfinden kann, weil er es ja nie mit voller Empfindungsfähigkeit während des Sexes gespürt hat. Es ist auch bekannt, dass es mit zunehmendem Alter (massiv ab 50) zu erektilen Dysfunktionen kommt, weil sich die natürliche Abnahme der Empfindungsfähigkeit addiert - im schlimmsten Fall folgt die völlige Unfähigkeit, überhaupt noch zum Orgasmus zu kommen.
Ich finde, wir kommen in dieser schwierigen Debatte nicht weiter, wenn stets die alten Märchen herausposaunt werden, Mädchenbeschneidung sei immer schlimmer als Jungenbeschneidung und dass die Männer ja keinen Nachteil erleiden würden.
Yasmin El-Hakim am Permanenter Link
Lieber Bernd Kammermeier,
Die meisten Frauen werden jedoch die Excision.
http://www.stopfgm.net/wp-content/uploads/vor2013/grundlagen/RI_Formen.pdf
Sie haben auch insofern recht, dass die Vorhaut des männlichen Genitals zu den empfindsamsten Teilen des männlichen Geschlechts gehören. Das war mir bis dato unbekannt.
Ich danke Ihnen für die Aufklärung
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Liebe Yasmin El-Hakim,
es baut mich immer wieder auf in der Arbeit der Aufklärung weiterzumachen, wenn man so nette Rückmeldungen erhält. Vielleicht liegt es daran, dass Sie eine Frau sind? Männer tun sich erfahrungsgemäß schwerer, die simplen Fakten anzuerkennen.
Dabei ist es vergleichsweise einfach: informieren, nachdenken, handeln!
Wenn ich - was begrüßenswert ist - lese, dass Muslime einen Wandel ihrer Religion in die Moderne wollen (weg vom IS-Islam), dann sollte es nicht allzu schwer fallen, alle alten Zöpfe auf ihre Brauchbarkeit und gegebenenfalls auch auf ihre Schädlichkeit hin zu untersuchen.
Ich hoffe noch immer, dass dies innerhalb der religiösen Gemeinden geschehen kann, sodass kein Angriff auf den §1631d BGB, der Eltern die Erlaubnis zur Verstümmelung ihres Sohnes gibt, notwendig wird. Das wäre doch das schönste Signal, dass man in der heutigen Zeit angekommen ist, wenn all die Zöpfe, die einst in Arabien wichtig waren, abgeschnitten und würdevoll beerdigt würden. So, wie im Judentum nicht mehr gesteinigt wird, wenn jemand am Sabbat Holz sammelt.
Und gerade die muslimischen Frauen werden Männer mit Vorhäuten schätzen lernen, weil es mit denen (Hygiene vorausgesetzt) einfach viel schöner ist, viel weicher und zärtlicher. Genussvoller für beide Seiten.
Also: Zöpfe ab - Vorhaut dran!
Yasmin El-Hakim am Permanenter Link
Lieber Berd Kammermeier,
vielen herzlich Dank auch für Ihre nette Rückmeldung.
Herzliche Grüße
Yasmin El-Hakim
BrIsDi am Permanenter Link
Ich wurde als Jugendlicher beschnitten und kann aus meiner Erfahrung sagen, dass es überhaupt kein Problem darstellt, wenn die Eichel ein wenig an Reizfähigkeit abnimmt.
Dennoch verstehe ich den Ansatz, dass Beschneidung bei nicht Einwilligungsfähigen im Grunde Körperverletzung ist. Da es im Islam jedoch -anders als im Judentum- nicht gefordert ist das man als Kind oder gar Baby beschnitten wird, kann man das auch ruhig noch als Jugendlicher machen lassen.
Mit 14 ist man in Deutschland religionsmündig. Dies ist ein gutes Alter in die Religion initiiert zu werden, sofern man das denn möchte und entsprechend auch die Beschneidung -freiwillig- zu empfangen, oder diese abzulehnen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Lieber BrIsDi,
es gibt Menschen, denen wurde eine Niere entfernt (weil sie krank war oder weil sie sie gespendet haben etc.). Diese fühlen sich hinterher wohl und haben keine Probleme. Würden Sie nun anraten, jedem Menschen die Niere im Kindesalter zu entfernen, weil es ja welche gibt, denen das nicht geschadet hat?
Ich finde es schön für Sie, wenn Sie keine Probleme haben. Doch gibt dies niemandem das Recht, es an Kindern zu praktizieren. Schließlich es gibt sehr viele Fälle, in denen es Männern hinterher nicht gut erging. Wer will seine Hand dafür ins Feuer legen, dass es beim eigenen Kind nicht auch schief geht?
Sie schreiben: "Ich [...] kann aus meiner Erfahrung sagen, dass es überhaupt kein Problem darstellt, wenn die Eichel ein wenig an Reizfähigkeit abnimmt."
Schön, dass Sie es wenigstens zugeben. Viele Beschnittene bestreiten dies ja explizit. Da jedoch die Reizfähigkeit mit fortschreitendem Alter sowieso abnimmt, wird sich dieser bis zum 50. Lebensjahr noch erträgliche Reizverlust so weit aufsummieren, dass sich u.U. eine völlig Unfähigkeit zum Orgasmus zu kommen ergibt. Ob das dann immer noch keine Problem darstellt? Und selbst wenn nicht, ist dies noch lange keinen Grund in die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen einzugreifen. Abgesehen von Frauen, die unter dem härteren Sex beschnittener Männer deutlich öfters leiden.
