Rezension

Eine Arbeit zur "Volksgemeinschaft" – leider misslungen

BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Peter Schyga will in seiner Arbeit “Über die Volksgemeinschaft der Deutschen. Begriff und historische Wirklichkeit jenseits historiografischer Gegenwartsmoden” die Auffassung von “Volksgemeinschaft” decodieren. Auch wenn er dazu immer mal wieder beachtenswerte Erkenntnisse vorträgt, enttäuscht die Arbeit angesichts von fehlender Klarheit in der Aussage und mangelnder Struktur im Aufbau.

Die Ablehnung von “Gesellschaft” und die Forderung nach “Gemeinschaft” bzw. “Volksgemeinschaft” findet sich gleich zu Beginn im NPD-Programm. Damit greift die rechtsextremistische Partei eine Grundposition und Parole auf, welche im Nationalsozialismus in Ideologie und Praxis einen herausgehobenen Stellenwert hatte.

Mit Slogans wie “Du bist nichts, Dein Volk ist alles” plädierten die Machthaber im “Dritten Reich” für eine ethnische und politische Homogenität. Gleichzeitig sollte die mentale Gleichheit, die damit in der Propaganda beschworen wurde, die soziale Ungleichheit überdecken.

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Auf die Frage, inwieweit einschlägige Auffassungen zur Legitimation von deren totalitären Herrschaft dienten, formulierten Historiker und Sozialwissenschaftler unterschiedliche Antworten. Sie will der Politikwissenschaftler Peter Schyga in seinem Buch “Über die Volksgemeinschaft der Deutschen. Begriff und historische Wirklichkeit jenseits historiografischer Gegenwartsmoden” aufgreifen, kommentieren und weiterentwickeln.

Dem Autor geht es dabei um “eine Annäherung an die Genese, die Formveränderung und den Wirklichkeitsbezug der Vorstellung und Realität einer deutschen Volksgemeinschaft”, wobei “ihre zentralen materiellen und ideologischen Elemente hervorgehoben und diskutiert werden” sollen (S. 22).

Im Mittelpunkt stünden dabei die Begriffe “Gewalt”, “Herrschaft”, “Arbeit”, “Ideologie” und “politische Religion”. Mit dem kritischen Blick auf deren Nutzung und Verständnis könne die Rede von der “Volksgemeinschaft” auf ihren Kern reduziert werden: “Dieser Kern wird hier bezeichnet als der völkisch-imperiale Zusammenschluss um eine gefühlte Rassengemeinschaft der als zugehörig definierten oder sich selbst definierenden Deutschen in Gegnerschaft zu eine Gesellschaft, wie sie in der Moderne als Zusammenschluss Gleicher zum Aufbau und der Pflege eines Gemeinwesens in diskursiver Auseinandersetzung entwickelt worden ist” (S. 21). Die Erfindung der Arbeit als “germanoanthropologischer Kategorie” (S. 125) habe dabei eine Gemeinschaft fern von Klassengegensätzen suggeriert.

Schyga formuliert bei seiner Erörterung einige beachtens- und reflexionswürdige Aussagen, die quer über den Buchtext verstreut sind. So bemerkt er: Die “NS-Volksgemeinschaft …. kann als die Organisierung der massenhaften Zustimmung zur Herrschaft Hitlers” (S. 36) verstanden werden. Es heißt auch: “Für manch Individuum ist Gemeinschaft deshalb so anziehend, weil diese bei freiwilliger Ein- und Unterordnung in ihre Regeln und Ziele einen Raum anbietet, innerhalb dessen ein Widerspruch zu eigenem Denken und Tun, zu eigenen Vorstellungen, zu mehr oder minder partikularen Lebensentwürfen und –praktiken nicht vorgesehen ist” (S. 79). Außerdem bemerkt der Autor: “Wenn eine aus einer Gesellschaft geformte Gemeinschaft die Verbindung des Leistungs- mit dem Befehlsprinzip auf alle Ebenen des Lebens ausdehnt und überall auf diesen Ebenen die kontrollierte und auf dem Prüfstand stehende Regimeergebenheit zum entscheidenden Kriterium von Anerkennung wird, hat es ein selbstbewusstes Ich schwer zu überleben” (S. 131).

Dem kann jeweils sicherlich zugestimmt werden. Schyga entwickelt solche Deutungen aber nicht aus einer strukturierten und systematischen Erörterung heraus. Seine Abhandlung ist mehr assoziativ und essayistisch angelegt. Daher geht es in den einzelnen Kapitel kreuz und quer durcheinander. Was jeweils ausgesagt werden soll, erschließt sich nicht immer. Häufig präsentiert er lange Zitate - mal von Hannah Arendt oder Jürgen Kocka, mal von Max Weber oder Heinrich-August Winkler – und kommentiert sie dann aus seiner Sicht. Eine Abhandlung mit wissenschaftlichem Anspruch sieht eigentlich anders aus. Der Autor kann sich irgendwie nicht entscheiden, was er eigentlich will. Wie man aber ein Buch über die Gemeinschaftsvorstellung schreiben kann, ohne auch nur den Klassiker “Gemeinschaft und Gesellschaft” von Ferdinand Tönnies im Literaturverzeichnis zu nennen, erschließt sich nicht. Dass ganz am Ende ein Fazit fehlt, ist nicht verwunderlich. Eine klare Antwort setzt denn auch immer eine entwickelte Fragestellung voraus. Schade um das Thema.

Peter Schyga, Über die Volksgemeinschaft der Deutschen. Begriff und historische Wirklichkeit jenseits historiografischer Gegenwartsmoden, Baden-Baden 2015 (Nomos-Verlag), 197 S., ISBN 978–3–8487–1369–1, 36,00 Euro