Eine nicht ganz so gut gelungene Warnung

Bedrohung der Freiheit durch Russland?

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Moskau
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Der bekannte Historiker Timothy Snyder warnt in seinem Buch "Der Weg in die Unfreiheit. Russland – Europa – Amerika" vor dem Einfluss Putins bei der Destabilisierung westlicher Demokratien. Zwar kann der Autor dafür eine Fülle von Belegen präsentieren, indessen verstrickt er sich in geschichtsphilosophischen Spekulationen, verabsolutiert den Einfluss Putins und Russlands und ignoriert selbstgemachte Defizite westlicher Demokratien.

Dass es eine Legitimationskrise westlicher Demokratien gibt, ist beim Blick in viele Länder unverkennbar. Während die etablierten Parteien immer mehr an Wählerzustimmung verlieren, verbuchen populistische Parteien erstaunliche Stimmengewinne. Mitunter fanden auch Politiker mit entsprechender Orientierung bereits den Weg an die Regierung. Der bekannteste Fall ist sicherlich Donald Trump in den USA. Was hat das aber alles mit Putin und Russland zu tun? Antworten auf diese Frage schwanken häufig zwischen Dramatisierung und Ignoranz hin und her. Dass es aber für einen solchen Einfluss durchaus Anhaltspunkte gibt, machen die regelmäßigen Meldungen aus den USA deutlich. Dies mag wohl den Historiker Timothy Snyer, der als Professor an der Yale University lehrt und auch in Deutschland durch seine Buchveröffentlichungen bekannt geworden ist, dazu motiviert haben, sich mit der ganz jungen Geschichte der westlichen Welt zu beschäftigen. Ein neues Ergebnis davon ist sein Buch "Der Weg in die Unfreiheit. Russland, Europa, Amerika".

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Bereits zu Beginn differenziert er die "Politik der Ewigkeit" und die "Politik der Unausweichlichkeit". Letzteres meint eine Auffassung, wonach die Gegenwart auch notwendigerweise die Zukunft bestimmen muss. Eine "Politik der Ewigkeit" stehe demgegenüber für ein Narrativ, wonach sich die Bedrohungen der Vergangenheit immer wiederholten. Hier will der Autor "die Gegenwart für die Geschichte und damit die Geschichte für die Politik" (S. 17) zurückgewinnen. Er befürchtet, dass das, was in Russland bereits eingetreten sei, auch im Westen passieren könne: "die Etablierung massiver Ungleichheit, die Ersetzung von Politik durch Propaganda, der Übergang von der Politik der Unausweichlichkeit zur Politik der Ewigkeit" (S. 18). Um dies zu erläutern, wird die Geschichte von 2011 bis 2016 entlang dieser Problemstellung vom Verfasser beschrieben und kommentiert. Dabei konzentriert sich seine Darstellung auf die Entwicklung in Russland und die Politik Putins sowohl gegenüber der Ukraine wie gegenüber dem Westen.

Am Beginn steht für Snyder die Wiederkehr der totalitären Denkweise, wobei er den Einfluss des autoritären Denkers Iwan Iljin auf Wladimir Putin ausführlich thematisiert. Danach geht es um den Niedergang der Demokratie in Russland, wozu es heißt: "Putins Argument gegen die Demokratie lautete: Männlichkeit" (S. 61). Der russische Angriff auf die Europäische Union und die russische Invasion in der Ukraine bilden danach die inhaltlichen Schwerpunkte. Über letzteren formuliert er: "In einem Krieg, der ein Krieg gegen den Faschismus sein sollte, waren viele von Russlands Verbündeten Faschisten" (S. 156). Dem folgend steht die Verbreitung der politischen Fiktion in Russland und Amerika im Zentrum, was an den Zielen des Fernsehsenders festgemacht wird: "die Unterdrückung von Wissen, das zum Handeln anregen könnte, und das Bedienen von Emotionen, die zur Tatenlosigkeit führen" (S. 168). Und schließlich geht es um den Einfluss auf die Wahl von Trump, habe dabei doch Russland eine Fiktion als "Gefechtskopf einer Cyberwaffe" (S. 257) geliefert.

Dem Autor kommt das Verdienst zu, auf Putins Rolle bei der Destabilisierung westlicher Demokratien hingewiesen zu haben. Dazu hätte er noch weit mehr Beispiele anführen können, wozu etwa die Kontakte von Rechtspopulisten nach Russland gehören. Er erwähnt auch immer wieder den Einfluss autoritärer Denker auf Putin. Dazu heißt es sogar: "Im Jahre 2012 wurden faschistische Ideologen von einem russischen Präsidenten in den russischen Mainstream eingeschleust …" (S. 100). Snyder macht damit berechtigterweise auf Gefahren, die von Russland für den Westen ausgehen, aufmerksam. Gleichwohl ist sein Buch nicht wirklich gelungen, wofür unterschiedliche Gründe sprechen: Er verhebt sich mehrfach bei seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen, Putin und Russland erscheinen als die alleinigen Bedingungsfaktoren der beklagten Entwicklung, und selbstverschuldeten Defekte in den westlichen Demokratien kommen nur am Rande vor. Eine Destabilisierungsstrategie kann nur Erfolg haben, wenn sie reale Anknüpfungspunkte für ihr Wirken findet.

Timothy Snyder, Der Weg in die Unfreiheit. Russland – Europa –Amerika, München 2018 (C. H. Beck-Verlag), 376 S., ISBN: 978-3-406-72501-2, 24,95 Euro