Kacem El Ghazzali kam 2011 als politischer Flüchtling nach Europa. Die Ideale der Aufklärung, die er dort suchte, sieht er zunehmend in Gefahr. Denn während viele Linke sich vor einer humanistischen Islamkritik scheuen, nutzen rechte Populisten die Gunst der Stunde und stellen sich als die neue Stimme der Freiheit und der Werte der Aufklärung dar. Ein Kommentar.
An meinem fünfzehnten Geburtstag war es, im Sommer 2005 in Nord-Marokko, als ich zufällig an eine Reihe kurzer Online-Artikel über die europäische Aufklärung geriet. Was ich las, war ebenso fesselnd wie aufwühlend und markierte den Beginn einer radikalen Veränderung in meinem Leben.
Sehr eindrücklich war die Erkenntnis, dass Europa, heute ein entwickelter und freier Kontinent, bis zum 18. Jahrhundert auf denselben religiösen Pfeilern ruhte wie heute viele muslimische Länder, durchwirkt von religiösem Dogma, Sektierertum und Angriffen auf die Redefreiheit. Es war ermutigend, zu lesen, wie die Philosophen Europas an der vordersten Front des Kampfes für die Freiheit so viel erreicht hatten, obwohl sie, Verfechter von individueller Unabhängigkeit, intellektueller Offenheit und von Austilgung religiöser Unterdrückung, doch so wenige waren. Einsame Stimmen, ohne Unterstützung im Volk, unter Verfolgung leidend, im Exil lebend; verwandt vielen Säkularisten und Intellektuellen in der heutigen muslimischen Welt.
Diese philosophische und politische Bewegung erhob sich über die Hürden von Geographie und Sprache, denn ihre Lehrstunden hatten einen universellen Widerhall. Sie sprachen von der menschlichen Rasse, nicht der europäischen und hießen den Fortschritt willkommen, den der Geist des Menschen brachte, nicht der Geist Europas.
Dieses Europa mit seiner Literatur, seiner Philosophie, seinem revolutionären Erbe war ein Quell der Inspiration. Ich war ein junger Marokkaner mit einer komplizierten Geschichte der religiösen Erziehung, mit vierzehn Jahren genötigt, die Schule zu verlassen und eine salafistische Madrasa (Schule für islamische Wissenschaften) zu besuchen, aber die Werke der Intellektuellen der Aufklärung zu lesen wirkte als Katalysator meiner eigenen, persönlichen Aufklärung.
Die Ansichten Spinozas über Religion als organisiertes Dogma, der Mut Voltaires angesichts religiöser Verfolgung oder Diderots Glaube an die Bedeutung von Wissenschaft und Vernunft treffen speziell auf die gegenwärtigen Herausforderungen in der islamischen Welt zu. Um eine solche Faszination innerhalb der islamischen Welt von der europäischen Aufklärung zu verstehen, sollten wir uns der historischen Kontexte beider Kulturen bewusst sein.
Heute kennt man in Frankreich, Deutschland und England keine religiöse Verfolgung mehr. Niemand, der seine Meinung äußert, seine Religion ausübt, wie er es für richtig hält oder der gar nicht erst einer Religion anhängt, muss ein Nachspiel befürchten. Derweil unterscheidet sich die Lage in der muslimischen Welt radikal von der im heutigen Europa, gleicht aber derjenigen des Europas zu den Zeiten von Spinoza und Denis Diderot. Die Probleme, mit denen diese Denker rangen, stellen immer noch ernsthafte Herausforderungen für viele Menschen in der Welt dar, überall zwischen Tanger und Jakarta.
Das Europa der Aufklärung existiert nicht mehr
Persönlich begegnete ich Europa im Frühjahr 2011, als ich, politischer Flüchtling, in Genf ankam. Die Entdeckung, dass das Europa der Aufklärung nicht mehr existierte, das Europa der Bücher, die mich bewegt hatten, für die Freiheit zu kämpfen und zu schreiben, war ein großer Schock. Zwar besteht es geographisch fort, wir können es sehen, können es besuchen. Aber wir können nicht mehr bedingungslos in seine Ideen eintauchen oder die Werte und humanistischen Prinzipien erleben, auf denen es gegründet wurde. Es ist jetzt ein anderes Europa. Eines, in dem Künstler und Autoren Selbstzensur üben müssen aus Angst vor Morddrohungen; wo Karikaturen über Jesus Redefreiheit sind, Mohamed zu zeichnen aber "Hassrede". Ein Europa, in dem viele Linke und Feministen, konfrontiert mit dem Leid der Apostaten, der Frauen und Minderheiten in der islamischen Welt, den Kopf in den Sand stecken. Gleichzeitig nutzen rechte Populisten die Gunst der Stunde und stellen sich als die neue Stimme der Freiheit und der Werte der Aufklärung dar, das Vakuum füllend, das die Linken hinterlassen haben, während ihre Aktivitäten eine weitgehende Zurückweisung jener Prinzipien zeigen.
