Vor dieser Kritik stehe ich ratlos. Gewiss, Fischer will Wedel vor (weiteren) Angriffen in Schutz nehmen, und er leidet mit Wedel unter dessen "sozialer Vernichtung". Mitleid haben kann man mit jedem, dem Schlimmes widerfährt, z. B. eine Freiheitsstrafe aufgrund eines Urteils oder die gesellschaftliche Ächtung nach Presseberichten. Aber auf den (ausgedruckten) 24 Seiten der Angriffe Fischers auf die verantwortlichen Redaktionsmitglieder finde ich nirgends die schlechthin entscheidende und ganz einfache Frage: rechtmäßig oder rechtswidrig? Waren die Personen, die für Wedels Leid verantwortlich sind, mit ihrem Handeln im Recht oder haben sie das Recht gebrochen? Wäre Letzteres richtig und überzeugend begründbar, dann hätte Fischer den Rechtsbruch zum Tenor seines Verrisses gemacht und er wäre bei solcher Schlagkraft mit weniger als 24 Seiten ausgekommen. Natürlich hätte er dann auch dem Dr. Wedel geraten, zwecks Auferstehung aus der "sozialen Vernichtung" die Unrechtstaten manifest zu machen durch Strafanträge wegen "Verleumdung" und "Übler Nachrede". Aber Fischer erwähnt diese Delikte gar nicht und behauptet nicht einmal, dass die betreffenden Personen rechtswidrig die ehrenrührigen Behauptungen aufgestellt bzw. verbreitet haben. In dieser Zurückhaltung liegt das Zugeständnis der Rechtmäßigkeit: Die betroffenen Frauen, davon ist auszugehen, durften die Anschuldigungen erheben; die ZEIT durfte die Texte, so wie sie geschrieben sind, veröffentlichen, sie bewegte sich damit im Spielraum erlaubter Verdachtsberichterstattung.
Dass Fischer dies stillschweigend einräumt, kann nicht überraschen. Denn auf die Schlüsselfrage: "Lügen die Anklägerinnen?", kann man nur eine seriöse Antwort geben, und das ist die Antwort, die die ZEIT gegeben hat: Nein, davon ist nicht auszugehen, Wedel hat "mutmaßlich" die sexuellen Übergriffe begangen, "höchstwahrscheinlich" sprechen die ihn beschuldigenden Frauen die Wahrheit, mögen auch bei den konkreten Tatschilderungen nach so langer Zeit Ungenauigkeiten unterlaufen sein. Dass die Frauen sich alles nur ausgedacht und ein Lügengebäude errichtet haben, um einen unschuldigen Mann, dem Gewalt und sexuelle Übergriffe fern liegen, zu vernichten, das ist abwegig, eine Verschwörungstheorie. Ich wage zu behaupten, dass dies auch niemand wirklich glaubt. Übrig bleibt nur die Binsenweisheit, dass es, wie überall im Leben, z. B. auch bei einer rechtskräftigen Verurteilung, keine vollkommene Gewissheit gebe. Aber darauf kann man natürlich nicht das Urteil stützen, die ZEIT habe mit ihrer Berichterstattung rechtswidrig gehandelt, und Fischer tut gut daran, dies auch nicht zu behaupten.
"Ich bestreite nicht, dass es euer Recht war, die ehrenrührigen Anschuldigungen zu publizieren und für glaubhaft zu befinden, aber ihr hättet es nicht tun sollen, weil Dieter Wedel darunter schrecklich leidet." Das ist im Kern der Vorwurf, den Fischer der ZEIT macht. Aber auch in dieser Form, befreit von aller eifernden Polemik, ist es ein ungerechter Vorwurf. Man muss bedenken, dass die Autorinnen und Autoren der ZEIT-Artikel sich von der Ehrlichkeit der Frauen überzeugt haben. Also mussten sie davon ausgehen, dass die Frauen, als Opfer Wedel'scher Gewalt, ihrerseits schweres Leid erfahren haben und Wedel das "Prangerleid", das er nun erfährt, durch seine Übeltaten selbst verschuldet hat.
Sorgfalt der Berichterstattung
Skandal- und Verdachtsberichterstattung ist ein alltägliches Geschäft der Medien. Wo es um Straftaten geht, da warten sie nicht auf das richterliche Urteil, das oft ja auch, wie hier wegen der Verjährung, gar nicht zu erwarten ist. Als ich im Januar die ZEIT-Aufsätze zum Fall Wedel las, war mir klar, auf welch heikles Unterfangen die ZEIT sich eingelassen hatte – "im Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen und der Pressefreiheit" (Elisa Hoven). Nach der Lektüre aber war mein Urteil, dass die Verantwortlichen die übernommene Aufgabe wahrhaft vorbildlich gelöst haben. Man hatte nach meinem Eindruck gründlich recherchiert, die Gespräche, worin die Frauen ihre Erlebnisse schilderten, zweifelnd und skeptisch geführt, Herrn Wedel jede Gelegenheit zur Gegendarstellung eingeräumt und sein schlichtes Bestreiten vollständig wiedergegeben. Die "pressemäßige Sorgfalt", die der BGH fordert, schien mir gewahrt. Und nun die Beurteilung bei "Hart aber fair" und bei Meedia! Sie ist mir "unfassbar", um Monika Frommels Verdikt aufzugreifen und umzukehren. Frommel und Fischer differenzieren nicht, sie missbilligen die Artikel pauschal und sagen von keinem Verdachtsbericht, dass es gut war, ihn zu erstatten.
