Vergangene Woche tagte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) im Rahmen ihrer Herbstvollversammlung in Fulda. Kritisch begleitet wurde sie vom Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen, unterstützt von der Giordano-Bruno-Stiftung, die mit dem "Hängemattenbischof" und dem "Glücksrad der Entschädigung" sowie der "Langen Bank des Missbrauchsskandals" vor Ort waren und das Thema sexuelle Gewalt gegen Minderjährige in der Kirche erneut ganz oben auf die öffentliche Agenda hoben. Dementsprechend richteten Journalisten auch auf der abschließenden Pressekonferenz ein Hauptaugenmerk auf das Vorankommen der Aufarbeitung, von der die Betroffenen massiv enttäuscht sind.
Der DBK-Vorsitzende Georg Bätzing bemühte sich, alles aufzuzählen, was sich die katholische Kirche seit der Missbrauchsstudie, die an gleicher Stelle drei Jahre zuvor vorgestellt worden war, vorgenommen hatte beziehungsweise mittlerweile umgesetzt hat: Da wäre die just beschlossene Standardisierung der Personalaktenführung nach Beamtenrechtsstandards, die eine verbindliche, einheitliche, nachvollziehbare und transparente Aktenordnung auch bei Wechseln in andere Diözesen sicherstellen soll. Außerdem wurde im kirchlichen Parallelrecht eine gesetzliche Grundlage für Auskunfts- und Einsichtsmöglichkeiten in die Personalakten für Aufarbeitungskommissionen geschaffen. Auch mache man sehr gute Erfahrungen mit nicht-kirchlichen Fachberatungen als unabhängige Anlaufstellen.
Auf die Frage "Kann die Kirche das, sollte nicht der Staat das tun?" antwortete Bätzing sich selbst, man habe bewusst den Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs um Vorlage von Standards und Kriterien gebeten und eine gewisse Zahl von Mitgliedern in den Aufarbeitungskommissionen werde durch Landesregierungen benannt. Gegenüber dem Unabhängigen Beauftragten gebe es zudem eine jährliche Berichterstattung seitens Aufarbeitungskommissionen und der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA).
Den von Missbrauchsopfern äußerst kritisch gesehenen Betroffenenbeirat der DBK nannte der vorsitzende Bischof ein "starkes Instrument" der Vertretung von Betroffenen und "kritischen Partner" für Entwicklungen. Als Rückschlag räumte er ein, dass es bei der Vergabe von Anerkennungsleistungen durch die UKA zu Retraumatisierungen komme. Eine Aussetzung des Verfahrens sei allerdings nicht erwogen worden. Derzeit lägen etwa 1.000 unbearbeitete Anträge vor; an der Dauer der Bearbeitung und der fehlenden Rückmeldung über zeitliche Perspektiven könne man arbeiten, die Geschäftsstelle der UKA habe man schon personell aufgestockt; die derzeitigen Kriterien wolle man aber beibehalten, das System solle nicht verändert werden.
Zahlungsrahmen bei Anerkennungsleistungen wird nicht ausgeschöpft
Die Vorschläge zur Entschädigung, welche eine von der DBK eingesetzte Sachverständigengruppe 2019 gemacht hatte, habe man "sehr genau diskutiert", auch mit Wissenschaftlern und einer Expertenkommission, und sei dem Rat gefolgt, diesen Schritt nicht zu gehen, sondern beim bisherigen System zu bleiben, Anerkennungsleistungen an einen Referenzrahmen anzugleichen und sich am oberen Bereich von Tabellen, die staatliche Gerichte bei vergleichbaren Fällen nutzen, zu orientieren. Hier sei eine Dynamik im Gang, die in kommenden Jahren zu erheblich anderen Summen führen werde, so Bätzing, da viele sagten, staatliche Gerichte wiesen viel zu wenig zu.
Das Aktionsteam 11. Gebot, das die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) kritisch begleitete, schrieb auf Facebook, dass die UKA den Zahlungsrahmen, den man in besagten Tabellen finde, jedoch augenscheinlich nicht ausschöpfe. "Sie orientiert sich also gerade NICHT 'am oberen Ende', wie es ihr die DBK ins Aufgabenheft geschrieben hat." Opfervertreter kritisieren, dass die von der Bischofskonferenz zugesagte Höchstsumme von 50.000 Euro bei den Anerkennungsleistungen kaum zur Anwendung komme: "Es gibt Fälle von 200- oder 800-fachem Missbrauch und die haben gerade mal 15.000 beziehungsweise 22.000 Euro bekommen – was muss denn ein Mensch noch erlitten und ertragen haben, um diese Höchstsumme zu bekommen?", fragte Maximilian Steinhaus von der gbs im Bayerischen Rundfunk. Fälle wie ein 200- oder gar 800-facher Missbrauch seien in diesen Tabellen überhaupt nicht vorgesehen, heißt es in dem Beitrag auf Facebook weiter.
