Braucht das jemand? ARD-Themenwoche "Glaube"

"Ich glaube im Endeffekt an Energie"

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Matthias Schweighöfer glaubt an Energie.

Die ARD lädt im Juni zu einer Themenwoche des Glaubens ein. Vorab stellt sie dazu eine Seite mit Promi-Statements ins Netz. Wer hier nur auch nur ein bisschen herumklickt, erkennt: "Glaube" ist zu einem Begriff ohne Inhalt geworden.

Glaube, was war das noch mal? Im Prinzip könnte man sagen: Glaube ist die Anerkennung von Informationen, für die es keinen Beleg gibt. Wären sie belegbar, müssten sie ja nicht geglaubt werden. Etwa: "Es gibt ein Schicksal, dem wir unterworfen sind." - "Tausend Engel passen auf eine Nadelspitze." - "Wir kennen uns aus einem früheren Leben." - "Wenn ich morgen früh um Punkt 7.20 Uhr in meine Hertha-Unterhose schlüpfe, kommen wir in den Europapokal." Solche Fake News zu produzieren, ist schon immer eine der kuriosen Eigenheiten des Menschen gewesen. Alle anderen Tiere sind da klüger.

Zwischen Glaube und Aberglaube besteht dabei kein prinzipieller Unterschied. Glaube ist nur besser organisiert. Beide dienen sie dem Zweck, die profane Welt des Alltags fantasievoll zu erweitern. Glaube schenkt dem Menschen ein Leben nach dem Leben, er verschafft ihm Trost, wo es nichts mehr zu trösten gibt, er beschert ihm ein Gottesreich im Geiste, wo er in der echten Welt nichts zu beißen hat. "I want to believe" – Der Wille zu glauben, ist wohl in fast jedem Menschen verankert. Er hat Individuen gestärkt und leidensfähig gemacht, er hat Gruppen zusammengeschweißt. Er muss im Gang der Menschwerdung ein enormer Evolutionsvorteil gewesen sein.

Noch der Vernünftigste kann wohl die Kraft spüren, die von der inneren Sammlung eines Gebets ausgeht. Auch der Atheist kann erahnen, wie sehr all diese kindlichen Vorstellungen vom Behütetsein Einem Frieden und Kraft verleihen. Religion ist immer ein Deal mit zwei Gewinnern: Der Glaubende bekommt ein Stückchen Seelenfrieden, eine Gemeinde und ein paar schöne Geschichten. Der Glaubensverbreiter sichert sich seinen Lebensunterhalt und erringt einen sozialen Status, der ihn selbst in die Nähe des Göttlichen rückt. 

Dass den Kirchen seit Jahrzehnten die Mitglieder weglaufen oder wegbeerdigt werden; dass Atheismus längst die stärkste Konfession in Deutschland ist, hat die ARD nicht davon abgehalten, für den Juni eine Themenwoche "Woran glaubst du?" auszurufen. "Wir wollen die Glaubensvielfalt 2017 in Deutschland aufzeigen, den Blick für unterschiedliche Spielarten des Glaubens öffnen und wir wollen die Rolle der Religion in der Gesellschaft beleuchten." Verkündet die ARD-Vorsitzende Karola Wille. Auf der Homepage der Themenwoche wird auf diverse Programmelemente verwiesen, die sich religiösen Themen widmen. Und dann ist da noch diese Prominentenseite. Dutzende Medienpersonen geben Antwort auf die Frage, woran sie glauben.

Schon nach kurzem Herumklicken wird klar, wie weit "Glaube" als Begriff bereits erodiert ist. Ein Promi nach dem anderen improvisiert hier mit offenkundiger Schwammigkeit herum, und alle danken sie vermutlich dem Filmchenformat, dass niemand jemals Nachfragen stellen wird. Einer nach dem Anderen stapeln sie Antworten übereinander, unter denen letztlich die Frage als solche zerstäubt: Woran glaubst du? "An das Gute", meint etwa die Jungautorin Ronja von Rönne. Was soll das heißen, in einer Welt, in der tagtäglich viel Böses passiert? Ist das Gute eine unsichtbare Macht? Wird es sich irgendwann, wie auch immer, durchsetzen? Muss man zu ihm beten, oder ist es halt einfach da – wozu dann dran glauben?

