Holm Hümmler bei "Skeptics in the Pub Köln"

Corona: Die Epidemie der Verschwörungsmythen

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Dr. Holm Hümmler im Livestream
Dr. Holm Hümmler

Ein paar Stunden lang sah es so aus, als wäre bald ein Ende in Sicht. Schon für Herbst kündigte das Robert Koch-Institut am Mittwoch einen Corona-Impfstoff an – zog die Pressemeldung jedoch schon am selben Abend wieder zurück. Indessen steigen die Fallzahlen, und auch die "Epidemie der Verschwörungymythen" wird wohl weiterhin grassieren. Ein brandaktuelles Thema also, das die Kölner Skeptiker für ihren ersten Online-Vortrag gewählt hatten. Mit dem Physiker und Buchautor Dr. Holm Hümmler saß ein anerkannter Fachmann und Szenekenner vor der Kamera.

Corona liefert ein schier unerschöpfliches Reservoir an Verschwörungsgeschichten. Um Bill Gates und Warren Buffett geht es da. Um eine angebliche "Plandemie", gesteuert von den sinistren Strippenziehern des "Deep State"; um Impfpflicht und den Mobilfunkstandard 5G. Ein wildes Durcheinander – und doch entdeckte Hümmler all das zusammen auf einem Plakat bei der sogenannten "Hygiene-Demo" in Fulda im April.

Der Ernst der Lage lässt sich vor allem in Ländern wie Italien und den USA aus den gestiegenen Sterberaten ablesen, die sich nicht durch die jährliche Grippewelle wegerklären lassen und erst nach Einschränkungen des öffentlichen Lebens sanken. Und doch gibt es Stimmen, die all das völlig undramatisch finden. Der pensionierte Arzt Wolfgang Wodarg zum Beispiel, der im März und April zum Shooting-Star der Szene arrivierte, interviewt von der Creme de la Quatsch: Eva Hermann, KenFM, Klagemauer-TV und Rubikon News. Eine ähnliche Karriere legte wenig später Bodo Schiffmann hin, der auf seinem Kanal auch mal gern antisemitischen Unsinn teilt.

Bill Gates und 5G

Verharmloser wie Wodarg und Schiffmann wurden von Hümmler ebenso betrachtet wie diejenigen, die Corona für eine "Plandemie" halten, für eine absichtlich ausgelöste Infektionswelle. Hatte Bill Gates nicht Monate vor der Krise eine grassierende Infektion mit 65 Millionen Toten vorhergesagt? Und es gab doch schon 2012 in Deutschland einen Katastrophenplan für Corona! Den gab es tatsächlich, und auch das Gates-Szenario existiert. Außerdem gehörte die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung zu den Sponsoren eines Planspiels namens Event 201, das im Oktober 2019 den Umgang mit einer Pandemie simulierte.

Dass man bei derartigen Übungen Coronaviren als Beispiel heranzieht, hat einen trivialen Hintergrund: Neben Influenza-Erregern stellen sie die wahrscheinlichste Pandemie-Bedrohung dar. Andere Erreger, etwa Lepra oder Tuberkulose, breiten sich viel langsamer aus, so Hümmler. Die Masern wurden von den meisten Menschen entweder bereits durchlebt oder sie sind geimpft. HIV ist eine echte Pandemie, vollzieht sich jedoch im Zeitlupentempo. Und hämorrhagische Fieber wie Ebola können sich im Gegensatz zu Covid-19 kaum lange unerkannt ausbreiten und werden deshalb frühzeitig entdeckt.

Auch die angebliche Verbindung von 5G und Corona löst sich bei genauerem Hinsehen in Luft auf. Ihren Ursprung hat die Geschichte in einem Forum für koreanische Popmusik. In Wuhan, dem Zentrum des ersten großen Ausbruchs, war kurz zuvor 5G eingeführt worden, hieß es dort. Das stimmt, aber dasselbe geschah auch in Peking und Shanghai, wo es keine Covid-19-Ausbrüche gab. Also eine klassische Verwechslung von Korrelation und Kausalität, wie Hümmler zeigt.

