Mit dem Kopftuch experimentiert frau nicht!

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Symbolbild
Symbolbild

Die Kinder von heute sind die Gesellschaft von morgen. Das, was Kinder – eine äußerst vulnerable Menschengruppe – im jungen Alter in der Schule lernen, prägt sie ein Leben lang. Darüber müssen wir heute nicht mehr diskutieren. Schaue ich aber genauer hin, was heutzutage teilweise unseren Kindern in der Schule vermittelt wird, bin ich regelrecht bestürzt.

So ging es mir vor einigen Tagen als ich vom "Kopftuch-Experiment" in einer nordrhein-westfälischen Schule erfahren habe. Eine Lehrerin testete mit sechs ihrer Schülerinnen, wie es sich anfühlt, ein Kopftuch zu tragen und wie ihr Umfeld darauf reagiert. Bald darauf wurde ich auf zwei Berliner Lehrbücher aufmerksam, in dem das Kinderkopftuch ausschließlich positiv dargestellt wird.

Das trifft mich als säkulare Muslimin sehr! Es enttäuscht mich und macht mich wütend!

In meiner Schulzeit in Algerien, in den 80er Jahren, trug niemand einen Hidschāb – keine Lehrerin und erst recht keine Schülerinnen. Erst mit dem Aufstieg des fundamentalistischen Islam und die damit einhergehende Unterdrückung und Belästigung bis hin zur Ermordung von Frauen, schien sich diese Uniform des politischen Islam regelrecht zu vermehren, zunächst auf den Straßen, später in den Schulen meines Geburtslands.

Deshalb irritiert es mich heute zutiefst, zu sehen, dass ein Instrument, das in vielen Ländern als Werkzeug der Unterdrückung von Mädchen und Frauen eingesetzt wird, hier in unserem aufgeklärten Land als Grundlage eines Schulexperiments dienen kann. Denn in den muslimischen Ländern experimentieren die Frauen nicht mit dem Kopftuch. Sie werden sehr oft schlicht dazu gezwungen und haben keine Chance, es am nächsten Tag ohne Angst vor den häufig schlimmen Repressalien einfach abzulegen.

Welches Frauenbild will diese Lehrerin mit ihrem Experiment vermitteln, wenn sie ihre Schülerinnen an geschlechtsspezifische religiöse Verhüllungsarten heranführt? Was ist ihr pädagogischer Ansatz dabei? Was wird als nächstes kommen? Eine Woche unter der Vormundschaft der männlichen Mitschülern zu leben? Eine Woche Burka? Wie fühlt es sich an, vollkommen entwürdigt zu sein?

Was macht das mit den Mädchen, als eine andere Art von Mensch markiert zu werden?

Mit Sexismus – auch eine Form von Rassismus – experimentiert man nicht. Man leidet darunter! Liebe Lehrerin, Sie sprechen in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk davon, was Sie mit dem Experiment erreichen wollten: Zum Beispiel sagen Sie, "was fällt einem ein, als Muslime in der Öffentlichkeit zu erscheinen"? Da gäbe es den "Kaftan, den Bart oder das Kopftuch". Und Sie sprechen von "subtilem" Rassismus. Merken Sie nicht, wie diese Aussagen vorurteilsbehaftet und kolonialistisch klingen? Brauchen Sie wirklich ein körperliches Symbol, um den Islam zu verdeutlichen?

Wenn Sie, liebe Lehrerin, sich für Ihre Wissensvermittlung so gut mit "legitimen" theologischen Interpretationen auseinandergesetzt haben, sollten Sie wissen, dass der Prophet Mohammed jegliche religiösen Symbole verbannt hat. Als in Deutschland ausgebildete Pädagogin sollten Sie auch wissen, dass schon einmal Menschen durch Symbole in unserem Land markiert worden sind, um ihre religiöse Zugehörigkeit sofort erkennbar zu machen? Ist das ihr pädagogischer Ansatz, um für Rassismus zu sensibilisieren? Dann ist es Ihnen auf fatale Weise gelungen!

Vielleicht verstehen Sie nun, weshalb die iranisch-aserbaidschanische Schriftstellerin, Chahdortt Djavann, 2004 in einem Interview mit der taz gesagt hat: "Ich vergleiche es (das Kopftuch) mit dem gelben Stern. Es ist das Symbol, das die Frau im rechtlosen Raum einordnet. Und das alle Gewalt autorisiert. Das Kopftuch zeigt: Die Frauen sind das minderwertige, erniedrigte Geschlecht."

Ebenso irritiert war ich, als ich die Lehrbuchseite von "Trio Gesellschaftswissenschaften" für die fünfte und sechste Klasse vom Verlag Westermann/Schroedel vor mir hatte. Im Text mit der Überschrift "Mich gibt es nur mit Kopftuch" erzählen die AutorInnen von der selbstbestimmten Entscheidung der 12-jährigen muslimischen Laila, ein Kopftuch zu tragen. Später im Text wird erklärt, im Koran sei davon die Rede, dass Frauen "ihre Scham bedecken sollen, um sich als Musliminnen erkennen zu geben und Belästigungen durch Männer vorzubeugen". Als wüsste mittlerweile nicht jede, dass auch verschleierte Frauen selbst im heiligsten Ort der muslimischen Welt trotz Bedeckung ihrer Scham sexuell missbraucht werden. Das wird deutlich bei #MosqueeMeToo, wo mutige muslimische Frauen zum ersten Mal öffentlich die massive sexuelle Gewalt auf dem Hadsch (muslimische Pilgerfahrt) ansprachen. Ist nach der weltweiten #MeToo-Kampagne den AutorInnen des Schulbuches nichts anderes eingefallen als ihre nicht haltbare Argumentation, um muslimische Mädchen vor sexueller Belästigung zu schützen und zu stärken?

Ähnlich erstaunt, wenn nicht gar schockiert, war ich, als das Lehrbuch "Menschen – Zeiten – Räume" von Cornelsen vor mir lag. Hier wird das Kopftuch ausschließlich positiv und als selbstverständlich im Islam dargestellt. Als gäbe es nicht Millionen von Musliminnen, die das Kopftuch ablehnen. Völlig perplex war ich, als ich dann die Abbildung eines Niqab-tragenden Mädchens sah. Vollverschleierung – wohl die extremste bisher (leider noch) legale Weise, Mädchen und Frauen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Und das alles in einem Schulbuch!

Sollten Kinder nicht darin gestärkt werden, Indoktrinationsversuche zu erkennen, zu hinterfragen und sich davon fern zu halten? Ist die Aufgabe unserer modernen Schule nicht aufgeklärte und emanzipatorische Werte zu vermitteln? Ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht mehr so wichtig wie andere Grundrechte?

Für mich steht hinter solchen Darstellungen eine klare Propaganda des Fundamentalismus. Langsam aber sicher wird so der politische Islam im Bewusstsein von SchülerInnen und Eltern banalisiert und hoffähig gemacht. Und "gut gemeinte" Kopftuch-Experimente sind meines Erachtens der Versuch, die Verschleierung von Mädchen gesellschaftsfähig zu machen, anders gesagt: die demonstrative und eklatante Diskriminierung von muslimischen Mädchen und Frauen zu verharmlosen.

Ich möchte hoffen, dass andere PädagogInnen sich bessere didaktische und methodische Vorgehensweisen ausgesucht haben, um gegen Rassismus vorzugehen. Und an diesem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen lasse ich jede und jeden von uns darüber nachdenken, wie wir die kommenden Generationen gegen ideologische und sexualisierte Instrumentalisierung stärken wollen!