Haben Ungläubige keine Gefühle?

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Mohamed Yahya Ekhou
Mohamed Yahya Ekhou

Sollten wir unsere Überzeugungen zeigen oder nicht? Müssen wir unsere Ansichten verbergen, um die Gefühle anderer zu respektieren? Und warum äußern wir unsere religiösen und intellektuellen Auffassungen? Was sind die Motive dahinter? Unser wegen seines Unglaubens verfolgter Autor hat sich dazu Gedanken gemacht.

Eine andere Meinung zu zeigen ist in der arabisch-islamischen Kultur verboten, die sich auf eine Grundsäule stützt, nämlich den Gehorsam gegenüber dem Glauben. Deshalb herrscht in Meinung und Debatte Diktatur. Weil wir die Kultur des Dialogs und der Diskussion nicht gelernt haben.

Jedes Mal, wenn ich meine ideellen Einstellungen zum Ausdruck bringe – und das schließt auch meinen nicht vorhandenen Glauben an Religionen mit ein –, schauen mich die meisten Menschen voller Erstaunen und auch Sarkasmus an und sagen: "Warum bekennst du dich zum Atheismus? Behalt' es für dich und sprich nicht darüber. Denn indem du darüber sprichst, provozierst du uns. Den einzigen Sinn, den das hat, ist, unsere religiösen Gefühle zu beleidigen."

Einige meiner Freunde haben zwar die gleichen Gedanken wie ich, aber sie wollen mich überzeugen, meinen Unglauben für mich zu behalten und nicht offen zu zeigen, denn das Wichtigste ist ihrer Meinung nach, nicht aus der Reihe zu tanzen. Ich hatte eine Diskussion mit einem Freund, der einer von jenen ist, die ein Leben mit mehreren Persönlichkeiten und Identitäten führen: In der Öffentlichkeit scheinheilig religiös, aber mit einem atheistischen Geheimnis. Er sagte zu mir: "Du musst deine intellektuelle Identität und deine Überzeugungen verbergen, um einen Muslim nicht zu provozieren und seinen Respekt nicht zu verlieren. Er wird nicht mit dir diskutieren, wenn du von Anfang an deine Überzeugungen offen zeigst. Du wirst ihn nur provozieren und er wird nicht mit dir in den Dialog treten, sondern er wird dich hassen."

Ich widersprach mit dem Argument, dass der Gläubige seine Überzeugungen und Ideen von Anfang an zum Ausdruck bringt und dass er stolz auf sie ist und sie daher auch immer zeigt. Warum also habe ich nicht das gleiche Recht, meine Überzeugungen und Ideen zum Ausdruck zu bringen, wenn ich ebenso stolz auf meinen Unglauben bin? Warum sollten wir nur die Gefühle der Gläubigen respektieren? Haben Ungläubige keine Gefühle? Ich sagte ihm: "Wenn wir der Unterdrückung, Diktatur und Ausgrenzung uns gegenüber nicht tapfer entgegenstehen, wird uns niemand unsere Rechte zugestehen."

Der Mensch will frei sein und akzeptiert keine Unterdrückung

Menschen, die ihre Gesellschaften mit ihrer Unterschiedlichkeit konfrontiert haben, sind der Grund für die Entwicklung dieser Gesellschaften, der Freiheit und der Menschenrechte. Europa zum Beispiel hat sich nicht über Nacht in Länder verwandelt, die die Freiheit und Würde des Menschen respektieren. Es gibt Tausende von Menschen, die ihr Leben geopfert haben, weil sie mutig für ihr Anderssein, ihre Überzeugungen und Ideen einstanden.

Wenn mir eine der oben genannten Fragen gestellt wird, beantworte ich sie mit derselben Logik: Könntest du damit leben, dass dir die Ausübung deiner religiösen Rituale verweigert wird? Was würdest du fühlen, wenn ich zu dir sage, dass es dir verboten ist, in die Moschee oder die Kirche zu gehen oder sogar den Koran oder die Bibel zu lesen? Und dass es dir verboten ist, irgendetwas zu zeigen, was mit deiner Religion zu tun hat? Was würdest du tun?

Derjenige wird automatisch antworten: "Ich werde alles für die Freiheit tun, für meine Überzeugungen einzutreten, auch wenn mich das mein Leben kostet." Er würde sogar sterben, um dieses Ziel zu erreichen. Warum? Weil der Mensch frei sein will und Unterdrückung nicht akzeptiert. Es ist ihm eigen, seine Überzeugungen kommunizieren zu wollen. Wenn jemand daran gehindert wird, seine Ansichten, Ideen und Auffassungen auszudrücken, sperrt man ihn ein, man unterdrückt ein lebenswichtiges Bedürfnis. Das gilt unabhängig davon, welcher Art jene Gedanken und Anschauungen sind, so trivial sie auch erscheinen mögen. Bringt man sie zum Ausdruck, erzeugt das eine nicht beschreibbare psychologische Geborgenheit. Dies gilt auch für Atheisten. Also ist es nur natürlich, dass sie verzweifelt ihre Sicht der Dinge verteidigen und sich gegen Tötung und Verfolgung wehren. Und dennoch scheinen es manche noch immer für eine unwichtige Angelegenheit zu halten. Andere wiederum glauben gar, Gewalt und Verfolgung seien gerechtfertigt.

Der Kampf für die Rechte Nicht-Gläubiger muss respektiert werden

Jeder kann selbst entscheiden, ob er Ideen akzeptiert oder ablehnt. Es darf keine Gewalt oder Verfolgung gegenüber denen geben, die sie haben. Wir brauchen mehr Bildung und der Kampf für die Rechte Nicht-Gläubiger muss respektiert werden. Wir müssen ausgrenzendes religiöses Denken damit konfrontieren, welches noch immer darauf besteht, den Begriff Atheismus oder Abfall vom Glauben als Ausdruck der Verachtung für den Menschen und als eine Art Stigma und Scham zu verwenden. Als Grund, jemanden seiner Rechte als Mensch zu berauben.

Das Konzept der Veränderung in der arabischen Gesellschaft war immer mit der Unvermeidlichkeit verbunden, einen Teil des Selbst aufzugeben; und weil das Selbst nichts anderes als eine Reihe von angeborenen und erworbenen Zugehörigkeiten ist, die unsere Identität ausmachen, bedeutet jede Veränderung, einen Teil von sich selbst aufzugeben. Doch in dieser Aufgabe liegt nichts Schlechtes oder Falsches. Die jeweils vorherrschenden Bräuche, Traditionen oder Weltanschauungen geben lediglich vor, dass es verboten sei, um sich selbst zu erhalten. Veränderung wird mit Verleugnung gleichgesetzt.

Aber wie kommt es dazu? Ist es nicht die Umgebung, die uns diese Dinge auferlegt hat? Wir hatten doch nicht die Freiheit, zu wählen! Soll es etwa fair sein, es zu bestrafen, wenn wir etwas hinter uns lassen, was wir uns nicht ausgesucht haben?

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