Zum eigenen Bedauern war ich nicht überrascht, in einer französischen Dokumentation Unterstützer des Front National zu sehen, die sich offenbar nach einer Rückkehr zur Zeit vor der Aufklärung sehnen, mit einem Mann mittleren Alters, der vor laufender Kamera sagt, er wolle Ludwig XIV zurück. Gleichermaßen wenig überraschend ist es, wie radikale Islamisten in Europa nach der Scharia rufen und die säkular-pluralistischen Gesellschaften verteufeln (in denen sie selbst frei leben können), unterstützt von vielen Linksliberalen, die Islamkritik mit Engstirnigkeit oder Hass auf Muslime verwechseln.
Tatsächlich ist schwer zu verstehen, wie die schwedische Regierungsdelegation – "die erste feministische Regierung" – in Teheran sich der islamistischen Kleiderordnung unterwerfen konnte; dem würden sie sich sicherlich verweigern, wenn irgendein weißer Mann es ihnen aufzuzwingen gedachte. Wie mögen sie wohl über Dorsa Derakhshani reden, die iranische Schach-Großmeisterin, die vom Wettkampf im nationalen Schach-Team ausgeschlossen wurde? Ihr Verbrechen: Den Hidschāb nicht zu tragen. Darüber hinaus kann ich nicht begreifen, wie Menschen, die behaupten, liberal zu sein und Verteidiger der Unterdrückten, mich zum Schweigen bringen wollen, sobald ich ihre ideologische Weltsicht infrage stelle. Kürzlich, als die Schweizer Politikwissenschaftlerin Regula Stämpfli einen meiner Artikel über Islamophobie und die regressive Linke auf ihrer Facebook-Seite teilte, beschuldigte mich ein linker Kulturrelativist in seinem Kommentar als "islamophoben, sich selbst hassenden Araber und Eurozentristen".
Gleichermaßen beschweren sich linke Genossen, dass ich zur sozialen Gerechtigkeit aufrufen sollte und zur Überwindung des Kapitalismus, statt zu verfechten, was sie "bourgeoise Freiheiten" nennen, wie etwa Religionsfreiheit und die sexuelle Befreiung, während sie vergessen oder ignorieren, was Marx selbst hervorhob: "Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik."
Es ist entmutigend, wie ich aus der Sicht vieler Europäer weder eine kritische Meinung über den Islam haben noch Immigranten für das verantwortlich machen sollte, was sie sagen oder tun. Andererseits habe ich anscheinend jedes Recht, den Westen zu kritisieren; sie würden mich lieben, wäre ich nur ein Opfer von "Rassismus, Diskriminierung, Xenophobie". Die Karte des armen unterdrückten Immigranten zu spielen könnte sehr wahrscheinlich meinen sozialen Status heben und vielleicht sogar den Weg zu einer erfolgreichen politischen Karriere ebnen. Es zu unterlassen indes bedeutet, dass ich nur ein weiterer selbsthassender Ausländer bin.
Die altväterliche ideologische Brille, durch die die Linken seit Jahrzehnten die Welt sehen, ist fort. Sie wurde obsolet, als junge Menschen überall in der muslimischen Welt Zugang zum Internet bekamen, der ihnen erlaubte, dieselben Bücher zu lesen und über sie zu diskutieren wie irgendein Pariser oder Berliner Teenager. Weder sind wir das neue Proletariat, das den Traum vom Klassenkampf wiederbeleben wird, noch werden wir die existenzielle Krise der Linken beheben, nachdem ihre traditionellen Auftraggeber, die Arbeiter, sie verlassen haben. Fremde, Flüchtlinge, Masseneinwanderung, Kulturrelativismus, die Verteufelung der westlichen Aufklärung, das sind die letzten Karten, die die Linke spielt, das letzte Schlachtfeld, das noch viele mit ideologischer Befriedigung erfüllt, ihnen einen Daseinsgrund liefert. Dieser Verrat religiöser und sexueller Minderheiten in der muslimischen Welt durch einige jener, die sich als "links" bezeichnen, ist entmutigend. Ihre Charakterisierung der ex-Muslime, Feministen und Liberalen in der islamischen Welt als "Eurozentristen" oder "Verräter der eigenen Kultur" ist herablassend, sie stinkt nach ideologischem Paternalismus.
Dennoch, es gibt auch viele vernünftige Stimmen innerhalb der Linken, die nicht einfach nur die augenblickliche Misere in der muslimischen Welt der westlichen Außenpolitik anlasten, sondern die Rolle gewalttätiger, theokratischer Regime wie im Iran und in Saudi-Arabien einräumen und anprangern, mitsamt ihrer Verantwortung für die Patenschaft des Terrorismus und für das Fördern extremistischer Ideologien.
Ist Europa also erloschen? Vielleicht hat das Europa, das mich einst inspirierte, niemals wirklich existiert und ich sehe den harschen Realitäten eines fortwährenden Kampfes hin zur Aufklärung ins Auge. Vielleicht habe ich in einem Augenblick der Schwäche meine Hoffnungen und Träume auf meine Lieblingsphilosophen und ihre Bücher projiziert. Oder gab es dieses Europa doch und es besteht fort? Solange ich offen meine Meinung sagen kann, solange ich die Linke, die Rechte und die Islamisten kritisieren kann ohne Angst vor Verfolgung oder Gefängnis; solange ich diese Freiheit nicht für selbstverständlich nehme, wird Europa, dieses Europa, das mich begeistert, immer existieren.