Weiter schreiben Sie: "Ich finde es sogar angenehmer und hygienischer. Die Potenz hat sogar eher zugenommen."
Angenehmer ist sehr subjektiv und das mögen andere anders sehen, hygienischer ist es auf keinen Fall. Selbst wenn Sie nicht duschen oder baden sollten (wovon ich nicht ausgehe) wäre ein beschnittener Penis nicht hygienischer, weil z.B. das Smegma nicht mehr gebildet werden kann: Dieses wirkt nämlich antibakteriell und beginnt deshalb (durch die Bakterien) nach mehren Tagen ohne Intimhygiene zu riechen. Diesen Schutz hat ein beschnittener Penis nicht mehr.
Dieses Smegma wird übrigens auch unter der weiblichen Klitorisvorhaut gebildet. Wer also deswegen die MGM befürwortet, muss logischerweise auch für die FGM sein, also für die weibliche Genitalverstümmelung.
Ein Zusammenhang mit einer Zunahme der Potenz ist definitiv nicht erkennbar. Außer, Sie verwechseln Potenz mit "länger können". Denn dies ist oft (zum Leidwesen vieler Beschnittener und ihren Partnerinnen) auch ein "länger müssen".
"Ich finde die Vorstellung einer Vorhaut einfach eklig."
Soll ich jetzt retournieren, dass ich einen beschnittenen Penis eklig finde? Warum? Jeder darf seinen Intimbereich so gestalten, wie er will. Betonung auf SEINEN INTIMBEREICH. Gerade muslimische Frauen, die nie einen unbeschnittenen Mann im Bett hatten, rümpfen verachtungsvoll die Nase wegen angeblich "stinkender unbeschnittener Penisse". Ich finde dies beleidigend (was es auch sein soll). Kein Mann, der sich regelmäßig wäscht, stinkt im Intimbereich. Auf keinen Fall mehr als eine Frau, die sich regelmäßig wäscht.
Ich persönlich möchte meine Vorhaut nicht missen, weil ich mit ihr logischerweise mehr Spaß im Bett habe, als ohne deren Nervenenden, die bei einer Beschneidung unrettbar verloren gehen. Die von Ihnen so missachtete Reizfähigkeit möchte ich niemals missen.
"Aus meiner Perspektive scheinen tatsächlich Sie leider ein wenig voreingenommen zu sein. =)"
In welcher Beziehung? Weil ich die Fakten kenne und Sie nicht?
"Dennoch verstehe ich den Ansatz, dass Beschneidung bei nicht Einwilligungsfähigen im Grunde Körperverletzung ist. Da es im Islam jedoch -anders als im Judentum- nicht gefordert ist das man als Kind oder gar Baby beschnitten wird, kann man das auch ruhig noch als Jugendlicher machen lassen."
1. Beschneidung ist - wie jede Operation oder Amputation - Körperverletzung. Auch ein Arzt begeht dabei eine Körperverletzung, die nur durch die Einwilligungserklärung des Patienten durchgeführt werden darf. Für Kinder unterschreiben die Eltern.
2. Der Islam schreibt Beschneidung überhaupt nicht vor, anders, als im Judentum, wo es einen angeblich göttlichen Auftrag an eine der religiösen Figuren gibt.
"Mit 14 ist man in Deutschland religionsmündig. Dies ist ein gutes Alter in die Religion initiiert zu werden, sofern man das denn möchte und entsprechend auch die Beschneidung -freiwillig- zu empfangen, oder diese abzulehnen."
Mit 14 Jahren darf man sich für eine Religionsgemeinschaft entscheiden - oder austreten, wenn man nicht mehr an magische Geschichten glauben will. Eine Beschneidung ist einer Schönheits-OP gleichzusetzen und dies ist in Deutschland erst ab 18 Jahren erlaubt, außer es liegen dringende medizinische oder psychologische Probleme vor (z.B. Entstellungen nach Unfall oder Krankheit). Deshalb ist 18 Jahre das vernünftigste Alter für die freiwillige Beschneidung.
Doch wäre diese wirklich freiwillig? Gibt es in muslimischen Communities nicht sozialen Druck, dass der junge Mann es letztlich doch tut, obwohl er eigentlich nicht will? Gerade die Familie und andere Bekannte üben doch massive Repressionen aus, damit der Junge endlich "ehrbar und rein" in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Nur mit diesem Mittel aus Zuckerbrot und Peitsche hat sich dieser barbarische Ritus bis heute erhalten. Der Druck kommt jedenfalls niemals von außen, denn Christen oder Atheisten ist es vollkommen gleichgültig, ob jemand beschnitten ist oder nicht.
Deshalb ist mir auch völlig egal, ob Sie beschnitten sind und ob Sie damit klarkommen. Mir geht es um den Schutz unmündiger Kinder, die von ihren Eltern dazu gezwungen werden, sich als Pascha verkleidet vor der Verwandtschaft zu entblößen.
Wenn Sie also etwas Gutes tun wollen, dann kämpfen Sie für eine Beschneidung ab 18 Jahren auf freiwilliger Basis, d.h. ohne Druck der Familie. Ich bin sicher, dass dieser Ritus dann innerhalb einer Generation ausgestorben ist, weil dies (fast) kein Mann freiwillig macht. Dann wäre eine weitere schädliche religiöse Handlung weniger auf der Welt.
