BONN. (hpd) Tania Kambouri, Streifenpolizistin in Bochum mit griechischer Abstammung, berichtet in ihrem persönlichen Buch "Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin" von Konflikten mit Migranten angesichts von fehlendem Respekt ihr gegenüber als Frau und Polizistin. Die geschilderten Erfahrungen und Fälle kann man nicht vom Tisch wischen und verdienen als Ausdruck eines Respektverlustes in der Gesellschaft kritische Aufmerksamkeit, in der Gesamtschau verallgemeinert die Autorin aber auch sehr stark, was zu einer von ihr möglicherweise gar nicht beabsichtigten falschen Wirkung ihres Buches führen kann.
"Wie sieht die Zukunft in Deutschland aus, wenn straffällige Migranten sich (weiterhin) weigern, die Regeln in ihrem Gast- beziehungsweise Heimatland zu akzeptieren?" (S. 216) Mit dieser Frage begann Tania Kamoburi einen Leserbrief, der 2013 in "Deutsche Polizei. Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei" erschien.
Sie selbst wurde 1983 als Kind einer griechischstämmigen Familie in Bochum geboren und arbeite dort seit Jahren als Polizistin im Streifendienst. Man merkte dem Text die Wut an. Sie schrieb: "Meine deutschen Kollegen scheuen sich, ihre Meinung über die straffälligen Ausländer zu äußern, da sofort die alte Leier mit den Nazis anfängt. Das sei indessen Unsinn, und kein Grund, den straffälligen Ausländern hier in Deutschland alle Freiheiten zu lassen" (S. 218). Letzteres ist sicherlich maßlos übertrieben, "alle Freiheiten"? Gleichwohl löste der Leserbrief unter Kollegen ein großes Echo mit enormer Zustimmung aus. Was sie meinte, schildert Kambouri nun ausführlich in ihrem Buch "Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin".
Darin beschreibt sie Erfahrungen aus der Polizeiarbeit, wobei die Probleme mit Einwanderern und hierbei insbesondere mit Muslimen im Vordergrund stehen. Auch durch das Buch ziehen sich Wut und Verallgemeinerungen, wenngleich sie immer wieder bemerkt: Die meisten Migranten sind gesetzestreu und integriert.
Ihre Geschichten konzentrieren sich indessen auf problematische Fälle: Dazu gehören etwa Einwanderer, die sich ihr gegenüber als Frau wie als Polizistin respektlos verhalten. Gleich zu Beginn erzählt Kambouri von dem Notruf eines Türken, der sie und ihre Kollegin nach dem Eintreffen wieder zurückschickte. Er wollte keine Frauen, sondern Männer. Bei so etwas handele es sich noch um eine harmlose Begegnung. Häufig werde sie als "Bullenschlampe" beleidigt und ihr der Respekt als Polizeibeamtin versagt.
Kambouri berichtet auch von Clans und Mehrfachtätern, kritisiert die Ignoranz von Medien und Politik und verwirft "Kulturrelativismus" und "Sozialromantik". Es geht um das Tabuthema "Kriminalität von Migranten" – ohne Fremden- und Muslimenfeindlichkeit.
Dabei formuliert die Autorin harte Kommentare quer durch den Text: "Respektlosigkeit und Aggressivität nehmen nicht einfach nur zu, ich behaupte sogar das archaische Recht des Stärkeren wird immer mehr zu Realität auf unseren Straßen" (S. 11). "Gerade mit Migranten aus muslimisch geprägten Ländern gibt es die größten Schwierigkeiten, allen voran mit jungen Männern" (S. 42). "An dieser Stelle fehlt in diesen Kulturen Empathie oft gänzlich, was zählt, ist allein Status" (S. 70). "Viele Muslime haben es sich in einer Art Opferrolle ganz gut eingerichtet; sie beklagen, dass sie benachteiligt würden, aber wenn man genau hinsieht erkennt man, dass selbst bei vielen modern und offen wirkenden Muslimen echte Partizipation an der deutschen Gesellschaft nur sehr eingeschränkt gewünscht ist …" (S. 86). "Ich bin mit mehreren 'Klaukindern' unterschiedlichen Alters im Einsatz konfrontiert worden und konnte hautnah erleben, dass ihr Verhalten, insbesondere gegenüber der Polizei, nicht kindisch, sondern von dem eines erwachsenen Intensivtäters nicht zu unterscheiden war" (S. 144).