In Kunstform aufgegriffen hat diese Absurdität Jens Windel von der Betroffeneninitiative-Hildesheim. Er hat gemeinsam mit einem Künstler das "Glücksrad der Entschädigung" entworfen, das im Rahmen einer Protestaktion gemeinsam mit anderen Betroffenen und Vertretern der Giordano-Bruno-Stiftung in Fulda gezeigt wurde. Es zeigt die empfundene Willkür der Missbrauchsopfer im Anerkennungsverfahren der katholischen Kirche. Windel sagt: "Das neue Verfahren zur Anerkennung des Leids wurde letztes Jahr angekündigt als die größte Reform seit zehn Jahren. Aber ich kann keine Fortschritte erkennen. Die Kirche weiß um das Unrecht, das sie den Betroffenen erneut zufügt und sie sagt trotzdem 'weiter so'. Die Bischöfe sind nicht handlungsbereit. Sie klammern."
"Dunkelstes Kapitel"
Georg Bätzing gab auf der Pressekonferenz derweil bekannt, dass das Büro des missbrauchsbeauftragten Bischofs Stephan Ackermann ein Konzept erarbeiten wolle, wie man der Aufarbeitungsaufgabe besser gerecht werden könne, da die derzeitige Struktur nicht mehr als ausreichend erscheine. Der DBK-Vorsitzende bilanzierte: "Das Thema Missbrauch lässt uns nicht los, es wird uns auch lange nicht loslassen. (…) Wir können angesichts dieses dunklen (…), dunkelsten Kapitels nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen das immer wieder prioritär halten."
Personelle Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal sind von höchster Stelle allerdings abgelehnt worden: Sowohl der umstrittene Hamburger Erzbischof Stefan Heße als auch der Kölner Skandal-Kardinal Rainer Maria Woelki hatten Papst Franziskus ihren Rücktritt angeboten. Dieser hatte beide Gesuche aber abgelehnt. Bätzing bot Heße während der Pressekonferenz Unterstützung für seinen erneuten Einstieg in den Dienst als Erzbischof an, damit Vertrauen wieder wachsen könne. Die vielfältig geäußerte Kritik am Nicht-Rücktritt sei Heße und den übrigen Bischöfen "wirklich bewusst".
Den Tenor der gesamten abschließenden Pressekonferenz könnte man mit "Was sollen wir denn noch tun?" zusammenfassen. Bisheriges wurde aufgezählt, während kaum Neues hinzukam. Beim Thema Entschädigung versteckt man sich geschickt hinter dem Staat, den man sonst jedoch lieber auf Distanz hält. Jens Windel von der Betroffeneninitiative-Hildesheim, der während der gesamten Herbstvollversammlung für eine echte Aufarbeitung und angemessene Entschädigung auf der Straße war, bilanziert gegenüber dem hpd: "Die jüngst getroffenen und nicht getroffenen Entscheidungen sind eine Breitseite für alle Betroffenen und lösen eine große Empörung aus. Der Graben zwischen der katholischen Kirche und der breiten Öffentlichkeit wird tiefer."
Drei Bischöfe suchten das Gespräch
Die Bischöfe kamen auf ihrem Weg zum Tagungsort nicht am Protestaufbau, bestehend aus der von Jacques Tilly entworfenen Skulptur "Hängemattenbischof", dem "Glücksrad der Entschädigung" und der von David Farago gebauten "Langen Bank des Missbrauchsskandals" vorbei. Gerade einmal drei der Geistlichen suchten das Gespräch – darunter auch der DBK-Missbrauchsbeauftragte – in dem es zu einem produktiven Austausch auf Augenhöhe kam, bei dem aber auch das Gefühl der ungerechten Beschuldigung geäußert wurde von einem Kirchenvertreter, der die Auffassung vertrat, man dürfe bei der Aufarbeitung nicht alle Bischöfe über einen Kamm scheren.
Das Gesamtbild, das die Kirche bei diesem Prozess abgibt, ist jedoch kein Gutes. Jens Windel prophezeit: "Das verlorene Vertrauen wird auch in Zukunft für weitere Kirchenaustritte sorgen, wenn sich dahingehend die moralische Verantwortung der katholischen Kirche nicht ändert. Die katholische Kirche richtet sich selbst und könnte in ein paar Jahrzehnten einer Immobilienfirma gleichen – ohne Mitglieder."