Eine Erwiderung

Noch einmal zur MeToo-Debatte und zum Fall Dieter Wedel

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Rolf Dietrich Herzberg veröffentlichte am 22. Juni 2018 im hpd einen längeren Artikel, in dem er sich mit der #MeeToo-Debatte und den Vorwürfen gegen den Regisseur Dieter Wedel auseinandersetzte. Die hier und heute veröffentlichte Erwiderung ist ein Kommentar auf die Reaktionen auf diesen Artikel.

Soweit die Kommentare mir widersprechen, haben sie einen gemeinsamen Nenner. Sie missbilligen mein Ja zu den Wedel-Artikeln der ZEIT und zu der Überzeugung, die darin zum Ausdruck kommt. Lars Temme vermisst den "Raum für die Unschuldsvermutung", den die ZEIT hätte lassen müsse. Ulf meint, eine Verdachtsberichterstattung, die eine "klare Seitenwahl" getroffen habe und eine "Suggestivvorverurteilung" ausspreche, sei "durch nichts zu rechtfertigen". Und Bernd Kammermeier riskiert sogar eine ganz rigorose These. Bei Sexualdelikten, die der Beschuldigte bestreite, sei "beides möglich", sowohl die Wahrheit wie die Falschheit der Anschuldigung. Das mache "höchste Sensibilität … notwendig". Darum verbiete sich "eine Verdachtsberichterstattung … im speziellen Bereich des Sexualstrafrechts". Das ist freilich unhaltbar. Man nehme an, der wegen vielfachen Kindesmissbrauchs Angeklagte bestreitet die Taten. Über das Strafverfahren zu berichten ist den Medien gewiss nicht verboten, sondern ist geradezu ihre Aufgabe. Was sie dann leisten, ist zwangsläufig "Verdachtsberichterstattung im Bereich des Sexualstrafrechts".

Um aber zunächst den Konsens in Sicherheit zu bringen: Die Kritiker gehen mit mir davon aus, dass die Vorwürfe gegen Wedel keine Lügen sind. Doch die Begründungen sind verschieden. Wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung erkenne ich an, dass die ZEIT, inzwischen in dieser Sache sogar preisgekrönt, "die Aufklärung auf sehr penible Weise unternommen" hat und dass man die Wahrhaftigkeit der Vorwürfe "aufgrund der Klarheit und der Vielzahl und Dichte der Aussagen annehmen" muss. Meine Kritiker geben statt dieser positiven nur eine negative Begründung. Sie halten generell am Zweifel fest und sehen sich nun auch für den konkreten Fall zu einem abenteuerlichen "es könnte ja sein" gezwungen; nämlich, dass z.B. Esther Gemsch sich alles nur ausgedacht, dass sie den unschuldigen Dieter Wedel auf das niederträchtigste verleumdet hat. Und nur, weil auch für sie die "Unschuldsvermutung" gilt, darf man ihr den Vorwurf nicht machen, den sie vielleicht verdient. Ich halte diese Begründung für falsch. Zugegeben, wir haben, wo es um Fakten geht, niemals eine vollkommene Gewissheit. Doch dieses Niemals ist ein philosophisch-theoretisches. Im praktischen Leben sind wir uns der Wahrheit vieler Aussagen vollkommen sicher. Etwa, wenn mir ein Freund mitteilt, dass seine Frau verstorben sei, oder wenn ein Richter den Akten das Geburtsdatum des Angeklagten entnimmt.

Hier liegt der Einwand nahe, dass mit solchen Aussagen, die anzuzweifeln kein Anlass bestehe, eine Behauptung wie die der Esther Gemsch nicht vergleichbar sei. Wenn eine Frau behaupte, sexuelle Gewalt erlitten zu haben, und der Beschuldigte den Vorwurf bestreite, dann stehe "Aussage gegen Aussage", was allemal echte Zweifel begründe. Auch die Medien müssten dann das rechtsstaatliche Prinzip der "Unschuldsvermutung" achten. Sie müssten in ihren Berichten den Zweifel betonen und nicht etwa ihre Überzeugung, dass der Vorwurf zutreffe. Dieser Einwand ist beachtlich, aber nicht berechtigt. Permanentes Bestreiten bewirkt keinen permanenten Zweifel. Es könnte sonst niemand, der die Tat bis zuletzt bestreitet, verurteilt werden. Sorgfältige Ermittlung oder Recherche kann den anfänglichen Zweifel beseitigen und dem Richter oder Journalisten die Überzeugung verschaffen, dass die Anklägerin die Wahrheit sagt und der Beschuldigte schuldig ist. Es wäre absurd und ethisch inakzeptabel, wollte man in dieser Lage vom Richter oder Journalisten verlangen, dass er seine Überzeugung verhehle und verbliebene Zweifel vortäusche. Aus dem Grundsatz der Unschuldsvermutung ist hier nichts herzuleiten. Das erkennt man an klaren gesetzlichen Regeln. Der Richter, der von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, hat die Pflicht, ihn durch Urteil schuldig zu sprechen, auch wenn dieser die Tat bestreitet und obwohl die Unschuldsvermutung, selbst bei einem Geständnis, bis zur Rechtskraft des Urteils andauert.