Polizeibeamte nehmen berufsbedingt die Schattenseiten der Gesellschaft wahr. Diese Erfahrungen kann man nicht leugnen, aber auch nicht verallgemeinern. Genau dies tut Kambouri indessen in ihrem Buch: Zwar betont sie immer wieder, dass es sich bei den gemeinten Kriminellen um Minderheiten in der Minderheit handelt. Gleichwohl entsteht durch die Anlage des Buchs ein anderer Eindruck, den die Autorin vielleicht gar nicht so beabsichtigte, aber er kommt indessen auf. Dabei lassen sich die von ihr aufgezeigten Fallbeispiele wie Probleme nicht vom Tisch wischen. Sie sind Ausdruck von Empathie- und Respektverlust in bestimmten sozialen Milieus, worin sich auch Deutsche und nicht nur Migranten bewegen.
Ihnen gegenüber haben in der Tat sowohl Gesellschaft wie Staat die Forderung nach Einhaltung von Minimalbedingungen eines von Würde geprägten Zusammenlebens vermissen lassen. Dies macht Kambouri deutlich. Von daher verdient ihr Buch besondere Anerkennung, aber auch Kritik für problematische Verallgemeinerungen.
Tania Kambouri, Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin, München 2016 (S. Piper-Verlag), 221 S., 14,99 Euro
20 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
"Diese Erfahrungen kann man nicht leugnen, aber auch nicht verallgemeinern.
Ein sehr merkwürdige Kritik. Die Autorin betont, wie Sie selbst sagen, ausdrücklich und regelmäßig, dass selbstverständlich nicht alle Menschen einer spezifischen Gruppe die beobachteten Verhaltensweisen aufzeigen.
Aber weil bei Ihnen bei der Lektüre indessen ein anderer "Eindruck" aufkommt, unterstellen Sie ihr genau das Gegenteil von dem, was sie ausdrücklich schreibt und werfen ihr Verallgemeinerung vor.
Ich halte das für grenzwertig.
Wenn ein Sportreporter eine ausführliche Analyse von allen von ihm jemals beobachteten Fouls im Elfmeterraum schreibt, dann ist es doch wohl völlig logisch, dass die Fouls und ihr unmittelbares Umfeld als dominierendes Thema erscheinen. Daraus die Kritik zu folgern, dass dieser Sportreporter den Eindruck erwecke, ein Fussballspiel bestünde nur aus Fouls (obwohl er gegenteiliges mehrfach betont) und er sei daher ein böser Verallgemeinerer, erscheint dann doch äußerst fragwürdig.
"Sie sind Ausdruck von Empathie- und Respektverlust in bestimmten sozialen Milieus, worin sich auch Deutsche und nicht nur Migranten bewegen."
Die Nationalität, hier "Deutsche", scheint mir das falsche Unterscheidungskriterium. Denn schliesslich gibt es in der Tat inzwischen auch "Deutsche", also Menschen mit der deutschen Nationalität, die dennoch in archaisch-tribalistischer Kulturumgebung sozialisiert sind.
angelika richter am Permanenter Link
"Aber weil bei Ihnen bei der Lektüre indessen ein anderer "Eindruck" aufkommt, unterstellen Sie ihr genau das Gegenteil von dem, was sie ausdrücklich schreibt und werfen ihr Verallgemeinerung vor."
Das verstehe ich an der Rezension auch nicht.
Wenn die Autorin mehrfach darauf hinweist, dass sich die von ihr beschriebene Gruppierung in der Minderheit unter den Migranten befindet, reicht das doch völlig aus. Und das Verhalten von Migranten im Allgemeinen ist von vornherein nicht ihr Thema, sondern ihre Perspektive als Polizistin darauf. Soviel Differenzierungsvermögen darf man von Lesern erwarten.
Little Louis am Permanenter Link
@ david am 27.10. um19:37
Bigo - david!
Es scheint aber, da man das von Ihnen Kritisierte auch auf andere Besprechungen hier anwenden kann, die Absicht vorzuherrschen, den hpd irgenwie in der Mitte von allem zu halten. Sonst nennen wir das aber oft
"Moralischen Relativismus."
