BERLIN. (hpd) 2016 ist der 40. Jahrestag von Westsahara und dennoch leben seit 40 Jahren auf algerischem Territorium im Südwesten der Sahara ca. 160.000 saharauische Flüchtlinge. Sie warten darauf, die Flüchtlingslager zu verlassen und nach Hause zu kommen. Ban Ki-moon hat seinen Besuch angesagt.
Ihre politische Organisation, die Frente Polisario, hatte ihre Mitglieder und Delegationen befreundeter Länder zum 14. politischen Kongress eingeladen, mit dem Ziel, den Weg zur Souveränität von Westsahara zu bestimmen. An den Kongress schloss sich überraschend die Besuchsankündigung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon für den Januar 2016 an.
Die Worte von Ban Ki-moon werden ernst genommen. Der Repräsentant der Frente Polisario bei der UN, Ahmed Boukhari, setzt Hoffnung auf den Besuch und den Bericht, der daraus folgend im April 2016 dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden soll.
Allerdings blieb bisher die Terminbestätigung aus New York aus.
Der Kongress und sein Ziel
Die drängende Frage nach Selbstbestimmung der Saharauis, der Zukunft und dem Weg dahin war zu diskutieren. Im algerischen Flüchtlingslager fand der 14. Kongress der Politischen Freiheitspartei, der Frente Polisario statt. Sie stellt sich selbst nicht als Partei im engen Sinne dar, sondern steht als Front für nationalen Konsens verschiedener politischer Richtungen und Meinungen; alle haben als Ziel die Unabhängigkeit der Westsahara.
Die Nationalhymne mit Kinderchor und Musik eröffneten den Kongress.
Das Gelände kannte ich von einem Besuch aus dem Jahr 2010. Security sicherte wie üblich die Anlage, mittig das Zementgebäude, das seither um gut 1.000 Plätze verlängert, mit Übertragungsmonitoren und starker Tonanlage ausgestattet worden war. Arabisch und englisch waren die Konferenzsprachen, die Beiträge wurden simultan übersetzt.
Die Konferenz wurde von rund 2.500 saharauischen Deligierten besucht. Sie trafen hier mit ihren verantwortlichen Politikern und Ministern, speziell eingeladenen Delegationen aus befreundeten Ländern und Menschenrechtsaktivisten, die aus allen Kontinenten angereist waren, zusammen.
Der seit 1976 amtierende Präsident Mohamed Abdelaziz trug in seiner Eröffnungsrede die Wechselwirkungen politischer und ökonomischen Bedingungen und Gegebenheiten vor und sprach die Wichtigkeit von Sicherheit, Kommunikation und Medienarbeit an, der sich die Saharauis stellen und nicht fernbleiben dürfen. Auf internationaler Ebene ergibt sich aus dem "Arabischen Frühling" heraus eine Konfrontation, die sich auffällig und unterschiedslos mit Gewalt, Spannung, Chaos und Zerstörung auf allen Kontinenten darstellt, so der Präsident. Dies wurde Kernthema des Kongresses.
Abdelaziz gilt als säkularer Nationalist. Er steht als Präsident der Saharauis für den demokratischen Weg und für Verhandlungen. Seinen Weg sehen nicht mehr alle Saharauis als machbar an. Vor allem junge und militärisch gut ausgebildete junge Männer und Frauen verweigern sich und hinterfragen: Was haben Verhandlungen gebracht? Wo sind die Perspektiven und die Zukunft nach über 40 Jahren Flüchtlingsleben, geduldet und unterstützt im Exil in abwegiger Salzwüste? Verhandelt wurde genug, sagt ein nicht unwesentlicher Anteil der Bevölkerung. Nichts oder fast nichts scheint bisher dabei herausgekommen zu sein. Dem persönlichen Beauftragten des UN-Generalsekretärs, Christopher Ross, ist es 2011 in eher inoffiziellen Gesprächskreisen gelungen, über die Grenze hinweg mit Passierscheinen im kleinsten Rahmen zwischen saharauischen Familien eine Besuchserlaubnis zu erwirken.
Die UN überwacht den zwischen Marokko und der Frente Polisario 1995 geschlossenen Waffenstillstand.
Das zugesagte Referendum über Unabhängigkeit, Selbstbestimmung oder Verbleib des Saharauischen Volkes wird mit immer neuen Auflagen von den Marokkanern beantwortet. Nur wenige Länder haben die Souveränität von Westsahara anerkannt und Marokko beansprucht über die Entkolonialisierung in Afrika scheinbar ungehindert Westsahara weiter als Teil seines Staates und sieht sich als Erbe eines maghrebinischen Reiches.