Z. B. der Bericht über das Gewalterlebnis, das die Zeugin Esther Gemsch im Dezember 1980 gehabt zu haben behauptet. Ihre Schilderung gibt die ZEIT in indirekter und direkter Rede wie folgt wieder: "Wedel habe sie in sein Zimmer gerissen, die Tür abgeschlossen, sie auf das Bett geworfen und versucht, ihre Hose zu öffnen und herunterzuziehen. Sie habe sich mit aller Kraft gewehrt. 'Er setzte sich rittlings auf mich, packte meinen Kopf bei den Haaren und schlug ihn immer wieder aufs Bett, einmal auch an die Wand und dann einmal auf die Bettkante. Er hat mir ins Gesicht gespuckt, seinen Speichel wieder abgeschleckt und gesagt: Wenn du mich küsst, kriegst du Schokolade'. Er habe sie als 'Drecksau' beschimpft. Mit ihrer Halswirbelsäule sei sie so hart auf die Bettkante geprallt, dass sie sich vor Schmerzen und Angst nicht mehr habe rühren können … 'Es ist ihm nicht gelungen, in mich einzudringen.' Am Ende verschwimmt ihre Erinnerung. Sie sagt, dass sie nicht mehr weiß, wie sie aus dem Zimmer gelangt sei und den Weg in die Lobby gefunden habe" (DIE ZEIT v. 25.1.2018, Der Schattenmann).
So ins Einzelne gehend hat es Frau Gemsch der sie befragenden und ihr zuhörenden Gesprächspartnerin geschildert. Was gab es weiter zu "ermitteln"? Die allein sinnvolle Frage war, ob Esther Gemsch gelogen oder ehrlich berichtet hatte. Die Journalistin hat, auch wegen bestätigender Fakten (u. a. ein ärztliches Attest zu einer folgenschweren Halswirbelverletzung), die Überzeugung gewonnen, dass Esther Gemsch ehrlich war. Das glaubten ebenso fast alle Leser. Das Ganze für böswillig "erstunken und erlogen" zu halten, kam nach der Lektüre für kaum jemanden ernstlich in Betracht. Wohl aber für Thomas Fischer. Er entnimmt dem Abschnitt nichts als ein großes Versäumnis. Aus dem Text zitiert er ein paar Sätze und knüpft daran über zwanzig Fragen, für die er beansprucht, dass sie bei einer Wahrheitsermittlung auf justiziellem Niveau hätten gestellt werden müssen, um ggf. Wedels Unschuld zu erweisen. Etwa zum misslungenen "Eindringen": "Hat er das überhaupt versucht?" "Wurde die Hose heruntergezogen?" Oder zur Misshandlung des Kopfes: "Warum 'schlägt' ein potenzieller Vergewaltiger den Kopf seines Opfers 'auf das Bett', also auf eine weiche Unterlage?" "Was hat sich situativ verändert, als der Beschuldigte den Kopf des Opfers 'gegen die Wand' schlug?" Wie ist die Zeugin aus ihrer Bettlage "heraus und 'an die Wand' gelangt? Warum schlug der Beschuldigte ihren Kopf gegen die Wand? Wie machte er das? Gegen welche Wand schlug er sie?" Wieso überhaupt dieser Übergang "zu einer wegen der möglichen Spurenlage auch für ihn selbst sehr gefährlichen Gewaltvariante?" Oder zum Aufprall auf die Bettkante: Hatte "das betreffende Hotelbett 'Bettkanten' …, die hierfür in Frage kamen?" "War die Zeugin am ganzen Körper bewegungsunfähig?" "Wie lange …?" Elisa Hoven sieht "eine Vielzahl banaler Erklärungen", die Antwort geben, und sie sieht unter den Fragen keine einzige, "die eine sachlich berichtende Zeitung zum Anlass für Zweifel nehmen müsste". In der Tat: Weil Wedel der Wahrheitsfindung zu dienen nicht bereit war, hätten alle Fragen Esther Gemsch, der einzigen Zeugin des Tatgeschehens, gestellt werden müssen. Wo sie überhaupt etwas hätte sagen können, da hätte es die strafrechtliche Beurteilung in nichts verändert. Vielleicht hätte sie geantwortet: Ja, er hat es versucht, aber vergeblich, ich hab' ja mit aller Kraft die Hose festgehalten. – Das brutale Schütteln und Rütteln meines Kopfes war schrecklich genug, auch ohne harten Aufprall. – Das Bett stand direkt an der Wand, und beim Dagegenschlagen hielt er meinen Kopf weiterhin an den Haaren gepackt. – An das Ausmaß meiner Bewegungsunfähigkeit kann ich mich nicht mehr genau erinnern. – Die Fragen, die Fischer der Journalistin ansinnt, hätten keiner relevanten Wahrheitsfindung gedient, sie hätten einen rein advokatorischen Sinn gehabt.
Im Zweifel für den Angeklagten?
Frommel und Fischer hätten die ZEIT-Aufsätze vielleicht akzeptiert, wenn ein medialer Freispruch herausgekommen wäre – nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" und in Analogie zum gerichtlichen Freispruch Jörg Kachelmanns vom Vorwurf der Vergewaltigung. Aber hier verkennen die Kritiker die Sachlage. Im Fall Kachelmann schwand die Glaubwürdigkeit der einzigen Anklägerin im Laufe der Ermittlungen, und es blieb am Ende der starke Verdacht, dass die Anschuldigung eine böswillige Lüge war. Im Fall Wedel dagegen haben die Recherchierenden ihre anfänglichen Zweifel überwunden und eine kaum zu erschütternde Glaubwürdigkeit der Frauen erkannt. Zu schreiben "vielleicht eine Verleumdungskampagne, vielleicht hat Wedel den Frauen gar nichts getan", wäre eine Irreführung des Lesers gewesen, weil die Autorinnen an das "vielleicht" ja gar nicht geglaubt hätten. Dass unser Rechtsstaat, wo immer es darauf ankäme, auch jetzt noch an der "Unschuldsvermutung" zugunsten Wedels festhielte, ist klar – obwohl man dafür den Preis einer glatten Antinomie zahlen muss: Weil für die Straftat der Verleumdung das Gleiche gilt, ist zugunsten der Anklägerinnen zu vermuten, dass sie die Wahrheit sagen, was wiederum zu Lasten Wedels eine Schuldvermutung zur logischen Folge hat.