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Man merkt dem Rezensenten – dem ich übrigens ansonsten fast immer zustimmen kann – dass es ihm eigentlich irgendwie widerspricht, kritischen Äußerungen gegenüber Migranten zuzustimmen.
Thomas am Permanenter Link
Je nach Sicht des Betrachters, ob nun eine Person täglich mit Kriminellen zu tun hat, also auch mit kriminellen Ausländern, ist auch die jeweilige Betrachtungsweise von Situationen eine völlig andere.
Eine Statistik (ich muss gestehen, leider ist mir die Quelle entfallen) besagt, dass knapp 30% der Straftaten in Deutschland von Ausländern begangen worden sind. Dabei nicht inbegriffen sind die von Ausländern begangene Straftaten, die unaufgeklärt blieben (kriminelle Banden). In aller Munde sind die Raubdelektive, Hauseinbrüche usw. In den übrigen 70% der Straftaten, die nicht Ausländern zugeordnet werden, sind auch solche Personen enthalten, die einen Migrationshindergrund und einen deutschen Paß besitzen.
Im Ergebnis kann sicher konstatiert werden, obwohl dies von den Politikern gerne verschwiegen wird, dass es eben doch anteilmäßig nicht wenige Ausländer gibt, die bestimmte Straftaten begehen wie z.B. Drogendelikte, Einbrüche, Raubüberfälle, räub. Erpressungen. Aber auch deutsche begehen solche Straftaten.
Es dürfte schwerwiegender zu bewerten sein, dass mit der hohen Flüchtlingsquote eben nicht nur solche Menschen zu uns kommen, die nicht bereit sind Straftaten zu begehen, so dass sich der Anteil von 30% in nächster Zeit möglicherweise erhöhen wird.
Insgesamt handelt es sich dabei ganz sicher um Probleme, für alle Menschen, die hier leben und das gerne in Ruhe und Frieden. Viel gewichtiger ist aus meiner Sicht das Problem, dass möglicherweise doch - auch wenn's gerne nicht beim Namen genannt wird - die Einreise von islamischen Fundamentalisten oder Flüchtlingen, die von Salafisten "benutzt" werden. Denn wie solche Gruppierung ticken ist hinlänglich bekannt. Ob nun tatsächlich in Deutschland die Gefahr von islalm. - fundamentalistischen Terroranschlägen besteht, könnte durchaus mit "Ja" beantwortet werden. Nur, wie soll diese Gefahr a) gänzlich ausgeschlossen werden und/oder b) nur auf die Flüchtlinge bezogen werden?
Ob das Buch nun die Hauptproblematik der gesamten Situation mit "Ausländern" oder "Flüchtlingen" als solche in einem ausreichenden Maße durchleuchtet, ich bin mir das recht unsicher. Für bestehen die künftigen Probleme darin, dass die Probleme der Meschen (z.B. Syrien) in vor Ort behoben werden, so dass diese nicht mehr fliehen müssen. Zudem bedarf es - trotz vielfachen Widerspruchs - klarer Begrenzungen der Flüchtlingszahlen in Deutschland, einer gezielten Integration mit Zukunftsperspektiven in Europa (!!) und auch, einer zielgerichteten Abschiebung von Wirtschaftsflüchtlingen!
Little Louis am Permanenter Link
@thomas am28.10. um 16:54
Zu Ihrem zweiten Absatz:
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Sie fand das offenbar erregend."
Das ist ein zusätzliches Problem bei der Weiterentwicklung der Gesellschaft: Frauen, die aus patriarchalischen Gesellschaften stammen, d.h. dort sozialisiert wurden, haben noch weit mehr verinnerlicht, was auch viele westlich sozialisierte Frauen als Ideal sehen: den starken Mann!
Trotz aller Emanzipation und vielen maschinellen Hilfen in Haushalt und Arbeit sowie deutlich gesteigerter Sicherheitslage gegenüber früheren Jahrhunderten stehen viele Frauen noch immer auf den "Mann mit Muckis" - Fitness-Studio gestählt, eins neunzig groß, kräftig beim Zupacken, mit Beschützerinstinkt für "die Perle".