Übersetzung: Harald Grundner
Der englische Originalartikel auf der Website von Kacem El Ghazzali
16 Kommentare
Kommentare
Friedrich Jungeleit am Permanenter Link
Sehr guter Artikel! Danke!
David Z am Permanenter Link
Treffend analysiert Herr Ghazzali!
"Oder gab es dieses Europa doch und es besteht fort?"
Es gab es. Aber Aufklärung ist mehr ein Verlauf als ein Zustand. Ich sehe wie Sie die Gedanken der Aufklärung immer mehr unter Druck und in Rūckzuggefechte verwickelt. Das fängt bei den von Ihnen erwähnten Religions- und Kulturrelativierern an und geht mit Pseudowissenschaften wie der grotesken Genderideologie weiter, betritt mit der wirren Idee von "hatespeech" juristische Gefilde und erreicht inzwischen mit Homöopatie sogar schon die Medizin.
Verbunden wird alles mit der schrankenlos gewordenen Political Correctness und ihrem Ziel, jegliche negativen Gefūhle (und damit auch andere unbequeme Gedanken) vom Individuum fern zu halten. Inzwischen sind sogar schon nicht wenige westl. Universitäten, die Basis unseres Wissen und der Aufklärung, mit diesem destruktiven Gedankenvirus infiziert.
Dass diese Entwicklung, die ūbrigens nicht nur aus dem linken Lager kommt sondern inzwischen auch schon die pol. Mitte erreicht hat, die rechte Seite (oder präziser: konservative Seite) stärkt und dadurch die Gesellschaft gefährlich polarisiert, ist so klar wie etwas nur klar sein kann. Aber das sieht man nur mit Vernunft, und das Fehlen eben dieser ist ja grade das Problem.
Kay Krause am Permanenter Link
Zum letzten Absatz des Kommentares von David Z: Dazu gehört m.E.
Mit dieser also offensichtlich unterschiedlichen Auffassung des Begriffes "Vernunft" werden wir NUR in einer offenen und funktionierenden Demokratie zusammenleben können, indem wir auch die Vernunft-Auffassung des Andersdenkenden respektieren lernen, was einen ebenso offenen politischen und philosophischen Schlagabtausch selbstverständlich nicht ausschließt, sondern geradezu erfordert. Mit der Aussage, der Gegener handele "unvernünftig", wird man ihn kaum von der eigenen politischen Denkweise überzeugen können.
Leider sind momentan die rechten politischen Richtungsgeber einiger europäischer Staaten fleißig bemüht, diese offene und trotz aller menschelnden Probleme funktionierende Demokratie zu demontieren. Und ist die wachsende Zahl ihrer Mitläufer und Wähler nun einfach als "unvernünftig" abzutun? Das halte ich für sehr gefährlich und ignorant!
Da diese Mitläufer und Wähler sich lediglich bemühen müßten, unsere jüngste europäische Geschichte nachzuvollziehen und aus ihr zu lernen, um sie nicht wiederholen zu müssen, kann es sich wohl nur um einen Bildungsmangel sowie Interesselosigkeit dieser Menschen handeln.
Und um das nicht so stehen zu lassen: dieses Maß an Bildungsmangel und Interesselosigkeit ist auf Seiten der sogenannten "politischen Mitte" sowie der linken Seite keineswegs geringer. Alle namhaften 5 bundesdeutschen Parteien (FDP und AfD nicht mitgerechnet) buhlen heute um die wählerische "Mitte". Alle argumentieren "mittig", diese sogenannte Mitte ist ein einziger Parteienbrei, angeblich ist jede Partei für jeden wählbar, es sind kaum noch Unterschiede festzustellen. Im Moment ist es geradezu lächerlich und peinlich, in Bild- und Tonberichten zu erleben, wie alle 5 Parteien um die "Familie" buhlen.
Ein unendliches Thema, lieber David Z, ich weiß es, man verliert sich schnell darin.
Aber mit der von Ihnen zu recht gepriesenen "Vernunft" hat das wohl alles eher nichts zu tun, oder?
Mit Gruß, Kay Krause
David Z am Permanenter Link
Da haben Sie sicher recht, es wird sich jeder immer zunächst als "vernünftig" handelnd betrachten. Darum ging es mir in diesem Abschnitt aber eigentlich weniger.
Wo ich Ihnen allerdings klar widersprechen muss, ist Ihre Forderung, Andersdenke grundsätzlich zu respektieren. Beispiel: Als vernünftiger Mensch kann man die ordinäre Genderwissenschaft, Homöopathie, Rassismus, radikalen Religionsfanatismus, die Idee von offenen Grenzen, Schwulenhass, Antisemitismus usw usf nicht "respektieren", allenfalls bis zu einem gewissen Grad tolerieren. Und ja, es gibt sicher eine Menge Menschen, die diese genannten Positionen für vernünftig halten. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass dies auch tatsächlich so ist. Und um das herauszufinden, gibt es nur eine Methodik: die der Vernunft bzw der Wissenschaft.
