In einem der ältesten Teile unseres Gehirns:

Forschende lokalisieren das "Religionszentrum"

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Vor einigen Jahren fand die Wissenschaft heraus, dass religiöse Glücksgefühle im gleichen Bereich des menschlichen Hirns verarbeitet werden wie physiologische Lust. Nun haben Forschende den zerebralen Ursprung religiöser und spiritueller Neigungen entdeckt, verborgen in einem Teil unseres Gehirns, der so alt ist, dass selbst Reptilien eine ähnliche Struktur besitzen: dem periaquäduktalen Grau des Stammhirns.

2016 schob die University of Utah 19 Mormon:inen in einen Hirnscanner, um herauszufinden, was bei religiösen Erfahrungen im Gehirn passiert. Das Ergebnis: Religiösen Hochgefühlen ging stets eine gesteigerte Aktivität des Nucleus Accumbens voraus, einem Teil des Vorderhirns, der zum Belohnungsschaltkreis gehört. Der Nucleus Accumbens ist auch verantwortlich für den Kick, den wir verspüren, wenn wir als intensiv empfundene Bedürfnisse oder Süchte befriedigen.

Diese Beobachtungen zeigen, dass die gläubigen Mormonen bei der Kontemplation religiöser Inhalte ähnliche Befriedigung empfinden wie nichtreligiöse Menschen bei Liebe, Sex oder Musik. Dies suggeriert wiederum, dass unser Hang zu spirituellen Erfahrungen ebenso tief in unserer Neurobiologie verwurzelt sein könnte wie unsere tiefsten physiologischen Bedürfnisse.

Hirnläsionen geben Aufschluss über "Religionszentrum"

Ein Team des Brigham and Women's Hospital in Boston hat nun genau dies festgestellt. Dazu unterzog das Team 88 Patient:innen, denen tumorbedingt Teile des Gehirns entfernt werden mussten, jeweils vor und nach dem Eingriff einer ausführlichen Befragung zu ihren religiösen oder spirituellen Gefühlen.

"Wir waren sehr erstaunt, dass der Gehirnschaltkreis für die Spiritualität ausgerechnet in einem der evolutionär ältesten Strukturen des Gehirns sitzt", fasst Studienleiter und Neurologe Michael Ferguson das Ergebnis zusammen. Während die meisten Eingriffe folgenlos blieben, zeigten sich nach Verletzungen des periaquäduktalen Graus (PAG) im Stammhirn messbare Veränderungen. Wurden bestimmte Teilareale des PAG verletzt, führte dies zu einer deutlich verringerten Religiosität – Verletzungen in anderen Teilarealen wiederum führten zu als intensiver wahrgenommenen religiösen Gefühlen.

Zur Bestätigung ihrer Ergebnisse befragten die Forschenden 105 US-Amerikaner:innen, die im Vietnamkrieg gedient haben. Die ehemaligen Soldat:innen, die Verletzungen am PAG davongetragen haben, berichteten ebenfalls von gesteigerten oder verminderten religiösen Gefühlen.

Die Bedeutung des periaquäduktalen Graus

Bisher wurde das PAG mit Aversionsverhalten, Schmerzresponsivität und prosozialem Verhalten in Verbindung gebracht. Bei Nagern führen Verletzungen an bestimmten Teilen zu extrem defensivem Verhalten gegenüber anderen, Verletzungen an anderen Stellen hingegen zu einer an Sorglosigkeit grenzenden Entspannung.

Auch Halluzinationen und die Parkinson-Krankheit haben ihren Ursprung im PAG des menschlichen Gehirns. Ein Vergleich der Läsionskarten zeigt: Die Areale, die zu gesteigerter Religiosität führten, sind häufig auch bei Patient:innen mit Halluzinationen beeinträchtigt. Und die, die zu einer verminderten Religiosität führten, häufig bei Patient:innen mit Parkinson. "Diese Überlappungen können dabei helfen, diese Phänomene besser zu verstehen", erläutert Ferguson.

Nun sind Religiosität und Spiritualität nicht das Gleiche, und auch hatte nicht jede schwerreligiöse Person der Geschichte einen Hirnschaden. Vielmehr zeigt die Studie aus Boston, dass religiöse und spirituelle Gefühle Teil unserer evolutionären Essenz sind. Es ist, wie Yuval Noah Harari sagt: Die Fähigkeit abertausender Individuen, an die gleiche Fiktion glauben zu können und diese Idee verwirklichen zu wollen, ist der eigentliche Grund für den evolutionären Erfolg des Menschen. Wichtig ist nur, auf welche Fiktion wir uns einigen.

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