Die Kritik an der ZEIT hat eine deutliche Stoßrichtung. Mit Schlagworten wie "Unschuldsvermutung", "Vorverurteilung", "Anmaßung", "Tribunal", "öffentlicher Prozess", "mediales Todesurteil" fordert man von der Redaktion Respekt vor einem strafprozessrechtlichen Grundsatz: Bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt der Verdächtige als unschuldig, und darum ist er möglichst vor jeder Belastung zu bewahren. Ein Pressebericht über einen Nichtverurteilten und über die ihm vorgeworfenen Straftaten, so meint man, darf deshalb nicht so gefasst sein, dass er die Überzeugung des Autors ausdrückt und beim Leser die Überzeugung schafft, der Beschuldigte sei schuldig. Das wäre eine "Vorverurteilung", die ihn "an den Pranger stellt". Aber Kritik und Forderung gehen fehl. Schon die Justiz selbst kann die vorzeitige Anprangerung nicht vermeiden; man denke nur an Anklageerhebung, Inhaftierung und öffentliche Verhandlung. Und der Richter kann sogar verpflichtet sein, trotz fortlaufender Unschuldsvermutung seine Überzeugung auszudrücken, dass der Angeklagte schuldig sei. Er muss das immer dann, wenn er ein bestrafendes Urteil fällt, dem noch die Rechtskraft fehlt.
Der Verurteilung des weiterhin als unschuldig geltenden Angeklagten, der sich dagegen noch durch Rechtsmittel wehren kann, entspricht bei der "Vierten Gewalt" der durch "Üble Nachrede" belastende Bericht, dem der Betroffene einen Strafantrag entgegensetzen kann. Der Richter muss sich aufgrund der Ermittlungen eine Überzeugung bilden, und wenn er sich von der Schuld des Angeklagten überzeugt hat, muss er es ausdrücklich sagen, obwohl er doch weiß, dass die Unschuldsvermutung andauert. So ist auch vom berichtenden Journalisten zu fordern, dass er sich zu der Überzeugung bekennt, die er aufgrund seiner Recherchen gewonnen hat. Ihm dann die geäußerte Überzeugung, die Zeuginnen seien ehrlich, der Beschuldigte habe die Taten wirklich begangen, als "Voreingenommenheit" oder "Vorverurteilung" vorzuwerfen, ist genauso töricht, wie wenn man so den Richter kritisieren würde, der in erster Instanz den die Tat bestreitenden Angeklagten verurteilt hat. Darum ist mir unverständlich, weshalb sich Fischer darüber empört, dass die Berichte der ZEIT eine Überzeugung ausdrücken und sie für die Veröffentlichung entscheidend sein lassen. Wenn sich eine Überzeugung ergeben hat, dann darf und soll man es sagen. Nachdem sie anfangs gezweifelt hatten, waren die Autorinnen beim Schreiben der Artikel von der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen überzeugt, was Fischer als "vernichtendes Ergebnis" bezeichnet. Und Fischers Vorwurf, dass dieses Ergebnis "sogar immer wieder als Voraussetzung (!) der Veröffentlichung genannt wird", ehrt die ZEIT. Schon wenn ein Zweifel an der Ehrlichkeit der Frauen zurückgeblieben wäre, hätte man Wedel den Schmerz der öffentlichen Beschuldigungen nicht angetan, obwohl man es auch dann im Rahmen einer "Verdachtsberichterstattung" gedurft hätte.
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich denke, dass die Darstellung des Falles „Wedel“ ein wenig zu kurz greift und den Sachverhalt ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände gerade dieses Falles würdigt.
„Eine "Verdachtsberichterstattung" ist den Medien prinzipiell erlaubt und kann geradezu ihre Aufgabe sein.“
Grundsätzliche Zustimmung, doch müssen Medien den Einzelfall berücksichtigen. Es gibt genügend Fälle, in denen gerade im „kitzligen“ Bereich der Sexualstraftaten Existenzen oder zumindest Karrieren dauerhaft beschädigt wurden. Ich denke hier an die Fälle Kachelmann, Karl Dall und Andreas Türck. Entschädigten diese anschließend die Medien für ihre Form der Berichterstattung? Ich habe nichts gehört davon. Es gibt auch deutlich weniger prominente Fälle, in denen durch Falschaussagen Personen geschädigt wurden, teilweise auf eine Art, die gar nicht mehr zu heilen ist. D.h. nicht, dass Männer nicht auch Täter sein können, mir geht es um einen etwas sensibleren Umgang mit einer in jedem Fall unvermeidbaren medialen Vernichtung.
Es ist halt ein extrem schwieriges Gebiet – für Opfer und Täter sowie für alle den Fall im Nachhinein beurteilenden Institutionen -, ein Gebiet, in dem viel Schlimmes geschieht, das aber auch zahllose Missbrauchsmöglichkeiten für vermeintliche Opfer bietet. Daher ist aus meiner Sicht die Tendenz, dass man Opfer und (vermeintliche) Täter konsequent aus der Öffentlichkeit heraushält, um deren Privatsphäre zu schützen, geboten. Dies dient ja auch dem Opferschutz, wenn Frauen (oder auch betroffene Männer) ohne die Demütigung einer öffentlichen Verhandlung aussagen dürfen - psychologisch begleitet.
Wenn ein Autokonzern-Manager verdächtigt wird, etwas vom Dieselskandal gewusst zu haben oder ein Politiker, er sei korrupt, dann besteht in der Tat ein öffentliches Interesse, hier mittels Verdachtsberichterstattung Öffentlichkeit herzustellen. Warum aber auf einem Gebiet, das von seiner Natur her schon sehr schwer objektiv zu beurteilen ist und das die Gemüter massiv hochkochen lässt?
„Aber abgesehen davon, dass es darauf für die Legalität einer Verdachtsberichterstattung nicht ankommt, würde uns nicht einmal ein Wedel’sches Geständnis eine absolute Gewissheit verschaffen.“
Wenn die schiere Aussage einer Zeugin, die gleichzeitig das Opfer ist (oder vorgibt, eines zu sein), ausreicht, zum Schaden von Personen Bericht zu erstatten, dann würde doch ein Geständnis dreimal ausreichen, diese Geschichte abzurunden, zumal es absolute Gewissheit sowieso nicht geben kann.
