Die heftigen Reaktionen auf die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht und auf das Verhalten der Polizei setzen eine Diskurstradition fort, welche die Meinungsverschiedenheit und Diskussion als solche verurteilt. Ein nüchterner und reflektierter Streit in der Sache ist zur Orientierung jedoch notwendig, meint Mukeba Muamba in einem Kommentar.
Hätte Simone Peters nicht so früh ihre Wortmeldung bringen sollen? War sie zu voreilig oder unsensibel? Das mag sein. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen zu stellen, ist und bleibt jedoch legitim. Die Heftigkeit, mit der man Peters ideologische Reflexe unterstellte, macht es jedenfalls schwer an einen Zeitpunkt zu glauben, an dem kein Shitstorm über sie ergangen wäre. Viele wussten eben sofort, dass alles in der letzten Kölner Silvesternacht richtig gemacht wurde, nur weil es gutgegangen war und erklärten die uneingeschränkte Danksagung zur obersten Bürgerpflicht – die Frage nach dem "wie" hingegen für anrüchig. Der Polizei erteilte man eilig die Absolution und die harmlose Frage von Peters wurde gar für einen furchtbaren Affront gehalten. Dass viele derjenigen, die sonst die kanzlerische Rede von der "Alternativlosigkeit" so arg geißelten, damit die Alternativlosigkeit sich selber auf die Stirn malten, fiel ihnen in ihrer Empörung vermutlich gar nicht mehr auf.
Wer glaubt die Kritik sei zum falschen Anlass ergangen, der möge sich fragen, ob etwa der Staat sein Handeln in Ausnahme- und Grenzsituationen nicht an rechtstaatlichen Maßstäben zu reflektieren und überprüfen habe. Doch, gerade dann!
Kein widerspruchsfreies Bild
Das Bild ist nicht immer so klar und widerspruchsfrei, wie man es sich wünscht. Es wurden Vergleiche mit Gruppen von Fußball-Hooligans gezogen. Für die große Gruppe von (nordafrikanischen) Männern, die im Zug angereist sind, mag der Vergleich gelten können, nämlich dann, wenn unter ihnen eine Gruppenaggressivität vorhanden war. Wenn dies, die Aggressivität Anlass war, dann war das Vorgehen der Polizei auch kein Racial Profiling.
Nehmen wir das nicht zur Kenntnis, reden wir alle aneinander vorbei, weil wir auf unterschiedlichen Ebenen diskutieren. Wir gehen sonst von verschiedenen Tatsachen aus bzw. negieren mögliche Tatsachen von vornherein und landen bei je unterschiedlichen Wirklichkeiten.
Da gibt es das Bild vom großen "fahndungsrelevanten Klientel" und von aggressiven Männergruppen. Von diesem Bild existieren mindestens zwei Varianten: 300 Männer, die im Zug saßen und am Bahnhof "Köln Deutz" angehalten wurden sowie 1000 Männer, welche von der Polizei am Kölner Hauptbahnhof kontrolliert wurden. Die Kommunikation der Polizei dazu ist nicht widerspruchsfrei. Zuerst wurde mitgeteilt, dass aufgrund von Smartphone-Chats herausgefunden wurde, dass sich eine Gruppe "fahndungsrelevanter Personen" abgesprochen habe, um sich zu Silvester in Köln zu treffen. Im Nachhinein will die Bundespolizei von dieser Aussage allerdings nichts mehr wissen und bestätigt den Verdacht einer gemeinsamen Absprache nicht mehr.
Eine dritte Zahl von 2.000 anwesenden Männern kommt von der Bundespolizei. Sie bezieht sich auf Nordafrikaner, Syrer, Afghanen, Pakistaner und deutsche Männer. Die Bundespolizisten hielten auch Ausschau nach politischen Gruppen, die sich angekündigt hatten.