Dies hat seine Wurzeln in unserer Evolution, da ein körperlich starker Mann, der eben kein Weichei ist und keiner Auseinandersetzung aus dem Wege geht, für die Frau einen guten Versorger und Beschützer abgab. Obwohl die Vorteil heute längst keine mehr sind (zum einen überflüssig - s.o. -, zum anderen kontraproduktiv, da Selbstjustiz heute verboten ist), scheint dieses Bild des gestählten Körpers noch immer ins Idealbild mancher Frauen eingebrannt zu sein.
Dabei kann der schmächtige, untersetzte Professor, Unternehmer oder Künstler seine Partnerin unter Umstände viel besser versorgen, weil Muckis an sich heute kein Geld verdienen und lange Aufenthalte in Muckibuden einen hin und wieder von Bildung fernhalten.
Offenbar schaffen es Frauen aus solchen Milieus, die Kraft ihrer Partner nach außen zu schätzen und nach innen zu dulden, selbst wenn sie Betroffene sind. Der Macho zeigt also Goethes Weisheit auf makabre Art: "Wo viel Licht ist, ist starker Schatten!"
Es wird vermutlich noch lange dauern, bis sich alle Frauen von diesem Männerideal distanziert haben und eher nach inneren Werten des Mannes suchen. Dies ist mit einer Überwindung der patriarchalischen Religionen allein nicht getan. Es ist eine Emanzipation, die der nach und nach erfolgenden Gleichstellung von Mann und Frau folgen muss.
So, wie sich Männer vom Ideal einer Barbiepuppe lösen müssen, deren Kurven auch ausschließlich biologistische Gründe haben. Der Mensch der Zukunft hat ganz andere Aufgaben, als in Horden durch die Wildnis zu streifen und Bären zu erlegen...
Little Louis am Permanenter Link
@ B.K.
Sie haben meine Andeutung verstanden und mögen rechthaben. Irgendwie scheinen Sie doch mutiger zu sein als ich.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich weiß nicht, ob ich mutiger bin. Ich nehme nur kein Blatt mehr vor den Mund, weil das niemandem weiterhilft.
Ich werde mich nie verschanzen hinter vagen Formulierungen. Bzgl. der evolutionären Theorien muss ich anmerken, dass dies eines meiner Spezialgebiete ist. Ich bin gerade mitten in der Arbeit zu einer Reihe von Büchern, die sich genau mit der Thematik befassen, wie sich die biologischen und psychologischen Grundlagen in den vergangenen 40.000 Jahren entwickelten - auf deren Basis die Monotheismen ihr seltsames "Menschenbild" entwickelten.
Da spielt Biologie mit hinein, aber auch unser sensorischer Apparat und die Verarbeitung der Sinnesreize in der Großhirnrinde. Das ist ein spannendes Thema, weil es uns erklärt, wie die absurde Vorstellung eines personellen Gottes überhaupt entstehen konnte. Dies ist letztlich biologisch genauso zu begründen, wie unser wechselseitiges "Geschlechterbild". Wir sind Biologie und eben nicht "Geist" oder "Seele", schon gar keine unsterbliche.
Deshalb haben wir keinen freien Willen und auch bei der Partnerwahl kommen ganz tiefe, uralte Schichten zum Tragen, die uns in der heutigen Welt genauso wenig guttun, wie uns Religion heute noch objektiv guttut. In beiden Fällen müssen wir der Ratio Oberhand geben und über das Kleinhirn stellen. Das ist anstrengend, für die meisten zu anstrengend, aber die Welt ist für reine Instinkthandlungen zu komplex, zu gefährlich geworden. Wenn ich nur an G. W. Bushs "Gottesgespräche" denke, mit denen er den Irakkrieg begründet hat, wird mir angst und bang.
Aber ich glaube an den Menschen, an seine schier grenzenlose Anpassungsgabe. Nur deshalb versuche ich aufzuklären, wo immer ich Bedarf entdecke. Im 2. Teil meines Interviews mit Hamed und Prof. Khorchide durfte ich einen kleinen Fall erleben, wo eine (offensichtlich) muslimische Frau zunächst die gleichen unreflektierten Äußerungen pro Beschneidung kundtat. Ich habe bei ihr einen Denkprozess angestoßen, der bei ihr zum Nachdenken und Umdenken führte. So geht Aufklärung: viele kleine Schritte zu einem großen Ziel. Wir erreichen das.
