Am Dienstag dieser Woche wurde vor dem Strafgericht in Berlin über die religiös motivierte Beschneidung eines siebenjährigen Jungen verhandelt. Es ging um die Nichteinhaltung der Regelungen des im Jahr 2012 – nach dem bekannten Urteil des Landgerichts Köln – neu geschaffenen Paragrafen 1631d BGB. Der hpd sprach über den Prozeß mit dem Berliner Rechtsanwalt Walter Otte, der im Auftrag der Mutter die Nebenklage vertritt.
Für Jungen, die älter als sechs Monate sind, verlangt das Gesetz bei Beschneidungen die Beachtung der "Regeln der ärztlichen Kunst". Das Strafverfahren gegen den Vater des Jungen, der die Beschneidung veranlasst hatte, endet mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldbuße von 2.500 Euro. Dieses Ergebnis ist auf Kritik von Betroffenenverbänden gestoßen. Gegen den eigentlichen Beschneider wurde nicht verhandelt.
hpd: Herr Otte, warum wurde das Verfahren gegen den Vater eingestellt?
RA Walter Otte: Dafür waren eine Reihe von Gründen maßgeblich. Die kulturelle Prägung des Vaters, die er bei seiner Einlassung als Angeklagter erwähnte, spielte für die Verfahrenseinstellung allerdings keine Rolle.
Von Bedeutung für die Einstellung des Verfahrens war u.a., dass der Vater nicht vorbestraft war und den Tatvorwurf eingeräumt hat.
Die Überlegung, dem betroffenen Jungen und seinem auch minderjährigen Bruder eine Aussage vor Gericht, unter Umständen sogar in mehreren Instanzen, und die damit verbundenen Belastungen zu ersparen, spielte ebenfalls eine bedeutsame Rolle für die Verfahrenseinstellung.
Weiter wurde berücksichtigt, dass der Vater, der zunächst nur vage den Tatvorwurf eingeräumt hatte, in einer ergänzenden Aussage in der Gerichtsverhandlung eine Reihe von Angaben gemacht hat, die diesen – was den Tathergang angeht – schwer belasten und eine Verurteilung des Beschneiders besser ermöglichen. In dem Prozess gegen ihn dürfte deshalb eine Aussage des betroffenen Jungen entbehrlich sein.
In der Presse hat es geheißen, die Staatsanwaltschaft hätte die Einstellung des Verfahrens damit begründet, dass der Vater aus einer Kultur stamme, in der die Knabenbeschneidung verbreitete Sitte sei…
… ja, das habe ich auch gelesen. Aber das betrifft nicht das jetzige Verfahren, sondern einen Vorgang einige Jahre vor dem Beschneidungslegalisierungsgesetz von 2012. Damals – bis zum Kölner Landgerichtsurteil – war es üblich mit derartigen Begründungen Strafverfahren wegen Knabenbeschneidungen einzustellen – selbstverständlich ohne jede Geldbuße.
Jetzt hatte die Staatsanwaltschaft auf die von mir im Auftrag der Mutter erhobene Strafanzeige hin sachgerecht ermittelt und Anklage erhoben. In der Presse erhobene Vorwürfe, erst auf Druck der Ärztekammer seien die Ermittlungen weitergeführt worden, sind falsch.
Es war zu Beginn der Verhandlung am Dienstag auch keineswegs klar, dass es zu einer Verfahrenseinstellung kommen würde. Die Erörterungen vor Gericht haben vielmehr deutlich gemacht, dass die Staatsanwaltschaft durchaus eine Ahndung der Straftat erreichen wollte.
Eines will ich hierzu noch erwähnen: auch der Richter hat eine solche Position eines "Kulturbonus" nicht bezogen.
Die geringe Höhe der Geldbuße ist ….
…. auch dadurch zu erklären, dass der Vater kein besonders hohes Einkommen erzielt. Das Einkommen eines Angeklagten ist bei der Verhängung einer Geldstrafe zu berücksichtigen und wird entsprechend bei der Festlegung einer Geldbuße herangezogen.
Hätte der Vater ein Beamteneinkommen, wäre die Geldbuße in einem vierstelligen Bereich deutlich höher ausgefallen.
Warum saß nur der Vater des beschnittenen Jungen auf der Anklagebank und nicht auch der Beschneider?