Racial Profiling
Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies bestritt, dass Racial Profiling von der Polizei betrieben wurde. Womöglich ist jedoch genau das geschehen. Journalisten und Reporter vor Ort berichteten, dass die Polizei nach Aussehen kontrollierte und Menschen in einen Polizeikessel nahm. Das betraf gerade nicht nur die großen geschlossenen Gruppen von nordafrikanischen Männern. Dass nur ihr Verhalten ausschlaggebend war, darf bezweifelt werden. So etwa in der Halle des Hauptbahnhofs, durch die man gehen musste, um nach draußen zum Domplatz zu gelangen. Sechs große Glastüren hat der Kölner Hauptbahnhof. Durch die Tür ganz links und die Tür ganz rechts konnte man den Bahnhof verlassen, während eine Tür als Eingang zum Bahnhof diente. Wer durch die linke Tür zum Domplatz konnte und wer nicht, dazu schreibt Christoph Herwartz auf n-tv.de:
"Man kann sich in die Bahnhofshalle stellen und raten: Wen werden die Polizisten nach links schicken, wen nach rechts? Ein einzelner Schwarzafrikaner? Nach rechts. Ein einzelner Araber, oder jemand, der so aussieht? Nach rechts. Ein Blonder ohne Mütze? Nach links. Ein Araber in Begleitung einer Frau? Nach links. Nach und nach wird das Schema deutlich: Wer nicht im engeren Sinne weiß ist und nicht in Begleitung einer Frau, muss fast immer die rechte Tür nehmen, die anderen die linke Tür. Zwei junge Männer mit schwarzen Haaren und aufwändiger Bartfrisur werden zuerst links, dann rechts abgewiesen."
Laut Recherchen des Spiegel heißt es in einem vertraulichen Polizeibericht: "Ab 22:00 Uhr befanden sich in und um den Kölner Hbf bis zu ca. 1.000 Personen mit nordafrikanischem Hintergrund. Alle Personen, die dem nordafrikanischen Spektrum zugeordnet werden konnten, wurden außerhalb des Hbf im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten einer Identitätsfeststellung unterzogen."
Wie passt die Aussage "Alle Personen, die dem nordafrikanischen Spektrum zugeordnet werden konnten..." damit zusammen, dass es um eine "Grundaggressivität" von alkoholisierten und aggressiven Gruppen ging? Da die Polizei etwa 650 Personen kontrollierte, wäre es gut, wenn im Laufe der Zeit genauere Hintergrundinformationen kämen, wer die Leute sind, die zu Silvester angereist sind. Darüber wer die Personen sind, die festgesetzt wurden und wieviele Intensivtäter darunter waren. Darüber, wie sich Gruppen bildeten und ob sie gelenkt wurden und was es mit den Kriminalitätsstrukturen auf sich hat.
Juristische Aspekte
Der viel zitierte Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes sagt nicht aus, dass es keine sachlichen Differenzierungen geben dürfe, welche Ungleichbehandlungen rechtfertigen können. Diese sachlichen Differenzierungsgründe müssen aber durch die Verfassung gerechtfertigt sein. Im Falle der Gleichheitsrechte aus Art. 3 Abs. 3 GG ist die Frage, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt nicht besonders schwierig zu beantworten. Die juristische Gretchenfrage ist die nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung in deren Rahmen man die Verhältnismäßigkeit prüft. Wann und wie die in Art. 3 Abs.3 GG genannten Merkmale als Anknüpfungspungt für die Ungleichbehandlung dienen dürfen, ist eine hochumstrittene Frage. Denn zuerst einmal bilden diese Merkmale ein Unterscheidungsverbot. Die verbotenen Merkmale dürfen zwar grundsätzlich nicht als Anknüpfung dienen (auch nicht als Teilaspekt in einem "Motivbündel"), ihre Verwendung kann aber gerechtfertigt sein. Sie bleiben also Abwägungsoffen. Damit ein solches Unterscheidungsverbot aufgehoben werden darf, müssen die Gründe gewichtig und unmittelbar sein.
Politiker wie der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, schreiben auf ihrer Facebookseite, dass das polizeiliche Vorgehen wegen der Vorgeschichte des vergangen Jahres "anlassbezogen" erfolgte und deshalb zulässig sei. "Die Frage von Simone Peter, ob das verhältnismäßig ist, kann man klar beantworten (und wenn man es nicht kann, sollte man sie auch nicht voreilig stellen)", erklärte Palmer. So klar, wie er und auch andere es propagieren, ist es wohl eher nicht.