„Angenommen, Dieter Wedel hat die behaupteten Straftaten tatsächlich begangen und die ZEIT hat keine Lügen verbreitet. Dann haben die Frauen durch die Bezichtigung Wedels ihr gutes Recht ausgeübt, so, wie die ZEIT mit ihrer Verdachtsberichterstattung.“
Spätestens an dieser Stelle muss zur Beurteilung des Vorgehens im Fall Wedel auch die Person Berücksichtigung finden. Die Schwierigkeit bei einer Urteilsfindung ist ja korrekt dargestellt. Doch welches ist das Strafmaß? Es ist eben nicht mehr so, dass man in Deutschland in alttestamentlicher Manier entweder freigesprochen oder zum Tode verurteilt wird. Gerichte sind aufgerufen, sehr differenziert ein Strafmaß zu verhängen, das vielerlei Ansprüchen genügen muss. Dabei steht auch im Blickfeld des Gerichts, die soziale Zukunft des Täters nicht unnötig zu gefährden. Was ist mit Resozialisierung im Fall eines Schuldspruchs? Der öffentliche Pranger verhängt bei Prominenten in Sexualstraffällen immer die Höchststrafe: u.U. lebenslanges Berufsverbot. Selbst im Fall eines gerichtlichen Freispruchs.
„Es ist ein historischer Fortschritt, dass ein Straftatopfer heute die Wahl hat, ob es Genugtuung vor Gericht sucht oder ob es sich an die "Vierte Gewalt" wendet.“
Hier stimme ich unumwunden zu, doch sollte hier mehr die Einzelfallprüfung im Mittelpunkt stehen. Oder die „Vierte Gewalt“ schließt – ähnlich wie Ärzte und Juristen – eine Berufshaftpflichtversicherung ab, aus der sie nachgewiesene Opfer ihrer Berichterstattung lebenslang alimentieren.
„Doch diese Verfahren treiben die betroffene Frau oft in die Verzweiflung. Sie ist das Opfer, sie kennt die objektive Wahrheit, sie weiß, dass der Beschuldigte ihr sexuelle Gewalt angetan hat.“
Wie muss sich ein Opfer fühlen, dessen (z.B.) Vergewaltigung Gegenstand öffentlicher Debatten wird – auf dem Titel der BILD-Zeitung? Ist das nicht demütigender? Oder basiert die Genugtuung, den (vermeintlichen) Täter an den Pranger gestellt zu haben, auf Rachegefühlen? Gefühlen also, die eine sich nicht mehr als Rachejustiz empfindenden Gerichtsbarkeit nicht (mehr) befriedigen kann?
Außerdem taucht hier ein Begriff auf, der m.M.n. falsch ist: objektive Wahrheit. Gerade bei Sexualhandlungen im weitesten Sinne ist Objektivität schwer herstellbar, selbst für die Betroffenen. Kein Paar, das sich zum Stelldichein trifft, geht vorher zum Notar, wo die Grenzen und Ziele der beabsichtigten sexuellen Handlung definiert werden. Und gerade im Bereich Sexualität gehen die Vorstellungen der Menschen weit auseinander, was legal, gewünscht, erhofft oder geduldet ist. Die Fantasie reicht aus, um sich die Bandbreite sexueller Praktiken vorzustellen, selbst wenn ich immer ein legales Alter und Freiwilligkeit voraussetze.
Außerdem können sich nach dem Akt Umstände ergeben, die die Eigenbeurteilung verändern. Lange Zeiträume und weitere Faktoren können hier ebenfalls zu massiven Veränderungen der „objektiven Wahrheit“ führen. Das ist Lebenswirklichkeit. Hinzu kommen - gerade im Filmgeschäft – gewisse Gepflogenheiten, die man gut oder schlecht finden mag, die aber Teil des „Geschäfts“ sind. Ich denke an die berühmte „Besetzungscouch“, gegen die man vor der „MeToo-Debatte“ nichts gehört hat. Ich will das auch ethisch gar nicht bewerten, aber solange sich z.B. Produzent oder Regisseur und künftige Schauspielerin einig waren, dass dies zum wechselseitigen Nutzen sei – und wenn die Äußerungen der Frau vom Mann so verstanden werden konnten -, dann wüsste ich kein Argument, das dagegen spräche.
Gerade im Fall Weinstein ist mir aufgefallen, dass viele Kommentatorinnen sich heutige Fotos des Mannes anschauen und sagen, mit dem würde doch keine Frau freiwillig ins Bett gehen. Dabei wird gerne vergessen, dass der Mann zum Zeitpunkt der behaupteten Vorkommnisse 25 bis 30 Jahre jünger war und durchaus gut aussah. Außerdem werden – ich kenne mich in der Branche aus – ab einem gewissen Promistatus Männer derart von Frauen belagert, dass sie eher das Problem haben, diese abzuwimmeln. Auch in der Musikszene ist dieses Phänomen bekannt. Die Notwendigkeit zu einer Vergewaltigung ist also gar nicht gegeben.
Eine Ausnahme mögen abartige sexuelle Wünsche der Männer sein, die ihre Lustbefriedigung im Quälen von Frauen suchen. Weinstein gehört meinem Kenntnisstand nach nicht zu diesem Typ Mann und ob Wedel dazu gehört, weiß ich nicht. Möglich ist das natürlich.