BrIsDi am Permanenter Link
Schön das Sie so energisch gegen diese "barbarische" Tradition eintreten. Meiner Meinung nach übertreiben Sie jedoch und was Sie zum Alter sagten, stimmt so auch nicht.
Letzlich gilt hier -objektiv betrachtet- eine juristische Güterabwegung zu praktizieren. Leider nicht ganz einfach, da sowohl Muslime bzw. Juden aus deren subjektiven Empfinden heraus, als auch aus dem selben Grund Islamkritier heute bzw. Antisemiten früher jeweils kompromisslos für ihren jeweiligen Standpunkt eintreten. So kann man aber keine Realpolitik machen.
Und der soziale Druck mag sogar vorhanden sein, aber kann sich ebenso umkehren. Wenn z.B. Muslime oder Juden von der Mehrheitsgesellschaft genötigt werden, die Beschneidung aufzugeben (was in der Vergnagenheit schon mehrfach versucht wurde). Etwas das -ob es einem gefällt oder nicht- nunmal Teil der religiösen Identität der betreffenen Religionsgemeinschaften ist und dem oft leider mit völliger Verachtung von Seiten des Abenlandes begegnet wurde und wird. Sogar in der Bibel liest man schon, dass die Griechen Juden wegen der Beschneidung verfolgen ließen, die aber trotzig an ihrer Praxis festhielten.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Leider nicht ganz einfach, da sowohl Muslime bzw. Juden aus deren subjektiven Empfinden heraus, als auch aus dem selben Grund Islamkritier heute bzw.
So ist es!
"Und der soziale Druck mag sogar vorhanden sein, aber kann sich ebenso umkehren."
Selbstverständlich wirkt das in beide Richtungen! Deshalb kritisiere ich nicht das religiöse Leben, obwohl es auf einer Lüge basiert. Sich selbst darf jeder gerne so oft er will belügen - solange er anderen nicht schadet. Und nur darum geht es: Kinder dürfen nicht automatisch in die Lügen der Eltern involviert werden, nur, weil diese von ihren Eltern ebenfalls in deren Lügen involviert wurden usw.
Heutzutage gibt es den Begriff der Selbstbestimmung. Da darf ich zwar immer noch jeder beliebigen Lüge nachlaufen, aber ich darf sie mir selbst aussuchen und muss sie mir nicht von den Eltern vorschreiben lassen.
"Etwas das -ob es einem gefällt oder nicht- nunmal Teil der religiösen Identität der betreffenen Religionsgemeinschaften ist und dem oft leider mit völliger Verachtung von Seiten des Abenlandes begegnet wurde und wird."
Dass es christlich fanatische Abendlandverteidiger gibt weiß ich und ich habe mit diesen Vorgestrigen auch meine Probleme. Glücklicherweise leben wir nicht mehr in einem christlichen Abendland.
Aber mal was anderes: Wie würden Sie reagieren, wenn heute ein neuer Prophet auftauchen würde, der eine Gruppe von Anhängern um sich schart und verkündet, Gott habe ihm den Auftrag gegeben, dafür zu sorgen, dass sich alle seine Anhänger ein wichtiges Stück ihres Körpers abschneiden sollen. Würden Sie das tolerieren, weil es für deren Identität wichtig ist? Wohl kaum, vermute ich mal.
Der Gesetzgeber würde jedenfalls - um die minderjährigen Kinder zu schützen (respektive alle Personen unter 18 Jahren) - diese Riten (nicht die neue Religion!!!) verbieten.
Denn hier ist der zentrale Punkt, den weder Juden noch Muslime in der Beschneidungsdebatte bedacht haben: Vernünftige Beschneidungskritiker haben nie das religiöse Leben verhindern wollen. Es ging stets und ausschließlich darum, ob man nichteinwilligungsfähigen Personen (also alle unter 18 Jahren) eine Stück gesunden Körpergewebes amputieren darf.
Die Religionsgemeinschaften waren es, die diese Amputation mit ihrer Religion in Verbindung brachten. Nur ist dies ein schwer nachvollziehbarer Zusammenhang. Warum sollte ein intakter Körper nicht auch religiös sein, zumal nicht der Körper, sondern bestimmte Hirnareal religiös sind? Religion ist eine geistige Sache - eben ein Glaube an Übernatürliches. Der körperliche Zustand sollte da objektiv keine Rolle spielen. Letztlich genauso wenig, wie Sexualitäts-, Speise- oder Bekleidungsgebote. Diese Faktoren haben nichts mit Spiritualität, sondern mit Verhinderung der Selbstbestimmung zu tun.
Diese Art der Bevormundung mögen - ich wiederhole mich - Erwachsene mit sich machen lassen (für mich wäre das unerträglich), aber Kinder muss man als verantwortungsvoller Bürger von solchen Einschränkungen fernhalten. Nur darum geht es. Das müssen Gläubige lernen, ob sie wollen oder nicht. Wir leben nicht mehr im Mittelalter unter despotischen Herren, die ihr Volk unterdrücken.
