Ethikunterricht in Bayern:

77 Prozent der Lehrer unterrichten fachfremd

klassenraum.jpg

Es scheint unvorstellbar, dass ein Kind zum Beispiel im Fach Englisch von einem Lehrer unterrichtet wird, der kein Englisch spricht. Beim Fach Ethik geht das. An den bayerischen Gymnasien, Real- und Wirtschaftsschulen unterrichten 77 Prozent der Lehrer fachfremd, haben also keine Lehrbefähigung für das Fach Ethik.

"Dabei sollte das Fach gerade in der heutigen Zeit eine viel wichtigere Rolle an den Schulen spielen. Denn wo sonst könnten Kinder und Jugendliche besser miteinander über wichtige Themen wie Krieg und Frieden, Demokratie und Bürgerrechte oder Weltanschauungen und Religionen diskutieren als im Klassenzimmer unter Anleitung einer in ethischen Fragen ausgebildeten Lehrkraft?", möchte Assunta Tammelleo, stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München (bfg München), wissen.

Dazu kommt, das Fach wird immer beliebter: Laut Zahlen aus dem bayerischem Kultusministerium besuchten im Schuljahr 2017/2018 an den Grund- und Mittelschulen, Förderzentren, Real- und Wirtschaftsschulen sowie Gymnasien insgesamt rund 272.200 Schülerinnen und Schüler den Ethikunterricht. Im Schuljahr 2007/2008 waren es rund 175.900. Das sind innerhalb von 10 Jahren knapp 100.000 Schülerinnen und Schüler mehr bei insgesamt gesunkenen Schülerzahlen an diesen Schulformen (2007/2008: insg. 1.437.400 Schüler, 2017/18: 1.243.600).

Zwar ist die Zahl der Lehrer, die Ethik unterrichten, in den letzten zehn Jahren um rund 3.800 auf ca. 13.000 angewachsen, doch der Bedarf ist viel größer. Noch schlimmer aber steht es um die Qualität der Ausbildung zum Ethiklehrer – das heißt, wenn sie überhaupt ausgebildet wurden. So waren an den Realschulen, Wirtschaftsschulen und Gymnasien im Schuljahr 2017/2018 insgesamt rund 2.600 Lehrkräfte im Fach Ethik eingesetzt, davon rund 2.000 fachfremd, wie das Kultusministerium mitteilte. Knapp 77 Prozent der Ethiklehrer an diesen Schulen haben folglich keine Ausbildung im Fach Ethik.

"Wenn man sieht, wie Seehofer, Söder und Dobrindt in den letzten Wochen gegen Geflüchtete, ihre Anwälte und ehrenamtliche Helferkreise gehetzt haben, braucht es gut ausgebildete Ethiklehrer, die über Menschenrechte diskutieren, die zeigen, wie man mit Argumenten von Rechtspopulisten umgeht und die erklären, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement in einer Gesellschaft ist", stellt Tammelleo fest.

Lehramtsstudierende in Bayern können Ethik aber nur als Drittfach bzw. Erweiterungsfach belegen, ein ordentliches Studium wie für alle anderen Unterrichtsfächer existiert bis heute nicht. Das Zusatzangebot wird dementsprechend kaum wahrgenommen. Nur rund 130 Studierende haben sich im Herbst 2017 und im Frühjahr 2018 für die Prüfung angemeldet.

Im vergangenen Jahr hatte der damalige Kultusminister Spaenle zwar mitgeteilt, dass ab 2019 Ethik auf Lehramt studiert werden könne, und laut Auskunft des Kultusministeriums vom 17. Juni 2018 wird derzeit die Lehramtsprüfungsordnung auch überarbeitet, wann aber Ethik als ordentliches Lehrfach an den Start gehen kann, darauf wollte sich das Ministerium nicht festlegen.

"Vor 46 Jahren wurde Ethik als Unterrichtsfach eingeführt. Dass die Staatsregierung es bis heute nicht geschafft hat, Ethik zu einem normalen Studienfach zu machen, zeigt den fehlenden politischen Willen und die weltanschauliche Engstirnigkeit von Staatsregierung und CSU. Es bleibt zu hoffen, dass nach den Landtagswahlen, wenn die CSU ihre absolute Mehrheit verloren hat, endlich Bewegung in die Sache kommt", so Tammelleo.

Dass die Staatsregierung ihre Politik der Ausgrenzung gegenüber Flüchtlingen auch in die Schulen trägt, mag nur wenige noch überraschen. Trotzdem verwundert die Ankündigung im Schuljahr 2018/19 an den Grund- und Mittelschulen einen separaten wöchentlich vierstündigen "Unterricht für kulturelle Bildung und Werteerziehung" für junge Flüchtlinge einzuführen angesichts des Lehrermangels schon. Der bfg München möchte wissen, woher denn für die Lehrer kommen soll, wenn gerade und vor allem an diesen Schulformen das nötige Personal fehlt, wie die Lehrerverbände kürzlich feststellten.

"Vielleicht setzt die Staatsregierung auch hier auf fachfremde Lehrkräfte wie z. B. auf Mitglieder der Jungen Union oder Horst Seehofer nach seinem Rücktritt. Im Ernst: Ein solcher Unterricht führt nur zu einer Trennung der Schüler in Parallelwelten und soll suggerieren, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche einen Nachholbedarf beim Thema 'Werte' hätten. Erfolgversprechender wäre es, alle Schüler mit ihren unterschiedlichen weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Hintergründen zu integrieren und mit ihnen über ethische Fragen zu diskutieren. Im Klassenzimmer die verschiedensten Weltanschauungen der Mitschüler kennenzulernen, führt zu mehr Kritikfähigkeit, Verständnis, Weltoffenheit und Toleranz. Ein solcher 'Ethikunterricht für alle' könnte wichtige Werte und Normen nachhaltig vermitteln", so Tammelleo.