Rosenmontag im Lockdown: Düsseldorf zeigte acht Mottowagen von Jacques Tilly

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Düsseldorfs Wagenbaumeister Jacques Tilly vor einem der diesjährigen Mottowagen
Jacques Tilly

Eigentlich sollte Karneval dieses Jahr komplett ausfallen. Doch am Freitag hatte das Comitee Düsseldorfer Carneval bekanntgegeben, dass acht der berühmten politischen Wagen aus der Werkstatt des Tilly-Teams am Montag durch die Stadt am Rhein rollen würden.

Der Countdown auf der Startseite des Comitees Düsseldorfer Carneval ist bei 0 Jahren, 0 Monaten, 0 Tagen, 0 Stunden, 0 Minuten und 0 Sekunden stehen geblieben – für das Jahr 2020. Der Straßenkarneval 2021 war frühzeitig aus Corona-Gründen abgesagt worden. Im vergangenen Jahr hatte Düsseldorfs Wagenbaumeister Jacques Tilly noch das Carnevals-Virus dem Corona-Virus eine lange Nase zeigen lassen, dieses Jahr war es SARS-CoV-2, das dem Carnevals-Virus die Zuge aus der bösartigen Fratze streckte, während der symbolische Jeck weint und die Mundwinkel nach unten zieht:

Corona-Virus vs. Carnevals-Virus
Foto: © grossplastiken.de

Die Corona-Pandemie wurde auch von einem zweiten Wagen aufgegriffen: Die Welt versucht mit banger Miene dem Virus Einhalt zu gebieten, während sich hinter ihr ein noch viel größeres Problem auftürmt, das von der aktuell wütenden Krankheit in den Hintergrund gedrängt wird: der Klimawandel.

Es droht schon die nächste Katastrophe...
Foto: © grossplastiken.de

Die insgesamt acht Mottowagen wurden von privaten PKWs auf Anhängern – nicht wie sonst von Traktoren – im normalen Verkehrsfluss zwei Stunden lang entlang drei verschiedener Routen durch die Stadt gezogen. Sie fuhren einzeln, um keine Menschenansammlungen zu provozieren. Es sei "nur ein symbolischer Zug" gewesen, sagte Tilly dem hpd, "es geht darum, dass wir die Narrenfreiheit, die Satirefreiheit und die Meinungsfreiheit auch in schwierigen Zeiten hochhalten. Das war das Ziel und zwar ohne, dass wir Ansteckungen riskieren, denn die Narrenfreiheit beinhaltet ja nicht, dass wir andere Menschen gefährden".

Erst am 4. Januar sei die erste Idee vom Carnevals-Comitee geäußert worden, dass man überhaupt etwas machen und ein coronakonformes Zeichen für die Narrenfreiheit setzen könnte, erzählte Tilly. Eine Woche lang habe er sich dann Gedanken zu möglichen Wagen gemacht, fünf Wochen blieben zum Bau. Das sei "ein harter Ritt" gewesen, "aber das Team hat wunderbar funktioniert, wir sind ja auch schon eingespielt". Die Wagenbauhalle sei während dieser Zeit wie ausgestorben gewesen, niemand von den zahlreichen Karnevalsvereinen habe an seinen Wagen gebaut, nur die Bauhalle für die politischen Mottowagen sei von den sechs Künstlern des Tilly-Teams besetzt gewesen. "Homeoffice ist im Karnevalswagenbau ziemlich sinnfrei", konstatierte der Künstler, "wir waren vorsichtig, haben keine Gäste geladen und waren ziemlich isoliert. Ein Corona-Ausbruch in unseren Reihen hätte natürlich das Aus für das Projekt bedeutet" – dazu kam es glücklicherweise nicht. Bis Sonntag wurde an den überlebensgroßen Pappmaché-Karikaturen gearbeitet, um 18 Uhr sei der letzte Wagen fertig geworden – ein "Frührekord" wie Jacques Tilly sagt: in vergangenen Jahren wurde auch schon mal die ein oder andere Nacht durchgemacht.

Bei der zuletzt fertiggestellten Skulptur handelt es sich um einen "Trump-Abschiedswagen", der den abgewählten US-Präsidenten am Spieß des – am Samstag gescheiterten – Impeachment-Verfahrens über dem Feuer seiner eigenen Parole zeigt:

Ein Abschiedsgeschenk für Donald Trump
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Donald Trump war jedoch nicht der einzige Politiker, der den Spott der Narren zu spüren bekam: Russlands Langzeit-Präsident Wladimir Putin kassierte im symbolischen Judokampf von seinem wesentlich kleiner dargestellten Kontrahenten Alexei Nawalny einen sichtlich schmerzhaften Tritt in die Weichteile. Nawalny war, nachdem er sich von dem Giftanschlag auf ihn erholt hatte, im Januar nach Russland zurückgekehrt und war umgehend festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Seitdem gibt es Proteste im Land.

Nawalny versetzt Putin einen empfindlichen Tritt
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Einer, der schon seit ein paar Jahren Stammgast bei den Tilly'schen Karnevalsmotiven ist, ist der Vize-Regierungschef und Vorsitzende der in Polen regierenden national-konservativen PiS-Partei, Jarosław Kaczyński: Diesmal rammt er dem polnischen Abtreibungsrecht mit einem Kreuz einen Pflock ins Herz, ganz so, wie man der Legende nach Vampire tötet. Ende Januar war eine Verschärfung der polnischen Regelung in Kraft getreten, die einen Schwangerschaftsabbruch praktisch unmöglich macht; viele Menschen in Polen nehmen dies jedoch nicht kritiklos hin und demonstrieren gegen die Gesetzesänderung.

Todesstoß für das Recht auf Abtreibung in Polen
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Die deutsche Innenpolitik wurde von "Armin Merkel" vertreten: Der neu gewählte CDU-Vorsitzende Armin Laschet steht für ein "Weiter so" in der Partei und wurde hier gekonnt als Angela-Merkel-Verschnitt mit typischer Frisur und Raute dargestellt:

"Armin Merkel"
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Was in diesem zweiten Jahr der Pandemie natürlich ebenfalls nicht fehlen durfte, war ein "Querdenkmal" für all jene Menschen, die hinter der Pandemiebekämpfung eine finstere Verschwörung und einen Vorwand vermuten, um die Demokratie abzuschaffen:

Das "Querdenkmal"
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Seinen Lieblingswagen nennt Jacques Tilly den "Eichelbischof": Dieser werde als Bild noch lange erhalten bleiben, wenn andere Politiker schon längst vergessen seien, prophezeite der Chef-Wagenbauer. "Es zeigt, dass die katholische Kirche mit Sexualität ein riesiges Problem hat: Der Zölibat und die sexuelle Deformierung, die damit verbunden ist; dass die katholische Kirche Homosexuelle noch immer nicht akzeptiert hat, Frauen nicht ordiniert werden können und Missbrauchsfälle immer noch vertuscht werden – alles ist in diesem Bild untergebracht." Es gebe bereits Ideen für eine Weiterverwendung innerhalb der säkularen Szene.

Der "Eichelbischof"
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Alles habe "wunderbar hingehauen", zog Tilly seine Rosenmontags-Bilanz. Er habe von den Leuten viel Zuspruch erhalten. "Viele haben sich gefreut, dass Corona nicht alles restlos zu Boden geworfen hat, dass wir trotzdem unseren kleinen karnevalistischen Freiraum schaffen konnten, das hat den Menschen echt was gegeben."

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