In knapp vier Wochen findet die Bundestagswahl statt. Auch wenn sozialpolitische Themen und vor allem die Zuwanderungsdebatte den Wahlkampf dominieren, stellt sich doch auch die Frage, welche Positionen die Parteien in Fragen vertreten, die für Säkulare von besonderem Interesse sind. Die hpd-Serie zu den Aussagen der Bundestagswahlprogramme setzen wir mit der Alternative für Deutschland (AfD) fort.
Das Wahlprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie positiv besetzte Wörter verwendet werden können, die bei genauerem Hinsehen keinerlei sachliche Entsprechung im Text finden. So ist die AfD die einzige Partei, die sich auf die "positiven Werte der Aufklärung und des Humanismus" beruft; auch von "Freiheit" und "Selbstbestimmung" ist immer wieder die Rede.
Schon im Wahlprogramm 2021 war aufgefallen, dass die AfD sich gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen aussprach und "in allen Bereichen die Gleichberechtigung von Mann und Frau" forderte – die Passage ist inhaltlich unverändert übernommen worden. Nur findet sich im AfD-Wahlprogramm damals wie heute kein Abschnitt, nicht einmal ein einziger Satz, der sich für Geschlechtergleichheit oder Frauenemanzipation ausspricht. Im Gegenteil, in konkreten Fragen wie equal pay herrscht bestenfalls Schweigen, Quotenregelungen werden abgelehnt und der Schwangerschaftsabbruch soll auf der Ebene der Konfliktberatung verschärft werden (geplant ist, im Falle einer Regierungsbeteiligung die von Evangelikalen befürwortete Praxis einzuführen, den Frauen im Zuge der Beratung zwangsweise Ultraschallaufnahmen des Embryos zu zeigen).
Die Haltung zum Schwangerschaftsabbruch ist aber nicht die einzige Stelle, an der sich die Frage stellt, welches Verständnis von Selbstbestimmung die Höcke-Partei vertritt. Auch das Selbstbestimmungsgesetz soll zurückgenommen werden, wobei unklar bleibt, ob nur diese konkrete gesetzliche Regelung korrigiert werden soll beziehungsweise Trans-Menschen in dieser Frage überhaupt Selbstbestimmung zugestanden wird. Eine andere in diesem Zusammenhang wichtige Frage, die Suizidhilfe als Ausdruck der Selbstbestimmung am Ende des Lebens, wird überhaupt nicht angesprochen.
Dafür ist immer wieder die Rede vom "Selbstbestimmungsrecht Deutschlands" – ein deutliches Signal, dass Selbstbestimmung nicht als Menschenrecht, sondern eher im völkischen Kontext verstanden wird. Auch das Einfordern von Wissenschaftsfreiheit erweist sich als wohlklingende Phrase. Denn immer dann, wenn die Ergebnisse der Wissenschaft der AfD nicht ins Konzept passen, wird ins Feld geführt, dass der "angebliche wissenschaftliche Konsens (...) politisch konstruiert" sei ("unwissenschaftliche Klima-Hysterie") oder dass aus wissenschaftlicher Forschung abgeleitete Forderungen gegen das Selbstbestimmungsrecht oder die Berufsfreiheit verstoßen. Da ist der Weg zur Verschwörungstheorie kurz, wenn behauptet wird, dass "Staaten und nichtstaatliche Organisationen" darauf hinwirken, "auf Grundlage von einseitig bevorzugten naturwissenschaftlichen Theorien die Bürger- und Freiheitsrechte systematisch einzuschränken".
Wer hinzunimmt, dass Spitzenkandidatin Alice Weidel auf dem Nominierungsparteitag am 11. Januar recht unverblümt angekündigt hat, ganze Fachbereiche an Universitäten zu schließen (nämlich die Gender Studies) und die Professoren "rauszuschmeißen", erkennt das tatsächliche AfD-Verständnis von Wissenschaftsfreiheit.
Zum Islam hat die Partei schon seit längerem ein monomanisches Verhältnis: Sie setzt sich für die Freiheit der Religionskritik ein, für die Abschaffung theologischer Lehrstühle, für bekenntnisneutrale Religionswissenschaft, gegen die Verleihung des Körperschaftsstatus, gegen Zwangsheirat und Kinderehen, gegen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen – aber nur, wenn es um Kritik am Islam, islamische Theologie usw. geht. In einer derartigen Ungleichbehandlung, die bestehende Privilegien nicht antastet, zeigt sich keine moderne Religionspolitik. Auch wenn die AfD sich nur an einer Stelle und sehr allgemein positiv auf das Christentum bezieht, stellt ihre Auffassung von Religionsfreiheit einen riesigen Schritt zurück hinter die Aufklärung dar, in eine Welt, in der die Bevölkerung eines Territoriums noch religiös homogen war (cuius regio, eius religio). Aber dass das Selbstbestimmungsrecht von dieser Partei nicht auf der individuellen Ebene gesehen wird, ist ja bereits gesagt worden.
Hinweis: Nicht alle Parteien hatten zum Zeitpunkt der Analyse bereits die Entwürfe ihrer Wahlprogramme von einem Parteitag bestätigen lassen. Es wurden die Fassungen Stand 12.1.2025 verwendet.
Der hier veröffentlichte Text basiert auf einem umfangreichen Artikel, der in der MIZ 4/24 erscheinen wird. Für den hpd sind die Abschnitte zu den einzelnen Parteien leicht bearbeitet worden, um als Serie erscheinen zu können.
Transparenzhinweis: Üblicherweise werden die Artikel der Serie mit dem Deckblatt des Wahlprogramms illustriert. Das der AfD hat jedoch ein weißes Deckblatt. Daher nutzen wir hier einen Screenshot der Website der Partei.
Siehe dazu auch: