Das laizistische Staatsmodell stößt in Frankreich immer stärker auf Unverständnis, zunehmend wird es als ein die individuelle Freiheit einschränkendes Prinzip verstanden. Im Rahmen der Kampagne #generationlaicite setzt Frankreichs Handball-Weltmeister Nikola Karabatic dem Negativimage lockere Positivaussagen via Youtube entgegen. Frankreichs neuer Präsident will derweil eine moderatere Form des Laizismus etablieren und zugleich energischer gegen den radikalen Islam vorgehen.
"Immer mehr Franzosen verwechseln den Laizismus mit einem Verbot religiöser Bekundungen – und manche machen mit dieser Verwechslung bewusst Politik." Das war schon alles, was Frankreichs neuer Präsidenten Emmanuel Macron in seinem Wahlprogramm zum Thema Laizismus zu sagen hatte. Und doch spricht es Bände, vor allem, wenn man bedenkt, dass der ehemalige Premierminister Manuel Valls noch einen harten laizistischen Kurs in Frankreich durchsetzen wollte.
In Frankreich hat dieser Kuschelkurs dennoch niemanden verwundert, denn die Gretchenfrage spielt in Frankreich eine zunehmend wichtige Rolle. Ursächlich sind einerseits die Radikalisierung des Islam – Frankreich hat seit dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar 2015 insgesamt 239 Terroropfer zu beklagen. Andererseits spielt aber auch der Druck der Konservativen eine große Rolle, gestärkt von den vehementen, vorwiegend christlich organisierten Protesten gegen die "Ehe für alle" sowie vom Druck der Nationalisten unter Marine Le Pen.
Vor diesem Hintergrund will Macron gemeinsam mit seinem Innenminister Gérard Collomb eine "liberale" Form des Laizismus etablieren und zugleich energisch gegen den radikalen Islam vorgehen, um die französische Gesellschaft zu befrieden. Dies berichteten mehrere französische Medien seit dem Amtsantritt des neuen französischen Präsidenten. Demnach steht in einem Arbeitspapier aus dem Innenministerium, dass man einen Laizismus wünsche, der all jenen, die glauben, die Freiheit gebe, ihre Religion unter der Bedingung auszuüben, dabei nicht gegen die Gesetze Frankreichs zu verstoßen.
Die staatliche Laizismus-Behörde "Observatoire de la laïcité" hat nach dem Bekanntwerden dieses Entwurfs bemüht, die Wogen zu glätten. Demnach habe Macron versprochen, die Aus- und Weiterbildung der Beamten zu verstärken, die "wirklich neutral" sein müssen. Eine Ausweitung des Laizismus dahingehend, das religiöse Symbole an der Universität oder der Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses – sofern er nicht gegen geltende Gesetze verstößt – verboten werde, stünde jedoch nicht zur Diskussion, heißt es in Medienberichten.
Junge Franzosen verstehen Laizität nicht mehr
Zugleich hat die Behörde kürzlich den Vorschlag unterbreitet, in der Lehrkräfteausbildung in den öffentlichen Hochschulen (Écoles supérieures du professorat et de l’éducation – ESPE) feste Module zum laizistischen Staatsverständnis einzuführen. Darüber hinaus wurde in dem Papier noch einmal deutlich gemacht, dass alle ausgebildeten Lehrer und Referendare im Schuldienst zur Neutralität verpflichtet sind.
Das laizistische Staatsprinzip stößt in Frankreich auf immer stärkeres Unverständnis – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wie die Laizismus-Behörde in ihrem Anfang April an Ex-Präsident Francois Hollande übergebenen Jahresbericht feststellte, herrsche in der französischen Gesellschaft eine tiefe Unkenntnis über die bestehende Rechtslage. Ein Großteil der Jugendlichen, die sie zum Laizismus befragt habe, habe nicht sagen können, worin das laizistische Staatsprinzip besteht und welche Rolle es in ihrem Alltag spielt. Gemeinsam mit der nationalen Menschenrechtskommission teilte die Behörde vor knapp drei Wochen mit, dass aus diesem Unwissen heraus eine negative Einstellung gegenüber dem französischen Laizismus entstehe, weil er als die persönliche Freiheit einschränkendes Prinzip verstanden werde.
Um gegen dieses Missverständnis vorzugehen, wurde eine breit angelegte Aufklärungskampagne unter dem Hashtag #generationlaicite ins Leben gerufen. Teil dieser Kampagne ist u.a. ein Youtube-Projekt mit dem französischen Handballweltmeister Nikola Karabatic. In vier kurzen Filmen wird darin das laizistische Staatsverständnis und sein Einfluss auf den Alltag erklärt. Dabei werden die Bezüge zum Komplex Sport und Religion, zum Tragen religiöser Symbole in der Schule, der Abwesenheit an religiösen Feiertage sowie zur Frage der religiösen Speisevorgaben und Schulessen hergestellt. Karabatic beantwortet darin die zu Beginn der kurzen Videos aufgeworfenen Fragen der Jugendlichen. Jedes Video endet mit der Botschaft, dass Laizität bedeutet, dass jeder seine Überzeugungen haben kann, aber verpflichtet ist, sie im Respekt gegenüber den Überzeugungen der anderen auszuleben.
Kampf gegen den Islamismus
Parallel zur Liberalisierung des laizistischen Staatsprinzips will Macron verstärkt gegen den radikalen Islam vorgehen. Einige Formen der Radikalisierung des Islam seien auf Probleme in bestimmten Vierteln zurückzuführen. Es brauche daher ein entschlossenes Vorgehen des Staates in diesen Wohngebieten, hieß es noch im Wahlprogramm des neuen französischen Präsidenten. Diese Maßnahmen wird Innenminister Gérard Collomb künftig verantworten. Als Bürgermeister von Frankreichs zweitgrößter Stadt Lyon hat er hier bereits einige Erfahrungen vorzuweisen. "Meine Bemühungen werden sich künftig darauf konzentrieren, zu verhindern, dass eine bestimmte Anzahl von Jugendlichen, die in Frankreich geboren sind, morgen radikalisieren und schließlich unter den Einfluss des Islamischen Staates geraten", erklärte Colomb gegenüber Medien.
Die neue Regierung greift damit ein Phänomen auf, dass der französische Psychologe Fethi Benslama in seinem Buch "Der Übermuslim" beschreibt. Seiner Argumentation zufolge sind insbesondere junge Menschen anfällig für die Ansprache der radikalen Islamisten.
Der neue Präsident Emmanuel Macron erklärte ferner, dass der Staat den Muslimen helfen müsse, "den Islam in Frankreich neu aufzubauen", um "radikale Exzesse" besser zu bekämpfen. Wen er hier allerdings meint, blieb offen. In Frankreich sind lediglich zehn Prozent aller Muslime unter dem Dach des Französischen Zentralrats der Muslime (CFCM) versammelt. Dem Präsidenten schwebe daher die Gründung eines neuen nationalen Verbands der Muslime in Frankreich vor, in dem sich alle muslimischen Organisationen in Frankreich neu zusammenschließen sollen. Diesen Zweck hatte schon die Bildung des CFCM vor 14 Jahren unter Nicolas Sarkozy, die Erwartungen hat das Gremium jedoch nie erfüllt.
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Hans Trutnau am Permanenter Link
Wenn das Mal gutgeht...