Auch kann ich Ihnen nicht zustimmen, dass nur die "rechten politischen Richtungsgeber" fleissig bemüht sind, "die offene und ... funktionierende Demkratie" zu demontieren. Genau darum ging es ja in dem Artikel und auch meinem posting: Es ist auch die andere Seite, die daran mitarbeitet, wenngleich nicht unbedingt bewusst. Ich stimmte Ihnen jedoch zu, dass die Positionen von "rechts" nicht notwendigerweise unvernünftig sind, nur weil sie von "rechts" kommen. Und auch Ihre Einschätzung zur sog. "Parteienvielfalt" teile ich. VG, David.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Eine Analyse, der ich in großen Teilen zustimmen kann, ibs. dem Satz
Genau so ist es, denke ich. Die Kirchenfürsten haben bis heute einen unangemessen großen Einfluß auf „das Volk“ und die politische Führungsschicht.
Deutlich sichtbar bei der Feier zum Jahrestag der Römischen Verträge im Vatikan, wo der Papa seine Kinder um sich versammelte, um ihnen seine vierte „große Rede“ (Radio Vatikan) zu Europa zu halten. In der er selbstverständlich auch wieder die christlichen Wurzeln Europas ins Spiel brachte. Damit versucht er, Werte der Aufklärung für die christlichen Kirchen zu vereinnahmen; denn es geht da nicht um die Meisterleistungen der Architektur, die sich in protzigen Kathedralen widerspiegeln, oder um Meisterwerke der Musik, der Malerei oder der Bildhauerei. Es geht da um Demokratie, Freihei, Gleichheit (ibs. vor dem Gesetz) und ähnliches, das definitiv gegen die Kirchen erkämpft werden musste.
Anzumerken wäre hier auch, dass die Tatsache, dass europäische Kunst zum großen Teil sakrale Kunst ist, auch daran lag, dass es vor allem Kirchenfürsten waren, die als reiche Auftragbeber auftreten konnten. Und daran, dass die Kirchen nicht-sakrale Kunst gelegentlich als Teufelswerk verdammten. Von Wissenschaft und Medizin brauchen wir gar nicht erst zu reden, da genügen wohl die Stichworte Galilei und z.B. die „Apotheke Gottes“, womit Ratzinger die Sälbchen und Schäumchen der Hildegard von Bingen anpreist.
Und dass Voltaire überlebte lag vielleicht daran, dass er
a) finanziell ganz gut gestellt war
b) wundersamer Weise mächtige Unterstützer fand
c) scheinheilig versicherte, dass seine Kritik auf die Kirche ja gar nicht zutreffe, sondern auf eher undefinierte Gesellschaften. Vergleichbar einem muslimischen Voltaire, der die barbarischen Aufforderungen Gottes zum Mord an den Ungläubigen im AT kritisiert, und gleichzeitig versichert, das käme in der zivilisierten islamischen Welt und im friedfertigen Koran ganz bestimmt nicht vor.
Viele Themen gibt es, wo die Kirchenfürsten Aufklärung unterdrücken vor allem aber beim Thema Sexualität, wo sie z.B. auf ihrem dualen Konzept von Papa und Mama beharren, obwohl ein Blick in Wikipedia sie darüber belehren könnte, was ihr Gott alles an Kombinationen von X- und Y- Chromosomen schöpfert. Von den Unterschieden bei der Hormonproduktion mal ganz abgesehen. Ein sattes Prozent der Weltbevölkerung also rund 70 Millionen Menschen sind davon betroffen. Dass sie diese in ihrer Scheinwelt des Glaubens unter den Tisch fallen lassen, interessiert mich nur wenig, aber sie wollen das ja auch in der säkularen Gesellschaft durchsetzen; indem sie z.B. die „Homoehe“ bekämpfen oder einen angemessenen Sexualkundeuntericht als „Sexualisierung“ und „Genderismus“ verteufeln.
Und – wen wunderts – sie ignorieren sogar ihre eigene heilige Schrift, wo es bei Mt 19,12 in der Interlinear-Übersetzung heißt:
12 Sind nämlich Eunuchen, welche aus Leib Mutter geboren wurden so, und sind Eunuchen, welche zu Eunuchen gemacht worden sind von den Menschen, und sind Eunuchen, welche zu Eunuchen gemacht haben sich selbst wegen des Reiches der Himmel. Der Könnende fassen fasse! 13
bei Schlachter 1951 ist das Original noch erkennbar:
12 Denn es gibt Verschnittene, die von Mutterleib so geboren sind; und es gibt Verschnittene, die von Menschen verschnitten sind; und es gibt Verschnittene, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen. Wer es fassen kann, der fasse es!
Also vulgo: es gibt Männer (im christlichen Kontext geht man erst mal davon aus, dass das Männer sind), die ohne Eier geboren wurden, es gibt Männer, denen andere die Eier abgeschnitten haben, und es gibt welche, die sich selbst die Eier abgeschnitten haben, um des Himmelreiches willen.
