Der von Menschenrechtsorganisationen bereits seit Jahren zur Sichtbarmachung von Femiziden verwendete 19. Dezember wird nun auch nationaler Gedenktag. Der chilenische Senat hat Ende Oktober beschieden, dass dieser Tag als Chance für einen kulturellen Wandel hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sowie als Zeichen an die Familien getöteter Frauen dienen soll. Das Datum 19. Dezember geht auf Javiera Neira Oportu, eines der prominentesten Femizid-Opfer, zurück. 2005 starb sie im Alter von nur sechs Jahren, weil ihr gewalttätiger Vater sie aus dem siebten Stock warf.
Üblicherweise wird unter einem Femizid die Ermordung einer weiblichen Person nur wegen ihres Geschlechts verstanden. In Chile wird von den Behörden ein Mord jedoch nur dann als Femizid gewertet, wenn der Täter Partner oder Ex-Partner der Getöteten ist. Deshalb bestehen beim Ministerio de la Mujer y Equidad de Genero (Ministerium für Frauen und Geschlechtergleichstellung) Bestrebungen, den Begriff auszuweiten.
Trotz der Zählung nach diesem eng gesteckten Rahmen gab es bis zum 4. November 34 durchgeführte und 120 versuchte Femizide. Das Ministerium für Frauen und Geschlechtergleichstellung hat ein Dokument zu allen durchgeführten Taten erstellt. Es beginnt mit dem ersten gezählten Femizid des Jahres am 5. Januar und endet mit einer Ermordung am 3. November. Die jüngsten Betroffenen in diesem Jahr wurden gerade einmal 16 Jahre alt, bevor sie vom eigenen oder dem Partner der Mutter ermordet wurden. Die älteste Frau in der Statistik wurde 60 Jahre alt und von ihrem Ehemann getötet. Viele Fälle gehen auf das Konto von Ex-Partnern und oftmals geschahen die Morde vor den Augen gemeinsamer Kinder. Ein Fall betrifft eine Polizistin, die von ihrem ehemaligen Lebensgefährten, einem Ex-Polizisten, getötet wurde.
Ley 20480 ("Gesetz 20480"), auch bekannt als Femizid-Gesetz, soll Frauen besser vor gewalttätigen Partnern schützen, indem beispielsweise Verfügungen, die eine Annäherung verbieten oder die zur Teilnahme an einer Therapie verpflichten, auf zwei Jahre verlängert werden. Diese Maßnahmen scheinen allerdings wenig abschreckend zu sein. Ebenso wenig wie die Gefängnisstrafen, die nach Paragraph 390 des Strafgesetzbuches auf Femizid stehen: Von 15 Jahren und einem Tag bis zu lebenslänglicher Haft.
Obwohl der nun ausgerufene Tag gegen den Femizid nicht nur von Politiker*innen der meisten Parteien begrüßt wird, zeigt sich, dass er Frauen genauso wenig Sicherheit gibt wie die Gesetzeslage. Unter einer Veröffentlichung des Ministeriums für Frauen und Geschlechtergleichstellung bei Twitter, der den neuen nationalen Tag verkündet, fragen sich einige von ihnen, wann denn mal gehandelt statt geredet würde und sie fordern, dass die Regierung mit gutem Beispiel vorangehen und diejenigen entlassen solle, die ihren Partnerinnen gegenüber gewalttätig geworden seien. Die Kommentatorinnen bezweifeln, dass ein Tag der Aufmerksamkeit das Morden beenden wird. Für die Senatorinnen Adriana Muñoz, Marcela Sabat, Isabel Allende, Ximena Rincón, Yasna Provoste und den Senator Alejandro Navarro ist die Sichtbarmachung der Femizide dennoch ein wichtiger Schritt im Prozess und ein Zeichen an die Familien, die Frauen an diese Gewalt verloren haben.
Für Javiera Neira Oportu, die am 19. Dezember 2005 mit nur sechs Jahren starb – als ihr Vater sie aus dem siebten Stock warf, weil sie versucht hatte, ihre Mutter vor dem gewalttätigen Mann zu schützen –, kommen alle Ideen, Maßnahmen und Projekte zu spät. Ihr Vater, Alfredo Cabrera, wurde wegen seines Verbrechens 2007 zu lebenslanger Haft verurteilt. Javieras Mutter Claudia kämpft währenddessen weiter gegen die Gewalt gegen Frauen und hat an der Etablierung des 19. Dezember als nationalen Tag gegen Femizide mitgearbeitet.
4 Kommentare
Kommentare
David See am Permanenter Link
wieso bloß solche Feiertage, für Frauen, Kinder, Natur, Tiere nie von der göttlichen RKK kommen, sehr seltsam...