So sieht ein Teil der Saharauis den Weg der Diplomatie als gescheitert an. Sie wollen nach Hause, selbstbestimmt in einem freien Staat leben und dafür nicht marokkanische Staatsbürger werden müssen. Ihre Zahl ist groß. Der Schätzung nach sind zwei Drittel der Menschen in den Flüchtlingslagern unter 25 Jahren. Gerade sie rekapitulieren: Vor 1991 standen die damals jungen Saharauis um Abdelaziz, dem heutigen Präsidenten, militärisch schlagkräftig, mit Waffen unterstützt, marokkanischen Truppen gegenüber. Sie haben von Marokko circa 80.000 Quadratkilometer Wüste, das sogenannte befreite Gebiet, zurück erobert. Ihr Kampf hatte damals die Marokkaner überraschend getroffen und in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht.
Delegierte und Aktivisten sprechen
Auf dem Kongress treten nach Rede von Abdelaziz die Delegationen an das Mikrofon, um Statement, Stellungnahme, Rat und ihre Ansicht zu äußern. Es kommen unter anderem Stimmen aus Algerien, Belgien, Cuba, Deutschland (Katrin Voss, Die Linke), Finland (JP Väisänen), Frankreich, Italien, Japan, Norwegen, Österreich (Erika Pluhar für die Österreichisch Saharauische Gesellschaft), Schweden, Spanien etc. Sie alle bauen auf Verhandlungen und schwören den Kongress auf Beibehaltung des demokratischen Weges ein. Nur so seien die Rechte eines freien, souveränen Staates Westsahara zu erwirken.
In den folgenden Tagen blieb die Diskussion im Kongress saharauisch-politisch intern. Die ausländischen Delegierten blieben ausgeschlossen. Bekannt wurde, dass der Diskussionsbedarf der Teilnehmer größer als angenommen sei. Dadurch erfuhr der Kongress eine Verlängerung um weitere zwei Tage. Auch stand die Neuwahl des Präsidenten der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) an.
Eher überraschend für die junge Generation, wurde Mohamed Abdelaziz erneut gewählt. Abdelaziz nahm das Amt an. Der Präsident und gleichzeitig Generalsekretär der Frente Polular de Liberacion de Saguia el Hamra y Rio de Oro (annähernd übersetzt mit: Volksfront zur Befreiung der Saguia el Hamra und des Oro-Flusses) steht beispielhaft für die vor 40 Jahren vor den Marokkanern geflohene Generation: Abdelaziz stammt aus einer saharauischen Beduinenfamilie, die sich in der Sahara zwischen der ehemaligen Kolonie der Spanier, Spanisch-Sahara, Mauretanien, Algerien und dem Süden Marokkos bewegte. 1947 wurde er in Marrakesch Saguia Alhamra geboren, studierte an marokkanischen Universitäten, 1973 war er in einer studentischen Gruppe Mitbegründer der Frente Polisario, die 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara ausrief. Abdelaziz war Mitinitiator der ersten Verfassung von Westsahara.
Zum Ende des Kongresses verbreitete sich die Nachricht des Besuchs von Ban Ki-moon und seinem für den April 2016 angekündigten Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat. Dieses wurde wie eine Wahlbestätigung des amtierenden Präsidenten für den Demokratischen Weg aufgefasst und mit Hoffnung gefüllt.
Bewegen sich demokratische Gremien?
Zeitgleich mit der Besuchsankündigung sind "Zufälligkeiten" zu bemerken:
1. In Österreich denkt die SPÖ über die Frage der Anerkennung des Souveränen Staates Westsahara nach. Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Frau Yoo Soon-taek verbrachten Silvester 2015/2016 mit Heinz Fischer, dem Bundespräsidenten von Österreich und seiner Frau Margit Fischer. Dass über Westsahara gesprochen wurde, hat die SPÖ bisher nicht bestätigt.
2. Im Oktober 2015 waren die Flüchtlingslager in eine bisher unbekannte Notsituation gekommen, bei der die UN und Algerien Hilfe leisteten, die sichtbare Spuren hinterlassen hat: Es begann zu regnen, einen Tag und eine Nacht. 13 weitere Tage und Nächte schlossen sich an. Das Regenwasser konnte nicht versickern, denn dieser Teil der Sahara ist aus festem Gestein, auf dem Sand mit Salz durchzogen liegt. Zuerst hatten die Kinder Spaß und Freude, es bildeten sich Seen, sie spielten und schwammen. Folgen bahnten sich an. Zement ist eher staatlichen Gebäuden vorbehalten. Für den normalen Hausbau schichtet man Lehmziegel übereinander, sie sind ungebrannt und verputzt mit Lehm. Das Regenwasser weichte in seiner Masse den Lehm auf, drückte Dächer und Wände ein und weichte die Zelte auf. Lebensmittel verdarben, Fäkalien mischten sich mit Regenwasser. Krankheiten und Seuchen drohten. In dieser Notsituation griffen UNHCR und Algerien ein. Sie brachten mit schweren Fahrzeugen in dieses unwirkliche Wüstengebiet Notunterkünfte, Lebensmittel, Decken, Kleidung, später Zelte.