„Nun haben die meisten einen zusätzlichen und ganz banalen Grund, den anderen Weg zu gehen: die Verjährung der behaupteten Straftaten. Nach ihrem Eintritt verliert das Opfer ja keineswegs das Recht, den Täter öffentlich anzuklagen und sich so von einer Last zu befreien.“
Das halte ich für eine gewagte Aussage. Die Verjährungsfrist beträgt bei den angeklagten Straftaten 20 Jahre. Das ist ausreichend Zeit, es sich hundertmal anders zu überlegen und dann doch Strafanzeige zu stellen. Und hat man ab dem 21. Jahr tatsächlich noch eine halbwegs objektive Erinnerung an die Vorkommnisse? Diese Verjährungsfristen wurden ja nicht zum Spaß festgelegt. Der Gesetzgeber weiß auch, dass jedem das Gedächtnis einen Streich spielen kann, wenn Ereignisse lange zurückliegen. Außerdem - ich unterstelle mal gezielte Rachegefühle – wird es nach Ablauf der Verjährungsfrist kein Gerichtsurteil geben, wodurch auch der vermeintliche Täter nicht evtl. freigesprochen wird.
„... sondern nur die Publizierung des Vorwurfs, wogegen der Betroffene – anders als bei einem rechtskräftigen Urteil – sich wehren kann.“
Wie sollte dies bei einem Sexualstrafverfahren geschehen? Wie gut konnte sich Jörg Kachelmann selbst nach seinem juristischen Freispruch gegen seine öffentliche Demontage wehren gegen seine gezielte Ausgrenzung in den Medien?
„Dieter Wedel kann, wie einst Jörg Kachelmann, den Spieß umdrehen. Er kann Strafanträge stellen wegen "Übler Nachrede" bzw. "Verleumdung" (§§ 186, 187 StGB).“
Und was hätte er davon? Was hatte Jörg Kachelmann davon? Ist er wieder der beliebte Wetteronkel, der er vor den Anschuldigungen war? Gerade bei Prominenten ist es weltfremd anzunehmen, sie würden durch welche juristische Methode auch immer wieder in ihren alten Stand und in ihr altes Ansehen versetzt werden.
„Nach § 186 StGB ist strafbar, "wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen … geeignet ist …"“
Dass Falschaussagen strafbar sind, hat keinen heilenden Effekt für das Opfer der üblen Nachrede. Ich denke hier auch an den Fall Andreas Türck, der auf Basis einer Falschaussage selbst nach seinem Freispruch acht Jahre ein Quasi-Berufsverbot als TV-Moderator bekam, mit entsprechendem Honorarausfall. Es ist einfach albern anzunehmen, Prominente könnten nach haltlosen Anschuldigungen einer Sexualstraftat in ihr altes Leben zurückkehren. Hätte Uli Hoeneß, statt Steuern zu hinterziehen, eine Frau sexuell belästigt (so dass er nach zwei Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt worden wäre), dann wäre er jetzt kaum mehr Präsident von Bayern München.
„Natürlich hätte er dann auch dem Dr. Wedel geraten, zwecks Auferstehung aus der "sozialen Vernichtung" die Unrechtstaten manifest zu machen durch Strafanträge wegen "Verleumdung" und "Übler Nachrede".“
Was keinen Effekt gehabt hätte. Dies mag bei unbekannten Personen zu einer Genugtuung führen (weil deren Fälle auch nicht diese mediale Aufmerksamkeit erregen), aber Prominente haben keine Chance. Das sagt nichts darüber aus, ob Wedel gegen den erklärten Willen von Frauen Sex mit ihnen hatte oder nicht.
„Im Fall Kachelmann schwand die Glaubwürdigkeit der einzigen Anklägerin im Laufe der Ermittlungen, und es blieb am Ende der starke Verdacht, dass die Anschuldigung eine böswillige Lüge war.“
Mir geht es darum, gerade an diesem Fall zu zeigen, dass eine wie auch immer geartete „Reinwaschung“ eines prominenten Opfers (weil er nicht der Täter war) keinerlei heilenden Effekt hat. Kachelmann und Andreas Türck konnten ihr altes Leben nicht fortsetzen. Wenn Wedel die vorgeworfenen Taten begangen hat, dann soll er dafür büßen...
Klaus Müller am Permanenter Link
Man sollte auch nicht vergessen, dass die „Zeit“ mit der ganzen Geschichte eine Menge Geld verdient.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Etwas lang, lieber R. D. Herzberg, aber gut begründet - vielen Dank!
Ulf am Permanenter Link
Eins vorweg: Das Wort Verdachtsberichterstattung gehört für mich zum Anwärter auf das Unwort des Jahres.
Sehr geehrter Autor, ich habe mir ihre Argumentation erlesen und durchdacht, finde diese aber nicht überzeugend und kann dieser daher nicht zustimmen.
Eine Verdachtsberichterstattung eines solchen Mediums wie der Zeit mit klarer Seitenwahl und Suggestivvorverurteilung ist durch nichts zu rechtfertigen. Insgesamt gesehen überzeugt mich in diesem Fall die Kritik von Herrn Fischer.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie manche rechtlichen Begriffe, die einer bestimmten Sphäre zugehören, auf völlig andere Sphären angewandt werden, um eine gewünschte Argumentationsgrundlage zu schaffen.
Und ebenso erstaunt es mich, dass die Debatte um die ZEIT-Veröffentlichung von gestandenen Juraprofessoren mit dem Schlagwort der Unschuldsvermutung geführt wird. Denn das ist ein strafprozessual zu verortender Sammelbegriff für bestimmte rechtsstaatliche Prinzipien, die der Gewährleistung eines fairen ordentlichen Gerichtsverfahrens dienen sollen. Der Begriff selbst ist im Straf- und Strafprozessrecht nicht kodifiziert. Die Lehre zählt dazu - ohne Vollständigkeitsanspruch - wesentliche Elemente wie Verbot der Schuldantizipation, hohe Legitimationsanforderungen an die Untersuchungshaft, Selbstbelastungsfreiheit, den Grundsatz in dubio pro reo sowie die Sicherung eines fairen Verfahrens bei Vermögenseinziehung. In der Sphäre des Strafrechts, wohlgemerkt.
Danke deshalb an den Autor, dass er die vielfältigen Verflechtungen rechtlicher Natur, die ein Öffentlichmachen nicht justizanhängiger Vorwürfe mit sich bringt (bringen kann), jenseits des falschen Schlagwortes von der "Unschuldsvermutung" offenlegt. Hier gibt es - wie gezeigt - ein Wechselspiel von (möglichen) Reaktionen und Gegenreaktionen, aber keinen a-priori-"Maulkorb" namens Unschuldsvermutung. Auch nicht motiviert von Verständnis für die sozialen Folgen eines solchen Vorganges.
