Menschenrechte als Leitlinie unseres Handelns

Eine gemeinsame Vision für die Welt (Teil 3)

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Gebäude des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg
Gebäude des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg

BERLIN. (hpd) Wir benutzen das Wort “Menschenrechte” relativ häufig und versuchen damit, unsere Sicht auf die Welt zu begründen. Doch was genau ist unter dem Begriff zu verstehen und wie hat er sich entwickelt? Herbert Nebel versucht in der dreiteiligen Serie die Fragen zu beantworten. Im dritten und letzten Teil fragt er nach der Menschenrechtsrealität in Deutschland und Europa sowie zieht ein Resümee.

Die Weltlage ist geprägt vom unerhörten Missbrauch der Ökosysteme, von Armut und Hunger, von wirtschaftlicher Ungleichheit, vom Raubbau an den lebensnotwendigen Ressourcen, sozialen Ungerechtigkeiten, Anarchie, Gewalt, Aggression und Hass. Und Europa sieht sich gern als Hort der Menschenrechte. Dieses von Selbstzufriedenheit geprägte Bild hält einer Überprüfung jedoch nicht stand. Wir wollen hier beispielhaft nur auf drei Aspekte eingehen: Auf den alltäglichen Rassismus, das Asylrecht für politisch Verfolgte und von Hunger bedrohte Menschen sowie auf Ursachen der Verelendung in Entwicklungsländern.

Menschenrechte sind keine Ansichtssache und müssen zunächst im eigenen Haus gelebt werden. Eine Isolationspolitik auf der abgeschotteten Wohlstandsinsel Europa ist inhuman und lässt sich in Zeiten der Globalisierung ohnehin nicht durchhalten. Wir müssen uns für die Hilfesuchenden öffnen und uns unserer Verantwortung nach innen wie nach außen bewusst werden.

Der alltägliche Rassismus in Europa

Schon vor Jahrhunderten war eine gesellschaftlich weit verbreitete ethnische Hierarchisierung erkennbar, die zu einer Rassentheorie führte und aus der sich eine Diskriminierungsbereitschaft herleitete. Ein Klassifikationsschema mit Wertungen wurde eingeführt, die einer Rechtfertigung von Diskriminierung und Unterdrückung vorgeblich tiefer stehender "Rassen" diente. Zivilisation und Reife (Selbstbild) gegenüber Unzivilisiertheit und Unreife (Fremdbild) wurden der jeweiligen Hautfarbe oder Ethnie mit der Bedeutung "besser/schlechter als" zugeordnet.

In der Praxis ist Diskriminierung nicht nur bei der Wohnungssuche nach wie vor allgegenwärtig. In der Berufswelt findet diese Diskriminierung häufig schon beim Zugang zum Job statt, die mit der ethnischen Herkunft, Hautfarbe oder Sprache zu tun haben. Menschen mit Behinderung oder Angehörige sexueller Minderheiten werden häufig gemobbt. Um nicht selbst Opfer von Diskriminierung zu werden, vermeiden oftmals lesbische und schwule LehrerInnen ihre Neigung publik zu machen. Dadurch können sie jedoch auch nicht als Identifikationsfiguren für homosexuelle SchülerInnen dienen. Manche Nachtschwärmer werden allein aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft an der Disko-Tür abgewiesen. Und schon lange gibt es die wiederholte Kritik des Europarates und der Vereinten Nationen an Deutschland wegen erheblicher Polizeibrutalität an Ausländern. Schon wegen ihres Aussehens gelten sie der Polizei als "auffällig" und werden schneller verdächtigt als deutschstämmige Deutsche.

Was ist fremdenfeindlich? Wo fängt es an? Was ist harmlos und wo wird es gefährlich? Bemüht man nicht die Psychologie, sondern den Verfassungsschutz, gilt eine Tat dann als politisch motiviert, "wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet."

Offensichtlich ist es schwer, an die unbewussten Vorurteile der Menschen heranzukommen, sie zu bewerten und vor allem herauszufinden, welche Gefühle schließlich zu rassistischen Äußerungen und Taten führen können. Dass man nicht weiß, wann solche Einstellungen in Gewalt umschlagen, ist das eigentlich Beunruhigende.

Asyl für Flüchtlinge vor Krieg und wirtschaftlicher Verelendung

Muss Europa in der Asyl- und Einwanderungspolitik bei den Menschenrechtsfragen Standards setzen? Wollen wir bei den jetzt anstehenden Herausforderungen immer mehr von Werten einer offenen, solidarischen und von Vielfalt geprägten Gesellschaft in Europa abrücken? Sind wir darauf vorbereitet, den Hilfebedürftigen und Schutzsuchenden hier ihre Menschenrechte zu garantieren? Diesen Fragen müssen wir uns stellen und Antworten formulieren!

Doch die deutsche und europäische Politik steckt in einer tiefen Glaubwürdigkeits- und Rechtfertigungskrise, da von den verantwortlichen PolitikerInnen der Eindruck erweckt wurde und immer noch wird, als ob Ereignisse wie die explodierenden Flüchtlingsströme unvorhersehbare Naturereignisse sind. Mit ihrem scheinbaren Unwissen hofften sie ihre Untätigkeit erklären und sich vor verantwortlichem Handeln wegducken zu können. Dies führte dazu, dass die europäischen Länder völlig unvorbereitet waren auf die zunehmende Anzahl Menschen, die hier Zuflucht suchten.

Europa ist eine Wertegemeinschaft die stets Freiheit und Gerechtigkeit postuliert und in der Menschenrechte ein wichtiger Bezugspunkt sind. Deshalb müssen die Menschenrechte eine Richtschnur für politisches Handeln sein. Grenzzäune innerhalb Europas aber auch populistische Einschnitte im Asylrecht sind ein sichtbares Zeichen für eine Abschottungspolitik und eine Missachtung von Menschenrechten. Sie verhindert eine menschenrechtskonforme Flüchtlingspolitik und kommt ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen - Flüchtlingsschutz zu gewähren - nicht nach. Die Hilfsbereitschaft von BürgerInnen ist überwältigend und bildet einen erfreulich scharfen Kontrast zu den bürokratischen Integrationshürden und unwürdigen Aufnahmeverhältnissen der Gastgeberländer.

Der Schutz vor Verfolgung und elementarer Not gehört zum Kernbereich der Menschenrechte und somit auch zu deren normativen Kern. Dennoch wurden in Deutschland 1993 und 2015 durch Änderungen des Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes die Möglichkeiten eingeschränkt, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen.

Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich zur Genfer Flüchtlingskonvention bekannt. Im Mittelmeer wurden diese jedoch permanent ignoriert. Den Anspruch auf ein faires Asylverfahren in Europa wird den im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlingen häufig verweigert.

Und Roma werden in ihre Herkunftsländer abgeschoben, obwohl ihnen dort schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Das allein müsste ausreichen, um ihnen hier einen Aufenthaltsstatus zu geben. Die Roma sind in nahezu allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union komplett schutzlos, sie werden diskriminiert, häufig auch gettoisiert.

Europäische Regierungen - egal ob links oder rechts - brüsten sich dem Wahlvolk gegenüber damit, bei Abschiebungen von "Wirtschaftsflüchtlingen" – nicht nur bei Roma – rigoros vorzugehen. Die Bezeichnung "Wirtschaftsflüchtling" lässt vermuten, dass jemand keinen Asylgrund geltend machen könne und deshalb kein Recht habe zu bleiben. Aber gibt es eine scharfe Trennlinie zwischen diesen beiden Gruppen oder ist es nur ein Vorwand, um Menschen in Not loszuwerden?