3. Kurz vor Kongressbeginn annullierte der Europäische Gerichtshof das Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU, weil dieses die besetzten Gebiete der Westsahara einbezieht. In seiner Entscheidung wird das Selbstbestimmungsrecht des saharauischen Volkes ausdrücklich betont. Klageführer war die Frente Polisario gegen die Ausbeutung der saharauischen natürlichen Ressourcen. West-Sahara Resource Watch sagt dazu: "Die natürlichen Ressourcen der Westsahara sind für das saharauischen Volk zu schützen.
Weitere Klagen Westsahara betreffend liegen den EuGH vor:
Zum einen das EU-Fischerei-Abkommen. Dazu hatte Abdelaziz im Februar 2011 an Ban Ki-moon wegen "illegalen Ausbeutung der Fischressourcen" geschrieben. In diesem Abhommen hat die EU sich für 60 Millionen Euro von Marokko die Fischereirechte vor der Küste der Demokratischen Arabischen Republik Sahara gekauft, ohne dass die Saharauis dadurch irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil haben.
Zum zweiten hat ein britisches Gericht den EuGH eine Klage zur rechtsverbindlichen Klärung der Kennzeichnung von Waren aus der Westsahara übermittelt.
Das marokkanische Königshaus, Eliten und Regierung
Hinter ihrer verharrten Haltung stehen Bürger Marokkos nicht mehr unbedingt. Kritik meldet sich, Marokko sei mittlerweile wohlhabend; Bodenschätze, Fischreichtum sind vorhanden. Für wachsenden Wohlstand der Marokkaner sei Westsahara wirtschaftlich nicht notwendig und König Mohammed VI. ist einer der reichsten Menschen der Welt. Dennoch, so ist die Annahme, werde sich das Königshaus niemals freiwillig aus dem annektieren Land zurückziehen. Der Herrschaftsanspruch bestehe aus der Historie heraus und zieht sich in das aktuelle Leben hinein.
Beispielsweise Casablanca, Marokko. Dort steht das erste IKEA-Einrichtungshaus, in Kooperation mit dem kuwaitischen Partner Al-Homaizi, zur Eröffnung bereit, die bisher ausblieb. Ein Zufall? In Schweden berät das Parlament über die Möglichkeit der Anerkennung des Staates Westsahara. Am 18. Januar 2016 kommt die Nachricht: Schweden erkennt die von Marokko besetzte Westsahara als souveränen Staat nicht an.
Das Auswärtige Amt in Berlin erklärt zum Verhältnis von Deutschland und Westsahara:
"Der völkerrechtliche Status der Westsahara ist ungeklärt. Die Bundesregierung setzt sich für eine gerechte, dauerhafte und für alle Seiten annehmbare politische Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen ein. Wichtig sind hierbei tatsächliche Fortschritte beim Menschenrechtsschutz in der Westsahara und den Lagern in Algerien".
Wolfgang Weisbrod-Weber, UN-Sonderbeauftragter für Westsahara und Leiter der UN-Friedensmission MINURSO, berichtet über seine praktischen Erfahrungen und das Mandat der UN.
Ein Konflikt zwischen ungleichen Partner verhärtet sich eher, als dass er sich löst. Dafür bedarf es Anstöße von außen. Beobachter schauen dafür nach Frankreich und in die USA. Das "Schweizerische Unterstützungskomitee für die Sahraouis" (SUKS) will die Konfliktlösung beschleunigen und ruft die UNO auf, das Referendum Westsahara unverzüglich durchzuführen: "Die Sahraouis haben darauf vertraut, dass die UNO ein Referendum durchführen werde und friedlich gewartet, dass sie ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben können. Doch nun geht ihre Geduld zu Ende. Es ist höchste Zeit, dass die UNO zu Taten schreitet."
In einer Petition fordert das SUKS eine unverzügliche Durchführung des Referendums in der Westsahara.
3 Kommentare
Kommentare
N.Hamdi am Permanenter Link
Super Artikel, vielen Dank für die wertvolle Informationen über die Saharauis und deren Kampf für die Freiheit. Die Saharauis warten seit 40 jahren auf die Gerechtigkeit.
Bitte erzählen Sie weiter über das Schicksal der Menschen, die seit 40 Jahren im Exil leben müssen, aber auch über denen, die unter marokkanischer Besatzung Folter und unterdrückung ausgesetzt sind.
lotfi am Permanenter Link
Komisch dass der Artikel nichts sagt über den wachsenden Unmut und die Revolte in den Lagern und im Süd Marokkos bei den Sahraouis über den "ewigen" Präsident und seine marxistische Clique !!
Eins ist sicher,alle sahraouis sind einig darüber dass mit dieser Clique kein Meter Fortschritt mölglich ist.
teddy am Permanenter Link
ach, die "freie sahrauische" bzw. (pro-)marokkanische presse...
soll marokko doch endlich das referendum zulassen und dann werden wir sehen, was für die sahraouis die priorität ist!