Das Gericht hat das Strafverfahren gegen den Beschneider abgetrennt, weil er sich seit bald einem Jahr krankgemeldet hat und nicht absehbar ist, wann gegen ihn verhandelt werden kann. Das Strafverfahren gegen den Vater sollte nicht länger verzögert werden, gegen den Beschneider wird dann später gesondert verhandelt.
Haben Sie den Eindruck, dass sich der Beschneider dem Verfahren entziehen will?
Darüber habe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse. Immerhin sind ärztliche Atteste vorgelegt worden, die die Annahme einer derzeitigen Verhandlungsunfähigkeit zulassen. Ich will hier nicht spekulieren. Allerdings steht für diesen Angeklagten einiges auf dem Spiel. Vom Gesetz her ist bei einer gefährlichen Körperverletzung ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahre vorgesehen. Nach meiner Einschätzung muss der Beschneider mit einer Verurteilung rechnen. Sachverhalt und Rechtslage sind eindeutig.
Hinsichtlich des Vaters wurde erörtert, ob er vielleicht einem Irrtum über die Strafbarkeit der von ihm veranlassten Beschneidung unterlegen war. Darauf wird sich der Beschneider auf keinen Fall berufen können: nach der umfassenden öffentlichen Diskussion um Beschneidungen im Jahr 2012 und dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 zum damaligen Jahresende, kann nicht angenommen werden, er als langjähriger Beschneider hätte dies nicht alles nicht mitverfolgt, oder anders ausgedrückt: Er hätte im Januar 2013 nicht gewusst, dass er Beschneidungen an Jungen über sechs Monaten nicht durchführen durfte, und schon gar nicht in einer Wohnung (auf dem Zimmertisch) und ohne Betäubung.
Wurde der Vater über mögliche Risiken bei der Beschneidung aufgeklärt?
Nein, der Vater wurde weder über mögliche Komplikationen bei, noch nach der Beschneidung aufgeklärt, sondern ihm wurde nur eine Salbe zur Verwendung bei Beschwerden übergeben. Nach Angaben des Vaters in der Gerichtsverhandlung habe er auf Fragen nur den Hinweis erhalten, wenn die Salbe bei Beschwerden nicht ausreiche, solle der Vater den Beschneider anrufen. Eine Information zu möglichen Spätfolgen gab es erst recht nicht.
Bei dem Beschneider handelt es sich nicht um einen Arzt?
Nein, er ist kein Arzt, sondern er hat – wie in der Gerichtsverhandlung mitgeteilt wurde – in einer Pflegefunktion in einem Berliner Krankenhaus gearbeitet. Er war in der islamischen Community als religiöser Beschneider bekannt, der immer wieder weiter empfohlen wurde.
Übrigens: Das Krankenhaus hatte ihm vor Jahrzehnten eine Nebentätigkeit als Beschneider ausdrücklich gestattet.
Sind Ihnen weitere Strafverfahren wegen Beschneidung in Berlin bekannt?
Nein.
Weshalb ging die Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieser Beschneidung von einer strafbaren Handlung aus?
Zum einen hatte die sorgeberechtigte Mutter nicht eingewilligt, zum anderen wurde entgegen der Vorschrift des § 1361 Absatz 1 BGB die Beschneidung nicht "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" durchgeführt, sondern von einem Nichtmediziner, und zwar ohne Betäubung und außerhalb einer Klinik oder einer Arztpraxis. Deshalb wurde diese Beschneidung als strafbare Körperverletzung, und zwar als gefährliche Körperverletzung gewertet, weil sie mittels eines gefährlichen Werkzeugs gemäß § 224 StGB durchgeführt wurde.
Herr Otte, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.
Zum Berliner Strafverfahren wegen Beschneidung siehe auch:
https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2017/10/beschneidung-sohn-prozess-geldauflage.html
2 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ein sehr erhellendes Interview. Danke dafür.
Doch ein Punkt treibt mich nach wie vor um:
"Hinsichtlich des Vaters wurde erörtert, ob er vielleicht einem Irrtum über die Strafbarkeit der von ihm veranlassten Beschneidung unterlegen war."
Ich ziehe einmal den kulturellen Hintergrund des Angeklagten ab, da dieser ja (angeblich) keine Rolle gespielt haben soll. D.h. das Gericht hat ihn wie einen normalen Vater behandelt, dessen Sohn auf SEINE Veranlassung hin - gegen den Willen der Mutter - eine Köperverletzung mit lebenslangen Spätfolgen erleiden musste.
Wie würde ein Gericht einen konfessionslosen Vater beurteilen, der wissentlich seinen Sohn einem medizinischen Laien übergibt, damit dieser ihm in der Küche ohne Betäubung ein Ohr (= 50 % der Ohren, analog zu 50% der Penishaut bei einer Beschneidung) abschneidet? Ich meine, der Vater muss gewusst haben, was seinem Sohn angetan wird. Unabhängig der Diskussion von 2012.
Diese Tat ist also nur und ausschließlich vor dem kulturellen Hintergrund verständlich, aber in keiner Weise zu entschuldigen. Das Gesetz v. 12.12.12 mag hier - was immer meine Befürchtung war - sogar insofern verwirrend auf Menschen dieses kulturellen Hintergrundes gewirkt haben, weil es suggeriert, Beschneidung an sich sei von da an erlaubt.
Auch aus diesem Grund bin ich für eine ersatzlose Streichung des 1631d BGB, weil er ein falsches Signal sendet. Schließlich hat auch eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst und komplikationsfrei durchgeführte Beschneidung ohne medizinische Indikation lebenslange Folgen für den Betroffenen.
Doch gerade vor dem kulturellen Hintergrund (speziell im Judentum) muss eine Beschneidung ohne Betäubung durchgeführt werden. Der Schmerz ist - siehe Paul Spiegel - Teil des Rituals. D.h. wenn durch den 1631d BGB bei juristischen Laien ankommt "Beschneidung ist künftig erlaubt!", dann wird man dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine rituelle Beschneidung beziehen und nicht auf eine sterile OP in einem Operationssaal.
Der Gesetzgeber ist meiner unmaßgeblichen Meinung nach dazu aufgerufen, seine Gesetze in aller Klarheit zu verfassen, so dass auch juristische Laien deren Sinn nachvollziehen können. Dies ist mit einem juristisch spitzfindigen Paragraphen, wie dem 1631d BGB nicht zu erreichen, wie auch der vorliegende Fall deutlich genug zeigt.
Mindeststandart wäre für mich hier eine gesetzliche Pflicht zu einem Aufklärungsgespräch bei einer neutralen Stelle, die weder der Beschneider selbst sein kann, noch das Krankenhaus, dass die Beschneidung durchführt. Hier muss deutlich nicht nur über mögliche Komplikationen, sondern auch über die unvermeidbaren lebenslangen Folgen aufgeklärt werden. Dies muss auch im Beisein des zu beschneidenden Kindes geschehen, damit Eltern nicht - aus kulturellen Gründen - diese "Warnhinweise" ignorieren können.
Desweitern sollte vor dem Eingriff - der selbstverständlich in jedem Alter unter Betäubung in einem Krankenhaus durchgeführt werden muss - das betroffene Kind ohne Eltern befragt werden, ob es die Belehrung verstanden hat und den Eingriff noch immer wünscht. Kinder, die das intellektuell noch nicht verstehen können, sind ohne medizinische Indikation nicht zu beschneiden.
Dies wäre für mich der Minimalkonsens, falls der Staat sich wirklich nicht auf sein Wächteramt berufen will, und diese unnötigen OPs ganz verbietet. Bei Verstößen gegen diesen Minimalkonsens sollten sowohl die Beschneider, als auch die Eltern deutlich schwerer bestraft werden, egal was sie verdienen. Das Kind hat ja auch sein Leben lang darunter zu leiden. Dann können die Eltern (oder wer auch immer die Beschneidung veranlasst hat) u.U. ein Leben lang an das Kind Schmerzensgeld bezahlen...
Bolas am Permanenter Link
Hoffentlich ist das allen Eltern eine Lehre.
Wenn schon Verstümmeln, dann in Kenntnis aller Risiken und nach allen Regeln der ärztlichen Kunst.
Mit der Durchsetzung dieses völlig unzureichenden Gesetzes in diesem auch noch besonders gelagerten Fall (übergangene Mutter zeigt Haltung) ist wenigstens ein Schrittchenchen in die richtige Richtung getan.
Die Beschneidungsdebatte gehört wieder in die Schlagzeilen!