Von allen Seiten her wird seit einigen Monaten ein neues Patentrezept angepriesen, mit dem der gefühlt wachsende Einfluss des Islam in unserem "christlichen" Deutschland zurückgedrängt werden soll. FAZ, WELT, SZ und andere überbieten sich mit mehr oder weniger wirren Konzepten und Erklärungen, warum die Rückkehr der deutschen Bevölkerung in die Kirchen der "Islamisierung des Abendlandes" Einhalt gebieten soll und wird.
Letztes Beispiel in dieser abenteuerlichen Reihe ist ein Kommentar von Rainer Hermann in der FAZ vom 22.07.2016, wo er sich zu der Behauptung versteigt, die Religion sei das geeignete Mittel um den Extremismus (gemeint ist natürlich der islamistische) zu bekämpfen. Eines seiner Hauptargumente ist die Behauptung, in unserem Land seien Staat und Kirche "getrennt". Nichts könnte falscher sein als diese Behauptung.
Zwar ist die Kirche nicht mehr Befehlshaber über die exekutive Gewalt in unserem Lande, von einer Trennung von Staat und Kirche sind wir jedoch meilenweit entfernt. Weiterhin fordert er einen verstärkten Einfluss der Religionen, damit "in Fragen wie der Sterbehilfe und der Stammzellenforschung nicht nur rationale Wissenschaftler gehört werden, sondern auch die Religionen mitdiskutieren" und er tut dabei so, als ob gerade auf diesen Feldern die Handschrift der Kirchen nicht schon jetzt mehr als überdeutlich sichtbar wäre. Als Quintessenz stellt er die obige Behauptung auf, eine Zunahme des religiösen Einflusses auf unsere Gesellschaft bekämpfe den Extremismus.
Diese kühne These ist nichts anderes als komplett falsch. Sie geht davon aus, dass die monotheistischen Religionen ihre grundsätzlichen Gegensätze, die vor allem darin bestehen, dass sie in ihrem Selbstverständnis einen festgeschriebenen Prioritätsanspruch über alle anderen Religionen besitzen, im Konsens beilegen können.
Die Annahme, fundamental-religiöse Bestrebungen in der Gesellschaft durch eine weitere religiöse Aufladung dieser Gesellschaft nivellieren zu können, ist durch keinerlei Evidenz belegt. Man könnte sie mit dem Versuch vergleichen, einen Brand mit Benzin zu löschen: Das ist im Prinzip zwar möglich, hat sich in der Realität aber nicht als praktikabel erwiesen.
Im Gegenteil, würde ein solcher Konsens die grundlegenden Überzeugungen jeder monotheistischen Religion atomisieren und verbietet sich daher aus Sicht dieser Religionen von selbst. Im Gegensatz zum laizistischen Staat ist für den liberal-säkularen Staat ein nachrangiges Selbstverständnis der Religionen aber von essentieller Bedeutung, setzt dieser doch eine freiwillige Unterordnung ihrerseits bzw. ihrer institutionellen Vertretungen unter die gesellschaftlichen Spielregeln voraus. Davon kann aber keinesfalls ausgegangen werden, wie die BRD mit ihrem dem Staat durch die Kirchen abgerungenen Staatskirchenrecht beweist, mit dessen Hilfe Sonderkonditionen im allgemeinen Recht, ein Sonderarbeitsrecht, ein Sondersteuerrecht und sogar ein Sonderstrafrecht geschaffen wurde. Diese Tatsache führt die Hermannsche These von der "konstruktiven Kooperation" von Kirche und Staat bereits bei erstem Hinsehen ad absurdum.
Keiner anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts ist es gelungen, ähnliche Privilegien für sich durchzusetzen und einen Staat im Staate zu bilden. Allerdings ist dieses Bestreben keineswegs verwunderlich, läßt es sich doch aus dem Selbstverständnis der Religionen direkt ableiten. Die objektive Bedrohlichkeit dieser Bestrebungen wird nur dadurch abgemildert, dass die aggressive Einflussnahme der christlichen Kirchen mit einem massiv wachsenden religiösen Desinteresse von weiten Teilen der Bevölkerung einhergeht, die religiösen Vorschriften zunehmend verständnislos gegenübersteht.
