Von Atheisten, die einen christlichen Zeitgenossen nerven

Der Heide ist kein Atheist

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Auf dieser Party wird vermutlich wenig über "Gott" gesprochen
Auf dieser Party wird vermutlich wenig über "Gott" gesprochen

Der ZEIT-Autor Raoul Löbbert findet das "alltägliche Christen-Bashing" niveaulos. Er fühlt sich diskriminiert und schreibt: "Wer heutzutage sagt, dass er an Gott glaubt, wird schnell blöd angemacht." Das kann nicht unkommentiert bleiben, meint hpd-Autor Ralf Rosmiarek.

Liegt es am November, der mit Nebelschwaden und Wolken die Sicht auf klare Konturen und (geistige) Landschaften und sogar Partys verstellt? Fehlt dem ZEIT-Autor Löbbert die richtige App, um die richtige Party mit den richtigen Gästen zu finden? Oder gilt vielmehr der Satz, der bereits den alten Römern als eine Selbstverständlichkeit erschien: "Stupiditas vincit ubique" ("Die Dummheit siegt überall")? Natürlich ließe sich auch fragen, ob Küchenpsychologie überhaupt einer Erwiderung bedürfe und ob die "Großstadt-Party" der Ort sein kann, den "modernen Atheisten" festzustellen oder den "modernen Heiden"? – Der Heide allerdings ist kein Atheist, selbst Wikipedia hätte hier zur Begriffsklärung helfen können. Christliche Ignoranz? Raoul Löbbert meinte jedenfalls in der vergangenen Ausgabe der ZEIT, sich über den "modernen Atheisten" zu beklagen, der ihm letztlich ohne Substanz erscheint und sich bestenfalls noch zu purem Kirchenhass herabläßt. Es gilt hier einen Einspruch vorzunehmen und der Augenwischerei Einhalt zu gebieten. Und angesichts der großformatigen Aufmachung des Beitrages darf der Leser doch einigermaßen erstaunt sein: "Dieses eine Mal" nur werde über den Glauben geredet und das müsse man dann "schon aushalten können", so wird da ignorierend verharmlost, denn dieser Beitrag steht mitnichten solitär. Es gibt Beiträge zuhauf, die den Glaubenskonzernen helfen, "in der Gesellschaft Gehör zu finden und angenommen zu werden".

Zum Phantasieren, zum Entwickeln und Pflegen von Illusionen sei jeder nach Herzenslust eingeladen, handelt es sich hierbei doch um eine Spezifikation des Menschlichen. Diese Tätigkeiten könnten sogar bei einer Party Vergnügen bereiten. Nicht jeder Glaube aber, jede phantastische Vorstellung, ist letztlich (über-)lebensfördernd, es gibt gute Gründe, irrationalen Zumutungen und Anmaßungen entgegenzutreten. Liefert nicht unsere direkte Gegenwart erschreckende und verstörende Beispiele en masse für die Verwirrungen und Hilflosigkeiten des Menschen, der offensichtlich überfordert ist beim Vernunftgebrauch und sich somit lieber der Unvernunft ausliefert? Auf die Flüchtlingskrise folgt die politische Diskussion um neue Grenzziehungen und Mauern, in der Finanzkrise glaubt die politische Elite mit "Schutzschirmen" und Sparmaßnahmen (auf Seiten der Bevölkerung versteht sich) das Allheilmittel zu finden, die ökologischen Probleme werden durch die Bürokraten der Europäischen Union verschleppt. Ein einzigartiger Triumph der Unvernunft auf allen Ebenen! Ist es somit eben nicht auch besser mit der Unvernunft fortzufahren und bei einer guten Flasche Wein, einem brillanten armenischen Brandy – oder doch nur dem "Becher Bowle" – der Einladung des ZEIT-Autors zu folgen und über Jungfrauen, sprechende Schlangen oder über siebenköpfige Drachen, die zudem nach Kuchengenuss explodieren, zu spekulieren? Denn nach Meinung des Herrn Löbbert braucht es dieses Mehr an Phantasmen, Spiritualität, Irrationalität … "Kraftmeier" und "Ratio-Übermensch" ist ihm der moderne Atheist, uninteressiert an "philosophischen Theorien und Beweise(n)". Vielleicht ist zu erinnern, dass Religion und Philosophie zwei Paar Schuhe sind. Freilich, was macht's angesichts der Trunkenheit?