BrIsDi am Permanenter Link
Nachtrag (da ich die Sache mit der Niere erst jetzt gelesen habe):
Ihr vorwurfsvoller Vergleich mit der Niere ist unangebracht, da ich an keiner Stelle die Säuglings- oder Kinderbeschneidung für gut befunden habe. Auch das Gebot der Beschneidung an sich betrachte ich nicht als Pflicht, sondern jediglich als empfohlen und sollte nur an einwilligungsfähigen Personen (also Judenlichen oder Erwachsenen) freiwillig vorgenommen werden. Und ob dies nun ab 14, 16 oder 18 gemacht werden kann, ist Haarspalterrei. Von mir aus auch erst ab 18, falls Sie das beruhigt =)
Ansonsten wäre es vielleicht Sinnvoll zum eigentlichen Thema zurückzukehren, dass ja nicht die Beschneidung war, sondern die Thesen von Khorchide. Wie stehen Sie denn zu denen?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Ansonsten wäre es vielleicht Sinnvoll zum eigentlichen Thema zurückzukehren, dass ja nicht die Beschneidung war, sondern die Thesen von Khorchide. Wie stehen Sie denn zu denen?"
Nun, die Beschneidung hatte ich bewusst in dem Interview thematisiert, weil dies - im Gegensatz zum Kopftuchtragen - im Grundsatzprogramm des Islamischen Forums Deutschland nicht thematisiert wurde.
Denn alles Liberalisieren von Religion nutzt ja nichts, wenn die schlimmsten KÖRPERLICHEN Beeinträchtigungen von Religion nicht im Vorfeld beseitigt werden. Hier geht es um das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, dem jede Religion mit unsinnigen Dogmen widerspricht.
Für freiheitlich denkende Menschen ist nicht nachvollziehbar, warum man sich mittels sozialer Druckmittel dazu zwingen lassen soll, körperliche Veränderungen hinzunehmen, bestimmte Kleidung zu tragen, bestimmte Speisen nicht zu essen oder einen bestimmten sexuellen Umgang zu pflegen (mit sich selbst, mit gleichgeschlechtlichen Partnern oder außerehelich - solange wechselseitige Freiwilligkeit vorliegt)?
Erst wenn Religion ihren EIGENEN Mitgliedern diese Freiheiten (wieder) einräumt, die sie ihnen einst gestohlen hat, kann man darüber diskutieren, ob es moderate Formen der Religiosität gibt. Prof. Khorchides Weg ist sicher ein guter Kompromiss, der den Muslimen ihre Spiritualität nicht nimmt, aber den schlimmsten politischen und juristischen Wildwuchs eliminiert.
Doch gerade bei den Muslimverbänden eckt er damit an, WEIL er eben den politischen Islam ablehnt. Islamverbände wollen Macht und Einfluss. Sie wollen an das Geld des Staates, so, wie die christlichen Kirchen dies auch für sich in Anspruch nehmen. Deshalb wird Prof. Khorchide leider scheitern.
Dies sollte aber eine breit geführte Debatte entfachen, ob es den konservativen Islamverbänden nicht letztlich doch nur um Kontrolle und weniger um Spiritualität geht - und wie wir als säkulare Gesellschaft damit umgehen.
Doch letztlich ist und bleibt der Islam - so schön man ihn sich auch reden oder reformieren kann - nur ein künstliches Konstrukt, das auf der Lüge der Existenz Gottes aufgebaut ist. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
BrIsDi am Permanenter Link
Da muss ich Ihnen ein wenig widersprechen. Religion ist nicht dazu verpflichtet, ihre Statuten dem Zeitgeist völlig anzupassen. Wenn z.B.
Was die Islamverbände angeht, mögen Sie nicht unrecht haben, doch sind diese im Verlgeich zu den Salafisten noch harmlos in Ihrer Konservativität.
Und in Bezug auf die Behauptung, der Islam sei nur ein lügenhaften Konstrukt, so spiegelt dies Ihre sehr kulturkämpferisch anmutende Meinung wider. Ich bin so plural eingestellt, jede Glaubenswahrheit zu akzeptieren und in den gesamtgesellschaftlichen Konsens miteinbinden zu wollen, solange sie das prinzipiell auch tut. Selbst wenn ich nicht mit allem d'accord gehe. Wer in Christus, Buddha oder Allah sein Heil finden mag, dem würde ich niemals seinen Glaube so in Abrede stellen. Jeder nach seiner Facon halt. =)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Wenn alle nur so wären wie Sie, die Welt wäre ein friedlicherer Ort. Doch leider wissen wir beide, dass Sie eine verschwindende Minderheit repräsentieren.
"Religion ist nicht dazu verpflichtet, ihre Statuten dem Zeitgeist völlig anzupassen."
Wenn sie überleben will, muss sie das. Warum? Auch wenn es Gläubige anders sehen wollen, aber Religion ist nichts Absolutes. Sie hat weder die Wahrheit in sich noch einen Ewigkeitswert. Und weil Religion Menschenwerk ist, hat sie sich auch immer angepasst. Das nennt man dann Schismen oder Häresien.
Der Islam ist letztlich eine Häresie von Ebionitern, Judenchristen, die mit dem Dogma der westlichen christlichen Kirche nicht einverstanden waren, nämlich, dass Jesus ab 325 (Konzil von Nicäa) plötzlich Gottes Sohn sein sollte. Deshalb passte sich die östliche Kirche dem Zeitgeist der arabischen Länder und Syrien an und degradierte Jesus auf Syro-aramäisch wieder zum Propheten. Daraus entstand nach Übersetzung ins Arabische der Islam.
Auch Luthers Reformversuch, der kläglich scheiterte und zu einem furchtbaren Krieg und zur Spaltung der Kirche führte, ist so ein Anpassungsversuch an den Zeitgeist gewesen. Die Methodisten in England sind eine weitere Abzweigung, die Mormonen, die Zeugen Jehovas etc.