Diese Konstellation ist zumindest bislang im Islam nicht gegeben. Dadurch, dass sich der liberal-säkulare Staat als Hüter aller Religionen versteht, muss er neuen Religionen gezwungenermaßen die gleichen Rechte einräumen, die er den christlichen Religionen bislang schon gewährt hat. Wegen der exponierten Bedeutung nicht nur der Religionsfreiheit, sondern in gleichem Maße des Rechts auf öffentliche Demonstration der eigenen Religionszugehörigkeit, ist eine Einschränkung dieser öffentlichen Zurschaustellung im Konfliktfall mit dem Argument der Wahrung des öffentlichen Friedens nur in Einzelfällen möglich. Dies allerdings führt – so ist zumindest die Befürchtung der Mehrheit – zu einer steigenden Besetzung des öffentlichen Raumes mit religiösen Inhalten dieser neuen Religionen mit einem hohen Anteil orthodoxer Gläubiger, die ihrem Bevölkerungsanteil in keiner Weise entsprechen.
Der laizistische Staat hingegen weist – wenn er konsequent ist – den verschiedenen Religionen gleichermaßen ihre ausschließliche Rolle im privaten Bereich zu, indem er keiner Religion bzw. religiösen Institution Privilegien oder Sonderrechte einräumt, die anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht in gleichem Umfang zustünden. Eine Sorge für die Bereitstellung von Gebetsstätten oder der Ausbildung von religionsspezifischem Personal u.ä. entfällt vollständig, weil dies Aufgabe der Religionsgemeinschaften im privaten Bereich ist.
Der Vergleich Hermanns zwischen den geringeren religiösen Spannungen im säkularen Deutschland mit den ungleich größeren im laizistischen Frankreich verkennt komplett, dass dort nicht die Laizität, sondern die soziale Situation der Migranten und ihre Perspektivlosigkeit zur religiösen Radikalisierung geführt haben und dies in einem liberal-säkularen Staat in gleicher Weise geschähe, wenn die sozialen Randbedingungen sich entsprechend verschärften. Es gibt auch in der BRD bereits deutliche Anzeichen für einen solchen Trend. Gegen derlei Entwicklungen ist der laizistische Staat allerdings weitaus besser gerüstet als der liberal-säkulare mit seiner erzwungenen Rücksichtnahme auf religiöse Befindlichkeiten.
Auch Hermanns These, "Religionen könnten oft Werte wirkungsvoller vermitteln als säkulare Einrichtungen" entspringt wohl eher frommem Wunschdenken als einer fundierten Faktenlage. Die "Werte" der großen Religionen stammen i.d.R. aus 2000 Jahre alten Büchern und taugen keineswegs als Grundlage eines gesellschaftlichen Diskurses, in dem diese Werte ständig neu ausgehandelt werden müssen.
Der liberale Säkularismus zeigt sich unfähig, die durch das Eindringen neuer Religionen in eine zunehmend nicht-religiöse Gesellschaft entstehenden Ungleichgewichte auszubalancieren. Er gefährdet den gesellschaftlichen Frieden und sollte möglichst umgehend durch eine klare und vollständige Trennung von Religionen und Staat und eine kompromisslose Verbannung sämtlicher religiöser Aktivitäten in den privaten Bereich abgelöst werden.
28 Kommentare
Kommentare
Andi am Permanenter Link
Lasst uns mehr Exorzismus wagen ....
Wolfgang am Permanenter Link
Die Lehre der Kirchen leert die Kirchen.
Volkmar Weber am Permanenter Link
Ihr, die ihr erleuchtet seid und Euch von den Religionen angewidert abwendet, werdet aktiv und kämpft für einen laizistschen Staat in Deutschland!
Siegrun am Permanenter Link
...wir müssen mehr Öl ins Feuer schütten, um es zu löschen!
Auch eine steile These...
little Louis am Permanenter Link
Vor dieser Entwicklung haben andere und ich (hier) schon teilweise vor Jahren gewarnt. Das Konnte man sich an zwei Fingern abzählen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich stimme dir völlig zu, Karl-Heinz.
Im Gegenteil: Christen fühlen sich durch Aktivitäten z.B. des IS in ihrer Ablehnung des Islams bestätigt, wie sich umgekehrt Muslime z.B. durch christliche Amerikaner angegriffen fühlen. D.h. da jede Gruppe sowieso davon ausgeht, dass die jeweils andere Religion falsch ist (weil dies dem Monotheismus-Prinzip folgend so sein muss), ist dies nur durch mehr (richtige oder wahre) Religiosität zu bekämpfen.