Auf die Silvesternacht von vor einem Jahr als "Anlass" und Rechtfertigungsgrund für die Auswahl nach dem Aussehen zurückzugreifen, ist ein wackeliges juristisches Argument. Der Jurist und Publizist Sergey Lagodinsky schreibt in einem ausführlichen Beitrag: "Würden wir den Anlassbezug so weit auslegen, wie jetzt getan wird, müsste jeder Tunesier, der sich in Deutschland aufhält, am Betreten von Weihnachtsmärkten gehindert werden. Einen Anlass hat es ja gegeben."
Ich selbst erlaube mir zum jetzigen Zeitpunkt keine eindeutige Antwort. Den einzelnen Beamten möchte ich selbst dann, wenn Racial Profiling vorlag, nicht pauschal vorwerfen, aus rassistischer Gesinnung heraus gehandelt zu haben. Dass die Ängste der Polizei vor einer Eskalation an den Haaren herbeigezogen sind, kann in Anbetracht der Ereignisse 2015/16 nicht gesagt werden. Dass große aggressive Gruppen und Ansammlungen ein Problem sind, ist unzweifelhaft. Diese aufzulösen, ist nachvollziehbar. Nur sollten wir tun, was sonst stets gefordert wird, nämlich alle Aspekte miteinzubeziehen. Bei der Wiedergabe der Ereignisse wiegeln viele trotzig ab und verneinen "Racial Profiling", obwohl man annehmen kann, dass es tatsächlich oft dazu kam. Doch diesen Aspekt einzubeziehen, gehört zur ehrlichen Debatte.
Dazu gehört dann auch die Auseinandersetzung mit den vielen anderen gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten rund um das Thema, wie die Gewährleistung der Sicherheit, die Situation und Verhältnisse in den Milieus der Geflüchteten und migrantischen Communities. Das eine zu erörtern oder zu kristisieren, heißt nicht das andere zu vernachlässigen.
6 Kommentare
Kommentare
mgs am Permanenter Link
Ein langer Text, der die wesentlichen Punkte nicht anspricht.
Die Berichte zur Silvester-Nacht 2015/16 hielt ich für ziemlich "aufgebauscht". Insbesondere das in letzter Zeit so oft vergewaltigte Wort "Vergewaltigung" erschien an den Haaren herbeigezogen. "Sexuelle Belästigung und organisierter Diebstahl" wären präziser und ausreichend gewesen.
Die Tatsache, dass Nordafrikaner sich am Kölner Dom / HBF verabreden um "Silvester zu feiern" und um gezielt geplante Straftaten zu begehen, das erschien schon recht merkwürdig, wäre jedoch als mögliche zufällige Zusammenrottung erklärbar.
Das Bashing der Kölner Polizei vor einem Jahr war absurd, denn sie waren auf eine organisierte Massen-Verabredung zu Belästigung und Raub nicht vorbereitet. Wie auch. Das Phänomen ist neu.
Dass dieses Jahr (Silvester 2016/17) ein gleicher Mob sich wieder am selben Ort verabredet, hielt ich für ausgeschlossen. Den Berichten zufolge ist aber genau das geschehen. Wie kann das sein? Wer steckt dahinter? Nur ein paar Dumme Jungs? So dumm können die gar nicht sein. So tolldreist, die gleiche Chose noch einmal am selben Ort abziehen zu wollen (trotz des anhaltenden Medienrummels) im Grunde auch nicht. Wer also organisiert diesen Wahnwitz? Das ist eine interessante Frage!
Dass die Polizei nach Augenscheinnahme vorgeht, wer wohl dazu gehören könnte, ist mehr als nur verständlich, es ist nicht nur völlig legitim, sondern auch logisch und richtig. Ja, wie denn sonst? Eine Razzia im Dom-Café, um die Omas zu checken, ob sie Randale auf der Domplatte machen wollen?
Jeder Nordafrikaner, der Silvester nach Köln fährt, um seine Cousins zu besuchen, jedoch nichts mit dieser organisierten und gelenkten Kriminalität zu tun hat, sollte Verständnis für eine Polizeikontrolle haben, denn er sollte sich für seine Landsleute schämen, so wie ich mich oft für viele Deutsche im Ausland schämte.
anglika richter am Permanenter Link
" Damit ein solches Unterscheidungsverbot aufgehoben werden darf, müssen die Gründe gewichtig und unmittelbar sein."
