Sollten wir unsere Überzeugungen zeigen oder nicht? Müssen wir unsere Ansichten verbergen, um die Gefühle anderer zu respektieren? Und warum äußern wir unsere religiösen und intellektuellen Auffassungen? Was sind die Motive dahinter? Unser wegen seines Unglaubens verfolgter Autor hat sich dazu Gedanken gemacht.
Eine andere Meinung zu zeigen ist in der arabisch-islamischen Kultur verboten, die sich auf eine Grundsäule stützt, nämlich den Gehorsam gegenüber dem Glauben. Deshalb herrscht in Meinung und Debatte Diktatur. Weil wir die Kultur des Dialogs und der Diskussion nicht gelernt haben.
Jedes Mal, wenn ich meine ideellen Einstellungen zum Ausdruck bringe – und das schließt auch meinen nicht vorhandenen Glauben an Religionen mit ein –, schauen mich die meisten Menschen voller Erstaunen und auch Sarkasmus an und sagen: "Warum bekennst du dich zum Atheismus? Behalt' es für dich und sprich nicht darüber. Denn indem du darüber sprichst, provozierst du uns. Den einzigen Sinn, den das hat, ist, unsere religiösen Gefühle zu beleidigen."
Einige meiner Freunde haben zwar die gleichen Gedanken wie ich, aber sie wollen mich überzeugen, meinen Unglauben für mich zu behalten und nicht offen zu zeigen, denn das Wichtigste ist ihrer Meinung nach, nicht aus der Reihe zu tanzen. Ich hatte eine Diskussion mit einem Freund, der einer von jenen ist, die ein Leben mit mehreren Persönlichkeiten und Identitäten führen: In der Öffentlichkeit scheinheilig religiös, aber mit einem atheistischen Geheimnis. Er sagte zu mir: "Du musst deine intellektuelle Identität und deine Überzeugungen verbergen, um einen Muslim nicht zu provozieren und seinen Respekt nicht zu verlieren. Er wird nicht mit dir diskutieren, wenn du von Anfang an deine Überzeugungen offen zeigst. Du wirst ihn nur provozieren und er wird nicht mit dir in den Dialog treten, sondern er wird dich hassen."
Ich widersprach mit dem Argument, dass der Gläubige seine Überzeugungen und Ideen von Anfang an zum Ausdruck bringt und dass er stolz auf sie ist und sie daher auch immer zeigt. Warum also habe ich nicht das gleiche Recht, meine Überzeugungen und Ideen zum Ausdruck zu bringen, wenn ich ebenso stolz auf meinen Unglauben bin? Warum sollten wir nur die Gefühle der Gläubigen respektieren? Haben Ungläubige keine Gefühle? Ich sagte ihm: "Wenn wir der Unterdrückung, Diktatur und Ausgrenzung uns gegenüber nicht tapfer entgegenstehen, wird uns niemand unsere Rechte zugestehen."
Der Mensch will frei sein und akzeptiert keine Unterdrückung
Menschen, die ihre Gesellschaften mit ihrer Unterschiedlichkeit konfrontiert haben, sind der Grund für die Entwicklung dieser Gesellschaften, der Freiheit und der Menschenrechte. Europa zum Beispiel hat sich nicht über Nacht in Länder verwandelt, die die Freiheit und Würde des Menschen respektieren. Es gibt Tausende von Menschen, die ihr Leben geopfert haben, weil sie mutig für ihr Anderssein, ihre Überzeugungen und Ideen einstanden.
Wenn mir eine der oben genannten Fragen gestellt wird, beantworte ich sie mit derselben Logik: Könntest du damit leben, dass dir die Ausübung deiner religiösen Rituale verweigert wird? Was würdest du fühlen, wenn ich zu dir sage, dass es dir verboten ist, in die Moschee oder die Kirche zu gehen oder sogar den Koran oder die Bibel zu lesen? Und dass es dir verboten ist, irgendetwas zu zeigen, was mit deiner Religion zu tun hat? Was würdest du tun?
Derjenige wird automatisch antworten: "Ich werde alles für die Freiheit tun, für meine Überzeugungen einzutreten, auch wenn mich das mein Leben kostet." Er würde sogar sterben, um dieses Ziel zu erreichen. Warum? Weil der Mensch frei sein will und Unterdrückung nicht akzeptiert. Es ist ihm eigen, seine Überzeugungen kommunizieren zu wollen. Wenn jemand daran gehindert wird, seine Ansichten, Ideen und Auffassungen auszudrücken, sperrt man ihn ein, man unterdrückt ein lebenswichtiges Bedürfnis. Das gilt unabhängig davon, welcher Art jene Gedanken und Anschauungen sind, so trivial sie auch erscheinen mögen. Bringt man sie zum Ausdruck, erzeugt das eine nicht beschreibbare psychologische Geborgenheit. Dies gilt auch für Atheisten. Also ist es nur natürlich, dass sie verzweifelt ihre Sicht der Dinge verteidigen und sich gegen Tötung und Verfolgung wehren. Und dennoch scheinen es manche noch immer für eine unwichtige Angelegenheit zu halten. Andere wiederum glauben gar, Gewalt und Verfolgung seien gerechtfertigt.
