Anlässlich der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vom 20. bis 23. September in Fulda protestieren die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) und das Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen erneut gegen den unsäglichen Umgang mit den Betroffenen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen. Um ihrer Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, werden drei Kunstwerke gezeigt: Das "Glücksrad der Entschädigung", der international bekannt gewordene "Hängemattenbischof", und die "Lange Bank des Missbrauchsskandals".
Die Organisatoren kritisieren insbesondere das Verfahren zur Zahlung von Anerkennungsleistungen durch die katholische Kirche. Seitdem die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) im Januar ihre Arbeit aufgenommen hat, sollte das Verfahren für die Betroffenen eigentlich besser werden. Doch zahlreiche Erfahrungsberichte von Antragsstellern, die an das Aktionsbündnis herangetragen wurden, zeugen vom Gegenteil. Jens Windel ist Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz und gründete die Betroffeneninitiative-Hildesheim. Für das Aktionsbündnis fasst er die Kritik an der UKA zusammen:
"Der von den Bischöfen vorgegebene Zahlungsrahmen bis 50.000 Euro ist schon lächerlich niedrig. Doch die konkreten Entscheidungen der UKA übertreffen unsere schlimmsten Befürchtungen bei weitem. Die Kommission reizt selbst in Fällen des schweren, hundertfachen und sich über Jahre erstreckenden Missbrauchs nicht einmal den ihr zur Verfügung stehenden Rahmen aus."
Zur Verdeutlichung der Kritik führt das Aktionsbündnis insbesondere die folgenden zwei Beispielsfälle an:
Rolf Kraus wurde circa zweimal pro Woche über einen Zeitraum von vier Jahren, also insgesamt über 200-mal, schwer missbraucht und beging schon zwei Suizidversuche. Dennoch bekam er von der Kommission lediglich 15.000 Euro zugesprochen. Und davon wurden dann sogar noch die 5.000 Euro abgezogen, die er aus einem früheren Verfahren erhalten hatte.
Corrado Valvo wurde sogar drei- bis viermal pro Woche, ebenfalls über einen Zeitraum von vier Jahren, also insgesamt zwischen 600 und 800 mal schwer missbraucht. Auch er beging einen Suizidversuch und leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Schlafstörungen, Panikattacken, Alpträumen, Schuldgefühlen, Beziehungsunfähigkeit sowie Nachteilen im Beruf und im gesamten sozialen Leben. Sein Leid war der Kommission nur 22.000 Euro wert (abzüglich 10.000 Euro aus einem früheren Verfahren).
Zwar wurden ganz vereinzelt auch höhere Beträge bewilligt. Setzt man diese jedoch ins Verhältnis zu den oben genannten Fällen, stellt sich erst recht die Frage, weshalb Herr Kraus und Herr Valvo so wenig bekommen haben. Tatsächlich sieht die Verfahrensordnung der UKA sogar die Möglichkeit vor, in "besonders schweren Härtefällen" auch höhere Leistungen als die 50.000 Euro festzulegen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Kommission dies hier nicht getan hat.
Das "Glücksrad der Entschädigung"
Zum Start der Kommission meinte die Deutsche Bischofskonferenz, "ein transparentes, einheitliches und unabhängigeres Verfahren", ja sogar ein "für alle zufriedenstellendes Ergebnis" abgeliefert zu haben. Jens Windel vom Aktionsbündnis widerspricht dem jedoch entschieden:
"Die uns bekannt gewordenen Zahlungen der Kommission lassen gerade Transparenz und Systematik vermissen. Im Ergebnis gleicht das Verfahren eher einem Glücksrad als einem fairen Verfahren. Wir Betroffenen fühlen uns verhöhnt und beleidigt. Manche von uns sprechen gar von einer erneuten Vergewaltigung – so groß empfinden sie die Ohnmacht und die Gewalt, die ihnen angetan wird. Solange die Anerkennungsleistungen das Leid der Betroffenen nicht wenigstens ansatzweise widerspiegeln, werden die Verbrechen erneut bagatellisiert."
Diese Gefühle inspirierten Jens Windel zu seiner Zeichnung "Glücksrad der Entschädigung", die im Rahmen der Protestaktion zu sehen sein wird (siehe Titelbild dieses Artikels).
