Impressionen vom Kirchentag 2017

"Beim Oktoberfest ist hier mehr los"

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Kaum Zuschauer: Kirchentags-Veranstaltung mit Thomas de Maizière am Alexanderplatz
Kirchentag 2017

In Berlin findet seit Mittwoch der Evangelische Kirchentag 2017 statt. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg hat auf dem Christen-Fest Impressionen gesammelt.

"Es kommen halt nur die Besten durch" - mit dieser scherzhaften aber durch und durch sozialdarwinistisch-protestantischen Bemerkung erstaunt mich eine junge Helferin, als es mir am Mittwoch endlich gelingt, durch das Gelände der Berliner Messe zum Pressebereich des Evangelischen Kirchentages vorzudringen, um mich zu akkreditieren - also als Pressevertreterin offiziell anzumelden. Ich spreche die Helferin darauf an, dass die Ausschilderung des Weges eher bescheiden sei, zumal einige Bereiche der Messe durch Aufbauarbeiten nicht passierbar seien. Die Erklärung, die sie mir für die erschwerten Auffinde-Bedingungen liefert, macht in einem protestantischen Universum Sinn. "Nur die Harten komm' in Garten - die Weichen müssen Keller streichen", sagt man im Ruhrpott.

Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei den Journalisten, die den evolutionären Akkreditierungs-Flaschenhals des Kirchentags überstanden haben, tatsächlich nur um die Besten ihrer Zunft handelt. Mit den Augen einiger Kollegen jedenfalls kann es nicht zum Besten stehen. Erstaunt lese ich Titel wie "Ganz Berlin erstrahlt in Orange" oder "Die Stadt ist in Orange getaucht". Orange ist die Farbe der diesjährigen Kirchentagsschals, die - glaubt man den Schlagzeilen - derzeit die Hauptstadt in jenen Götterabenddämmerungsfarbton tauchen. Doch dem ist nicht so.

Gewiss, es gibt die Top-Events, bei denen sich die Schalträger drängeln und als menschliche Kulisse für spektakuläre Kirchentagsfotos dienen. Vor allem beim Gespräch von Obama und Merkel vor dem Brandenburger Tor, dem Eröffnungsgottesdienst und dem anschließenden Straßenfest war die Bude sozusagen gerammelt voll. Aber hej, Obama und Merkel, wann kriegt man die schon mal zu Gesicht? Und welcher Teenie würde sich nicht durch die Taschenkontrollen zum Eröffnungsgottesdienst quälen, wenn's doch gleich danach auf derselben Bühne ein Konzert von Max Giesinger und daneben ein Straßenfest gibt - für lau! Nun ja, nicht ganz für lau, denn der Evangelische Kirchentag 2017 wird mit 11,9 Millionen Euro von insgesamt 23 Millionen Euro zu mehr als 50% aus öffentlichen Geldern finanziert. Offiziell fließen diese Mittel von Staat, Land und Kommune wegen der angeblichen gesamtgesellschaftlichen Relevanz von Kirchentagen. Wobei die gesamtgesellschaftliche Relevanz von Max Giesinger nicht unmittelbar eingängig ist.

Außerhalb dieser Top-Events hält es sich mit dem Orange in Berlin allerdings sehr in Grenzen. Was daran liegen mag, dass der eigentliche Kirchentag in der Berliner Messe ganz im Westen der Metropole stattfindet, weit abseits vom Trubel der Hauptstadt. Nur die S-Bahn dorthin weist einen massiv erhöhten Orange-Gehalt auf. Doch auf dem Messegelände selbst sind die Schalträger unter sich. Hierher verirrt sich niemand, der nicht gezielt zum Kirchentag will. Auch weil die Veranstaltung kostenpflichtig ist. Eine Dauerkarte für den Kirchentag in Berlin kostet 98 Euro. Wer zusätzlich auch die parallel stattfindenden "Kirchentage auf dem Weg" in Leipzig, Wittenberg und anderen Städten im Osten Deutschlands besuchen will, bezahlt 149 Euro.

Vereinzelt finden sich auch in der Berliner Innenstadt ein paar Ausläufer des Kirchentags. Doch im riesigen Berlin mit seinen unzähligen Events und beständigen Touristenströmen fallen sie kaum auf. "Beim Oktoberfest ist hier mehr los", erklärt mir ein Einheimischer am Alexanderplatz. Dort stehen eine kleine Bühne und einige weiße Zelte. Eines von ihnen beherbergt die offizielle Kirchentags-Buchhandlung. Doch kaum einer interessiert sich für die kostenfreien Veranstaltungen hier. Selbst beim Auftritt von bekannten Politikern wie der Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhart oder Bundesinnenminister Thomas de Maizière sitzen nur ein paar Schalträger auf den Bänken. Einheimische huschen desinteressiert vorüber. Ein junger Mann, der bei der Bühne am Alexanderplatz für den Kirchentag in Dortmund 2019 wirbt, erklärt mir warum: "Für Politik interessiert sich eben keiner." Beim Straßenfest am Eröffnungsabend sei es dagegen proppenvoll gewesen und er sei viel Material losgeworden, aber jetzt läge alles nur rum.

Ein Straßenfest mit Live-Konzerten zieht also Publikum an, politischer Dialog dagegen nicht. Wie war das noch mal mit der gesamtgesellschaftlichen Relevanz des Kirchentages? Aber seien wir ehrlich: An die glauben wahrscheinlich nicht mal die Gläubigen selbst. Der Kirchentag ist ein Event. Fünf Tage Party in Berlin. Kein Wunder, dass sich viele junge Menschen gern für das Event als Helfer haben anheuern lassen. Allerdings ist es mit ihrer Kirchentagsfestigkeit nicht immer ganz so weit her. In der S-Bahn belausche ich die Klage eines Helfer-Rudel-Führers. Zwei seiner jugendlichen Schützlinge haben sich schon wieder vom Acker gemacht. Tja, Berlin ist halt cool. Vor allem außerhalb der Kirchentags-Veranstaltungen.