Der Kampf für die Rechte Nicht-Gläubiger muss respektiert werden
Jeder kann selbst entscheiden, ob er Ideen akzeptiert oder ablehnt. Es darf keine Gewalt oder Verfolgung gegenüber denen geben, die sie haben. Wir brauchen mehr Bildung und der Kampf für die Rechte Nicht-Gläubiger muss respektiert werden. Wir müssen ausgrenzendes religiöses Denken damit konfrontieren, welches noch immer darauf besteht, den Begriff Atheismus oder Abfall vom Glauben als Ausdruck der Verachtung für den Menschen und als eine Art Stigma und Scham zu verwenden. Als Grund, jemanden seiner Rechte als Mensch zu berauben.
Das Konzept der Veränderung in der arabischen Gesellschaft war immer mit der Unvermeidlichkeit verbunden, einen Teil des Selbst aufzugeben; und weil das Selbst nichts anderes als eine Reihe von angeborenen und erworbenen Zugehörigkeiten ist, die unsere Identität ausmachen, bedeutet jede Veränderung, einen Teil von sich selbst aufzugeben. Doch in dieser Aufgabe liegt nichts Schlechtes oder Falsches. Die jeweils vorherrschenden Bräuche, Traditionen oder Weltanschauungen geben lediglich vor, dass es verboten sei, um sich selbst zu erhalten. Veränderung wird mit Verleugnung gleichgesetzt.
Aber wie kommt es dazu? Ist es nicht die Umgebung, die uns diese Dinge auferlegt hat? Wir hatten doch nicht die Freiheit, zu wählen! Soll es etwa fair sein, es zu bestrafen, wenn wir etwas hinter uns lassen, was wir uns nicht ausgesucht haben?
26 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Atheisten gehorchen nicht den Priestern. Priester wollen aber, dass die Menschen ihnen gehorchen. Deshalb bluffen sie mit Gott.
Bei Religion geht es einzig und allein um Gehorsam gegenüber den Priestern, Mullahs, Rabbinern, um Gehorsam bis zum Tod.
Vorschlag zur Taktik: Hinterfrage, wieviel Ahnung die Priester & Kollegen wirklich von Gott haben.
"Haben die Priester&Kollegen wirklich Ahnung von Gott oder tun sie blos so als ob?"
"Verkünden die Priester&Kollegen wirklich Gottes Willen oder nur ihren eigenen Willen als >Gottes Willen< ?"
"Bieten >heilige Bücher< wirklich Wahrheit oder ist das nur ein Trick?"
G.B. am Permanenter Link
Sehr guter Artikel der die Realität auf den Punkt bringt.
Solange dieses Prinzip besteht, wird es keinen Frieden in der Welt geben.
Wir Atheisten versuchen nicht Gläubige zu Missionieren zum Atheismus, sondern wollen nur die gleichen Rechte die man Gläubigen zugesteht. Jeder kann glauben was immer er will, aber er darf anders Denkende nicht zwingen mit Androhung von Gewalt, seine Ansicht zu verbergen.
Axel Feldmann am Permanenter Link
Richtig!
Roland Fakler am Permanenter Link
Religionen sind Machtinstrumente, die vor allem denen nützen, die sie erfunden haben (Religionsstifter) und die in ihren Hierarchien oben stehen und sich die Religion zunutze machen (Priester, Staatsmänner ).
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Alle Religionen haben einen unglaublich großen "Schatz an Weiheiten", die man in ihrer großen Mehrheit als Fakenews bezeichnen muss.
