Vergangenen Freitag veranstaltete das "Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen" – kurz BAStA – im "Haus der Demokratie und Menschenrechte" in Berlin eine Diskussion mit dem Titel: "100 Jahre Staatsleistungen – 100 Jahre Missachtung der Verfassung". Vertreter aus Wissenschaft, Kirche, Zivilgesellschaft und Politik legten vor einem mit vielen säkularen Parteimitgliedern besetzten Publikum ihre Positionen zum Stand der Dinge dar.
Auf dem Podium saßen der Sprecher des Bündnisses Johann-Albrecht Haupt, Beirat der Humanistischen Union (HU) und des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), der auch Mitglied der "Säkularen Sozis", des nicht offiziell anerkannten Arbeitskreises der SPD, ist, der evangelische Kirchenrichter Prof. Michael Droege, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht der Universität Tübingen mit dem Schwerpunkt Verwaltungs-, Religionsverfassungs- und Kirchenrecht, als Vertreter der kirchlichen Seite Lorenz Wolf, Leiter des Katholischen Büros Bayern, Offizial der Erzdiözese München und Freising sowie Rundfunkratsvorsitzender des Bayerischen Rundfunks (BR). Außerdem war die Politik vertreten mit Sevim Dağdelen, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, sowie Bettina Jarasch, religionspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Moderation übernahm der Philosoph, Autor und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Michael Schmidt-Salomon.
"Seit 100 Jahren heißt es schmucklos in der Verfassung: Die historischen (…) Staatsleistungen werden abgelöst – (…) nicht etwa, sie werden garantiert (…), wie uns die Staatsrechtslehre, die Kirchenpolitiker und die Kirchen jedenfalls in der Vergangenheit weismachen wollten", begann Johann-Albrecht Haupt seinen Impulsvortrag. Dieser bis heute nicht erfüllte Verfassungsbefehl wende sich an die Politiker, nicht an die Kirchen, die mache er deshalb auch nicht verantwortlich. BAStA habe in diesem Zusammenhang drei Forderungen: Erstens, dass die Zahlungen der Staatsleistungen eingestellt werden, da in den vergangenen 100 Jahren von der Allgemeinheit weit mehr als genug Ausgleich geleistet worden sei. Zweitens: konkrete und öffentlich geführte Gespräche von Bund und Ländern mit den Kirchen. Drittens, dass Erstere anschließend gesetzgeberisch tätig werden. Um das Verfahren zu beschleunigen, wünsche sich das Bündnis von den beiden christlichen Kirchen eine Verzichtserklärung, die auch einen Beitrag zur "Entweltlichung" der Glaubensvereinigungen darstellen würde.
"Ich repräsentiere nur meine freie wissenschaftliche Überzeugung", leitete Michael Droege sein Statement ein. Die Nichtablösung der Staatsleistungen sei ein verfassungspolitischer Skandal und eine Missachtung der Geltungskraft der Verfassung. Man könne nicht dagegen klagen, weil niemand dadurch in seinen Rechten verletzt werde, dass Bund und Länder dem Verfassungsauftrag nicht nachkommen. Die Staatsleistungen könnten als "Säkularisationsfolgerecht", wie Droege es nennt, nicht ersatzlos einseitig gestrichen werden, wie BAStA es fordert. Es handle sich hierbei um ein veraltetes Verfahren, bei dem durch Entschädigungszahlungen Rechte aufgehoben wurden. In der Höhe hätten Bund und Länder aber einen erheblichen Spielraum: "Angemessen" sei die einzige Zielvorgabe. Die Verschiedenheit der Höhe der gezahlten Staatsleistungen je Bundesland beziehe sich auf die unterschiedlich verteilten Verluste, die damit kompensiert werden sollten.
Die Staatsleistungen bezögen sich auf die Säkularisationen seit der Reformation, nicht nur die unter Napoleon, erklärte Lorenz Wolf daraufhin. Diese hätten die katholische Kirche in der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz beschränkt oder sie ihr gar genommen. Die Kirche wehre sich nicht gegen die Ablösung, aber es müsse verhandelt werden. "Die Kirche ist zu mehr bereit als das, was der Staat tun will", behauptete der Geistliche. Es habe auch schon Teilablösungen gegeben, wie bei der Wohnungsgewährungspflicht für den hohen Klerus. Wolf wolle auch, dass der bayerische Staat nicht mehr für Bischofsgehälter aufkomme, es habe hier bereits eine Umwidmung gegeben, sodass die Staatsleistungen für sämtliche kirchliche Bedarfe zur Verfügung stünden.
Bettina Jarasch stellte zu Beginn klar: "Ich glaube, dass das Jahrhundertjubiläum der Weimarer Reichsverfassung ein guter Zeitpunkt ist, um hier endlich voranzukommen." Sie sieht momentan dafür ein geeignetes Zeitfenster. Anhand der Äußerungen des Eichstätter Bischofs Gregor Maria Hanke und den Reaktionen darauf merke man, dass Dinge in Bewegung kämen. Bisher sei es für alle Seiten bequemer gewesen, den Status Quo zu erhalten, als ihn zu verändern. Die Grünen hätten bisher zum Verhältnis Religion-Weltanschauungen-Staat keine wirklich fundierte, gemeinsame Position gehabt. Grundsätzlich habe man sich mittlerweile verständigt, dass das Religionsverfassungsrecht, das Kooperationen ermöglicht, ein gutes Modell sei, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, für mehr Pluralität und Gleichbehandlung, aber auch Beachtung der Interessen nicht-gläubiger Menschen. Auf diese Weise könne man die konstruktiven Kräfte von Religion fördern und die destruktiven bändigen. Es müsse aber auch eine Entflechtung des Verhältnisses zwischen Religionen und Staat geben: "Wir wollen diesen Verfassungsauftrag endlich umsetzen", versprach sie. Auch wollten die Grünen die Voraussetzungen dafür im Bundestag schaffen. Denn die Länder warteten auf ein Signal aus dem Bund.