Atreo am Permanenter Link
Sehr geeherter Herr Endruscheit,
um es ganz kurz zu machen: warum?
Ist die Unschuldvermutung denn nicht etwas, dass wir auch im normalen Alltag anwenden und Wertschätzen? Wiso muss eine Zeitung in so einer Form berichten, wenn damit das komplette soziale leben (wie wir es bei Kachelmann gesehen haben) eines möglicherweise Unschuldigen zerstört wird?
Lars Temme am Permanenter Link
Herr Herzberg,
ein wesentlicher Zug der MeToo-Debatte ist es, dass die verschiedenen Parteien nicht einmal versuchen, die anderen zu verstehen. Sie bilden da keine Ausnahme. Sie schreiben u.a.:
"Gründlicher [als die ZEIT] hätten auch Staatsanwälte und Richter nicht ermitteln und sich am Ende eine Überzeugung bilden können."
Doch, Thomas Fischer hat in einem seiner Artikel genau das ausführlich erklärt; Sie zitieren ja sogar aus den entsprechenden Passagen! Als ehemaliger Bundesrichter dürfte er Ahnung davon haben, welche Fragen in einem Strafprozess zum Zweck der Wahrheitsfindung gestellt werden. Diese Fragen als "advokatorisch" abzutun, finde ich ziemlich billig. Zumal Sie selbst ja an anderer Stelle zugeben:
"Zwar gibt es [im Journalismus] Ähnlichkeiten mit den Verfahren der Justiz (deren Ermittlungstätigkeit war für die ZEIT erklärtermaßen das Vorbild), aber natürlich arbeitet eine Zeitungsredaktion, wenn sie einem Straftatverdacht nachgeht, anders als ein Gericht."
Ja was denn nun - ermitteln Journalisten so sorgfältig wie die Justiz oder nicht? Klare Antwort: Nein. Aber das scheinen Sie nicht sehen zu wollen.
Fischer hat sich in seinen Artikeln meines Erachtens nicht per se gegen die Verdachtsberichterstattung der ZEIT gestellt, sondern gegen den Tenor dieser Verdachtsberichterstattung, der eben nicht nur einen Verdacht aufwarf, sondern den Verdacht bereits für erwiesen hielt. Auch ich habe nichts gegen Verdachtsberichterstattung, aber sie muss Raum für die Unschuldsvermutung lassen, um einer vorschnellen Verurteilung des Beschuldigten durch die Öffentlichkeit vorzubeugen. Das ist im Fall Wedel gründlich misslungen. Ihr Artikel ist ein trauriger Beleg dafür. "Das [die Tatvorwürfe] glaubten ebenso fast alle Leser. Das Ganze für böswillig "erstunken und erlogen" zu halten, kam nach der Lektüre für kaum jemanden ernstlich in Betracht"- für Sie anscheinend ebenfalls nicht.
Haben Sie sich eigentlich einmal die Frage gestellt, was ist, wenn Dieter Wedel eben doch unschulig ist? Wie macht die ZEIT den angerichteten Schaden dann wieder gut? Antwort: Gar nicht, denn der Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Dass dem so ist, sieht man an Jörg Kachelmann. Eben das ist aber der Grund, warum man mit seinem Urteil zurückhaltend sein sollte. Die ZEIT, und Sie auch.
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich will Ihnen nicht das Recht abstreiten, die Vorwürfe für plausibel zu halten und dass auch kundzutun. Aber wenn Sie argumentieren "Weil Wedel keine Straftaten gesteht, konnte und kann man die Wahrheit nur über die Zeugenbefragung herausfinden" möchte ich Sie einmal mit einer Passage aus dem bekannten Theaterstück "Hexenjagd" von Arthur Miller konfrontieren. Ich zitiere sinngemäß und aus dem Gedächtnis: "Hexerei ist, ihrem Wesen nach, ein unsichtbares Verbrechen. Wer aber kann bei einem solchen Verbrechen Zeuge sein? Die Hexe - und das Opfer. Da wir aber kaum erwarten können, dass sich die Hexe selbst belastet, sind wir bei unseren Ermittlungen ganz auf die Aussagen des Opfers angewiesen." Ersetzen Sie den Begriff "Hexerei" durch "Vergewaltigung", und Sie beginnen vielleicht zu begreifen, warum Monika Frommel die Haltung der ZEIT als "historischen Rückschritt" ansieht.
Wenn Ihnen das nicht reicht, möchte Ich Sie auffordern, einmal zu überlegen, was Sie selbst verlangen würden, wie Journalisten bzw. die Öffentlichkeit vorzugehen hätten, wenn SIE von derartigen Vorwürfen betroffen wären - seine Sie nun schuldig oder nicht. Wägen Sie das anschließend ab gegen Ihre Erwartungen, wie Journalisten bzw. die Öffentlichkeit vorgehen sollten, wenn Sie selbst derartige Vorwürfe erhöben, als Opfer einer Straftat, aber möglicherweise auch als Falschbeschuldiger, und Sie sind einen großen Schritt weiter auf dem Weg zu der differenzierten Debatte, die Sie selbst zwar fordern, aber nicht im Ansatz einleiten.
Gruß
Lars Temme
Stefan am Permanenter Link
Sie schreiben:
d.h. wir sollten in Zukunft die Aufgaben von Staatsanwälte und Richter auf Journalisten übertragen - sind billiger und kommen wie dieser Fall zeig auch viel schneller zu einem Urteil. Gott sei Dank müssen die sich auch nicht um den Grundsatz scheren "In Zweifel für den Angeklagten". Schöne neue Medienwelt.