Wenn man sich überlegt, wie die beiden Großkirchen zu ihrem irrwitzigen Vermögen kamen: einfachen Menschen, die weder lesen noch schreiben können, wurde erzählt, dass sie, wenn sie nicht am "alleinseligmachenden" Glauben der katholischen Kirche festhalten, auf ewig in der Hölle braten würden. Sie können sich ein paar Jahre Höllenfeuer ersparen, wenn sie eine größere Summe Geldes an die Kirche zahlen. Man kann auch für Vorfahren noch einige Freijahre erkaufen. Auch der Handel mit Reliquien war ein einträgliches Geschäft. In Europa gab es mehr als ein Dutzend Städte, in denen eine "heilige Vorhaut" verehrt wurde. Im italienischen Ort Calcata soll es bis 1984 eine solche Originalvorhaut gegeben haben. Wenn man sich überlegt, mit welcher Grausamkeit die katholische Kirche gegen "Ketzer" gewütet hat (Albigenser, Katharer, Hexen, Kreuzzüge, in Lateinamerika Mission etc.) und sich nach dem Verbrennen dieser armen Kreaturen deren Vermögen unter den Nagel gerissen hat, dann weiß man, warum die Kirchen zu den größten Grundstückseigentümern und Immobilienbesitzern heutzutage zählen: mit der Angst der Menschen, nach dem Tod eventuell in der Hölle zu enden, kann man viel Geld machen.
Roland Fakler am Permanenter Link
@Klaus Weidenbach Danke.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„einer von jenen...: In der Öffentlichkeit scheinheilig religiös, aber mit einem atheistischen Geheimnis.“
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... stolz auf meinen Unglauben" - wieso stolz?
CnndrBrbr am Permanenter Link
Weil man sich den üblicherweise hart erarbeitet und verteidigt hat.
Martine Landau am Permanenter Link
Bereits der Wortgebrauch »Ungläubig« hat diese negativ Konnotation, die Herabsetzung, Herabwürdigung und sogar Diskriminierung vermittelt.
»Warum sind Sie eigentlich nicht in der Kirche?« Diese Frage impliziert fast immer ein »weil«, als Intro zu einer rechtfertigende Antwort. Das ist nicht zu unterschätzen, denn der*die Fragesteller*in betrachtet den 'Ungläubigen' von weit oben herab. Das 'warum nicht' suggeriert: du bist draußen und abseits. Die Fragstellung musste aber genau andersherum lauten: » Warum sind Sie eigentlich in der Kirche?« Das leitet sich daraus her, dass die Mehrheit der Menschen eben nicht Mitglied in diesem Verein ist. Fragt man jemanden, warum ihm ein Finger fehlt, dann leitet sich das daraus ab, dass alle Menschen zehn Finger haben, es sei denn einer kommt abhanden. Ich bitte mir diese überspitze Simplifikation nachzusehen, aber tatsächlich erlebt man ganz Erstaunliches... wenn man*frau von der erwarteten Weil-Rechtfertigung abweicht. Seit vielen Jahren entgegne ich auf solche Frage etwa: »Warum sind Sie eigentlich immer noch immer dort Mitglied?«. Ungehalten ist dabei dann noch die freundlichste Reaktion. Nicht selten folgen regelrechte Ausraster und aggressive Zurechtweisung, was ich mir denn anmaßen würde...
Erst vor ein paar Wochen hat mir jemand, ganz im Vertrauen 'gebeichtet' (ihr Wortgebrauch!), aus der Kirche ausgetreten zu sein, mich aber gleichzeitig um Diskretion in dieser 'Angelegenheit' gebeten. »Aber das bleibt unter uns« - »Bitte sag niemanden etwas«, ganz so als habe sie etwas Verwerfliches getan und nun Angst davor, dass es herauskommt. Das ist der Zustand in unserer ach so aufgeklärten und liberalen Gesellschaft und das ist leider kein Einzelfall.
Eigentlich sind es doch jene die immer noch Mitglied religiöser Vereine und Körperschaften sind, die sich die Frage gefallen lassen müssen, wie sie es überhaupt verantworten können so etwas mit möglich zu machen. Die vermeintlich unbeteiligten und passiven Mitglieder ihrer Religionsvereinigungen, welcher Art und Struktur auch immer, sind jene die wegschauen, oft auch im Wissen um das was tatsächlich geschieht. Sie sind mindestens Mitläufer und leisten all dem Vorschub.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... genau andersherum" - das wird ja immer besser! Macht es Sinn, Gläubische zu fragen, warum er*sie innen immer noch unatheistisch sind?
Martine Landau am Permanenter Link
»» Macht es Sinn, Gläubische zu fragen, warum er*sie innen immer noch unatheistisch sind?