(Da es hier um das leuchtende Erbe der „christlichen Kultur“ geht, kann ich es mir nicht verkneifen, daran zu erinnern, dass lange Zeit zu dieser „christlichen Kultur“ auch gehörte, Knaben mit schönen Stimmen die Eier abzuschneiden, damit sie als Kastraten weiterhin das Lob Gottes singen konnten. Und kein "Heiliger Geist" hat darüber aufgeklärt, dass man das auch durch Training der normalen männlichen Stimmorgane erreichen kann, wie die heutigen Counter-Tenöre beweisen.)
Ich habe das bewusst mal so vulgär, aber zweifellos korrekt, formuliert, weil die neue (katholische) Einheitsübersetzung von 1980 ein entlarvendes Schlaglicht darauf wirft, wie verklemmt unaufgeklärt das Verhältnis der katholischen Clerisey zur Sexualität immer noch ist, wenn sie genant formuliert:
12 Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.
Das soll eine Übersetzung sein ??? Wer das erfassen kann, der erfasse es !!!
Helmut J am Permanenter Link
"Dieser Verrat religiöser und sexueller Minderheiten in der muslimischen Welt durch einige jener, die sich als "links" bezeichnen, ist entmutigend."
Das ist eines der Probleme unserer Zeit, das Verdrehen von Wörtern und Bedeutungen. Jeder SPDler begreift sich als links. Das ist so wahr, wie ich der Kaiser von China bin.
norbert besgen am Permanenter Link
Erfrischend. Klasse Artikel. Kann ich weitgehend zustimmen.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Ich kann der Analyse von Kacem El Ghazzali nur zustimmen. Wir haben in der Tat innere Feinde, die ganz bewusst an der Demontage unserer freien Gesellschaft arbeiten. Zu ihnen gehören sehr viele Linke und Grüne.
Maßgebliche Vertreter der Partei »Die Linke« sehen in den hier sozial und ökonomisch scheiternden Muslimen vermutlich das ihnen inzwischen abhanden gekommene Proletariat, das ihnen dereinst wieder zur Macht verhelfen könnte. Deswegen bleibt auch seitens der Linken die Kritik am Verhalten von Zuwanderern mit muslimischen Wurzeln seltsam stumm, gleichgültig wie weltanschaulich rückwärtsgewandt und gesellschaftsschädigend so manches Verhalten auch ist. Darüber hinaus vereint viele Linke und die selbsternannten Repräsentanten der Muslime der Hass auf die USA, den Kapitalismus, überhaupt »den von Weißen dominierten Westen«. Ganz viele unserer »grünen« Sozialromantiker wiederum sehnen sich nach der bunten multikulturellen, sich selbst formierenden Gesellschaft, ohne den damit einhergehenden Verlust an humanistischem Denken, Aufklärung, Rationalität und Säkularität sehen zu wollen. Offenbar schwebt ihnen eine Gesellschaft von Individuen vor, die ihre Kulturen abgestreift haben und bereit sind für die neue Weltkultur. Menschen mit ihrer kulturellen Identität, ihrer Erziehung und ihrem Denken lassen sich aber nicht neu formatieren wie eine Festplatte. Die Frage stellt sich, was die tieferliegenden Motive für diese kritiklose und in meinen Augen naive Einstellung sein könnten.
Beide – Linke wie Grüne – missbilligen das »alte, koloniale Denken«, das geprägt ist von der noch heute andauernden Dominanz Europas über viele Länder Afrikas, Arabiens, Asiens. Dieses »vorherrschaftliche« Denken abzubauen gelingt nur – so die unausgesprochene Überzeugung von Linksgrün – mittels Ent-Deutschung bzw. Ent-Europäisierung der Bevölkerung. Linksgrün lehnt daher bewusst die sog. Obergrenze bei der Zuwanderung ab. Das Ziel ist, einen möglichst hohen Grad an Durchmischung mit anderen Kulturen zu erreichen. Linksgrün schwebt ein (an sich diskussionswürdiges, aber derzeit nicht realisierbares!) Weltbürgertum vor, das musterhaft in Mitteleuropa herangezogen werden soll. Ein stillschweigend zusammenwirkendes links-grünes Bündnis sieht offenbar nur in einer unbegrenzten Zuwanderung die langfristige Möglichkeit zu dieser weitgehenden Veränderung unserer Gesellschaft hin zu einer von »weißer Vorherrschaft« befreiten und antikapitalistisch bzw. antimarktwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft. Dass damit ein Rückfall in eine voraufgeklärte Zeit verbunden sein könnte, wird offenbar hingenommen.
Da die politische Mitte sich durch eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit und Kraftlosigkeit bei der Verteidigung unseres Gesellschaftsmodells auszeichnet, bereiten Linksgrün und politische Mitte damit gleichzeitig den Boden für problematische Entwicklungen auf der rechten Seite des politischen Spektrums.
Helmut J am Permanenter Link
Ich unterstütze zu enigen Teilen die Vorwürfe, die Sie denen machen, die eine multikulturelle Gesellschaft fordern/wollen, ohne über die Gefahren für eine humanistisch und demokratisch geprägte Gesellschaft nachzuden
Allerdings habe ich große Schwierigkeiten mit der Personalisierung Ihrer Vorwürfe: "Wir haben in der Tat innere Feinde, die ganz bewusst an der Demontage unserer freien Gesellschaft arbeiten. Zu ihnen gehören sehr viele Linke und Grüne." Ich bezweifle, ob viele Linke und Grüne wirklich BEWUSST an der Demontage unserer Gesellschaft arbeiten. Das würde ich gerne belegt sehen. (außerdem: Wieviel sind viele?)