Little Louis am Permanenter Link
@ B.K. am 29.10. um18:40
Vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Was halten Sie davon:
http://www.spektrum.de/news/panikmache-funktioniert-eben-doch-am-besten/1373260?utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-daily&utm_content=heute
Die "Nationalkonservativen" toben ja gerade bezüglich wissenschaftlicher Angst- Psychologie. (z.B. B.Bandelow)
Little Louis am Permanenter Link
@ B.K. am29.10. um 18:40 Nachtrag
Ich vergaß gerade noch etwas Wichtiges bezüglich der wissenschaftstheoretischen Diskussion:
http://www.spektrum.de/news/forscher-kritisieren-sich-nur-selten-gegenseitig/1373089?utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-daily&utm_content=heute
Little Louis am Permanenter Link
@ B.K. Nachtrag Nr.2 zu: Was halten Sie davon?
http://www.spektrum.de/news/die-haelfte-ist-maengelbehaftet/1373413?utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-daily&utm_content=heute
und:
http://www.spektrum.de/news/auf-zuruf-eines-interessenverbands/1373397?utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-daily&utm_content=heute
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
In den von Ihnen angegebenen Links geht es um zwei Themen: 1. Angstpädagogik und 2. die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft.
Dass Angst der beste "Motivator" ist, ist evolutionsbiologisch nachvollziehbar. Der Ruf: "Achtung, ein Tiger!" wird im Zweifelsfall mehr Aktion produzieren, als: "Herkommen! Hier ist eine neue Schmetterlingsart!" Vor allem werden Instinkte aktiv, die die Vernunft ausschalten.
Pegida ist nicht erfolgreich, weil man sich um eine zu konservative Auslegung des Korans sorgt, sondern weil Angst vor einer angeblichen Islamisierung des Abendlandes geschürt wird. Pure Existenzangst - die schlimmste Form überhaupt.
Religionen haben sich seit jeher auf diese Weise vermehrt. Selbst im Buddhismus besteht bei falscher Lebensweise die Gefahr, z.B. als Wurm wiedergeboren zu werden. Diese Vorstellung produziert Angst, weil sicher jeder schon mal unbeabsichtigt einen Wurm zertreten hat.
Weltmeister im Angst machen sind die Monotheismen, die fürchterlichste und ewige Strafen ohne Chance auf Gnade denen androhen, die sich nicht regelkonform verhalten. Natürlich wird ein solches Konstrukt Zulauf haben und man wird sich in gewissem Maße innerhalb der festen Mauern dieses Konstrukts auch sicher fühlen. Doch es ist ja gar kein Tiger außerhalb der Mauern, weshalb die Angst letztlich unbegründet und nur zum Erhalt der Angst machenden Gruppe erfunden wurde.
Dagegen hat die Aufklärung einen schweren Stand. Pegida-Mitläufer werden nicht von ihrer Unterstützung abgehalten, wenn man ihnen Ausländerstatistiken Leipzigs mitteilt. Sie wurden ja durch Existenzangst aufgestachelt. Wäre eine Art Gegenangst das richtige Heilmittel? Wohl kaum, weil aufgeklärte Menschen keine Angstpädagogik verwenden.
Das macht den Kampf gegen angstpädagogische Ideologien so schwer. Der "Homo phobicus" müsste erst von seiner Angst (oder deren Quelle) befreit werden, bevor er wieder zum "Homo sapiens sapiens" werden kann.
Das zweite Thema ist zusammengefasst die Erkenntnis, dass das Bemühen um Objektivität mitunter dünn gesät ist. Wissenschaft verfolgt (leider) keinen Selbstzweck - außer extrem akademische Studien. Da alles irgendwie finanziert sein will und Geld eben nicht wissenschaftlich hergestellt werden kann, sondern ausschließlich aus der Wirtschaft oder Steuermitteln strömt - durch die Politik gesteuert - existiert dort ein Abhängigkeitsverhältnis. Zu unliebsamen Studien werden Gegenstudien beauftragt und wenn das nichts hilft, werden wissenschaftliche Ergebnisse unter den Teppich gekehrt. Das sind leider Nebeneffekte einer freien Marktwirtschaft.
