Rezension

Die Geschichte des Rassismus in den USA

Der US-amerikanische Historiker Ibram X. Kendi legt mit "Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika" eine neue Darstellung zum Thema vor, wobei sich die historische Beschreibung an einzelnen Persönlichkeiten orientiert. Der Autor nimmt in seinem auch literarisch geprägten Buch dabei einige neue Deutungen vor und wählt auch einen ungewöhnlichen Vermittlungsansatz, wobei beides zu weiteren Reflexionen anregen kann.

Dass der Rassismus in den USA überwunden werden könnte, weil ein Schwarzer Präsident wurde, haben 2008 Viele gehofft. Doch damit einhergehende Prägungen sowohl der alltäglichen wie politischen Kultur lassen sich nicht so einfach abstellen. Es dauerte nicht lang, da gingen Berichte über die Tötung von schwarzen Jugendlichen durch Polizeibeamte durch die Medien. Und angesichts des neuen US-Präsidenten erhielt das Thema Rassismus eine neue Aktualität.

Den Historiker Ibram X. Keni, der als Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der American University in Washington, D.C. lehrt und der Gründungsdirektor des Antiracist Research and Policy Centers ist, dürfte all dies nicht verwundert haben. In seinem Buch "Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika" hatte er schon 2016 diese tiefe Verankerung von Vorurteilen thematisiert. Der besondere Ansatz und die literarische Qualität brachten ihm im gleichen Jahr noch den National Book Award ein. Jetzt liegt auch eine deutsche Übersetzung vor.

Der Autor geht darin sein Thema auf ungewöhnliche Weise an. Zwar ist das Buch historisch-chronologisch aufgebaut, die einzelnen Kapitel sind aber um historische Persönlichkeiten herum geschrieben. Dabei werden verschiedene Auffassungen dargestellt und kommentiert. Sie unterscheidet Kendi wie folgt:

"Eine Gruppe, nennen wir sie Segregationisten oder Anhänger der Rassentrennung hat die Schwarzen selbst für die ethnische Ungleichheit verantwortlich gemacht. Eine zweite Gruppe, nennen wir sie Anti-Rassisten, verwies auf ethnische Diskriminierung. Eine dritte Gruppe, nennen wir sie Assimilationisten, hat versucht, Argumente für beide Seiten zu finden. Diese Gruppe sagte, dass die Schwarzen selbst und die ethnische Diskriminierung schuld seien an der bestehenden Ungleichheit" (S. 10).

Der Autor hält die Anhänger der letztgenannten Gruppe – und darin besteht die Besonderheit der Deutung – für selbst im rassistischen Diskurs befangen. Daher könnten dieser Auffassung – was er auch phasenweise über sich selbst sagt – ebenfalls Schwarze anhängen.

Nach einleitenden Bemerkungen zu Deutungsansätzen und Grundpositionen geht es dann um die erwähnte Darstellung des Rassismus in verschiedenen Zeitetappen. Bezugspunkte dafür sind bestimmte Personen wie der Prediger Cotton Mather (1663-1728), der Präsident Thomas Jefferson (1743-1826), der Bürgerrechtler William Lloyd Garrison (1805-1879), der Gelehrte W. E. B. Du Bois (1868-1963) und die Aktivistin Angela Davis (geb. 1943). Es werden jeweils deren Engagement und Positionen beschrieben und kommentiert. Dann geht es über die personenorientierten Ausführungen hinaus aber noch um den historischen Kontext.

So findet man etwa in dem Kapitel zu Garrison eine kritische Kommentierung des als Anti-Sklaverei-Romans weltberühmten Roman "Onkel Toms Hütte". Kendi bemerkt dazu über die Autorin:

"Harriet Beecher Stowe behauptet in diesem Buch immer wieder, dass Schwarze aufgrund ihrer intellektuellen Unterlegenheit Weißen spirituell überlegen seien" (S. 211).

Auch darin sieht er eine rassistische Prägung von einer erklärten Sklaverei-Gegnerin.

Während diese Deutung hier noch gut nachvollziehbar ist, gilt dies weniger für andere Interpretationen. So erwähnt Kendi hier Obamas Ermahnung an schwarze Väter zu mehr Pflichtgefühl gegenüber ihren Kindern. Zutreffend meint der Autor, dass er dies sicherlich nicht gegenüber weißen Vätern geäußert hätte. Gleichwohl müssen auch derartige Mahnungen - sofern sie auf belegbaren Fakten beruhen - ohne derartige Zuordnungen möglich sein.

Indessen verdient die Erweiterung der von Kendi gewählten Perspektive große Aufmerksamkeit. Gleiches gilt für seine Auffassung, wonach weder Aufklärung noch Selbstaufopferung noch Selbstverbesserung den Rassismus zurückgedränt hätten. Er setzt auf das Eigeninteresse: Antirassisten müssten an der Macht, "eine antirassistische Politik zum allgemeinen Gesetzesgrundsatz" (S. 546) machen. Hier bleibt der Autor etwas diffus. Als Historiker ist es indessen nicht seine Aufgabe, ein solches Konzept vorzulegen. Dafür liefert er einen inhaltlich wie methodisch neuen Blick auf ein altes und doch aktuelles Thema.

Ibram X. Kendi, Gebrandmarkt. Die wahren Geschichte des Rassismus in Amerika, München 2017 (C. H. Beck-Verlag), 604 S., 34 Euro