Nicht immer waren die Abpassungen glücklich, weil man zu oft sein Heil in der Vergangenheit suchte, so wie Wahabiten oder Salafisten dies im Islam versuchen, aber manchmal gab es auch positive Vorwärtsbewegungen.
Religion kann sich also verändern. Und sie muss es auch, um lebendig zu bleiben. Inzwischen hat moderne Ethik und Rechtsprechung, wissenschaftliche und medizinische Erkenntnis praktisch alles aus den "heiligen" Schriften überholt, um Längen hinter sich gelassen. So gesehen braucht man Religion nämlich nicht mehr. Nur eine sich stetig verändernde, anpassende Religion (was Prof. Khorchide versucht) könnte hier noch einmal an Boden gewinnen, doch dem steht ihr ureigener Dogmatismus entgegen: die Wahnvorstellung, die absolute Wahrheit zu besitzen.
Nicht die moderne Gesellschaft, die Religionen selbst stehen sich im Weg. Das kann man gut an Ihrem Beispiel mit der Homosexualität sehen: Niemand heute hat noch Probleme mit Homosexuellen, der auf dem Stand moderner Biologie, Medizin, Rechtsprechung, Psychologie und Ethik ist. Nur religiösen Menschen steht hier ihre eigene Religion im Weg, weil man früher Homosexualität für nicht gottgewollt hielt. Dies hing sicher auch damit zusammen, dass sich homosexuelle Paare nicht vermehren - was ja ein göttlicher Auftrag ist (in Zeiten der Überbevölkerung sollte man jedoch langsam mal davon Abschied nehmen).
Heute weiß man, dass Homosexualität weder abartig ist, noch wie eine Krankheit übertragbar. Es ist ein Spielart der Natur, gegen die nicht das Geringste einzuwenden ist, selbst wenn man sie nicht selbst praktiziert.
Die bei Ihnen herausklingende Homophobie hingegen ist total abzulehnen. Hier lasse ich auch keine "pluralistische" Meinung zu. Oder fänden sie es toll, wenn Christen in Europa Muslime ablehnen, WEIL sie Muslime sind. Oder Schwarze werden diskriminiert, WEIL die Schwarze sind? Wären das auch "pluralistische Meinungen"? Gewiss nicht! Das sind Meinungen von Faschisten, die andere, die ihnen nicht gefallen, ausgrenzen.
Religionen verleiten ihre Anhänger zu dualistischen Auffassungen, zum faschistischen Denken und zur Intoleranz. Und hier bin ich ganz hart: Keine Toleranz den Intoleranten!
Und warum ist meine Ansicht, der Islam (respektive alle Religionen) seien ein Lügenkonstrukt, "kulturkämpferisch"? Das ist überhaupt keine kulturelle Frage, sondern eine rein wissenschaftliche.
Die Basis der meisten Religionen ist ein personaler Gott. Wenn dieser nicht nachweisbar ist, dann taugt er bestenfalls als Hypothese auf sehr schwachen Beinen. Und darauf kann man ehrlicherweise nichts aufbauen. Weder eine Philosophie, noch ein Gesellschaftsmodell, noch ein Rechtssystem oder gar eine politische Ordnung.
Doch alles dies und noch viel mehr erdreisten sich die Monotheismen. Wenn das kein Lügenkonstrukt ist, dann hat es noch nie ein Lügenkonstrukt gegeben.
Trotzdem darf sich jeder selbst belügen. Da habe ich kein Problem damit. Doch sollte derjenige sich jeder politischen oder gesellschaftlichen Einflussnahme enthalten - schon gar der von Kindern. Wir brauchen heute belastbare Konzepte, mit denen die Zukunftsprobleme angegangen werden können. Märchen aus 1001 Nacht sind unterhaltsam, aber nicht tragfähig...
BrIsDi am Permanenter Link
Religion sollte sich auch anpassen, aber dennoch sie selbst bleiben und ja in manchen muslimischen Ländern würde man für solche Ansichten gesteinigt werden, aber sicher auch nicht in allen, wie Sie suggerieren.
Ihre Entstehungshypothese vom Islam ist sicher interessant, aber nichts weiter als eine These. Ihre persönliche Ansicht. Tun Sie bitte nicht so, als hätten Sie die Wahrheit über den Islam für sich gepachtet, wie es die Fundamentalisten gerne tun. =)
Und ich bin auch in keiner Weise homophob, wie Sie mir unterstellen. Wenn ich homophob sein soll, dann sind Sie für mich islamophob. Ich habe das Recht in einem freien Land der Meinung zu sein, dass Homosexualität nicht ganz normal ist. Was aber noch lange nicht heisst, dass ich es abnormal finde. Sogesehen sind Muslime auch nicht ganz "normal" in einem christlich geprägten Umfeld, dadurch aber ebenso wenig abnormal. Und natürlich brauchen sich Homosexuelle für nichts zu rechtfertigen und sollten von mir aus auch standesamtlich heiraten dürfen. Aber die Religionen als private Vereine bestimmen selber, wen sie abseits des allgemeingültigen offiziellen standesamtlichen Prozedere segnen und nicht und wenn manche Religionen das nicht wollen, ist es denen ihre Sache und hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Wenn Sie hier keine Pluralität zulassen wollen, dann sind Sie auch nur ein Dogmatiker, dessen Dogma es ist das gefälligst jeder Homosexualität absolut super finden muss und wenn nicht, als Feind der Gesellschaft angesehen wird, weil er sich dem Zeitgeist nicht beugen will. Das ist für mich eine Art umgekehrte Meinungsdiktatur. Wenn man früher auch nur ansatzweise Homosexuelle verteidigt hat, wurde man niedergemacht und wenn man heute auch nur ansatzweise mit Homosexualität nicht d'accord geht ebenso. Beide Mentalitäten sind für mich abzulehnen.