Deshalb plädiere ich stets für umfassende Selbstbildung. Ich verlasse mich nicht auf Google oder Wikipedia, sondern lese selbst die Quellen. Und ganz wichtig: Ich mache mir meine eigenen Gedanken dazu, verknüpfe Informationen zu einem feingewobenen Spinnennetz, auf dem nach und nach die wirkliche Welt (soweit sie erfassbar ist) sichtbar wird.
Und je vollständiger dieses Spinnennetz ist, umso leichter fällt es mir, neue Informationen dort einzubauen und abzugleichen. Das ist sehr anstrengend, aber mir macht es Spaß, Dinge verstehen zu können. Und da ich von keiner Lobby abhängig, sondern nur meinem eigenen Gewissen verantwortlich bin, hoffe ich mit meinen Büchern einigen Menschen ein Stück weiterhelfen zu dürfen.
Little Louis am Permanenter Link
@ B. K. zu meinen links
Was aber, wenn die Angst der Pegidaleute vor einer Islamisierung des "Abendlandes" sich irgenwann als berechtigt herausstellen sollte?
In Anbetracht der türkischstämmigen "alten" Migrantenszene kann man bezüglich einer wirklichen Integration ins GG durchaus skeptisch sein.
Auch laizistische Humanisten könnten ja durchaus vor so etwas Angst haben, denn Angst vor wirklichen Gefahren ist durchaus sinnvoll und irgendwie sogar rational. Die Gegenwärtige Strategie mancher , Angst generell als die unaufgeklärte Dummheit einer "Stammtischgesellschaf"darzustellen, halte ich in bezug auf intellektuelle Redlichkeit auch wieder für etwas verlogen.
Man sollte schon unterscheiden zwischen denen, die bezüglich des Abendlandes nur den Untergang des Christentums oder einer gefühlten Ethnie fürchten-
- und jenen , die eventuell zu Recht eine schleichende Erosion der liberalen Grundwerte fürchten.
Und dass Hinweise auf versuchte Meinungsmanipulationen durch Medien berechtigt sind, erfahre ich gerade heute morgen wieder: In den wichtigsten Wortsendern, werden IS- Bekennervideos bezüglich des Sinai - Absturzes entweder ganz verschwiegen, oder das Thema Absturz erscheint erst an sechster oder siebter Stelle in der Reihe der Meldungen.
Oder sehe ich da zu schwarz bsw. grün?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Man sollte unterscheiden zwischen Angst, die instrumentalisiert wird, und solcher Angst, die eine echte Ursache hat. Natürlich kann Angst machen, wenn in meiner Umgebung Menschen wohnen, die mir fremd sind.
Deshalb - so finde ich - sollte man sortieren:
1. Ist die schiere Anwesenheit von Migranten/Flüchtlingen schädlich? Nein!
2. Ist die Menge der Migranten/Flüchtlingen zu groß? Bisher nicht!
3. Bringen Migranten/Flüchtlinge Probleme mit zu uns? Ja!
4. Sind diese Probleme lösbar? Ja! (Wenn Politik sie ernst nimmt)
5. Bringen Migranten/Flüchtlinge Chancen mit zu uns? Ja!
6. Sind Migranten/Flüchtlinge gefährlich für unsere Grundordnung? Nein!
Gerade die letzte Frage spaltet die Nation. Unrecht haben dabei zwei Parteien: Die Verharmloser und die Schwarzseher. Ohne Zutun kann es gefährlich sein, mit Zutun wird es nicht gefährlicher sein, als die Durchschnittsbevölkerung auch gefährlich ist.
Warum? Migranten/Flüchtlinge sind Menschen, die ihre Heimat in Schutt und Asche versinken sahen, die Familie haben und per Internet lernten, dass es Orte auf dieser Welt gibt, wo man besser leben kann - nicht bloß überleben. D.h. Diese Menschen wollen in einer besseren Welt leben. Und genau das ist der Ansatz!