Der säkulare Humanist würde also sagen: "Ohne Religion gibt es keine religiösen Konflikte", während der Gläubige meint: "Wenn wir unseren Glauben stärken, wird der falsche Glaube aufgeben und uns in Ruhe lassen."
Die Welt hat plakativ ausgedrückt drei Optionen:
1.) Religionen schließen einen (erfahrungsgemäß) brüchigen Waffenstillstand, in dem sie die wechselseitigen Ausschlussgründe für die jeweils andere Religion tolerieren.
2.) Die Welt muss die religiösen (Macht)kämpfe so lange ertragen, bis eine der Parteien über die anderen gesiegt hat und wir nicht nur in einem Gottesstaat, sondern auf einem "Gottesplaneten" leben.
3.) Religionen werden entschärft und in Rente geschickt, dürfen also privatisieren. Wenn dies dauerhaft unter gesellschaftlicher Kontrolle geschieht, mag sich irgendwann der Extremismus auswachsen, weil dieser zwar in sozialen Randgruppen Europas rekrutiert, aber organisiert wird das Ganze in "Gottesstaaten", wie der Türkei, Saudi Arabien oder dem Iran.
1.) erleben wir gerade, ohne viel Erfolg (siehe die Anschläge etc.), 2.) wäre einfach nur grauenhaft und 3.) ist ein Traum, dem leider die real existierende Politik zuwider arbeitet. Da sind die Bürger aufgerufen, anders zu wählen und wir müssen sie darüber aufklären, dass dies besser für unsere Zukunft ist.
GOTT UND STAAT SEPARAT!
Mark am Permanenter Link
Mit Religion meinen die Experten das Christentum, sie sind zu feige offen darüber zu reden, Fanatismus durch christliche Missionierungen zu besänftigen. Welche Religion soll es denn sonst sein? Scientology?
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Selbstverständlich meinen christlich sozialisierte Religiöse das Christentum, wenn sie von Religion sprechen.
Mark Fraser am Permanenter Link
Dem widerspreche ich nicht. Allerdings entsteht der Fanatismus ja nicht durch die öffentliche Finanzierung, er wird dadurch begünstigt. Bei der Entstehung müssen soziale Gründe berücksichtigt werden.
Pauschal lässt sich hier allerdings ohnehin nichts sagen, ich weiß. Saudi-Arabien finanziert eine radikale Richtung des Islam, das stimmt. In Deutschland werden durch die Kirchensteuer und die Transferleistungen Kath. und Ev. Kirche finanziert, die nicht zu den "radikalen" Gruppen zählen. Freikirchen finanzieren sich autark. Größtenteils.
Die Formulierung "Abdrängung" hinterlässt einen faden Beigeschmack. Vermutlich verstehe ich den Begriff aber schlicht anders. Oder sollte der Heilsarmeeoffizier mit Drehorgel in Zukunft nicht mehr in der Einkaufszone spielen dürfen? Der HPD-Untersützer hingegen schon? ;)
Vermutlich nicht.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Sie widersprechen schon mit dem 5. Wort.
Die Formulierung " Abdrängung" habe ich benutzt, um zu verdeutlichen, dass die Herrschaften aus den oberen Kirchenetagen die Hebel der Macht und ihre Einflusssphären nicht freiwillig räumen werden. Allerdings stimme ich Ihrem Zitat: "In Deutschland werden durch die Kirchensteuer und die Transferleistungen Kath. und Ev. Kirche finanziert, die nicht zu den "radikalen" Gruppen zählen" nicht so ohne weiteres zu. Mit diesem Geld, das die reichen deutschen Kirchen vom Staat kassieren, wird nämlich in nicht unerheblichen Umfang die Mission in Afrika und Asien finanziert. Das darf man aus Sicht konkurrierenden Religionen durchaus als Aggression bezeichnen.
Mark Fraser am Permanenter Link
"Niemand behauptet, dass Fanatismus durch öffentliche Finanzierung entsteht, aber mit einer ordentlichen finanziellen Rückendeckung lebt es sich auch als Fanatiker komfortabler."
Das sehe ich ebenso.
"Mit diesem Geld, das die reichen deutschen Kirchen vom Staat kassieren, wird nämlich in nicht unerheblichen Umfang die Mission in Afrika und Asien finanziert."
Eine "Mission" im ursprünglichen Sinne des Wortes findet in der ev. Kirche immer seltener statt. Dazu verweise ich auf eine aktuelle Erklärung der Rheinischen Kirche, die z.B. eine gezielte Evangelisation unter Muslimen ablehnt. Tatsächlich stehen die Landeskirchen innerkirchlich von konservativer Seite in der Kritik, weil sie fast "nur" noch diakonische Aufgaben unterstützen, jedoch kaum noch evangelistische.