Im Fortgang vermuten Sie, was "Maßgebliche Vertreter der Partei »Die Linke«" sehen.
Dann wird daraus "viele Linke".
Dann "Beide - Linke wie Grüne -".
Zum Schluß heißt es nur noch: "Linksgrün".
Nur zur Erinnerung: "Wir schaffen das!" kam von einem CDU-Kanzler. (Ich unterstelle mal, Frau Merkel ist maßgeblich in der CDU). Nebenbei: Die CDU ist eine Partei, die sich christlich nennt, aber auch mühelos islamische Funktionsträger beschäftigt. Hätten Sie Ihre Vorwürfe dann nicht auf CDU-Linkgsgrün ausweiten müssen?
Ich sehe im übrigen mehr innere Feinde, die ganz bewußt... bei der CDU, bei Wirtschaftsverbänden und beim Verfassungsschutz als bei Linken und Grünen. Aber das kann ich auch nicht beweisen, ist ja auch Unsinn, weil eine solche Argumentation (s.o.) nichts bringt.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Lieber Helmut J, es handelt sich um einen Kommentar, nicht um eine Studie, in der man den Platz hätte, hochgradig zu differenzieren und Belege aufzulisten.
malte am Permanenter Link
Was Herr Lehnert hier von sich gibt ist pure Verschwörungsideologie.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Fällt einem kein Argument mehr ein, dann greift man nach dem Joker »Verschwörungstheorie« oder »Rassismus«. Man meint dann, den ideologischen Gegner genügend widerlegt und vor allem bloßgestellt zu haben.
Nein, lieber Malte, so einfach sollten Sie es sich nicht machen. Vermutlich fühlten Sie sich ertappt als Vertreter jener Linken, die Ghazzali zu seinem Entsetzen hier in Europa antrifft und die er als Totengräber der Aufklärung ansieht.
Ich habe in meinem Kommentar den Versuch gemacht, diesen Typ von Aufklärungsgegner etwas genauer zu beschreiben und deren mögliche Motive für ihr Verhalten zu diagnostizieren. Und selbstverständlich hat das alles mit der derzeitigen Flüchtlingsproblematik zu tun. In unser Land sind seit Sommer 2015 durch die massenhafte und unkontrollierte Zuwanderung aus arabisch-muslimischen Ländern jene Menschen gekommen, die genau jene kulturelle Umschichtung bewirken sollen, die maßgeblichen Teilen der Grünen und Linken als Ziel eines neuen Typs einer multikulturellen Gesellschaft vorschwebt. (Die Kirchen sind ebenso an dieser Zuwanderung existentiell interessiert, erhoffen sie sich doch eine Wiederbelebung und Aufwertung des im Absterben begriffenen Religiösen in Gesellschaft und Politik.)
Aber vielleicht haben Sie das alles auch gar nicht verstanden.
malte am Permanenter Link
„Ich habe in meinem Kommentar den Versuch gemacht, diesen Typ von Aufklärungsgegner etwas genauer zu beschreiben und deren mögliche Motive für ihr Verhalten zu diagnostizieren.“
Richtig. Und die „möglichen Motive“, die sie hier aufführen, sind vollkommen an den Haaren herbeigezogen und durch nichts belegbar. Sie entspringen lediglich ihrem Bauchgefühl. Was ist das anderes als eine Verschwörungsideologie?
Ich fühle mich im übrigen überhaupt nicht „ertappt“. Außer einem etwas sehr pathetischen Tonfall habe ich an dem Text von Kacem El Ghazzali eigentlich nichts auszusetzen. Er spricht ein wichtiges Problem an. El Ghazzali merkt vollkommen richtig an, dass für viele Linke und Linksliberale Kritik am Islam ein rotes Tuch ist und dass er sich von diesen Leuten verraten fühlt. Von Migration ist in dem Text überhaupt nicht die Rede, das Thema haben allein sie aufgebracht.
El Ghazzali betreibt eine echte Islamkritik im Sinne von Ideologiekritik. Ihre Position dagegen ist primär ethnopluralistisch motiviert. Sie kritisieren den Islam gar nicht als Ideologie, sondern als eine essentialistisch verstandene „Kultur“. Eine „Kultur“, die die Menschen angeblich „nicht abstreifen“ können, die ihnen also gewissermaßen angeboren sein soll. Damit stehen sie in einer beliebten ideologischen Tradition, die den Begriff „Rasse“ lediglich durch „Kultur“ ersetzt, damit aber das selbe meint: „Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch“ (Adorno). Die Menschen sind angeblich grundsätzlich verschieden, die Unterschiede unüberbrückbar (Sie verwenden wiederholt den Ausdruck „inkompatible Kulturen“). „Islamkritik“ ist nach diesem Weltbild lediglich als „Migrationskritik“ denkbar, und das ist auch der Grund, weshalb sie die Diskussion in diese Richtung lenken wollen. Nicht die Befreiung der Individuen von falschen Vorstellungen ist das Ziel (denn das wäre ja ein „Abstreifen der Kultur“), die „inkompatiblen Kulturen“ sollen stattdessen schön sauber getrennt werden. Ihre Vorstellungen sind also bedeutend näher am Ethnopluralismus der Neuen Rechten als an einer emanzipatorischen Religionskritik. Und dafür habe ich kein Verständnis. Wir müssen aufpassen, dass sich eine solche Ideologie nicht noch weiter in den säkularen Verbänden ausbreitet.