Den Ankommenden muss von Anfang an - nachdem Registrierung und Unterbringung geregelt sind - deutlich gemacht werden, dass es für das bessere Leben im Westen Gründe gibt. Wir sind kein neuentdecktes Ölfeld, das man anzapft und aussaugt, und kein Getreidefeld, über das man wie ein Heuschreckenschwarm herfallen darf - auch wenn es für Außenstehende zunächst so wirken mag.
Der Reichtum (auf dem unsere Möglichkeiten, Migranten/Flüchtlingen helfen zu können, basieren) ist durch Demokratie und Säkularisierung erarbeitet worden, weil es nun zu einer gerechteren (noch nicht perfekten) Verteilung der Ressourcen und Reichtümer gekommen ist. Europa wurde auf Trümmern und Lehren des 2. Weltkrieges erbaut. Bildung, Trennung von Staat und Kirche, Gleichberechtigung, Menschenrechte, Demokratie - alles noch nicht perfekt, aber besser als in den Ländern, aus denen die Migranten/Flüchtlinge kommen - sind die wesentlichen Bausteine unseres Reichtums.
Ich denke - da die Ankommenden ja den Wohlstand genießen wollen - müsste man ihnen recht unkompliziert genau dies klarmachen können: "Ihr seid hier herzlich willkommen, wenn ihr das abstreift, was in euren Ländern für Chaos, Armut und Bildungsferne gesorgt hat, vor dem ihr geflohen seid. Was ihr hinter euch lassen müsst, ist eine öffentliche Religion, eine patriarchalisch/tribalistische Kultur und eine dualistische Ideologie."
Wohlstand gibt es für weltoffene, freundliche und gebildete Menschen, die flexibel sind und neugierig auf die künftige Welt. Wer immer nur in den Rückspiegel schaut und sein Lebensmodell aus dem Mittelalter bezieht - also nichts dazulernen will -, wird in dieser reichen Welt nicht Fuß fassen können. Man sollte Migranten/Flüchtlingen mindestens ein deutsches Sprichwort erklären: "Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus."
Ich bin überzeugt, dass dies fast alle Migranten/Flüchtlinge rasch verstehen können, weil der kausale Zusammenhang zwischen Moderne/Demokratie/Bildung einerseits und Wohlstand andererseits unübersehbar ist.
Möglicherweise hätte dies sogar einen Rückwirkungseffekt, wenn die in der Heimat gebliebenen Syrer etc. durch soziale Vernetzung sehen, dass es an die Moderne angepassten Migranten/Flüchtlingen besser geht, als es ihnen in der Heimat je ging - und dass dies mit mehr Demokratie und Menschenrechten, mit mehr Gleichberechtigung und Bildung und mit weniger öffentlicher/staatstragender Religion zu tun hat.
Voraussetzung ist allerdings, dass Politik dies a) erkennt und b) umsetzt. Dies impliziert nicht, dass man die Herkunftskultur lächerlich macht oder ablehnt, sondern dass auf die Ursachen verwiesen wird, warum WIR hier einen zivilisatorischen Fortschritt machen durften. Die "anderen" haben dies noch vor sich und wir sollten ihnen ohne Hintergedanken helfen. Schließlich kann der einzelne Mensch, der in eine orientalische Kultur geboren wurde, nichts für deren Zustand. Dass konservative Islamverbände und noch mehr Privilegien für religiöse Gruppierung hierbei nicht helfen, sondern im Gegenteil alles verschlimmern, müsste auch irgendwann unseren Politikern aufgehen.
Wir im Westen sind - bei allen Problemen, die unsere Kultur birgt - das Beispiel, wie es auch gehen kann. Unterschätzen wir also nicht die Fähigkeiten der Migranten/Flüchtlinge, sondern unterstützen wir sie.
Little Louis am Permanenter Link
Aber ich hoffe Ihnen ist schon klar, dass all das in der türkischstämmigen Community (optimistisch ausgedrückt) nur teilweise funktioniert hat, obwohl Eltern und Großeltern aus einem Staat kamen, der der Theorie nach
In den letzten 20Jahren gings mit Integration ins GG bei einem Teil der Nachfahren wohl eher rückwärts. Und bei weiterer Prekarisierung sehe ich eher schwarz. Aber auch migrantische Intellektuelle Salafieren sich.