Von Anthroposophie bis QAnon

Ähnlich willkürliche Gedankenverbindungen fand er in anthroposophischen Kreisen. Thomas Cowan, ehemaliger Vizepräsident der amerikanischen Ärztevereinigung für Anthroposophische Medizin, will einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Pandemien und der Weiterentwicklung des Funkverkehrs entdeckt haben. Andere Anthroposophen lassen gleich alle Naturwissenschaft hinter sich und erklären Corona mit den Gesetzen des Karmas. Man wird Holm Hümmler zustimmen, wenn er resümiert: "Je mehr ich mich mit Anthroposophen beschäftige, umso weniger komme ich aus dem Kopfschütteln raus."

Nicht besser für die Nackenmuskulatur wird es beim QAnon-Verschwörungsmythos. Er geht auf eine angebliche Quelle namens Q zurück, die auf verschiedenen Imageboards aktiv ist. Wer wirklich dahintersteckt, weiß niemand, die Story indes ist immer gleich: Ein weltweiter Ring von pädophilen Satanisten kontrolliert die Medien und alle Politiker. Nur einer stellt sich gegen die finstren Mächte: Donald Trump. Er ist es auch, der zahllose Kinder aus versteckten Foltertunneln befreien wird, wo die Elite aus ihren Körpern die Verjüngungsdroge Adrenochrom abzapft.

Das Zeug gibt es tatsächlich, es ist ein Stoffwechselprodukt des Adrenalins. Man könnte es auch tonnenweise günstig herstellen, wenn es denn jemand haben wollte. Denn es verjüngt nicht, sondern löst lediglich Psychosen aus. Trotzdem findet der Mythos Gläubige, unter ihnen die Musiker Xavier Naidoo und Sido.

Der Antisemitismus ist nicht weit

Nicht von ungefähr nennen sie die finstere Macht "Kabale", ein seltsam-altertümliches Wort, das wohl auf "Kabbala" zurückgeht. Wen verwundert es da, dass in der Story von QAnon uralte antisemitische Stereotype von den Juden als Kindermörder und Brunnenvergifter durchscheinen? Bereits das Nazi-Hetzblatt Der Stürmer hatte sich daran bedient, wie Hümmler anhand von Bildvergleichen illustrierte. Mit dem Motiv des Kinder impfenden jüdischen Arztes kam damals ein weiteres Feindbild hinzu, das noch heute weiterlebt.

Damit ist die Schwurbel-Logik wieder bei Bill Gates angelangt, schließlich unterstützt die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung Impfprogramme in Entwicklungsländern. Dass Gates überhaupt kein Jude ist, stört die Gläubigen kaum, denn was nicht in deren verquere Logik passt, wird passend gemacht. Als Feindbild der Szene macht Hümmler eher Wissenschaftlichkeit, Offenheit und aufgeklärtes Denken fest, das als "jüdisch" gilt. Dagegen ist es zweitrangig, ob eine diffamierte Person dem jüdischen Glauben angehört oder jüdische Vorfahren hat. Insofern stimmt der Referent dem Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume zu, der im Antisemitismus eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft sieht.

Was nicht in die Logik passt, wird passend gemacht

Abschließend warf Hümmler einen Blick auf die Organisatoren der Corona-Demos. Eine Recherche zur Situation in der Schweiz hatte bereits gezeigt, dass viele dieser Veranstaltungen nicht etwa von demokratisch engagierten Bürgern, sondern von Rechten und Verschwörungsideologen angemeldet wurden. In einer eigenen, wenn auch nur stichprobenartigen Untersuchung für Deutschland kommt Hümmler zu einem vergleichbaren Befund. Dazu wählte er von den Facebook-Gruppen, die zu solchen Demonstrationen aufrufen, die ersten drei in der Suche gelisteten aus.

Was die Administratoren auf ihren privaten Seiten öffentlich teilen, spricht eine deutliche Sprache: Da geht es um QAnon und die "Neue Weltordnung", man bejubelt Anschläge auf 5G-Masten und lehnt die AfD ab, weil sie zu staatstragend sei. Hümmlers Fazit ist deutlich: "Wir haben es ganz klar mit Initiativen aus der rechten und verschwörungsgläubigen Szene zu tun. Sie versuchen Leute mitzuziehen, die sich tatsächlich Gedanken über die Grundrechte machen."

Mehr:

  • Holm Hümmler: Die Verschwörungsmythen-Seuche, Teil 1, Skeptiker 1/2020 (Teil 2 erscheint in Skeptiker 3/2020, erhältlich ab Mitte September)
  • Das Corona-Mythen A–Z der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)

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