Jana Richter am Permanenter Link
"Von Migration ist in dem Text überhaupt nicht die Rede, das Thema haben allein sie aufgebracht."
Ich verstehe Ihre Sorge. Der verständliche, gefährliche menschliche Hang zur Schubladenbildung und -bestückung gehört messerscharf beäugt und immer wieder auf geeignete Anwendungsgebiete zurückverwiesen. So, wie in Ihrem Fall auch.
Es ist eine Sache, einen Menschen zwangsweise einer Gruppe zuzuordnen, der er sich selbst womöglich gar nicht zugehörig fühlt. Geht gar nicht.
Es ist aber genau die gleiche Sache, einem Menschen zwangsweise eine Gruppenzugehörigkeit abzusprechen, nachdem er sich selbst eindeutig, ja geradezu enthusiastisch dazu bekannt hat, dass diese Gruppe quasi seine Identität ausmacht. Auch das geht eben gar nicht.
Das Ausblenden von Unangenehmem hat umso fürchterlichere Folgen, je länger man die Flucht vor der Wahrheit betreibt.
Die Feststellung von Uwe Lehnert, dass wir es hier mit inneren Feinden zu tun haben, ist keine Verschwörungstheorie, und wenn sie es unbedingt so nennen wollen, dann ist es eben eine zutreffende Verschwörungstheorie.
Ich habe einige Jahre in ziemlicher Nähe zur sogenannten türkischen Cummunity verbracht und hatte neulich beim Panorama-Gucken eine Art Flashback:
http://mediathek.daserste.de/Panorama/Staat-im-Staate-T%C3%BCrkische-Beamte-in-deu/Video?bcastId=310918&documentId=41751260
Lediglich die höchste administrative Ebene ist neu dazugekommen.
Was ich - und darum geht es mir mit diesem Link - aber eindeutig bestätigen kann, ist die für den Einzelnen so unendlich schwer auflösbare kulturelle Bindung an das mit agressivem Druck aufrechterhaltene System von Kollektiv, Normierung, Hierarchie, Abgrenzung nach außen und Abwertung Externer. Kontakte zu Deutschen waren, wenn vorhanden, dienlich. Immer die spürbare Furcht, sich von den Deutschen zu sehr beeinflussen zu lassen.
Wir waren geduldet. Wir waren nützliche Idioten. Wir merkten, wie wir in ein uns allmählich die Kehle zuschnürendes Sytem von Gefälligkeiten, Beobachtung und "wir haben ja, jetzt müsst Ihr aber auch" gerieten.
Diese Erfahrung teile ich, wie ich inzwischen weiß, mit anderen.
Ich frage Sie: Für wie realistisch halten Sie es, dass sich kulturell - ja, kulturell! - eingepferchte Muslime in entspannter Individualität aus diesem Gruppendruck befreien, wenn sogar mein Partner und ich unsere liebe Mühe hatten, der missmutigen Bewertung unserer Person und unseres Verhaltens wieder zu entgehen?
Zumal ich das Ausmaß der von Ihnen scheinbar fantasierten "Befreiungs"wünsche zahlenmäßig für verschwindend gering halte. Schubladenbildung ist meiner Erfahrung nach nämlich vor allem bei Muslimen verbreitet. Und die Linken und Grünen plus sonstige Bahnhofsklatscher sind die nützlichen Idioten.
Nein, das ist nicht immer so. Ja, es gibt genug andere Beispiele. Es gibt freien Herzens lebende (Ex-)Muslime in Deutschland. Aber die sind die Ersten, die es abkriegen, wenn wir noch länger so tun, als gäbe es nicht massive konservativ-islamische Großreichs-Eroberungsbestrebungen Deutschland und Europa betreffend.
Und es gibt unter sich links und weltoffen meinenden Deutschen idiotische romantische Identifikationstendenzen, die im Wesentlichen in Geschichtsverzerrung und trotziger Denkverweigerung bis hin zur völligen geistigen Unbeweglichkeit begründet sind.
Nehmen Sie diese Tatsache zu Kenntnis, anstatt sich auch noch daran zu beteiligen.
"Links" - das war mal der Hort der Gesellschaftskritik - kann ich kaum noch mit was anderem als mit Scheuklappenideologie in Verbindung bringen. Es fehlen die Anlässe.
Meine Gespräche mit bekennenden Linken sind regelmäßig frustrierend, krepieren bei Konfrontation mit unangenehmen Fakten regelmäßig im üblichen Rassismusvorwurf gefolgt vom beleidigten Abgang und bestätigen wiederum Herrn Lehnerts Aussagen.
