Steile These:

Es braucht mehr Religion, um Extremismus zu bekämpfen

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Von allen Seiten her wird seit einigen Monaten ein neues Patentrezept angepriesen, mit dem der gefühlt wachsende Einfluss des Islam in unserem "christlichen" Deutschland zurückgedrängt werden soll. FAZ, WELT, SZ und andere überbieten sich mit mehr oder weniger wirren Konzepten und Erklärungen, warum die Rückkehr der deutschen Bevölkerung in die Kirchen der "Islamisierung des Abendlandes" Einhalt gebieten soll und wird.

Letztes Beispiel in dieser abenteuerlichen Reihe ist ein Kommentar von Rainer Hermann in der FAZ vom 22.07.2016, wo er sich zu der Behauptung versteigt, die Religion sei das geeignete Mittel um den Extremismus (gemeint ist natürlich der islamistische) zu bekämpfen. Eines seiner Hauptargumente ist die Behauptung, in unserem Land seien Staat und Kirche "getrennt". Nichts könnte falscher sein als diese Behauptung.

Zwar ist die Kirche nicht mehr Befehlshaber über die exekutive Gewalt in unserem Lande, von einer Trennung von Staat und Kirche sind wir jedoch meilenweit entfernt. Weiterhin fordert er einen verstärkten Einfluss der Religionen, damit "in Fragen wie der Sterbehilfe und der Stammzellenforschung nicht nur rationale Wissenschaftler gehört werden, sondern auch die Religionen mitdiskutieren" und er tut dabei so, als ob gerade auf diesen Feldern die Handschrift der Kirchen nicht schon jetzt mehr als überdeutlich sichtbar wäre. Als Quintessenz stellt er die obige Behauptung auf, eine Zunahme des religiösen Einflusses auf unsere Gesellschaft bekämpfe den Extremismus.

Diese kühne These ist nichts anderes als komplett falsch. Sie geht davon aus, dass die monotheistischen Religionen ihre grundsätzlichen Gegensätze, die vor allem darin bestehen, dass sie in ihrem Selbstverständnis einen festgeschriebenen Prioritätsanspruch über alle anderen Religionen besitzen, im Konsens beilegen können.

Die Annahme, fundamental-religiöse Bestrebungen in der Gesellschaft durch eine weitere religiöse Aufladung dieser Gesellschaft nivellieren zu können, ist durch keinerlei Evidenz belegt. Man könnte sie mit dem Versuch vergleichen, einen Brand mit Benzin zu löschen: Das ist im Prinzip zwar möglich, hat sich in der Realität aber nicht als praktikabel erwiesen.

Im Gegenteil, würde ein solcher Konsens die grundlegenden Überzeugungen jeder monotheistischen Religion atomisieren und verbietet sich daher aus Sicht dieser Religionen von selbst. Im Gegensatz zum laizistischen Staat ist für den liberal-säkularen Staat ein nachrangiges Selbstverständnis der Religionen aber von essentieller Bedeutung, setzt dieser doch eine freiwillige Unterordnung ihrerseits bzw. ihrer institutionellen Vertretungen unter die gesellschaftlichen Spielregeln voraus. Davon kann aber keinesfalls ausgegangen werden, wie die BRD mit ihrem dem Staat durch die Kirchen abgerungenen Staatskirchenrecht beweist, mit dessen Hilfe Sonderkonditionen im allgemeinen Recht, ein Sonderarbeitsrecht, ein Sondersteuerrecht und sogar ein Sonderstrafrecht geschaffen wurde. Diese Tatsache führt die Hermannsche These von der "konstruktiven Kooperation" von Kirche und Staat bereits bei erstem Hinsehen ad absurdum.

Keiner anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts ist es gelungen, ähnliche Privilegien für sich durchzusetzen und einen Staat im Staate zu bilden. Allerdings ist dieses Bestreben keineswegs verwunderlich, läßt es sich doch aus dem Selbstverständnis der Religionen direkt ableiten. Die objektive Bedrohlichkeit dieser Bestrebungen wird nur dadurch abgemildert, dass die aggressive Einflussnahme der christlichen Kirchen mit einem massiv wachsenden religiösen Desinteresse von weiten Teilen der Bevölkerung einhergeht, die religiösen Vorschriften zunehmend verständnislos gegenübersteht.

Diese Konstellation ist zumindest bislang im Islam nicht gegeben. Dadurch, dass sich der liberal-säkulare Staat als Hüter aller Religionen versteht, muss er neuen Religionen gezwungenermaßen die gleichen Rechte einräumen, die er den christlichen Religionen bislang schon gewährt hat. Wegen der exponierten Bedeutung nicht nur der Religionsfreiheit, sondern in gleichem Maße des Rechts auf öffentliche Demonstration der eigenen Religionszugehörigkeit, ist eine Einschränkung dieser öffentlichen Zurschaustellung im Konfliktfall mit dem Argument der Wahrung des öffentlichen Friedens nur in Einzelfällen möglich. Dies allerdings führt – so ist zumindest die Befürchtung der Mehrheit – zu einer steigenden Besetzung des öffentlichen Raumes mit religiösen Inhalten dieser neuen Religionen mit einem hohen Anteil orthodoxer Gläubiger, die ihrem Bevölkerungsanteil in keiner Weise entsprechen.

Der laizistische Staat hingegen weist – wenn er konsequent ist – den verschiedenen Religionen gleichermaßen ihre ausschließliche Rolle im privaten Bereich zu, indem er keiner Religion bzw. religiösen Institution Privilegien oder Sonderrechte einräumt, die anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht in gleichem Umfang zustünden. Eine Sorge für die Bereitstellung von Gebetsstätten oder der Ausbildung von religionsspezifischem Personal u.ä. entfällt vollständig, weil dies Aufgabe der Religionsgemeinschaften im privaten Bereich ist.

Der Vergleich Hermanns zwischen den geringeren religiösen Spannungen im säkularen Deutschland mit den ungleich größeren im laizistischen Frankreich verkennt komplett, dass dort nicht die Laizität, sondern die soziale Situation der Migranten und ihre Perspektivlosigkeit zur religiösen Radikalisierung geführt haben und dies in einem liberal-säkularen Staat in gleicher Weise geschähe, wenn die sozialen Randbedingungen sich entsprechend verschärften. Es gibt auch in der BRD bereits deutliche Anzeichen für einen solchen Trend. Gegen derlei Entwicklungen ist der laizistische Staat allerdings weitaus besser gerüstet als der liberal-säkulare mit seiner erzwungenen Rücksichtnahme auf religiöse Befindlichkeiten.

Auch Hermanns These, "Religionen könnten oft Werte wirkungsvoller vermitteln als säkulare Einrichtungen" entspringt wohl eher frommem Wunschdenken als einer fundierten Faktenlage. Die "Werte" der großen Religionen stammen i.d.R. aus 2000 Jahre alten Büchern und taugen keineswegs als Grundlage eines gesellschaftlichen Diskurses, in dem diese Werte ständig neu ausgehandelt werden müssen.

Der liberale Säkularismus zeigt sich unfähig, die durch das Eindringen neuer Religionen in eine zunehmend nicht-religiöse Gesellschaft entstehenden Ungleichgewichte auszubalancieren. Er gefährdet den gesellschaftlichen Frieden und sollte möglichst umgehend durch eine klare und vollständige Trennung von Religionen und Staat und eine kompromisslose Verbannung sämtlicher religiöser Aktivitäten in den privaten Bereich abgelöst werden.