Das dies von Vertretern andere Religionen dennoch als "Mission" betrachtet wird, ja, da dürften Sie Recht haben.
Frank Roßner HV... am Permanenter Link
Lieber Herr Fraser,
Allen Lesern viel Spaß beim Studium.
Frank Roßner
Frank Roßner
Mark Fraser am Permanenter Link
"Nur eine laizistische Republik kann sämtlichen Religionen ihre Privilegien entziehen und sie in eine Reihe mit anderen gemeinnützigen Vereinen stellen und in den Privatbereich verweisen."
Ah, ok, das macht es klar.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Den Teufel mit dem Beelzebub... . Hat noch nie geklappt.
Angela am Permanenter Link
Die allerschlimmsten Verräter der offenen freien Gesellschaft (wenn man so will des "Abendlandes") sind doch gerade die Kirchen selbst, die aus reinem Eigennutz, also dem Wunsch nach Erhalt alter überkommene
Angesichts dessen fordere ich: "Abendland in Atheistenhand"
Kay Krause am Permanenter Link
Religionen haben immer wieder - zurückblickend in die Historie - Extremismus und Fanatismus produziert!
Religionen werden immer wieder Fanatismus und Extremismus produzieren.
Schwabe am Permanenter Link
Der letzte Absatz des Verfassers bedarf einer Klärung: Handelt es sich bei der Formulierung "Der liberale Säkularismus zeigt sich unfähig ......" um eine von Hermanns Thesen?
Denn gerade im liberalen Säkularismus - und nur in ihm - liegt doch die Chance, eine klare und vollständige Trennung von Kirchen und Staat zu erreichen und alle religiösen Vorstellungen in den Bereich des Privaten zu verbannen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Das genau ist der Denkfehler! Hermann wünscht sich, dass dieser Staat am liberalen Säkularismus festhält, um den Kirchen ihre Sonderrechte für alle Zeiten zu sichern.
David am Permanenter Link
Was soll man von einem Staat erwarten, in dem die Staatsfūhrerin auf die Frage nach Massnahmen gegen religiösen Terror antwortet, ja dann mūsse man halt häufiger in die Kirche gehen und dieser Spruch noch nicht einmal
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Nun ja,
sie ist erblich vorbelastet, seien wir also humanistischen großzügig
Paul am Permanenter Link
Von Tatsachenverweigerern kann wohl nicht mehr erwarten.
Mark Fraser am Permanenter Link
Auch als Kirchenmitglied stimme ich Herrn Büchner weitgehend zu. Der laizistische Staat dürfte die bessere Wahl sein.
Der Einzug der Kirchensteuer durch den Staat dürfte dagegen andauern, denn schließlich kassiert Vater Staat bei dieser Dienstleistung mit ;)
Der einzige Schwachpunkt im Text von Herrn Büchner, aber das mag der Kürze geschuldet sein, ist die Verallgemeinerung. Es gibt weder "die Christen", noch "die Kirche" oder "die Religion" oder "die Gläubigen".
Oft suggerieren kirchenkritische Texte und Beiträge (auch hier auf der Seite) einen wie auch immer gewarteten "Machtanspruch" seitens der Kirchen. Dies mag auf einzelne Bereiche (oben in der Hierarchie) zutreffen, lässt sich aber pauschal schwerlich behaupten oder gar belegen (vor allem in der ev. Kirche oder den Freikirchen). Für den Gläubigen vor Ort, den einzelnen Gemeindepfarrer oder auch die untergeordneten Synoden ist das schlicht kein Thema. Da geht es, um Beispiele aus meinem Umfeld zu nennen, um Hilfe für Flüchtlinge, Armenspeisung oder banale glaubensspezifische Dinge wie Gottesdienste, Bibelkreise etc.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Ihre Kritik an der Verallgemeinerung ist Wortklauberei.
Mark Fraser am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Büchner, vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich stimme Ihnen zu. Anscheinend ist das nicht deutlich geworden.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Lieber Mark Fraser,
ich denke, Ihr Standpunkt ist durchaus verständlich und wird auch oft genug von Gläubigen vorgetragen. Der Grund für den Verweis auf die "Machtlosigkeit" der niederen Ränge in der klerikalen Hierarchie ist in der Regel die Relativierung der Untaten der "Kirchenoberen".
