Der Publizist Abraham Melzer will in seinem Buch "Die Antisemiten-Macher. Wie die neue Rechte Kritik an der Politik Israels verhindert" die angebliche Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs gegen Kritiker der israelischen Regierung problematisieren. Auch wenn der Autor in Einzelfällen dafür Fallbeispiele benennen kann, versteigt er sich teilweise zu absurden Pauschalisierungen – und verschenkt damit ein wichtiges Thema.
Angesichts eines breiten öffentlichen anti-antisemitischen Konsenses, der auch strafrechtlich verankert ist, erfolgt ein judenfeindlicher Diskurs über thematische Umwege. Dazu gehört insbesondere eine ausgeprägte Israelfeindlichkeit. Sie bedient sich mitunter einiger berechtigter oder zumindest nachvollziehbarer Einwände, die gegen die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern gerichtet sind. Auf einer oberflächlichen Ebene lassen sich dabei antisemitische und menschenrechtliche Motive nicht immer genau trennen, bei einer tiefergehenden Analyse der jeweiligen Grundlagen aber schon. Gleichwohl wird mitunter ein Antisemitismusvorwurf auch gegenüber bloßen Kritikern erhoben. Demgegenüber wird von Judenfeinden eine Klage über angebliche Kritikverbote geführt. Es handelt sich demnach um ein komplexes Problem, was inhaltliche Unterscheidungen nötig macht. Dazu hat Abraham Melzer das Buch "Die Antisemiten-Macher. Wie die neue Reche Kritik an der Politik Israels verhindert" vorgelegt.
Der Publizist und Verleger, der früher das Magazin "Semit" herausgegeben hat, wählte damit aber einen falschen Untertitel. Denn: Es ist nicht drin, was drauf steht! Anders und seriöser formuliert: Die pro-israelischen Bekundungen gegenwärtiger rechtspopulistischer Parteien in Europa werden lediglich auf zwei Seiten, nämlich 249 und 250, angesprochen. Es geht dem Autor eigentlich um etwas anderes: Die 19 Kapitel seines Buches beklagen, dass Einwände gegen die Politik der israelischen Regierung pauschal als Antisemitismus gebrandmarkt werden würden. Dafür nutzt er die Formulierung "Die Antisemiten-Macher", welche eben auch den Buchtitel ausmacht. Am Beginn steht ein längeres autobiographisches Kapitel "Wie ich ein Jude in Deutschland wurde". Dem folgen Ausführungen zu Definition, Geschichte und Gegenwart der Judenfeindlichkeit. Hierbei fällt immer wieder eine gewisse Relativierung auf, wofür eine Einschätzung wie die folgende steht: "Man kann es getrost ins Reich der Mythen verweisen, dass Juden das am meisten verfolge Volk auf Gottes Erde sein sollen" (S. 62).
In den folgenden Kapiteln, die sich dann aktuellen Formen der Judenfeindschaft zuwenden, heißt es: "Eine Kritik am völkerrechtswidrigen Krieg des Staates Israel, ist keine Kritik am Judentum und auch kein Zeichen für Antisemitismus, sondern Kritik an der Politik des Staates Israel" (S. 94). Dem kann man so zustimmen. Nur, wer behauptet das Gegenteil? Immer wieder neigt Melzer zu Überzeichnungen. So beklagt er etwa eine einseitige Einstellung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dieser riefe "zu Demonstrationen gegen Antisemitismus auf, bei denen es in Wahrheit nur darum geht, Israel vor Kritik an seiner völkerrechtswidrigen und menschenverachtenden Politik zu schützen und zu verteidigen. Warum schweigt er beispielsweise, wenn zwei der reichsten jüdischen Unternehmer der Welt … sagen, dass es 'gar nicht so schlimm wäre, wenn Israel keine Demokratie bliebe …'" (S. 134). Das ist eine ziemlich absurde Argumentation: Der Zentralrat kann schwerlich zu allen bedenklichen Aussagen einzelner Juden eine Distanzierung vornehmen.