Ich kann nur hoffen ,dass ihr Text nicht nur Zweckoptimismus ist.Denn unsere zivilisierte Demokratie könnte unter ungünstigeren Bedingungen schnell aufgerieben werden zwischen " deutsch-ethnischen" Nationalfaschisten von Rechts und salafistischen Islamofachisten. Der unentschiedene Mainstream wird sich ziemlich schnell zum jeweiligen "Heimatlager hin radikalisieren oder wird dorthin gezwungen werden. Das hat doch die deutsche Geschichte gezeigt.
Die Bruchfestigkeit von liberalen Demokratien zeigt sich immer erst in wirklichen Krisensituationen. Das Motto "Es wird schon nicht so schlimm kommen" scheint mir doch etwas fahrlässig zu sein.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sie haben mit allem Recht, was Sie schrieben.
Man kann schlechterdings von Mitmenschen nicht erwarten, ihre Religion aufzugeben oder auch nur zu reformieren, wenn man selbst seinen Glauben nicht aufgeben/privatisieren möchte. Auf Grund unseres GG darf man gläubige Menschen nicht davon ausschließen, Politiker zu werden, obwohl diese vorurteilsfrei für alle Bürger aktiv sein sollten (Neutralitätspflicht des Staates). Deshalb müssen säkulare Bürger darauf drängen, dass Politiker ihre religiösen Vorstellungen außerhalb ihres Büros an der Garderobe abgeben.
Die Schwierigkeit ist, dass viele Politiker ausgerechnet ihre religiöse Überzeugung zur Basis ihrer Arbeit machen. Glaube wird nicht als Privatvergnügen, sondern als alltagdurchdringend wahrgenommen. Diese Politiker werden nie von anderen Religionsgemeinschaften verlangen, ihre Form der Alltagdurchdringung aufzugeben oder nur zu reformieren. Deshalb ändert sich nichts - im Gegenteil: Islamunterricht, islamische Gemeinden als privilegierte Körperschaften und sonstige Sonderbehandlungen werden die Lage zunehmend verschärfen, als - wie sicher beabsichtigt - zu entschärfen.
Nur, wenn wir die Kurve kriegen und mit moderaten Religionswissenschaftlern - wie z.B. Prof. Khorchide - eine komplette Entschlackung der Religionen hinbekommen, wird es ein friedliches Miteinander in Europa geben. Bleibt alles beim Alten, dann sehe ich auch einen massiven Kulturkampf zwischen faschistischen Deutschen (die plötzlich ihr Christentum für sich entdecken) und Muslimen. Letztere kann ich sogar verstehen, denn wer will in Medien - wie gestern Abend bei Maischberger - hören, dass man in bestimmten Ländern keine Muslime will, weil sie das Christentum verdrängen würden? Bei diesem Gegensatzpaar ist doch völlig logisch, dass sich Muslime untereinander solidarisieren und u.U. auch radikalisieren. Und die Christen fühlen sich dann noch mehr aufgerufen, ihr heißgeliebtes Abendland zu verteidigen. Eine Gewaltspirale wird sich in Gang setzen, die ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zu stoppen ist.
Noch ist es nicht zu spät, noch können wir auf Politiker einwirken, dass wir endlich ein Europa für Menschen aller Art bilden, die sich auf gemeinsame Werte verständigen - ohne religiöse Privilegien für irgendjemanden.
Little Louis am Permanenter Link
q BK. am 4.11. um 11:32
Weitgehende Zustimmung. Habe Maischberger noch nicht gesehen, aber aufgezeichnet.
David am Permanenter Link
vielen dank fuer die links. In der tat interessant. Dass Wissenschaft in der praxis auch ihre probleme hat, egal ob personal bias oder eingeschränkte peer review etc, ist leider nicht von der hand zu weisen.
Nur, was sagt uns diese Erkenntis? Doch eigentlich nur, dass der Mensch in der wissenschaftl Methodik ein gewisses problem darstellt und dass wir an eben diesem problem arbeiten mūssen. Denn: es gibt keine alternative. Hier wäre der merkelsche lieblingsspruch ausnahmsweise mal angebracht.
Little Louis am Permanenter Link
Ihr Wort in irgendeines Gottes Ohr, auch wenns dann im "Unendlichen" verhallt. (-;