Und kurzfristig sichert freilich so mancher Glaube das (Über-)Leben. Die beiden Großkirchenkonzerne und etliche kleinere Heilsversicherungsgesellschaften unserer Kirchenrepublik sind wohl überaus dankbar für die jährlichen Millionen und Abermillionen, die ihnen staatlicherseits wärmstens gereicht werden. (Fast 100 Jahre steht jedoch auch der Verfassungsauftrag, diese staatlichen Leistungen einzustellen.) Und daher wird der Einwurf verständlich, die Pfründe mögen nicht verlorengehen, aufgeklärte Mitmenschen sind da natürlich im Wege und enervierend. Sattsam eingerichtet hat sich so mancher Gläubige, vorbei längst wieder die Zeiten da "der Bischof nicht partout mehr Exzellenz sein will, der Pfarrer auch Zivil trägt" (K. Deschner). En vogue ist wieder die Exzellenz, ebenso das Kollar. Hochkonjunktur haben Nationalismus, Wunschdenken, Fundamentalismus, Fanatismus nicht zuletzt.

Eintausendsiebenhundert (1.700) Verkündigungssendungen gibt es jährlich allein im WDR Rundfunk und Fernsehen, rund 600.000 Euro kosteten die Beiträge der Fernsehverkündigung den Westdeutschen Rundfunk. 20 Ausgaben des "Wort zum Sonntag" werden von der Sendeanstalt zum Programm der ARD beigesteuert, mit 75.000 Euro Produktionskosten wird der Steuerzahler, der atheistische, der muslimische, der jüdische, der agnostische, der buddhistische … zur Kasse gebeten. Atheisten nerven also? Verständlich. Die Lobbyarbeit der Medien ist auch einer der Gründe, "warum Atheisten sich heute noch derart provoziert fühlen vom Glauben". "Gruseln" darf man sich als Atheist auch weiterhin vor "Katholizismus, Klerikalismus, Luther und de(m) Antisemitismus" und jeglichen weiterem "Ismus", solange Religion die Öffentlichkeit sucht. Es ist eine der Antworten auf die bereits vor geraumer Zeit gestellte Frage Karlheinz Deschners: "Warum betrachten wir noch eine Leiche? Den Riesenkadaver eines welthistorischen Untiers? Die Reste eines Monstrums, das ungezählte Menschen (Brüder, Nächste, Ebenbilder Gottes) verfolgt, zerfetzt und gefressen hat, mit dem besten Gewissen und dem gesündesten Appetit …" Diese permanente Öffentlichkeit von Religion, samt des öffentlichen Auftretens ihrer Oberhirten und Hirten, die fortdauernde und sich erweiternde Einflussnahme der Religion auf Politik, Wirtschaft, Bildung und Recht, ist dem "modernen Atheisten" eine ebenso fortwährende Herausforderung, sich für eine säkulare Gesellschaft einzusetzen, möge es Herrn Löbbert auch erscheinen, "als prügelten sie (die Atheisten), auf einen Toten ein".

Ein erschütterndes Resümee hinsichtlich Lehre und Moral des Christentums zog vor Jahrzehnten ebenfalls Hans Wollschläger in seiner Studie "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem": "Die Geschichte der Christlichen Kirche ist die Geschichte eines Schlachtfelds: der Apostolische Stuhl steht auf einem Massengrab … Über 22 Millionen Tote … nur eine Phase dieser Geschichte, und die letzte nicht …" Für manchen Kirchengeschichtsschreiber darum "ein besonderes Charakteristikum für den religiös-kirchlichen Aufschwung". Lohnte nicht hierüber das Sprechen und eben nicht nur bei einer Party und am Küchentisch? Reichsbischof Ludwig Müller verkündet am 14. Mai 1934 auf dem Thüringer Kirchentag: "Wir fühlen uns aufs Tiefste und Innerste mit dem Nationalsozialismus verbunden, dass man sagen kann, evangelischer Protestantismus gerade in der Prägung, wie sie aus dem Herzen Deutschlands durch Luther heraus geworden ist und der Nationalsozialismus sind zutiefst eins." Der Freiburger Weihbischof Wilhelm Burger konstatierte gar: "Die Ziele der Reichsregierung sind schon längst die Ziele unserer katholischen Kirche." Der Generalvikar des Berliner Bistums Dr. Paul Steinmann bekannte: "Unser Kanzler (Adolf Hitler) wurde von Gott berufen." Die deutschen Koppelschlösser des ersten wie zweiten Weltkriegs entbehrten nicht des Trostes: "Gott mit uns". Sowohl im deutschen Kaiserreich als auch im Dritten Reich – nur zur Erinnerung – bestand eine volkskirchliche Situation, sprich: das Gros der Deutschen war im Christentum verwurzelt, von einem "gottlosen Volk", einem "gottlosen Betriebsunfall" kann somit keine Rede sein. Lohnte nicht hierüber das Sprechen auch?