Wie Rönne geht es vielen der Befragten: Der Frage nach dem Geglaubten bringt sie nur in seltenen Ausnahmefällen dazu, auch nur den Ansatz einer religiösen Vorstellung zu postulieren. Sarah Wagenknecht und Jeanette Biedermann glauben an die Liebe. Kati Wilhelm glaubt an ihre Fähigkeiten im Schießstand. Der Schauspieler Jan-Gregor Kremp glaubt "an meine Gedanken und an meine Träume". Der Boxer Dominic Bösel glaubt sehr pietistisch, "dass man fleißig sein muss, und dann kann man auch was erreichen." Schauspielerin Jane Chirwa glaubt "im Endeffekt an Energie" - was immer das bedeuten mag. Sänger Nino de Angelo endet beim Denkversuch über den Glauben im Dada: "Ich glaube daran, dass der Glaube das Wichtigste im Leben ist."

Die ARD dokumentiert es: Ein Begriff ist hier im Zustand der völligen Erosion. Vielleicht, weil er nicht mehr gebraucht wird. Was ist denn hier noch übrig vom Wort "Glauben"... Energie? Man glaubt jetzt an Energie? Hieß "Glaube" nicht einmal, dass man die Vorgaben und Verkündigungen einer behaupteten Gottheit als hoch vertrauenswürdig erachtet und sich nach ihnen richtet?

Davon ist praktisch keine Spur mehr. Ein unsichtbares, übermächtiges Wesen, mit dem man sich ins Benehmen setzen und auf diese Weise persönliche Vorteile erreichen kann, scheint keine verwendbare Vorstellung mehr zu sein. "Glaube" meint manchmal ein Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten, manchmal die hohe Wertschätzung etwa von Familie. In seltenen Fällen wird noch "Gott" genannt, wobei der ungefähr so konkret erscheint wie Jane Chirwas "Energien".

Das Wort "Gott" hat eigentlich gar keinen Inhalt mehr. Ebenso könnte man an die Macht der Sterne glauben, an eine riesige Schlange, die den Kosmos umfängt, oder man könnte das "Schicksal" bemühen, also die vollkommen sinnlose Idee, dass das, was im Jetzt passiert, in der Vergangenheit, von wem auch immer, festgelegt wurde – eine unendlich traurige Vorstellung im Grunde. Marcel Reif "glaubt" an Freundschaft – was meint er damit? Dass es sie im realen Leben nicht gibt? Mitleidig schaut man auch zu, wie Bernhard Brink sich in einer wolkigen Gemengelage zwischen Glauben und Unglauben abmüht, seine eigenen, nie zu Ende gedachten Gedanken miteinander in Einklang zu bringen. Vielleicht ist das ja der Sinn von Religion: Die unerträgliche Absurdität des eigenen Glaubenwollens auszulagern in ein paar absurde, widersprüchliche Geschichten. Dann kann man weiter machen mit seinem Kram.

"Glaube" 2017 ist am ehesten ein Gefühl von Geborgenheit des Menschen in sich selbst. Ein innerer Quell der eigenen persönlichen Kräfte. Die Eine schöpft aus der Familie, der Nächste aus Freundschaften, die Übernächste möchte irgendwie spüren, dass sie zum Weltall gehört. Glaube ist längst nicht mehr "Glaube", ein von Priestern verordnetes, mit der Androhung von Himmel/Hölle durchzusetzendes Programm bizarrer Vorschriften, Abgaben und Rituale. Eine Erkenntnis also bringt die öffentlich-rechtlich finanzierte Themenwoche: Dass "Glaube" nicht mehr ernsthaft ein Thema sein kann. Und dass die Welt vielleicht ein paar drängendere Probleme hat. Oder, um es mit der kecken Moderatorin Sonya Kraus zu sagen: "Ich glaube an ein behutsames und respektvolles Miteinander, und gleichzeitig glaube ich an die Wissenschaft – so viel zum Thema Esoterik und Religion." Vielleicht sollte man sie die nächste ARD-Themenwoche gestalten lassen.