Am 27.9.2016 sprachen die Bundesminister Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble auf dem Festakt der Deutsche Islam Konferenz (DIK) in Berlin vor 130 geladenen Gästen je ein Grußwort. Ersterer benannte in seiner Rede das Selbstverständnis der Teilnehmer der DIK: "Das kooperative Verhältnis zwischen Staat und Religion, zu dem wir in Deutschland in einem langen historischen Prozess gefunden haben, bewährt sich. Auch im europäischen und internationalen Vergleich. Weltanschaulich neutral - ja, das sind wir. Aber nicht laizistisch oder religionslos. Handeln aus einem gelebten Glauben heraus darf und soll wirken können, auch öffentlich - zum Guten der Gesellschaft."
Der Initiator der DIK, der frühere Innen- und heutige Finanzminister Wolfgang Schäuble fordert "ein robusteres Selbstverständnis von dem, was uns wichtig ist, wie wir leben wollen. Nur dann wird uns und anderen klar, was wir durchsetzen wollen. Und zu diesem 'Wir' sollen möglichst viele gehören, gleich welcher Herkunft und welchen Glaubens." - "Es muss uns schon anzumerken sein, was wir meinen, wenn wir von 'unserer Lebensweise' sprechen."
Was genau die Teilnehmer der DIK unter "unserer Lebensweise" und "Handeln aus einem gelebten Glauben heraus" verstehen, soll hier ausschnitthaft an Empfehlungen der Arbeitsgruppe 2 der DIK mit dem Titel Religiös begründete schulpraktische Fragen (Handreichung für Schule und Elternhaus) untersucht werden. Diese bis 2009 erarbeiteten Empfehlungen beinhalten Lösungsvorschläge für Konfliktsituationen zwischen der Religionsfreiheit und dem staatlichen Bildungsauftrag, z.B. bei Fragen zur Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Sportunterricht:
II. Teilnahme am koedukativen Sport- bzw. Schwimmunterricht
Beim Schwimmen, aber auch bei anderen Formen des koedukativen Sports, sind die weiterführenden Schulen bei ausdrücklichen Einwänden von Eltern und Schülerinnen zunächst gehalten, den Sportunterricht durch geschickte Organisation in geschlechtshomogenen Übungsgruppen einer Jahrgangsstufe oder auch jahrgangsstufenübergreifend getrennt nach Mädchen und Jungen durchzuführen.
Die DIK empfiehlt also, den von Schulreformern des 20. Jh. erkämpften gemischtgeschlechtlichen Unterricht durch "geschickte Organisation in geschlechtshomogene(n) Übungsgruppen … getrennt nach Mädchen und Jungen" aufzuheben. Sollte dies aus "organisatorischen Gründen" nicht möglich sein, "haben muslimische Schülerinnen einen Anspruch auf Befreiung von der Teilnahme am koedukativen Sport- bzw. Schwimmunterricht, wenn sie einen objektiv nachvollziehbaren Gewissenskonflikt glaubhaft darlegen können. Bei Schülerinnen ab Beginn der Pubertät … überwiegt in der Abwägung ihre Religionsfreiheit gegenüber dem staatlichen Bildungs-/Erziehungsauftrag durch Sport- einschließlich Schwimmunterricht."
Das "Überwiegen" der Religionsfreiheit wird so begründet:
Dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag kommt hier deshalb eine geringere Bedeutung zu, weil aus der unterschiedlichen Entwicklung von Jungen und Mädchen ab der Pubertät eine besondere Schutzwürdigkeit von Glaubensgrundsätzen sowie sich hieraus etwa ergebenden Bekleidungsvorschriften folgt, die gegenüber der Teilnahmepflicht Vorrang hat.
Mit der "unterschiedlichen Entwicklung" ist die sexuelle gemeint. Der koedukative Sportunterricht wurde aber auch deshalb eingeführt, um einen entkrampften, natürlichen Umgang der Geschlechter zu fördern. Wenn die DIK auf die unterschiedliche Entwicklung ab der Pubertät abstellt, wird von ihr der Unterricht mit einer Prüderie wie zu Zeiten des deutschen Kaiserreiches sexuell aufgeladen, ohne dass sie dies bemerkt oder bemerken will. Weiter heißt es:
Empfehlungen zum Umgang in der Praxis
Eine Befreiung vom Unterricht ist aus gesundheitlichen, sozialen und integrativen Gesichtspunkten immer nur die zweitbeste Lösung.
Das klingt vernünftig, doch als Lösung empfiehlt die DIK erstaunlicherweise:
Besser ist es in jedem Fall, wenn die Schulen einen Weg finden, einen nach Geschlechtern getrennten Sport- bzw. Schwimmunterricht einzurichten, an dem alle Schülerinnen bzw. Schüler teilnehmen. So kann eine bestimmte Sport- oder Schwimmkleidung gestattet werden.