Und ja natürlich sind es auch plurale Meinungen, wenn Menschen Religionen oder auch den Islam ablehnend gegenüberstehen. Sie sind ja das beste Beispiel eines intoleranten Atheisten, der aber trotzdem jedes Recht hat islam- und religionskritisch zu sein!
Und das Motto "keine Toleranz der Intoleranz" wird recht gerne missbraucht, um unter dem Deckmantel vermeintliche Intoleranz bekämpfen zu wollen, selber Intoleranz auszuüben.
Ob man ansonsten auf einem nichtbeweisenen Gott eine Philosophie usw. aufbauen kann oder nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Hören Sie bitte auf dies als allgemeingültige Wahrheit zu verklären. Wenn Sie das sich sich so entschieden haben ok. Letzlich hat jeder eben seine Wahrheit und die Realität zeigt, dass man dies sehr wohl kann, auch wenn es Ihnen nicht passt. Jedem halt das Seine! Und was die gesellschaftliche Einflussnahme von Religionen angeht, so sollte diese natürlich in einem säkularen Staat von untergeordneter Natur sein, aber dennoch haben Religionsgemeinschaften, die immerhin einen großen Teil der Bevölkerung repräsentieren auch ein Recht an der Gesellschaft und den soziopolitischen Prozessen zu partizipieren. Wenn Sie das den Religionen absprechen, so brauchen wir gar nicht weiter zu diskutieren. Da ich Ihnen an der Stelle leider die Demokratiefähigkeit absprechen muss. In dem Sinne schönen Abend noch.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Ihre Entstehungshypothese vom Islam ist sicher interessant, aber nichts weiter als eine These. Ihre persönliche Ansicht."
Das ist die klassische Argumentationsfigur Gläubiger: Passt etwas nicht, wird es zur persönlichen Ansicht erklärt. Doch so funktioniert die Welt nicht. Es gibt wissenschaftliche Prinzipien, die z.B. dazu geführt haben, dass wir über Computer und Internet miteinander kommunizieren können. Wären diese Prinzipien genauso falsch, wie Religionen, würde dies genauso wenig gelingen wir ein Bittgebet an "Gott".
Bei dem hpd-Bericht "Silverman vs. Gott" habe ich gerade einen überzeugten Christen, der z.B. den Koran strikt ablehnt, weil darin - im Gegensatz zur Bibel - nicht Gottes Wort stünde. Ich sollte sie beide zusammenbringen, dann können sie das unter sich auskegeln, wer Recht hat. :-)
Meine "persönliche" Ansicht zur Entstehung des Islams basiert auf langjährigen Studien und deckt sich mit Aussagen anerkannter Islamwissenschaftler. Und im Übrigen: Was ist so schlimm daran? Natürlich gab es dann keine Offenbarung in der Höhle und Mohamed wäre kein Prophet. Na und? Was sollte das am Koran oder Islam ändern? Gott gibt es sowieso nicht - entsprechend keine Propheten -, also müssen wir uns mit den Texten und der gelebten Praxis auseinandersetzen. Und da gibt es genug, was abschreckt - und das nur erträglich ist, wenn man dem Gotteswahn verfallen ist. Doch wirklich hilfreich im Leben ist Letzteres nicht.
"Aber die Religionen als private Vereine bestimmen selber, wen sie abseits des allgemeingültigen offiziellen standesamtlichen Prozedere segnen und nicht und wenn manche Religionen das nicht wollen, ist es denen ihre Sache und hat nichts mit Diskriminierung zu tun."
Schön, dass Sie Religionen als private Vereine bezeichnen. So ist es nämlich. Und natürlich hat jeder Verein das Recht, in seiner Vereinssatzung festzulegen, welche Regeln gelten (solange sie mit dem Gesetz nicht kollidieren). Jedoch äußern sich Bischöfe, Kardinäle, Imame und Rabbiner gerne in der Öffentlichkeit zum Thema Homosexualität. Und sie nehmen gerne Einfluss auf den Gesetzgeber, der für ALLE Bürger Gesetze erlässt. Und da zählt für mich, wie sich z.B. ein Bischof Overbeck über Homosexuelle äußert. Das geht bis hin zu POLITISCHEN (nicht "privatvereinlichen") Debatten, ob es eine Ehe zwischen oder ein Adoptionsrecht für Homosexuelle gibt. Selbst das katholische Irland hat uns in dieser Frage inzwischen überholt.
Würden die religiösen Privatvereine diese Angelegenheit in ihren privaten Vereinshäusern regeln und die übrige Welt verschonen, hätten viel weniger Probleme mit der Homophobie, die dort herrscht.
"Sie sind ja das beste Beispiel eines intoleranten Atheisten, der aber trotzdem jedes Recht hat islam- und religionskritisch zu sein!"