Leider durchziehen derartige Einseitigkeiten und Überspitzungen dann auch die letzten Kapitel. Sie diskreditieren damit indirekt Einschätzungen, die größere Angemessenheit in der kritischen Stoßrichtung beanspruchen können. Dies gilt beispielsweise für die Einwände gegen den Publizisten Henryk M. Broder oder etwa die Antisemitismus-"Hitparade" des Simon Wiesenthal-Center. Absurder wird es dann wieder, wenn "Israels Botschafter als Propagandist" (S. 231) seiner Regierung vorgestellt wird. Was ist denn, bitte schön, die Aufgabe des Botschafters einer Regierung in einem anderen Land? Da, wo es dann um die pro-israelische Einstellung von Rechtspopulisten gehen soll, da finden sich nur Allgemeinplätze. Der damit einhergehende muslimenfeindliche Diskurs wird nicht näher thematisiert. Gleichzeitig verharmlost der Autor objektiv die Bedrohung von Juden, welche durch arabischstämmige Migranten ausgeht. In der Gesamtschau bedeutet dies: Ein beachtenswertes Anliegen wird durch unseriöse Verallgemeinerungen verschenkt.
Abraham Melzer, Die Antisemiten-Macher. Wie die neue Rechte Kritik an der Politik Israels verhindert, Frankfurt/M. 2017 (Westend-Verlag), 288 S., 18,00 Euro
3 Kommentare
Kommentare
little Louis am Permanenter Link
Pfahl- Traughber unterstellt Melzer „absurde Pauschalisierungen“. Nur, wo sollen diese zu finden sein?
Nur bei „oberflächlicher“ Betrachtung scheine es so, als seien Kritiker israelischer Politik „menschenrechtlich“ motiviert, einer„tiefer gehenden Analyse“ allerdings würde eine solche Einschätzung nicht standhalte, behauptet Pfahl-Traughber forsch.
Als ersten „Tiefengrund gibt er an, dass der Autor zu wenig auf die pro-israelischen Bekundungen der „Rechtspopulisten“ eingeht. Besonders verdächtig erscheint ihm, dass“….Die 19 Kapitel seines Buches beklagen, dass Einwände gegen die Politik der israelischen Regierung pauschal als Antisemitismus gebrandmarkt werden würden. ...“ (Zitat-ende). Fragt sich nur, was daran verdächtig oder (von ihm suggestiv unterstellt) einseitig sein soll. Es ist eben genau das Hauptproblem. Die dauernden Leugnungsversuche diesbezüglich grenzen inzwischen fast schon an Infantilismus bzw. an den Versuch, die Leserschaft zu infantilisieren. Geradezu kindisch die Vorstellung, man dürfe Probleme nicht beim Namen nennen, nur weil „ populistische Rechte“ diese zuvor schon lautstärker thematisiert haben. Dass dies so kam, haben linksliberale „Mitte“ und Religionslinke im Verein mir Naiv-Linken durch ihr ängstliches Schweigen selbst verschuldet. Ethik ist nicht „schizophren“. Auch wer Nachkommen von tatsächlichen Opfern von „Deutschen“ gegen besseres Wissen vor berechtigter ethischer/politischer Kritik schont, macht sich mitschuldig an eventuellen gegenwärtigen oder zukünftigen Menschenrechtsverletzungen oder Vergehen gegen die Humanität.
Traughber bezeichnet es als „Relativierung“ wenn Melzer die von Teilen des Judentums propagierte Maximalopferhypothese kritisiert, bleibt aber den Gegenbeweis schuldig. Klar, er schreibt halt nur , was offizielle bundesrepublikanische Regierungsdoktrin ist. Was könnte er auch als Staats-beamteter mit langjährigen „Diensterfahrungen“ anders tun. Man fragt sich nur, weshalb ihm dieses Portal immer wieder die Gelegenheit dazu gibt. Ich erwarte hier mehr Meinungsvielfalt.
Ärgerlich nur, wenn auch noch fehlende logische Konsistenz unterstellt wird und dem Buchautor unbelegt eine „absurde Argumentation „ in Bezug auf die Relativierung demokratischer Werte durch „zwei der reichsten jüdischen Unternehmen der Welt“ unterstellt wird. Was ist absurd an der Kritik an der These, dass im Zweifelsfall die Erhaltung einer (eventuell imaginierten) Israelischen Nation wichtiger sei als der Erhalt der israelischen Demokratie? Bemerkt P. -Thr. denn nicht, dass er hier in dieselben Denkmuster verfällt, wie viele der deutschen oder auch andernorts vorhandenen völkischen Nationalchauvinisten? Genau darauf zielt ja die Kritik von Abraham Melzer.