Diese wiederum verweisen beim Missbrauchsvorwurf einem Priester gegenüber gerne darauf, dass dies ja nicht die Führung der Kirche beträfe. So schiebt man oft die Verantwortung für Missstände rauf und runter.
Aber das ist von außen betrachtet nicht wirklich entscheidend. Der Fisch stinkt vom Kopf her! D.h. ein Konstrukt - wie z.B. die christliche Kirche - muss sich gefallen lassen, daraufhin untersucht zu werden, ob systemische Anlagen für gesellschaftsschädigendes Verhalten vorliegen.
Weder ist der positive noch der negative Einzelfall von Belang. Daher nutzt es auch nichts in der kirchenkritischen Debatte, wenn man sich freundliche oder unfreundliche Vertreter des Konstrukts gegenseitig "an den Kopf wirft". Auch das Eingeständnis, es läge einiges im Argen in der Führungsmannschaft (bei der katholischen Kirche wörtlich zu verstehen), hilft nicht wirklich weiter, solange daraus keine Konsequenzen gezogen werden.
Aus der NPD z.B. macht man auch keine lupenrein demokratische Partei, wenn lediglich einige der Köpfe ausgetauscht werden. Also muss man sich die zugrundliegende Satzung anschauen: Welchem Ideal folgt ein Konstrukt? So schaut man in die Bibel, in Katechismen, in religiöse Sekundärliteratur etc., um zu erkennen, welche Ziele z.B. das Christentum verfolgt.
Da geht es primär um Macht. Den sogenannten "spirituellen Anteil" (der heute für viele Gläubige das Glaubenszentrum ist) ist m.M.n. nur aufgesetzt, um eine möglichst mächtige Legitimierung für den Machtanspruch zu haben. Das ergibt sich ganz klar aus den Setzungen und dem Zusammenspiel zwischen erfundenen historischen Ereignissen, Propheten und deren Prophezeiungen sowie den Ableitungen daraus. Wenn man z.B. Luthers Sekundärliteratur liest, überkommt einen das Gefühl, dass es selbst im 16. Jh. ausschließlich um göttliche (also kirchliche) Macht ging.
Dieser "Systemfehler" des Christentums ist praktisch nicht zu korrigieren, schon gar nicht durch freundliches Bodenpersonal am unteren Ende der Hierarchie. Das Fußvolk hat in der Regel nichts zu sagen. Wie gesagt: Der Fisch stinkt vom Kopf her - auch der christliche Fisch...
Mark Fraser am Permanenter Link
"Aber das ist von außen betrachtet nicht wirklich entscheidend. Der Fisch stinkt vom Kopf her! D.h. ein Konstrukt - wie z.B.
Zustimmung.
"Da geht es primär um Macht. Den sogenannten "spirituellen Anteil" (der heute für viele Gläubige das Glaubenszentrum ist) ist m.M.n. nur aufgesetzt, um eine möglichst mächtige Legitimierung für den Machtanspruch zu haben."
Das sehe ich tatsächlich nicht so. Historisch betrachtet gab es keinen (säkularen) Machtanspruch. Der trat allerdings dazu, eine extrem üble Entwicklung. Und heute (bzw. seit langem) bestehen tatsächlich Machtansprüche, z.T. systemisch-politisch bedingt bzw. auch gefördert. Das muss korrigiert werden. Luther und seine Schriften sind mir übrigens in gewissem Umfang vertraut.
Ich kann mir die laizistische Staats-Variante sehr gut vorstellen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Historisch betrachtet gab es keinen (säkularen) Machtanspruch."
Es tut mir leid, Ihnen hier deutlich widersprechen zu müssen. Das Zauberwort ist die Gemeindebildung. Der Monotheismus entstand in einer tribalistisch geprägten Welt. Die teilweise erbittert zerstrittenen Stämme der Levante waren während ihrer gesamten Geschichte Spielball der umliegenden Großreiche (Ägypter, Hethiter, Assyrer, Babylonier, Neubabylonier etc.) Mal wurde dieses Gebiet vom einen, mal vom anderen Reich einverleibt. Nur der Zusammenschluss der einzelnen Stämme konnte hier Abhilfe schaffen.