Worin besteht Ihrer Meinung nach meine Intoleranz? Dass ich es unerträglich finde, dass Homosexuelle aus religiösen Gründen diskriminiert werden? Oder dass ich es absurd finde, wenn erwachsene Menschen an einen unsichtbaren Freund im Weltraum glauben? Ich darf also kritisieren - sehr schön, doch auch da steht ihre Position im Gegensatz zu den weitaus meisten Muslimen weltweit. Für die gibt es "rote Linien", die nicht überschritten werden dürften. Wer bestimmt das denn? Die Muslime! Kein internationaler Gerichtshof hat festgelegt, dass Nichtmuslime keine Karikaturen von Mohamed zeichnen dürfen. Das diktieren Muslime dem Rest der Welt, weil, ja: weil sie einfach glauben, sich dieses Recht nehmen zu dürfen. Und warum glauben sie das? Weil sie glauben, es gäbe einen Gott, der einem vermeintlichen Propheten genau dies so aufgetragen hat. Wollen Sie noch weitere Beweise, dass Religion intolerant ist?
Sie persönlich sind das vielleicht nicht, aber eine deutliche Mehrheit der gläubigen Menschen aller Monotheismen weltweit ist intolerant.
"Letzlich hat jeder eben seine Wahrheit und die Realität zeigt, dass man dies sehr wohl kann, auch wenn es Ihnen nicht passt."
Nein! Ein völlig intolerantes Nein! Es gibt nicht mehrere Realitäten oder mehrere Wahrheiten. Ein "Gott" existiert entweder oder er existiert nicht. Genauso wie der Kontinent Atlantis entweder existiert oder nicht, so wie es Einhörner, die Zahnfee oder den Weihnachtsmann gibt oder nicht.
Es ist völlig unsinnig anzunehmen, es gäbe parallel mehrere Wahrheiten. Dies widerspricht der Erkenntnistheorie. Und auf dieser Erkenntnistheorie basiert die Beurteilung unserer Wahrnehmung. Natürlich wissen wir längst nicht alles, doch das was wir wissen ist bis zum Beweis des Gegenteil ein Teil unserer Realität.
Viele frühere Vorstellungen haben sich als falsch erwiesen. Das ist nicht ehrenrührig, sondern liegt an mangelnden technischen Möglichkeiten, z.B. Mikroskopen oder Teleskopen. Mit zunehmender Verbesserung unserer Wahrnehmung verbessern wir auch die Theorien über die Welt. Und im Rahmen dieser Entwicklung wurden sämtliche religiösen Vorstellungen ad absurdum geführt. Nichts davon hat noch Bestand. Dass Gläubige dies wie trotzige Kinder nicht wahrhaben wollen, ist ehrlich gesagt deren Problem, nicht das meine.
"Da ich Ihnen an der Stelle leider die Demokratiefähigkeit absprechen muss."
Sagt jemand, der einen theokratischen, antidemokratischen, antihumanen Monotheismus verteidigt. Schönen Tag noch...
Rerun am Permanenter Link
Machen Sie einfach einmal die Gegenprobe und drehen Ihre Aussage um: Alles, wo die Klitoris nicht vollständig weggeschnitten wird, ist also bei Mädchen keine Genitalverstümmelung.
Solange wir die Beschneidung bei Jungen legalisieren und tolerieren, weisen die Beschneiderinnen von Mädchen zu Recht darauf hin, dass wir hier einen Doppelstandard haben. Außerdem ist das kein "was ist schlimmer"-Wettbewerb, sondern man muss alleine aus ethischen Überlegungen für alle Kinder dahin kommen, wo wir für Mädchen bereits sind: Ihre Genitalien und ihre Körper sind für Eltern schlicht und ergreifend tabu.
David am Permanenter Link
Na, bröckelt da ein wenig die ansonsten so offen erscheinende Position MKs wenn es handfest wird wie bei der Beschneidung? Seine Position zum Schächten wūrde mich ebenfalls interessieren.
Ansonsten: Interessanter Austausch. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung.
valtental am Permanenter Link
"Das heißt, jede Interpretation des Korans und der Tradition Mohameds, die mit der Barmherzigkeit nicht übereinstimmt, verwerfe ich ohne Wenn und Aber.
Eine Barmherzigkeit Gottes ist das feststehende Axiom von MKs Betrachtungen, wie eben seine jede Gewaltanwendung verurteilende Lesart des Korans. Was aber wenn die im Koran geoffenbarte Barmherzigkeit Gottes Gewalt mit einschließt?
Sure 2/256: "Siehe Sie, die da glauben und auswandern und streiten in Allahs Weg, sie mögen hoffen auf Allahs Barmherzigkeit, denn Allah ist verzeihend und barmherzig."
'Streiten' bedeutet hier nicht reden, sondern kämpfen, denn der 'Auswandernde' (d.h. der muslim. Krieger) zieht immer aus dem dar-ul-islam (Land des Islam) ins dar-ul-harb (Land des Krieges), wie alle von Nichtmuslimen bewohnten Gebiete den Ereignissen vorausgreifend bezeichnet werden. Eine göttliche Barmherzigkeit auf die Gewalttäter/Krieger "hoffen mögen", d.h. hoffen dürfen? Der Bedeutungsumfang des Begriffs Barmherzigkeit im Koran steht in vollkommenen Widerspruch zu MKs humanistischer, gewaltfreier Lesart.