Vermutlich nicht. Ich stelle sie ausschließlich als Antwort auf die mir entsprechend gestellte Frage. Von mir ausgehen, so wie etwa 'Gläubige' danach fragen, warum ich nicht in der Kirche sei, frage ich nie. Seltsamerweise stellt sich die Frage fast immer nach einer 'Kirche' und fast nie nach einer Religionsgemeinschaft im Allgemeinen, was bereits Teil der Antwort auf meine noch zu stellende Gegenfrage ist. Meine Umkehr-Frage ist also Teil eines angetragenen Diskurses. Für mich ist sie, vor allem hinsichtlich der Reaktion des Gegenübers, von Interesse, ermöglicht sie mir doch oftmals die Person, ganz unvermittelt und offen, einzuschätzen. Diese Frage stelle ich, um für mich Informationen zu erhalten, die möglichst authentisch sein sollten. In solchen Situationen fällt nämlich oft die Maske der bis dahin meist freundlichen anmutenden Mitmenschen, weil ich ja keine ihres Kreises bin, sondern nur eine Ungläubige, eine Aussätzige, eine Ketzerin, Hexe, Scheiterhaufen... Freilich wird das heute nicht mehr so gesagt, und zum Glück auch nicht mehr gezündelt, aber die negative Einstellung zu jenen die Freiheit der Religion vorziehen ist nach wie vor deutlich präsent. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Deren Fragen in dieser Weise sind das Überbleibsel des einst 'peinlichen Verhörs'. Glühende Zangen, Daumenschrauben und Streckbank bleiben zwar im Museum, aber die bohrenden Fragen sind nach wie vor üblich und nach wie vor anmaßend und penetrant.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ja, "penetrant"; das passt.
Und: "Inwiefern?"
"Glaubst du an die ca. 3.000 bisherigen Götter (Ra, Sol, Thor, Odin, Perkunos etc.)?"
"Nein; die wurden abgeschafft; oder über Bord geworfen."
"Aber an den einen letzten - deinen 3.000sten - glaubst du, ja?"
"Ja."
"Siehst du - und nach den 2.999 anderen Göttern, an die du nicht mehr glaubst, habe ich lediglich auch noch den 3.000sten über Bord geworfen."
Das lässt die Münder noch offener werden.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Bin ganz auf Ihrer Seite, Fr. Landau. Die Worte „ungläubig“ und auch „gottlos“ wurden über die Jahrhunderte derart negativ verwendet, dass es Zeit wird dem entgegenzutreten.
W.N. am Permanenter Link
Wie schwach im Glauben müssen Leute sein, die sich durch abweichende Meinung provoziert fühlen?
Wie schwach muss ein Gott sein, den man beleidigen kann?
Lambert, Helmut am Permanenter Link
Herr Ekhou, ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg. Und die innere Freiheit, die Macht des Umfeldes bei Äußerungen mizuberücksichtigen.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Sehr gut, Yahya Ekhou! Die Freiheit siegt immer, trotz aller Rückschläge. - Hier ein Buchtipp an alle: Claude Cueni " Die Bibel der Atheisten".
awmrkl am Permanenter Link
Jahrzehnt?
Jahrtausend! Mindestens.
Tyto Alba am Permanenter Link
Und trotzdem ist nicht viel von der antiken Literatur übriggeblieben. Wir sind um Hypathias Wissenschaftlichen Diskursen und Catulls Polemiken und den Schriften vieler anderer Autoren beraubt worden.
Tom Brandenburg am Permanenter Link
Danke, Yahya, für Deinen starken Artikel! Ich bewundere Deinen freien Geist und Deinen Mut. Denn auch in unserer offenen Gesellschaft gelten Atheisten oft noch als unmoralisch, verbohrt und satanisch.
Ich wünsche Dir ein gutes Fortkommen hier in unserer Gesellschaft. Hilf uns mit Deinen konkreten Erfahrungen, die Missstände von religiöser und besonders christlicher Privilegierung zu entlarven und zu überwinden. Für das Recht auf Freiheit von Religion!
Anne Robel am Permanenter Link
Der Autor Yahya Ekhou ist ein sehr mutiger Mann. Solche Menschen sollten Asyl in der BRD bekommen. Unglaublich, dass noch nicht darüber entschieden ist. ich meine endgültig.
David Z am Permanenter Link
Interessante Einblicke in eine Kultur, deren Vertreter zwar regelmässig die finanziellen oder materiellen Vorteile des Westens in Anspruch nehmen, aber nicht erkennen können oder wollen, dass nahezu alle diese Vorteil
CnndrBrbr am Permanenter Link
Richtig!
Freiheit kriegt man nicht gebracht, man muß sie sich nehmen und mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Tyto Alba am Permanenter Link
Geschenkte Freiheit ist nun mal nichts wert, die Geschichte der Menschheit ist der allerbeste Beweis dafür. Vor allem in Hinblick auf die USA und deren Umgang mit den ehemaligen Sklaven aus Afrika und China.
Adrian Anders am Permanenter Link
Ganz herzlichen Dank für diesen mutigen und Mut machenden Artikel!
Jan Sikora am Permanenter Link
Bravo Yahya! Die Befreiung aus dem Netz der Tradition braucht Mut.