Gutachten ohne Konsequenzen sind nichts wert
Die Kritik der Organisatoren richtet sich auch gegen die jüngsten Entscheidungen von Papst Franziskus, die Rücktrittsangebote von Kardinal Marx und Hamburgs Erzbischof Heße nicht anzunehmen. Jens Windel kommentiert: "Das konsequenzlose Verhalten aus Rom gegenüber schuldig gewordenen Verantwortungsträgern macht jede weitere Missbrauchsstudie überflüssig – in den Augen von Papst und Kirche sind die Betroffenen ohnehin nichts wert."
Matthias Katsch vom Eckigen Tisch erklärt, dass sich der Protest auch an die Politik richtet: "Indem die Politik die Kirchen unbehelligt gewähren lässt, hat sie uns Betroffene im Stich gelassen. Wir fordern die Parteien und Kandidaten auf, sich des Themas auch im Bundestagswahlkampf endlich anzunehmen."
Die Forderungen der Betroffenen liegen längst auf dem Tisch: Vergangenen Mai hat das Aktionsbündnis eine Petition mit knapp 29.000 Unterschriften an die religionspolitischen Sprecher von vier Bundestagsfraktionen übergeben. Darin fordern die Betroffenen unter anderem die Einsetzung einer unabhängigen Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission durch den Bundestag sowie die Gründung eines Opfergenesungswerks. Außer schönen Worten am Tag der Übergabe folgten daraus keine Konsequenzen. Wenn überhaupt, werde man sich erst in der nächsten Legislaturperiode damit befassen. Im August wandten sich die Betroffenen daher erneut mit einem Offenen Brief an sechs Spitzenpolitiker*innen. Bisherige Reaktionen: null.
Der "Hängemattenbischof" und die "Lange Bank des Missbrauchsskandals"
Um diese Verschleppungstaktik von Kirche und Politik zu kritisieren, präsentieren die Organisatoren zum ersten Mal auch in Fulda die Großplastik "Der Hängemattenbischof". Die über sechs Meter lange und knapp drei Meter hohe Figur des Düsseldorfer Wagenbauers Jacques Tilly zeigt einen dicken Bischof, der schlafend und zufrieden grinsend in einer goldenen Hängematte liegt. Auf dieser ist zu lesen: "11 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle". Die Hängematte ist an zwei Kreuzen befestigt, die jeweils die katholische und die evangelische Kirche repräsentieren. Unter dem Gewicht der Untätigkeit biegen sich die Kreuze so sehr, dass sie vollends zu zerbrechen drohen.
Ergänzt wird die Skulptur durch die "Lange Bank des Missbrauchsskandals" – auf die Kirche und Politik die Aufarbeitung sinnbildlich immer wieder schieben. Ihr Erfinder, David Farago von der Giordano-Bruno-Stiftung, erklärt: "Wie bei der letzten Bischofskonferenz angekündigt, haben wir die Bank dieses Jahr wieder um ein paar Elemente verlängert – denn die Enttäuschung und Frustration der Betroffenen wächst."
Zur Protestkundgebung aufgerufen hat die Giordano-Bruno-Stiftung gemeinsam mit dem Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen. Diesem gehören zahlreiche Betroffenenorganisationen an: Eckiger Tisch e. V., MoJoRed e. V. – Missbrauchsopfer-Josephinum-Redemptoristen, Betroffeneninitiative-Hildesheim, Initiative Ehemaliger Johanneum Homburg, Betroffeneninitiative kirchlicher Missbrauch Süddeutschland e. V., Selbsthilfe Missbrauch Münster, Selbsthilfe Missbrauch Rhede, Initiative für einen Gedenkort am Johanneum sowie Missbrauchsopfer & Betroffene im Bistum Trier MissBiT e. V.
Die Protestaktion mit dem "Hängemattenbischof" wird vom 20. bis 23. September täglich von jeweils 10:00 Uhr bis 20:00 Uhr stattfinden. Am Montag und Dienstag auf dem Domplatz, am Mittwoch und Donnerstag auf dem Bonifatiusplatz (gegenüber dem Stadtschloss).