Lars Temme fragt mich: "Was ist, wenn Dieter Wedel eben doch unschuldig ist?"

Ja, das kann man nicht mit vollkommener Gewissheit ausschließen und könnte es nicht einmal, wenn Wedel sich auf Anfrage der ZEIT schuldig bekannt hätte. Auch vor Gericht gibt es ja falsche Geständnisse, die zur rechtmäßigen Bestrafung eines Unschuldigen führen. Aber man möge bedenken, dass die Verdachtsberichterstattung durch die ZEIT dank Wahrung aller der Presse gebotenen und "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" (§ 276 Abs. 2 BGB) ein erlaubtes, von der Pressefreiheit gedecktes Handeln war. Die Möglichkeit, dass der Bericht einen Unschuldigen beschuldigt, ist entsprechend ein sog. "erlaubtes Risiko". Wenn es sich realisiert, gibt es jedenfalls keine rechtliche Pflicht, "den angerichteten Schaden", was Temme zu verlangen scheint, "wiedergutzumachen". Ich gebe meinem Kritiker auf seine Frage aber noch eine zweite, ganz andere Antwort: Keine Sorge! Ein unschuldiger Dieter Wedel wird natürlich Strafverfahren wegen Verleumdung einleiten und das Lügengebäude seiner Feindinnen zum Einsturz bringen. Nur wer die ihm vorgeworfenen Straftaten tatsächlich begangen hat, legt keinen Wert auf gerichtliche Klärung und beschränkt sich auf das Abstreiten.

Aber der Gegenangriff, meint Bernd Kammermeier, brächte Wedel so wenig, wie er seinerzeit Jörg Kachelmann gebracht habe. Es sei eine weltfremde Annahme, dass Prominente die Möglichkeit hätten, durch irgendeine juristische Maßnahme "wieder in ihr altes Ansehen versetzt zu werden". Mag sein, aber Jörg Kachelmann hat sich darum bemüht und immerhin die gerichtliche Klärung und Feststellung erreicht, dass seine Bekannte gelogen und er keine Vergewaltigung begangen hat. Das war ihm eine tiefe Genugtuung. Was ich lebensfremd finde, ist die Annahme des Kommentators, das unschuldige Opfer einer Verleumdung könne an seiner "Reinwaschung" desinteressiert sein, weil sie "keinerlei heilenden Effekt hat".

Widerspruch provoziert hat auch mein Mitleid mit Frauen, die in Kenntnis der "objektiven Wahrheit" sich demütigender Verleugnung und Anzweifelung ausgesetzt sehen. Kammermeier verwirft den Begriff "objektive Wahrheit" als "falsch". "Gerade bei Sexualhandlungen im weitesten Sinne ist Objektivität schwer herstellbar, selbst für die Betroffenen... Die Vorstellungen der Menschen gehen weit auseinander, was legal, gewünscht, erhofft oder geduldet ist." Diese Kritik beruht auf einem Missverständnis. Kammermeier sieht nur die Fälle, in denen nach weitgehender Sachverhaltsklärung die rechtliche Bewertung der Tat und ihre Subsumtion unter den Straftatbestand problematisch ist. Es könnte sich etwa die Frage stellen, ob man das erwiesene Bedrängen schon als ein "Nötigen" bewerten muss. Mir geht es aber allein um den klaren, eindeutigen Fall, den es ja auch gibt. Der Beschuldigte hat tatsächlich eine Frau brutal vergewaltigt und bestreitet es vor Gericht mit der Lüge, die Frau sei ihm nie begegnet oder sie habe den Geschlechtsakt ebenso gewollt. Dann ist die strafbare Vergewaltigung ein Faktum, sie ist die dem Opfer und dem Täter bekannte "objektive Wahrheit". Und sie nicht beweisen zu können, hat schon manches Opfer in die Verzweiflung getrieben.