Gabriele Wruck am Permanenter Link
Allen, die den betroffenen Frauen hier potentiell eine Falschbeschuldigung unterstellen, sei gesagt, dass sie damit genau das betreiben, wovor sie die scheinbar ja schon als Falschbeschuldigungsopfer ausgemachten Wede
Wenn jemand aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt wird, bedeutet das keineswegs automatisch, dass die Anschuldigung nicht ihren Grund hatte.
Der Beschuldigte ist vom Staat nicht als Täter zu behandeln. Klare Sache.
Dennoch sagt das Opfer einer Tat, die nicht bewiesen werden konnte, deshalb noch lange nicht zwangsläufig die Unwahrheit.
Inwiefern es mit Humanismus zu tun hat, einem Menschen bei Strafandrohung zu verbieten, über etwas Schreckliches, das ihm widerfahren ist, zu sprechen, nur weil er es vor Gericht nicht beweisen konnte/kann, würde ich gern wissen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Allen, die den betroffenen Frauen hier potentiell eine Falschbeschuldigung unterstellen, sei gesagt, dass sie damit genau das betreiben, wovor sie die scheinbar ja schon als Falschbeschuldigungsopfer ausgemachte
ls und Kachelmanns dieser Welt beschützen möchten: Sie unterstellen den Frauen eine Straftat, die sie (im Übrigen mit viel größerer Wahrscheinlichkeit als umgekehrt) nicht begangen haben."
Einspruch! Ich unterstelle weder Frauen pauschal, Falschbeschuldigungen zu verbreiten, noch Männern, dass sie Sexstraftäter wären. Die Wahrscheinlichkeiten sind vermutlich auf beiden Seiten ähnlich verteilt, aber selbst dies wäre kein Argument.
Und dass ein Herr Kachelmann im Vorfeld hätte geschützt werden müssen, ist ja inzwischen aktenkundig. Geholfen hat ihm das nichts. Seine Falschbeschuldigerin kann sich ins Fäustchen lachen, denn sie hat ihm heftig eins ausgewischt.
"Wenn jemand aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt wird, bedeutet das keineswegs automatisch, dass die Anschuldigung nicht ihren Grund hatte."
Auch das wird niemand ernsthaft bestreiten. Doch wir haben gewisse Errungenschaften in unserem Rechtsstaat, die leider im Einzelfall nicht zu einer Gerechtigkeit führen, sondern bei denen "nur" Recht gesprochen wird. Wer indes Männern pauschal unterstellt, sie seien Sexmonster, begeht den gleichen Fehler, wie solche, die Frauen pauschal unterstellen, falsch zu beschuldigen. Da aber beides möglich ist, ist höchste Sensibilität im prozessualen Vorgehen notwendig. Eine Verdachtsberichterstattung verbietet sich daher im speziellen Bereich des Sexualstrafrechts.
"Der Beschuldigte ist vom Staat nicht als Täter zu behandeln. Klare Sache.
Dennoch sagt das Opfer einer Tat, die nicht bewiesen werden konnte, deshalb noch lange nicht zwangsläufig die Unwahrheit."
Das stimmt und tut dem Opfer natürlich weh. Ich habe auch schon Prozesse verloren, weil ich nicht gerichtsfest beweisen konnte, dass mir z.B. ein bestimmter Anspruch zusteht. Das tut immer weh, aus eigener Sicht ungerecht behandelt zu werden. Aber ich musste das runterschlucken, weil ich darauf hoffen darf, dass jeder diese Probleme haben kann.
"Inwiefern es mit Humanismus zu tun hat, einem Menschen bei Strafandrohung zu verbieten, über etwas Schreckliches, das ihm widerfahren ist, zu sprechen, nur weil er es vor Gericht nicht beweisen konnte/kann, würde ich gern wissen."
Wenn das dieser Person wirklich widerfahren ist, dann sehe ich darin höchstens Gründe des Schutzes der Persönlichkeit, die eine uneingeschränkte Veröffentlichung verbieten. Denn auch Täter sind Menschen, selbst Mörder. Wir können jeden Gedanken an Resozialisierung aufgeben, wenn wir Menschen lebenslang an den Pranger stellen. Wir alle kennen doch aus den Medien die hysterischen Reaktionen der Nachbarschaft, wenn herauskommt, dass ein verurteilter Sexualstraftäter, der seine Strafe verbüßt hat, in ihrer Nähe wohnt.
Aber es gibt eben auch nachgewiesenermaßen Fälle, in denen Frauen Männer - aus welchem Grund auch immer - falsch beschuldigten. D.h. es gibt eine gewisse Unsicherheit, ob die Taten auch wirklich so begangen wurden, wie vom Opfer behauptet. Und wenn diese Taten mehr als 20 Jahre zurückliegen, dann kann sich die Erinnerung so verschoben haben, dass das Opfer selbst glaubt, dass es missbraucht oder belästigt wurde.
Für mich ist Humanismus eine ethische Lebensweise, die Leid vermindert und nicht zusätzliches Leid produziert. Da die Verdachtsberichterstattung aber zusätzliches Leid produzieren KANN - und im Fall einer inhaltlich zutreffenden Berichterstattung aber kein Leid mindert (die Tat und die schrecklichen Erinnerungen werden ja nicht vom Opfer weggenommen, sondern eher neu befeuert) - bleibt für mich unter dem Strich eine Steigerung des Leids.
Versuchen Sie sich einmal in eine Person wie Andreas Türck hineinzuversetzen. Gerade noch war er ein beliebter, sympathischer Talkshow-Moderator und von einem Tag auf den anderen wird er aus der Bahn geworfen, bekommt acht Jahre lang keinen Fuß auf dem Boden, von enormen finanziellen Einbußen ganz abgesehen, nur weil eine Frau meinte, ihn falsch beschuldigen zu dürfen. Ich weiß nicht, welche Strafe die Frau dafür bekommen hat, aber sie hat ein Leben, eine Karriere zerstört. Ich selbst wurde - mit weitaus geringeren Konsequenzen - an einen Internet-Pranger gestellt und als schlechter Chef beschuldigt, weil ich einer Mitarbeiterin eine sexuelle Affäre verweigerte. Ein Humanist kämpft dafür, dass so etwas nicht geschieht.