In Babylon (6. Jh. v.u.Z.) eskalierte die Lage, als die Assimilierung in die mesopotamischen Völker drohte. Und dazu wurde der "einzige Gott" (auf Basis eine unbedeutenden Provinzgottes) erfunden, der als eifersüchtiger Gegengott zu allen anderen bis dato (auch in der Levante) verehrten Göttern stand - mehr noch, der sie durch seine Priester zu Götzen erklären ließ (Du sollst keine anderen Götter...).
Die Folge war ein politisches Konstrukt zur Identitätswahrung durch dualistische Abgrenzung mittels der "mosaischen Unterscheidung". Das führte zu einer klaren Freund/Feind-Kennung im diesseitigen Bereich. Die Zeiten des toleranten Polytheismus sollte vorbei sein, um die eigene - bisher schwache - Gruppe (aus Angst vor dem strafenden "Gott") wachsen zu lassen.
Dieser tief implementierte Hass des Monotheismus auf alle anderen Religionen (und Nichtreligionen) hat seine Wurzel in genau diesem Zugewinn an politischer Macht (mit einer Stimme sprechen), der in einem schmerzhaften Prozess die Stämme der Levante zum "Volk Israel" zusammenschweißte. Auch Hitler wusste dies, als er schrieb "Religionen gründen tiefer" und deshalb eng mit der Mehrheitsreligion im "Abendland" paktierte.
Doch die erfolgreiche Umsetzung dieses Machtanspruches ist bis heute nicht wirklich gelungen, weil sich "Gott" bisher erfolgreich aus allen irdischen Auseinandersetzungen seiner Anhängerschaft heraushielt. Noch immer wird Israel von seinen umliegenden Ländern angefeindet und nach der Zerstörung des 2. Tempels durch die römischen Besatzer 70 u.Z. war endgültig der Weg frei, für eine häretische Weiterentwicklung des lokal fixierten Judentums: das offensiv missionierende Christentum durch Anerkennung eines beliebigen Messias.
Erst jetzt konnte der Einfluss durch Anwachsen der Gemeinden (über das die ersten Kirchenväter streng wachten) vergrößert werden, die Anerkennung als römische Staatsreligion war der finale Durchbruch, um Europa zu überschwemmen. Weltliche Herrscher würden künftig durch den dreifaltigen Gott bestimmt und sie herrschten in seiner Gnade.
Erst sehr spät bekam der "spirituelle" Anteil des Monotheismus eine größere Bedeutung. Dies hing auch damit zusammen, dass sich die Bibel nicht als naturwissenschaftliches oder geschichtliches Nachschlagewerk eignete. Das einzige, was heute noch übrig ist, sind eben die "dunklen" Stellen, hinter denen man exegetisch das wunderbare Wirken eines transzendenten "Gottes" vermutet oder herbeiinterpretiert.
"Und heute (bzw. seit langem) bestehen tatsächlich Machtansprüche, z.T. systemisch-politisch bedingt bzw. auch gefördert. Das muss korrigiert werden."
Die größte Korrektur fand ja bereits 1803 (Reichsdeputationshauptschluss) statt. Heute wird subtiler auf die Staatsführung eingewirkt. Aber dass es um Macht und Einflussnahme geht, ist deutlich erkennbar und für mich die Uridee des Monotheismus.
"Luther und seine Schriften sind mir übrigens in gewissem Umfang vertraut."
Dann wissen wir ja beide, was ich meinte.
"Ich kann mir die laizistische Staats-Variante sehr gut vorstellen."
Das finde ich sehr positiv. Denn in dieser Variante wird Religion zu dem, was sie nach Meinung vieler Gläubige sowieso ist (sein sollte): Ein privater Verein, in dem sich Menschen wohlfühlen und wo sie Motivation erfahren, Gutes zu tun. Vielleicht besinnt man sich dann auch eher auf diesen Teil der Gemeinden und hält sich heraus aus der Mitsprache über persönliche Lebensentscheidung oder Situationen der Bürger. Ich will auch nicht die Vereinssymbole überall herumhängen sehen, nicht als Kleidung, nicht als Gruselfixe, nicht als Glockengebimmel (heute hat jeder andere Möglichkeiten, sich nach der Uhrzeit zu erkundigen).
So kann es ein einvernehmliches Nebeneinander geben. Ich fürchte nur, dass die Kirchen zu diesem Schritt nicht bereit sind...
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
In der Tat habe ich dann wohl nicht verstanden, worauf Sie mit Ihrem Hinweis, dass die niederen Chargen sich nicht an den Spielchen der Leitung beteiligen, hinaus wollten. Was also wollten Sie mir sagen?