Gestattet werden? Die Badehose eines Jungen kann wegen der Religionsfreiheit muslimischer Mädchen nicht gestattet werden und erfordert deshalb einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht? (Ein Burkini kann hier nicht gemeint sein, denn dieser soll Muslimas ja gerade das Schwimmen bei Anwesenheit des anderen Geschlechts ermöglichen.) Hier wird offen die Abschaffung des koedukativen Sportunterrichts gefordert. Selbst in überwiegend von Schülern muslimischer Eltern besuchten Schulklassen darf der Staat den koedukativen Unterricht nicht infrage stellen lassen, liefe dies doch auf quasi staatlich anerkannte Parallelgesellschaften hinaus.
Die DIK denkt aber nicht nur über das gemischtgeschlechtliche Schwimmen nach:
Auch ist das gemeinsame Duschen in einem Raum auch für muslimische Schüler und Schülerinnen desselben Geschlechts oftmals ein Problem. Gibt es keine abschließbaren Duschkabinen, können z.B. Abtrennungen mit Vorhängen eingerichtet werden. Entsprechend kann den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, sich gemäß ihren Glaubensvorstellungen um- bzw. wieder anzukleiden...
Auch für das mit "Problemen" belastete gleichgeschlechtliche Duschen muslimischer Schüler und Schülerinnen sucht die DIK also nach Lösungen. Ihrer Empfehlung nach sollten wohl alle Schwimmbäder mit abschließbaren Duschkabinen oder Vorhängen ausgestattet werden. Allein schon das als Quasi-Voraussetzung formulierte "gibt es keine…" zeigt die Realitätsferne der DIK bei diesem Thema: In wie vielen Bädern Deutschlands gibt es abschließbare Duschkabinen?
Die DIK behandelt zweifellos wichtige Themenfelder der Integration. Bei Schulpraktischen Fragen muss bei näherer Betrachtung jedoch kritisch festgehalten werden, dass die DIK die Schleifung bestehender Bildungsstandards zugunsten der Religionsfreiheit empfiehlt. Diese von der Sicht der muslimischen Verbände geprägten Empfehlungen der DIK nehmen auf die Schulpolitik der Länder und Kommunen sehr direkten Einfluss:
Empfehlungen der DIK auf der Tagesordnung der Kultusministerkonferenz
…Die konkreten Empfehlungen des vierten Plenums und Möglichkeiten der Umsetzung müssen vor allem auf der Ebene der Länder und Kommunen diskutiert werden. Der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Tesch versprach, dann auch die Empfehlungen zur besseren Integration in der Schule und zur Etablierung islamischer Lehrangebote an deutschen Universitäten auf die Tagesordnung der kommenden Sitzung der Kultusministerkonferenz in 2009 zu setzen.
Wer wird in Ländern, Kommunen und letztendlich den Schulen den quasi staatlichen DIK-Leitlinien des veranstaltenden Innenministeriums widersprechen wollen bzw. können?
Die Betrachtung der bis 2009 in der DIK erarbeiteten Empfehlungen zum Verhältnis von Religionsfreiheit und staatlichen Bildungsauftrag dürfte klar machen, zu welchen Ergebnissen es führen kann, wenn Herr Maizière postuliert: "Handeln aus einem gelebten Glauben heraus darf und soll wirken können, auch öffentlich - zum Guten der Gesellschaft." Und es wird klar, was es bedeuten kann, wenn die DIK auch in Zukunft im Sinne von Herrn Schäuble weiter fortwirkt: "Im Grunde geht es um ein robusteres Selbstverständnis von dem, was uns wichtig ist, wie wir leben wollen. Nur dann wird uns und anderen klar, was wir durchsetzen wollen."
Es bedeutet: Wenn es die Religionsfreiheit gebietet, gehören dazu auch die "geschickte" Aussetzung des koedukativen Sportunterrichts und abschließbare Duschkabinen, oder eben Vorhänge.
1 Kommentar
Kommentare
little Louis am Permanenter Link
Ist doch klar:
Die Reaktionäre aller Monothismen rufen auf zur Einheitsfront:
Back to the Fifties.
Und hasenfüßige Linke trauen sich nicht zu widersprechen, da man im Zweifel eher reaktionäre Eintellungen fördert ,um nicht (denunziatorisch) von anderen (angeblich) Linken als "irgendwie" intolerant rassistisch bezeichnet zu werden.
Denn diese tarnen ihren transatlantischen Neokonservatismus "antideutsch" als linke und antirassistische Radikalität.