Einem möglichen Opfer steht ja auch in meinem Weltbild der Gang zum Gericht offen. Das würde ja durch eine Einschränkung der Verdachtsberichterstattung keineswegs geschmälert. Natürlich ist dort die Hürde, eine Verurteilung durchzusetzen, höher, als in der Presse, die im Zweifel immer auf ihre Verkaufszahlen schauen muss. Es mag auch sein, dass das Gericht sich außerstande sieht, eine Verurteilung auszusprechen oder das Strafmaß ist zu gering. Das ist das, was wir in einem Rechtsstaat zu schlucken haben, so weh das tun mag. Ich als Humanist möchte nicht in die Zeiten einer Rachejustiz zurückfallen, in der es Willkür und gute Kontakte zur Presse leicht machen, gezielt Existenzen zu vernichten...
Trakiturnus am Permanenter Link
Ein kleiner Versuch der Erhellung
Wenn eine Frau tatsächlich so behandelt worden ist, wie das hier von
Frau Esther Gemsch zitierte, und die Frau dann sagen wir eine
Woche später wieder unter und mit ihrem Vorgesetzten und Peiniger
8 Stunden am Tag arbeitet, dann gibt Sie m.E. ihrem Peiniger und Vorgesetzten damit zu verstehen, dass er berechtigt war(ist) so zu handeln.
Und Sie muss ja damit rechnen, dass diese äußert bedrohliche Attacke, kein Einzelfall bleibt.
Hier scheint mir eine Mischung von Hyper-Ergeiz-Geltungs-Ruhm-
Gewinnsucht, Gefallen an der Ohnmacht b.z.w. dem Absoluten,
den Herrn über Ihr Leben und Sterben(Gottersatz/Guru) und somit
ein enorm moralisches Minderwertigkeitsgefühl vorhanden zu sein.
Gruselig, allein, sich das vorzustellen.
Eine wahrhaft armselige bedauernswerte Frau, wenn sie denn unter dieser Person weiter gearbeitet haben sollte, und vorausgesetzt
dass es so geschehen ist.
Es ist eben keine Seltenheit, dass z.B. Männer ihre Ehefrauen wie ein
Putzlappen behandeln, diese ihnen aber weiterhin völlig ergeben bleiben,
weit mehr als die Frauen eines herzlich liebevollen Mannes. ----
Ansonsten Sinnspruch: "Verwandtschaft, Volk und sonstige
Unternehmen
werden mehr durch Verschweigen
zusammengehalten
als durch reden/offenbaren,
d.h. auch: mehr durch Lüge
als durch Wahrheit."
Trakiturnus
In Dubio Pro Reo am Permanenter Link
Lieber Herr Herzberg, darf ich Ihren Beitrag auf ein paar wenige Zitate reduzieren?
>Beide meinen, dass die Vorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel "unbewiesen" seien
>die ZEIT hätte die "unbewiesenen Anschuldigungen" nicht publizieren dürfen.
>Problematisch und anfechtbar ist darum der (auch von anderen erhobene) Vorwurf, die ZEIT habe "unbewiesene" Anschuldigungen gegen Herrn Wedel publiziert und sich zu eigen gemacht.
>Man muss bedenken, dass gegebenenfalls Wedels Opfer zugleich die Zeugen seiner Straftaten sind.
>Sie greift das Vorgehen der ZEIT als empörend an, auch deshalb, weil trotz stärkster Verdachtsgründe der "Beweis" und die absolute Gewissheit fehlen.
>Angenommen, Dieter Wedel hat die behaupteten Straftaten tatsächlich begangen und die ZEIT hat keine Lügen verbreitet.
>Also mussten sie davon ausgehen, dass die Frauen, als Opfer Wedel'scher Gewalt, ihrerseits schweres Leid erfahren haben und Wedel das "Prangerleid", das er nun erfährt, durch seine Übeltaten selbst verschuldet hat.
Merken Sie was? ALLES an Ihrem Artikel impliziert, dass Wedel schuldig ist, obwohl der Beweis dafür, auch wenn Sie noch so oft das Gegenteil behaupten, fehlt. Alles ist nur aus der Sicht geschrieben für den fall, dass er schuldig ist, alles, was dies infrage stellt, wird hingegen runtergemacht. Bezeichnend dafür, wie sich die Wahrheit hier zurechtgelegt wird, sind auch Zitate wie "Gute Gründe und starke Indizien genügen, uns Überzeugungen und Beweise zu verschaffen." Was soll das denn heißen? Gute Grunde und starke Indizien genügen also, und die Beweise werden schon folgen, obwohl sie bislang fehlen? Auch das ist ganz klar Voreingenommenheit. Haben Sie schon mal die "Die 12 Geschworenen" gesehen als gutes Beispiel, wie starke Indizien am Ende dennoch nicht zur Verurteilung reichen?
Und damit sind Sie genau auf demselben Niveau wie die Zeit, der Herr Fischer genau diese manipulative, suggestive Berichterstattung vorwarf. Hätten Sie seine Artikel zum Thema sorgfältiger gelesen und vor allem verstanden, hätte das die Hälfte Ihres Aufsatzes obsolet gemacht. Bezeichnend schon, dass Sie Wörter wie "unschuldig" und "Beweis" stets in Anführungszeichen setzten. Schon das sagt einiges darüber aus, wie weit es bei Ihnen mit Unschuldsvermutung und In Dubio Pro Reo offensichtlich her ist.
Und ob diese Form der Berichterstattung wirklich so legal und unproblematisch ist, auch das haben nicht Sie, sondern Gerichte zu entscheiden. Herr Kachelmann hat gegen falsche und ungerechtfertigte Berichterstattung zu seinem Fall immer wieder juristische Siege eingeholt, und genau dieses Durchhaltevermögen wünsche ich Herrn Wedel auch - egal, ob er nun schuldig ist oder nicht, denn im Gegensatz zu Ihnen und der ZEIT lasse ich darüber die Gerichte entscheiden.