Ganz abgesehen von der grundsätzlichen, altbekannten Frage, ob ein Gott angesichts des Elends und Leides auf der Erde (biolog. "Fresskette") als barmherzig bezeichnet werden kann? Wie unzählige Theologen vor ihm, versucht sich auch MK a.O. in einer Erklärung dieses Widerspuchs, betreibt allerdings nicht mehr als eine fast wortgleiche Gedankenakrobatik, die bspw. Luther 1525 in seiner Schrift "Vom unfreien Willen" bereits dargeboten hat.
"Schön", dass der Staat nun auch noch die "Klärung" islamischer methaphysischer Konstrukte an dt. Universitäten mitfinanziert...
(a.O.: https://www.youtube.com/watch?v=eRNgV1kPQUA)
BrIsDi am Permanenter Link
Sie schrieben: "'Streiten' bedeutet hier nicht reden, sondern kämpfen, denn der 'Auswandernde' (d.h. der muslim.
Meine Fragen dazu:
1. ist "Dar-al-Harb" ein koranischer Begriff und das man diesen erobern müsse eine genuin koranische Lehre, oder handelt es sich um Lehren späterer Kalifendynastien, die damit ihre Herrschaftserweiterung islamisch unterstreichen wollten?
2. Sind mit "Auswanderern" im Kontext des genannten Verses wirklich per se "Krieger" die ausziehen, um das "Land der Ungläubigen" zu erobern gemeint -wie Sie suggerieren- oder nicht viel eher die historischen Muhajirun, d.h. die von den Mekkanern verfolgten ersten Muslime, die nach Medina ausgewandert sind?
Hannes am Permanenter Link
MK sagt: „Die Beschneidung sollte in den ersten Tagen nach der Geburt erfolgen.“ und folgert dann: „sonst wäre ich heute traumatisiert.“ Damit geht er offenbar davon aus, die Beschneidung sei bei Neugeborenen harmlose
„spätestens ab der 30. Schwangerschaftswoche sind alle Mechanismen, die zur Schmerzwahrnehmung notwendig sind, vollständig vorhanden.“ Aber:
„Die körpereigenen schmerzhemmenden Systeme reifen erst wesentlich später aus. Dies führt dazu, dass die schützenden gegenregulierenden Mechanismen erst jenseits der Neugeborenen-Periode, das heißt etwa vier Wochen nach dem errechneten Geburtstermin voll ausgebildet sind. Dies wiederum bedeutet, dass gerade Früh- und Neugeborene Schmerzen besonders schutzlos ausgeliefert sind und keine adäquate Möglichkeit zur Gegenregulation besitzen. Analgetisch unbegleitete Eingriffe in dieser Phase können darüber hinaus zu Aussprossungen von A- und C-Fasern in Richtung der Gewebeschädigung führen, die zu einer zum Teil auch lebenslang persistierenden Hyperinnervation und damit auch Hyperalgesie und/oder Allodynie [gestörte Schmerzempfindung] führen können. Zudem kann es zu Einsprossungen von Schmerzfasern ins Rückenmark kommen, was eine gestörte Somatotopie mit einem entsprechend vergrößerten Allodynieareal zur Folge haben kann.“(PD Dr. med. Sven Gottschling [Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Univ.-Klinikum des Saarlandes Homburg/Saar]: Rituelle Beschneidung aus kinderschmerzmedizinischer Sicht, URO-NEWS 2012; 16(9)/S.24-27)
Dazu kommt, dass im Gegensatz zu älteren Kindern Neugeborenen wegen des hohen Risikos keine Vollnarkose gegeben werden kann und eine Penisnervenblockade-Injektion zu schmerzhaft und unsicher ist. Deshalb wird wenn überhaupt bei Neugeborenen nur eine Schmerzsalbe (EMLA) gegeben, deren Anwendung bei Beschneidung wegen unzureichender Schmerzreduktion von der Europ. Arzneimittel-Agentur EMA als „ethisch inakzeptabel“ bewertet wurde und die für Beschneidung nicht zugelassen ist. Und der Schmerz bei Lösung der Vorhautverklebung wird von der Schmerzsalbe EMLA gar nicht erreicht.
Auch sonst kann man wohl nicht davon ausgehen, dass die Risiken bei der Beschneidung von Neugeborenen geringer sind als bei älteren Kindern. Dazu gehört auch, dass die Bindung des Babys (Bonding) auf massive Weise gefährdet wird mit gravierenden Spätfolgen und der Entwicklung einer geringeren Empathiefähigkeit.
Ist für Letzteres die Verharmlosung der Beschneidung nicht vielleicht schon ein Zeichen?
Eine Beschneidung mit 15 Tagen schließt jedenfalls nicht aus, heute traumatisiert zu sein.
Bernd Galeski am Permanenter Link
Meines Erachtens ist Herr Khorchide ein gutes Beispiel für das Verdrängen frühkindlicher Traumata.
Aber das Trauma hat stattgefunden, die Schmerzen und möglicherweise auch die Wut darüber sowie über den Verrat seiner Eltern, die ihn damals nicht geschützt haben, sind im Unbewussten aufgehoben bis heute.
Sichtbar wird das für psychoanalytische Betrachter daran, dass das religiöse Ritual doch recht offensiv gegen Kritik verteidigt wird, wenngleich mit tragisch anmutenden Scheinargumenten.
Zur Vertiefung dieser besonderen Thematik empfehle ich: "Das Drama des begabten Kindes" sowie: "Du sollst nicht merken - Die Realität der Kindheit und die Dogmen der Psychoanalyse" und andere Werke der Soziologin, Psychologin und praktizierenden Psychoanalytikerin Alice Miller.