Kaum vorstellbar, dass Pfahl- Traughber soches nicht erkennt. Aber vielleicht macht er halt einfach nur seinen Job (hier und sonstwo).
Zur vertiefenden Info hier noch zwei Links mehr von links:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=40364
http://www.nachdenkseiten.de/?p=40448
rainerB. am Permanenter Link
Ich habe das Buch noch nicht, sondern nur Textauszüge und Interviews von Melzer, sowie andere Rezensionen gelesen.
Stutzig machen mich an der hießigen Rezension jedoch zwei Aussagen:
"Eine Kritik am völkerrechtswidrigen Krieg des Staates Israel, ist keine Kritik am Judentum und auch kein Zeichen für Antisemitismus, sondern Kritik an der Politik des Staates Israel" (S. 94). Dem kann man so zustimmen. Nur, wer behauptet das Gegenteil?"
Nun ja, da gibt es doch nicht gerade Wenige, wie man im Zuge des Disputes von Broder gg. Augstein ("Der kleine Streicher") in der Medienlandschaft feststellen konnte. Die Frage: "Nur, wer behauptet das Gegenteil?" unterstellt ja geradezu, Melzer würde sich mit einem Fantom beschäftigen. Das sehe ich allerdings doch anders. Vor dem Auftreten des Flüchtlingsthemas waren Antisemitismusvorwürfe derartig in Mode, dass viele vor einer Entleerung des Begriffs warnten. Bis 2015 waren Antisemitismusvorwürfe das gängige Mittel um ein Maximalverdikt gegen andere zu verhängen. Nach dem Eintreffen von 1 Mio. Flüchtlinge bemühen die meist selben Aktiven, nun der neuen Lage angepasst, Rassismus bzw. Islamfeindlichkeit gegen Kritiker aller Art.
"Absurder wird es dann wieder, wenn "Israels Botschafter als Propagandist" (S. 231) seiner Regierung vorgestellt wird. Was ist denn, bitte schön, die Aufgabe des Botschafters einer Regierung in einem anderen Land?"
Natürlich hat ein Botschafter die Aufgabe sein Land samt Politik zu repräsentieren, was aber nicht ausschließt diesen nach Sachlage als Propagandisten zu bezeichnen. Und Propaganda bedeutet im heutigen Sprachgebrauch eine geschönte oder gar wahrheitswidrig manipulierte Erzählung zu verbreiten. Was ja beim Thema Wasser und Siedlungsbau in Palästina seitens Israel erwiesen ist. Einen Botschafter, der eine solche verbreitet als Propagandisten zu bezeichnen, ist daher wohl kaum "absurd" (und wie so schon "wieder"?), sondern eher naheliegend.
Zumindest in Kenntnis des biografischen Buchteiles scheint Melzer m.E. über die nötige buchstäbliche Unbefangenheit zu verfügen, das Buchthema zu bearbeiten. Vor allem unbefangener als manches "Mitglied im Unabhängigen Arbeitskreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages". Dies legt auch die Einschätzung von Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung nahe, der das Buch als „einen wichtigen Debattenbeitrag“ bezeichnet hat.
W.R. am Permanenter Link
Die Buchvorstellung von Melzers Buch auf der Frankfurter Buchmesse wurde mit der Begründung des Antisemitismus "verhindert".
http://www.nachdenkseiten.de/?p=40439
So viel zu den "Einzelfällen", die Herr Armin Traughber sieht. Das Thema falscher Antisemitismus-Vorwürfe wurde auch schon von Moshe Zuckermann („Antisemit!“. Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument) und Wolfgang Gehrcke (Rufmord – Die Antisemitismus-Kampagne gegen links) ausführlich behandelt. Von Einzelfällen kann keine Rede sein.
Da Herr Traughber ja Extremisforscher ist, müsste ihm eigentlich auch bekannt sein, dass gerade von Seiten der linksradikalen, sogenannten "Antideutschen" der Antisemitisvorwuurf inflationär verwandet wird.