Was nicht ins Weltbild passt, wird ausgeblendet. In einer schönen, fernen Zukunft werden wir uns alle klassenfrei liebhaben. Wenn doch bloß erst der böse Imperialismus weg ist. Dass hier gerade der Gesinnungsimperialismus Krieg gegen die persönliche Freiheit führt - iwo, Verschwörungstheorie.
Ach ja, und die "leidige Frauenfrage" ist natürlich kein Indikator, sondern bloß ein Nebenwiderspruch. Wie könnte es anders sein.
malte am Permanenter Link
„Es ist aber genau die gleiche Sache, einem Menschen zwangsweise eine Gruppenzugehörigkeit abzusprechen, nachdem er sich selbst eindeutig, ja geradezu enthusiastisch dazu bekannt hat, dass diese Gruppe quasi seine Ide
Ich denke, das ist genau der Punkt, der hier eigentlich diskutiert werden muss: Gruppenzugehörigkeit, Identität. Man muss feststellen, dass sich die Art und Weise, wie Migranten wahrgenommen werden, in den letzten 20 Jahren stark gewandelt hat. Ich kann mich noch gut an die Situation Anfang der 90er erinnern, die Zeit der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen. Damals wurde in Medien, Schule und Freundeskreis eigentlich über nichts anderes geredet als über das Verhältnis zu Migranten. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass in dieser ganzen Zeit auch nur EINMAL das Wort „Islam“ gefallen wäre! Die Menschen wurden als „Ausländer“ wahrgenommen, als „Migranten“ oder „Türken“, nie als „Muslime“. Und - das ist der Punkt - sie haben sich auch oft selbst nicht primär als „Muslime“ definiert.
Das hat sich komplett gedreht. Amartya Sen führt das auf Huntingtons Ideologie vom „Kampf der Kulturen“ zurück: Die vielschichtigen Identitäten der Menschen werden reduziert auf lediglich einen Aspekt der Identität, die Religion. Das Problem ist nach Sen nun, dass auch Huntingtons Gegner dessen Koordinatensystem letztlich übernehmen. Anstatt ihren Fokus auf die Vielschichtigkeit von Identitäten zu legen, nehmen auch sie jetzt den Migranten primär als „Muslim“ und nichts anderes wahr. Sich für Rechte von Migranten einzusetzen, soll jetzt angeblich bedeuten, „den Islam“ zu verteidigen, die Religion wird zum unwandelbaren Kern der Identität erklärt. Religionskritik wird daher auch nicht als solche wahrgenommen, sondern als Angriff auf die Person und daher pauschal abgewehrt. Das hat auch Konsequenzen darauf, was „Integration“ heute leider oft genug bedeutet: Nicht dem Individuum soll die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden, nein „der Islam“ als ganzes soll integriert werden. Darum spielt die lächerliche Frage, ob der Islam denn nun „zu Deutschland gehört“ in der öffentlichen Diskussion auch eine so absurd große Rolle. Um die „Integration“ zu bewerkstelligen wird eine „Islamkonferenz“ einberufen, wodurch man den Islamvertretern viel zu viel Autorität zugesteht. Islamunterricht soll an den Schulen eingeführt werden, usw. usf. Es wird alles nur Denkbare getan, um die Menschen auf ihre Identität als Muslime zu reduzieren. Und das wird auch angenommen. Man hört häufiger den Satz: „Ihr habt uns zu Muslimen gemacht“. Dass sich Migranten so extrem auf ihre Gruppenzugehörigkeit als Muslime berufen, daran sind Linke und bürgerliche Liberale mit Schuld!
Dass sich viele Linke so schwer mit Kritik am Islam tun, ist eben genau in diesem identitären Denken begründet. Und nicht, wie Lehnert hier sugerieren möchte, in irgendwelchen finsteren „Umvolkungs“-Plänen. Und darum regen mich seine Kommentare auch so furchtbar auf. Anstatt die Ursache des Problems, die Identitätspolitik, anzugreifen strickt er Verschwörungsideologien, die Islamkritik letztlich diskreditieren und nach rechts hin öffnen.
Ich empfehle Ihnen, mal das Buch von Amartya Sen („Die Identitätsfalle“) zu lesen. Ein ähnliches Thema und wesentlich tiefgründiger behandelt Sama Maani in „Respektverweigerung“. Übrigens aus „linker“ Perspektive - geben sie die Hoffnung also noch nicht ganz auf ;-)
Roland Fakler am Permanenter Link
Innerhalb einer Kultur nimmt man alles für selbstverständlich. Erst durch die Begegnung mit anderen Kulturen, wird einem das „Eigene“ wie in einem vorgehaltenen Spiegel bewusst.
Tatsächlich haben die Rückwärtsgewandten in der Weltgeschichte oft gesiegt und die „Heilige Allianz“ von Bischöfen und Imamen wird versuchen, uns wieder ins Mittelalter zurückzuführen, in diese glorreichen Zeiten als die Schafe ihren Hirten noch blinden Gehorsam geleistet haben. Aber gibt es dafür eine reale Chance? Ich glaube nicht und ich kämpfe dagegen!