Das mag dem ZEIT-Autor nicht sonderlich spirituell erscheinen, freut er sich doch vielmehr darüber, dass eine "Kollegin" bei einem Vortrag vor "katholischen Würdenträgern" kein "Hände hoch" (wie passend doch zur Kirchengeschichte) bekam, als es um das Bekenntnis zur "unbefleckten Empfängnis" ging. Als Quintessenz seines Jubilierens macht er aus: "Der persönliche Glaube kennt keine Dogmen". Viel Fortschritt also. Zu fragen bleibt jedoch: Was ist dann noch christlich an diesem Glauben, wenn's die Fundamente plötzlich nicht mehr geben soll? Vor allem, wenn er aber doch zur "Entscheidung" kommen soll. Lachhaft wird's und vollends zur Groteske, wenn dann etwa in einem Buch für Kinder das Christentum erklärt wird: "Auch Christen sprechen Gott als Vater an. Gott hat aber kein Geschlecht. 'Er' ist weder Mann noch Frau … Christ ist, wer im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft wurde …" (Maren Wernecke, Das Christentum – was ist das?, 2016). Was ist aus dem Gott des Alten Testaments etwa geworden, von dem es entgegenschallt: "Denn ich der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott"? Alles Ramsch (einschließlich des Trostes der Koppelschlösser) also, spirituell zu verwerfen, unzeitgemäß gar? Freilich, Kirche geht ja immer mit der Zeit … Und: "An der Botschaft des Evangeliums liegt es jedenfalls nicht. Denn die ist richtig stark", weiß zumindest der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Heinrich Bedford-Strohm. Vielleicht hilft Raoul Löbbert ja Friedrich Nietzsche weiter, um spirituell unterwegs sein zu können. "Ein Gott, der die Menschen liebt, vorausgesetzt, dass sie an ihn glauben, und der fürchterliche Blicke und Drohungen gegen den schleudert, der nicht an diese Liebe glaubt! Wie? eine verclausulirte Liebe als die Empfindung eines allmächtigen Gottes! Eine Liebe, die nicht einmal über das Gefühl der Ehre und der gereizten Rachsucht Herr geworden ist! Wie orientalisch ist das Alles! 'Wenn ich dich liebe, was geht’s dich an?' ist schon eine ausreichende Kritik des ganzen Christenthums". Hier nach einer Antwort zu suchen, könnte doch ein spannendes Unterfangen sein, vielleicht nicht unbedingt bei der "Großstadt-Küchenparty" und der "Bowle". Oder befinden sie sich überhaupt auf "einer ganz anderen Ebene" wie Ludwig Wittgenstein meinte und begegnen sich in "völlig verschiedenen Denkweisen", der Gläubige und der (moderne) Ungläubige? Dann versagten vielleicht selbst die besten Getränke und es könnte das beredte oder betretene "Schweigen" einsetzen …

Nietzsche, immerhin "Kulturatheist" … "nervte auch ganz schön" stellt Raoul Löbbert fest und ist mittendrin in einer Debatte zur Diskussionskultur. Da mag unter uns Zeitgenossen einiges schieflaufen und gegen ein erhöhtes Niveau, vor allem auch in den sozialen Medien, gibt es gar nichts einzuwenden. "Hunde" und "Lügenapostel" schimpfte man nicht Gottlose und Heiden nur, nein, so pflegten sich "Glaubensbrüder" zu diffamieren, "vernunftlose Tiere" sind sie laut Neuem Testament, "die ihrer Natur nur dazu geschaffen sind, dass man sie fängt und umbringt". "Nur äußerlich Menschen, im Innern aber voll von der Tollwut der Tiere", "tolle Hunde", "schlimme Bestien", "die Brüder der Juden", "schmutzige Schweine", "Schlachtvieh für die Hölle" – sind nur ein paar wenige Beispiele für die kirchliche Hochsprache und christliche Hochkultur. Und so titulierten nicht Ungläubige, Gottlose ihre Mitmenschen, so schrieben vielmehr Apostel, "Heilige", Bischöfe, "Kirchenlehrer", Päpste. Und ein erst unlängst wieder glorreich und mit öffentlichen Steuergeldern Gefeierter, als leuchtendes Exemplar für Glaubensstärke herausgestellter Luther schrieb mit Schwung über den Papst als "Bestie der Erde", nannte ihn "Rattenkönig" und "Räuber", war er ihm auch "spitalischer, stinkender Madensack", "besessen vom Teufel", "des Teufels Bischof und der Teufel selbst, ja der Dreck, den der Teufel in die Kirche geschissen". "Beschissen" und "ausgeschissen" schien ihm der oberste Vertreter der Christenheit, "Papstesel" und "Papstsau" erschienen bei Luther da schon fast als Harmlosigkeiten.