Sevim Dağdelen wies darauf hin, dass es bereits 2012 und 2015 einen Gesetzesentwurf und einen Antrag der Linkspartei zum Thema gegeben hat, es habe aber keine einzige andere Fraktion im Bundestag zugestimmt. Die Politikerin plädierte dafür, Grüne und Linke sollten dort, wo sie Gestaltungsmacht hätten – also an der Regierung beteiligt sind – diese nutzen und eben nicht auf den Bund warten. "100 Jahre seit diesem Verfassungsauftrag sind einfach 100 Jahre zu viel." Alle Parteien seien von diesem Versagen betroffen. Sie nannte die Staatsleistungen ein "bedingungsloses Grundeinkommen für die Kirchen", das nicht länger hinnehmbar sei. Wichtig sei, den politischen Diskussionsraum zu öffnen, denn das Thema sei nicht einmal ein Nischenthema, sondern gar keines, es spiele in der Öffentlichkeit keine Rolle. Dazu müssten auch die säkular Organisierten innerhalb der Parteien gestärkt werden und darauf hinarbeiten, dass sich das ändere. Ihre eigene Partei versteht Dağdelen als Partei des Laizismus. "Und was ganz wichtig ist, das werde ich hier auch heute Abend versprechen: Dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, dass wir die Initiativen von damals noch in diesem Jahr 2019 im Bundestag nochmal auf die Tagesordnung bringen. Dass wir versuchen, im Bundestag die Debatte wieder aufzunehmen. (…) Da brauchen wir Ihre Hilfe", sagte sie ans Publikum gewandt. Der Säkularismus halte immer mehr Einzug und das stehe im Gegensatz zu dem, was in der Politik stattfinde. Das finde sie "völlig inakzeptabel".
Moderator Michael Schmidt-Salomon zeigte sich irritiert, dass alle Anwesenden für die Ablösung der Staatsleistungen einträten: "Wer ist denn überhaupt dagegen?", fragte er und gab an den katholischen Geistlichen weiter, der sich in die "Höhle des säkularen Löwen" gewagt hatte, wie der Philosoph anerkennend hervorhob. Die Kirche erbringe Leistungen, die staatliche Aufgabe seien, antwortete Wolf. Mit Verweis auf die Staatsleistungen würden andere Zahlungen gekürzt. Droege warf ein, dass dies nicht zum Thema gehöre. Es würden religionspolitische Anliegen vermischt, was auch den Ablösungsprozess behindere. "Es geht hier nur darum, einen alten Zopf von 1919 abzuschneiden." Der Kirchenfunktionär warf ein, dass das Ganze aus Sicht des Bundes 100 Jahre lang niemanden interessiert habe, "und jetzt auf einmal pressiert's". Der BAStA-Sprecher konterte: "Das ist für die deutsche Demokratie eine sehr schädliche Feststellung, wenn man sagt: Es interessiert uns nicht, was in der Verfassung steht. Wo der Gesetzgeber die Verfassung missachtet, da herrscht Willkür." Die Politik würde in grundsätzlichen Fragen heutzutage nur tätig, wenn sie von Gerichten dazu gezwungen werde. Da hier aber kein Rechtsweg zur Verfügung stehe, bleibe alles beim Alten.
Politiker sagten häufig, die Ablösung könne man nicht bezahlen. "Woher wissen wir das eigentlich? (…) Es gibt kein Gesetz, es gibt kein Vorbild in der Literatur, es gibt überhaupt nichts Vergleichbares, (…) wie das zu regeln ist. (…) Darüber muss man sprechen!" Es müssten Verhandlungen in Gang kommen, so Haupt weiter. Die Grünen-Politikerin fügte hinzu, es sei nicht nur an den säkularen und laizistischen Gruppierungen innerhalb der Parteien, diesen Prozess voranzutreiben. Es sollte ihrer Meinung nach ein breites Bündnis auch mit den C-Parteien sein, "und ich glaube, dass das möglich ist." Der banale Grund der bisherigen Nicht-Ablösung sei laut Dağdelen der, dass niemand als der wahrgenommen werden wolle, der den Kirchen Geld wegnehme.
5 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Es reicht.
Ersatzlose Streichung der Staatsleistungen. Es ist bereits mehr als genug gezahlt worden, als dass hier noch irgendein Ersatz geleistet werden müsste.
Bernd Kockrick am Permanenter Link
Es ist bisher überhaupt noch nie geklärt worden, inwieweit die Kirchen denn rechtmäßig und legitim zu ihrem Vermögen gekommen sind. Durch ehrliche Arbeit bestimmt nicht.
Ernie am Permanenter Link
Ist es nicht das grundätzliche Wesen der Kirchen, unmoralisch und unverschämt zu sein? Wie also sollten Sie sich schämen?
W.Rahlfs am Permanenter Link
Um die enteigneten Grundstücke/Immobilien/Gegenstände die es hier geht sind , sind vor mals von Volk als Lehen an die Religiösen Machthaber gegeben worden von den vormals (unrechtmäßig ) Herrscher !
Heide am Permanenter Link
Die Entschädigungszahlungen reichen anscheinend noch viel weiter:
https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/Uralte-Schulden-Stadt-Trier-zahlt-Hexengeld,stadt-trier-zahlt-hexengeld-100.html