Viren sind weit mehr als Krankheitserreger, sie prägen das Leben auf unserem Planeten. Die emeritierte Professorin für Virusökologie der Pennsylvania State University, Marilyn J. Roossinck, führt mit ihrem Buch überaus eindrucksvoll durch die Welt dieser nahezu unsichtbaren Organismen.
Das Faszinosum Viren ergibt sich aus ihrer enormen Anpassungsfähigkeit und Vielfalt, ihrer biologischen Sonderstellung zwischen Leben und Nicht-Leben, ihrer Rolle als Krankheits- und Evolutionsfaktor sowie auch aus ihrer Bedeutung als Werkzeuge in Forschung und Medizin. Hervorragend bebildert mit großformatigen Makro- und Elektronenmikroskop-Aufnahmen, szenischen Fotos, grafischen Darstellungen und künstlerischen Abbildungen sowie klug textlich gegliedert in Grundlagen, allgemeine Ausführungen und Bilderläuterungen, vermittelt das Buch fundiertes Wissen zu einem der spannendsten und meistdiskutierten Phänomene in Biologie, Medizin und Kultur.
Viren gehören zu den kleinsten, aber auch anpassungsfähigsten biologischen Einheiten auf der Erde. In großer Vielfalt sind sie überall zu finden: In Menschen, Tieren, Pflanzen, im Wasser und sogar in den extremsten Lebensräumen wie heißen Quellen oder der Tiefsee. Trotz ihrer Winzigkeit und der Tatsache, dass sie nicht als Lebewesen im klassischen Sinne gelten, besitzen sie enormen Einfluss auf das Leben und die Evolution auf unserem Planeten. Bestehend nur aus RNA oder DNA und einer schützenden Proteinhülle, sind sie nicht in der Lage, eigene Energie zu erzeugen und benötigen für all ihre Funktionen einen Wirt.
Ob Viren lebendig sind oder nicht, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Als man Ende des 19. Jahrhunderts Viren entdeckte, hielt man sie für lebendig. 1935 konnte das Tabakmosaikvirus als Kristall darstellt werden, seitdem sind Teile der Wissenschaft der Meinung, Viren seien eher eine chemische Substanz als eine Lebensform.
Gut gegliedert in neun Kapitel mit jeweils mehreren Unterkapiteln, verdeutlichen deren Überschriften die Inhalte so weit, dass das Buch, zusammen mit dem umfangreichen Glossar und Register, auch als Nachschlagewerk dienen kann. Jedes Kapitel wird mit Beispielen verschiedener Virusarten textlich und bildlich mit ihren grundlegenden biologischen Fakten und Details zu Lebenszyklen, Übertragungswegen und Wechselwirkungen mit Wirtsorganismen ergänzt.
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Beschreibung der Vielfalt und Biologie der Viren mit ihrer Bedeutung für Medizin, Ökologie und Forschung. Dabei werden neue Erkenntnisse und Perspektiven der Forschung vorgestellt, die über das klassische Bild von Viren als reine Krankheitserreger weit hinausgehen. Das Buch verdeutlicht die oftmals sehr komplexen Wirtsbeziehungen, indem es zeigt, wie Viren nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen, Bakterien und Pilze infizieren, wobei sie nicht nur Schaden anrichten, sondern in vielen Fällen auch positive Effekte für ihre Wirte haben: zum Beispiel, indem sie vor anderen Krankheitserregern schützen, Ökosysteme stabilisieren oder die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen gegen Trockenheit erhöhen.
Viren dienen auch als Werkzeuge der Forschung: Roossinck stellt dar, wie Viren in der Biotechnologie und Medizin eingesetzt werden. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Gentherapien oder als Vektoren für Impfstoffe, wobei auch SARS-CoV-2 (Covid 19) und das Potential von Viren für zukünftige Pandemien ausführlich beleuchtet werden. Die laufende Entdeckung neuer, ungewöhnlicher Viren stellt klassische Definitionen infrage und erweitert das Bild ihrer Evolution und Systematik. Neue Erkenntnisse verdeutlichen, dass Viren als integraler Bestandteil biologischer Systeme betrachtet werden müssen. Die heutige Virenforschung geht über reine Krankheitsbekämpfung weit hinaus, wobei ein umfassendes Verständnis ihrer ökologischen und biologischen Funktionen eine wichtige Voraussetzung bildet.
Die zusammengefassten Eigenschaften von Viren lauten:
- Sie bestehen meist nur aus Erbmaterial (DNA oder RNA) und einer schützenden Hülle aus Proteinen.
- Sie begleiten das Leben seit seinen Anfängen, ihre Entstehung ist noch nicht restlos geklärt.
- Sie besitzen extreme Anpassungsfähigkeit, man findet sie überall – im Boden, Wasser und in der Luft.
- Sie können sich nicht selbst vermehren, sondern benötigen dazu eine Wirtszelle, in die sie ihr Erbgut einschleusen und die zelluläre Maschinerie zur Produktion neuer Viren nutzen.
- Sie sind Überlebenskünstler und haben die Evolution maßgeblich beeinflusst – etwa 50 Prozent des menschlichen Erbgutes stammen ursprünglich von Viren.
- Sie sind tief in unserer genetischen Geschichte verwurzelt, ohne sie gäbe es viele Säugetiere, darunter auch den Menschen, vermutlich nicht.
- Sie gestalten unser Immunsystem mit und sorgen für ein Gleichgewicht im Verdauungstrakt.
- Sie verursachen viele Krankheiten, von Erkältungen bis hin zu schweren Infektionen wie HIV oder Covid-19.
- Manche, wie Herpesviren, bleiben nach einer Infektion lebenslang im Körper und können verschiedene Krankheiten auslösen – von harmlosen Bläschen bis zu schweren Komplikationen.
- Sie können vielfältig nützlich sein: In der Medizin z.B. zur Gentherapie, für die Impfstoffentwicklung sowie als Bakteriophagen zur Bekämpfung bakterieller Infektionen.
- Sie spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem und sorgen für biologisches Gleichgewicht in vielen Umgebungen.
- Sie sind Meister der Evolution. Ihre Fähigkeit zu schneller Mutation und Rekombination ermöglicht es ihnen, sich ständig an neue Wirtssysteme und Immunantworten anzupassen.
Fazit: Viren sind auf der einen Seite furchteinflößende Krankheitserreger, die Millionen von Menschen das Leben kosten können. Auf der anderen Seite sind sie Meisterwerke der Natur, die das Ökosystem stabilisieren und zur Evolution des Lebens beitragen. Ihre Komplexität und Vielseitigkeit machen sie zu einem der faszinierendsten Forschungsgebiete der modernen Biologie.
"Viren" von Marilyn J. Roossinck ist ein fachlich fundiertes, sehr informatives und dazu optisch überaus ansprechendes Sachbuch, das die enorme Vielfalt und Bedeutung von Viren für Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt verdeutlicht. Der Autorin gelingt es, komplexe virologische Zusammenhänge auch für Laien verständlich und spannend aufzubereiten, für das Verstehen mancher Kapitel und Abbildungen sind molekularbiologische Grundkenntnisse hilfreich. Das Buch kann Leserinnen und Lesern mit Interesse an Biologie und Virologie uneingeschränkt empfohlen werden.
Marilyn J. Roossinck, Viren – Die faszinierende Welt unserer heimlichen Mitbewohner, Haupt Verlag, Bern 2025, 288 Seiten, 36 Euro, ISBN 978-3-258- 08407-7