Lars Temme am Permanenter Link
Ich vermisse bei diesem Artikel die kritische Einordnung des Berichteten. Folgende Punkte gingen mir beim Lesen direkt durch den Kopf:
1. Wenn ein Femizid "die Ermordung einer weiblichen Person nur wegen ihres Geschlechts" ist, sind praktisch alle Morde durch (Ex-)Partner keine Femizide, denn in solchen Fällen dürften die Motive Eifersucht, Jähzorn, Geldgier usw. mindestens zusätzlich, wenn nicht alleinig vorliegen. Der Mord an einem (Ex-)Partner hat immer konkretere Motive als allgemeinen "Frauenhass" (oder Männerhass), sonst würde ja nicht der (Ex-)Partner ermordet werden, sondern irgendeine Frau (oder irgendein Mann). Dementsprechend ist die chilenische juristische Defintion nicht zu "eng gesteckt", sondern - ausgehend von der allgemeinen Definition "Femizid" - schlicht unsinnig.
2. Ist es denn keine Erwähnung wert, dass ein Gesetz, dass nur Frauen vor gewalttätigen Partnern schützen soll, offensichtlich sexistisch ist? Was ist mit den Männern, die misshandelt werden? Dunkelfeldstudien zeigen zumindest für Deutschland, dass ebenso viele Männer wie Frauen von ihrem Partner misshandelt werden. Das Problem ist also nicht vernachlässigbar klein, ganz abgesehen davon, dass doch wohl jeder Mensch vor Partnerschaftsgewalt geschützt werden sollte, nicht nur Frauen.
3. Kommt es nur mir so vor, dass eine Gesetzgebung, die für den Mord an einer Frau eine höhere Haftstrafe vorsieht als für den Mord an einem Mann, implizit nahelegt, dass Frauen mehr wert seien als Männer? Als Mann fühle ich mich diskriminiert, bin sogar regelrecht empört.
4. Die Forderung, dass "diejenigen entlassen [werden] sollen, die ihren Partnerinnen gegenüber gewalttätig geworden seien", bedeutet eine Bestrafung über juristische Sanktionen hinaus. Das ist Barbarei und steht trotzdem unkommentiert hier beim humanistischen(!) Pressedienst. Dass durch die Massnahme - mal wieder - nur Frauen geschützt werden sollen, erscheint da geradezu nebensächlich.
5. Die Fokussierung auf Tötungen von Frauen erscheint mir angesichts der Tötungsstatistik Chiles bereits in der Themensetzung sexistisch. In 2017 waren über 4 von 5 Opfern eines Tötungsdeliktes Männer. (Eine kurze Internetrecherche ergab 450 getötete Männer und 100 getötete Frauen.) Das soll kein "Whataboutism" sein, wie es neudeutsch heißt, aber hpd- bzw. Presseartikel, die die Ermordung von Männern thematisieren, gibt es praktisch nicht. Vor diesem Hintergrund ist die Themensetzung klar einseitig.
Der größte Sexismus unserer Zeit ist nicht die Benachteiligung von Frauen - auch wenn diese immer wieder vorkommt - sondern die völlige Ignoranz gegenüber männlichem Leid. Ich halte diesen Artikel für ein Symptom eben dieses Sexismus.
Markus Kerpen am Permanenter Link
Hallo
Herr Temme, bitte das Kind nich mit dem Bad ausschütten! Ich würde zwar auch argumentieren, dass ohne Corona genug einsame Männer nachts in der U-Bahn sitzen, aber schon ein Blick dadrauf, wer denn nun Kriege meist durchgeführt hat, sollte die Schieflage eigentlich klarmachen.
Männer besitzen etwa 9/10 des weltweiten Eigentums etc etc. Ob Frauen dadrin eine wirtschaftliche Klasse darstellen sei mal dahingestellt. Neulich las ich in der Wikipedia, dass im Feminizid, die Umstände der Gewalt andere sind, da kommt die Gewalt aus dem nächsten Umfeld. Frauen zu verheiraten kostet in manchen Teilen der Welt richtig Geld, ungewollte Kinder von Liebhabern können Geld kosten und wegen der Erbschaft dann ganze Familien in ihrer Plaung gefährden.
Ihre Argumentation mag sicherlich in einer größeren City halbwegs taugen, wo wir uns nach bürgerlichem Recht vielleicht um marginalere Sachen kümmern können und selbstverständlich erwarten, dass auch eine Antidiskriminierungsstelle in einer Grossstadt anständig reagiert, aber wir sind nich die Welt, mal abgesehen davon, dass es ja auch noch immer ein Akt ist, Frauen in MINT Berufe reinzubekommen oder überhaupt durchzusetzen, dass es Essen an den Schulen gibt, damit Frauen nicht an den Haushalt getackert sind, als wäre es das normalste der Welt.
Was is da los, dass sie das so grandios ausblenden, bzw. Inhalt und Form in körperlichen Zuweisungen so miteinander vermischen? Selbst Gewalt hat doch auch sexuelle Züge, das ist doch garnicht so eindeutig wie sie das beschreiben, oder glauben sie, dass Homoerotik in Armeen nie vorkommt?
Na viel Spass....
Lars Temme am Permanenter Link
Hallo Her Kerpen,
Vielleicht gehen Sie beim nächsten Mal einfach auf die konkreten Punkte ein, die ich benannt habe.