Herrschte in unserer menschlichen Welt nur die Vernunft, so wäre sie nur schwer oder gar nicht erträglich. Leidenschaften wären uns wohl verschlossen, ebenso die leiblichen Genüsse, auf einer "Großstadt-Küchenparty" etwa, es fehlten die (Tag-)Träume, die Sehnsüchte. Ist kein Müßiggang mehr erlaubt, keine unwillkürliche Entscheidung, kein Luxus, keine Ausgelassenheit – wäre es nicht eine Qual? Ein Alltag, nur geprägt von unnachgiebiger Rationalität, der keinen Spielraum für Kreativität und Kunst mehr lässt, ist unerträglich. Freundschaften, geselligen Umgang gäbe es kaum, in dieser gespenstischen, unwirtlichen und unmenschlichen Welt fühlten wir uns tatsächlich unbehaust. Zu unseren menschlichen Dispositionen gehören nun aber Emotionen und Affekte. Wir können Trauer, Schmerz und Freude empfinden. Wir hegen gelegentlich unbegründete Wünsche, hegen unbegründete Hoffnungen und wundern uns ein ums andere Mal, wenn sie – gegen alle Vernünftigkeit – in Erfüllung gehen. Unsere kleinen Narreteien gehören einfach zum Menschsein. Vernunft und Emotionen als Gegensätze aufzubauen ist jedenfalls illegitim, sind doch manche Gefühle (etwa die Angst) eben sehr "vernünftig", helfen zu (über-)leben.

Dies alles darf und kann freilich nicht der Unvernunft, der Irrationalität als Rechtfertigung dienen und über ihr vielfältiges Auftauchen hinwegtäuschen, Extremismus, Fundamentalismus und Fanatismus sind deren Ausgeburten. Die unmittelbare Gefahr für den Menschen ist der Mensch selbst. "Das Universum jedenfalls weint keine Träne um jene seltsamen Lebewesen, die sich selbst irgendwann und irgendwo vernichtet haben" (Erhard Oeser). Nach allem Anschein werden in der Geschichte der Menschheit die alten Übel durch neue ersetzt – oder wird nur die Ummantelung verändert und es bleiben die alten Übel? Wäre das nicht eine spannende Frage an einen allmächtigen, allwissenden, allgütigen Gott wie ihn der Monotheismus ausweist? Warum das tägliche Sterben, auch das natürliche Sterben der Menschen immer neu, Generationen um Generationen? Warum diese unstillbare Lust nach immer mehr Menschenleben? Warum hat es kein Ende? Das gerne zum Diskussionsabbruch gebrauchte "Gottes Wege sind unerforschlich" ist jedenfalls keine Antwort. Es sei nochmals herausgestellt: Wenn Gott alles ist, trifft eben jede Charakterzuschreibung auf ihn zu: Er ist dann gut wie böse, ist dumm wie klug, ist ausgeglichen wie cholerisch, ist eifernd wie verzeihend … Wenn Gott somit alles ist, sein Charakter jede Qualität besitzt und eben auch jeden Widerspruch besitzt, ist er zugleich auch ein Nicht(s). Doch ist ein Gott ohne Eigenschaften dem Gläubigen fasslich? …

"An alle Begierden sollst du die Frage stellen: Was wird mir geschehen, wenn erfüllt wird, was ich begehre, und was, wenn es nicht erfüllt wird?" Das riet bereits dreihundert Jahre vor der vermeintlichen Geburt des Jesus von Nazareth der Grieche Epikur seinen Zeitgenossen. So frage sich also auch der moderne Gläubige. Und schon deshalb ist der Glaube – welcher auch immer – Privatangelegenheit! Glaube hat keinen Anspruch auf öffentliches Interesse. Und schon der Evangelist Matthäus lässt seinen Jesus sagen: "Wenn Du aber betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu …" Die Realität ist auch in diesem Falle eine gänzlich andere, und so müssen Atheisten leider weiter ihre Zeit verschwenden und sich mit dem in die Öffentlichkeit drängenden Glauben auseinandersetzen. Doch wir haben damit ja die Möglichkeit "menschlicher" zu werden, unsere Lust an dieser Welt zu entdecken und dabei immer auch "vernünftiger" zu werden.