Für den Einzelnen ist das immer mit Ungerechtigkeiten verbunden.
Aber eine Polizei mit ihren endlichen Kapazitäten, die diskriminierungfrei z.B. auch Kinder, Säuglinge und Greise überprüfte, hätte "nur" noch Unterhaltungswert.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Abwägen möglichst vieler Faktoren ist immer ein guter Ratgeber. Das mag vor Ort hin und wieder schwierig sein, wie gerade Silvester 15/16 zeigte. Und natürlich ist "Racial Profiling" inakzeptabel.
So unangenehm dieses rassistische Beurteilung der Biodeutschen war, so verständlich war sie aus Sicht der Alliierten. Ich halte das für einen Schutzreflex, der oft nur mühsam überwunden werden kann. Die weibliche Bevölkerung Kölns hat letztes Jahr unangenehme, teilweise unerträgliche Erfahrungen machen müssen - mit einer eng umrissenen Gruppe junger Menschen.
Silvester 16/17 musste also für ein unauflösbares Dilemma sorgen: Entweder man vertraut den migrierten Männern (und spekuliert auf einen einmaligen Ausrutscher letztes Jahr) oder man geht auf Nummer Sicher und schafft eine Trennung zwischen möglichen Opfern und möglichen Tätern - wissend, dass dabei auch viele tatsächlich harmlose und lediglich feierlaunige Nordafrikaner mit in "Schutzhaft" genommen werden.
Was mich jedoch viel mehr irritiert: Warum hat es im Vorfeld keine Kommunikation in die Flüchtlingslager gegeben, dass es dieses Jahr wohl besser wäre, nicht extra nach Köln zu reisen, da dort die Lage aufgrund letztjähriger Erfahrungen angespannt ist? Silvester kann man schließlich auch andernorts feiern - und ist strenggenommen im Islam sogar verboten (Todestag eines Papstes, Alkohol, abergläubische Riten etc.).
Gelöst werden können diese ganzen Probleme, die u.U. zu falschen Verdächtigungen oder rassistisch anmutenden Vorverurteilungen führen können, nur, wenn alle gemeinsam anpacken. Dazu sind auch die Flüchtlinge aufgerufen, denen man sicher klarmachen kann, dass sie auch ihren Teil zur Deeskalation beitragen müssen. Die Gutmeinenden unter ihnen werden problemlos erkennen können, dass ihre umtriebigen Leidensgenossen (Flucht ist auch Leid) viel Porzellan in Deutschland zerschlagen haben.
Wenn die Gruppe der negativ auffälligen Migranten wirklich so klein ist, wie oft vermutet, dann sollte es für die Mehrheit machbar sein, die "Kollegen" von Dummheiten und Straftaten abzuhalten. Entsprechende Staatsbürgerkurse, die über Rechte und Pflichten in Deutschland aufklären, sollten das Ganze abrunden. Darauf sollte unsere Politik drängen - im Interesse der gutwilligen Flüchtlinge, die aufrichtig dankbar für einen sicheren Platz ohne Bomben sind...
Stefan Wagner am Permanenter Link
Die Menschen- und Bürgerrechte binden die staatliche Gewalt.
Staatliches Handeln ist den Grund- und Menschenrechten unterworfen. Das staatliche Gewaltmonopol ist daran gebunden und nur so zu legitimieren.
Karl Stein am Permanenter Link
Ein guter und sachlicher Beitrag von Herrn Muamba, wohltuend in dieser aufgeheizten Stimmung. Vor allem deshalb auch positiv, weil den Polizisten nicht pauschal Rassismus vorgeworfen wird.
Stefan Wagner am Permanenter Link
Ein schwieriges Feld.
Für die Polizisten im Bahnhof ist ja nicht erkennbar, wer in Gruppen angereist ist und unterwegs schon aggressiv war. Ich las auch von einem eingebürgerten Türken, der trotz deutschem Pass lange im Kessel festgehalten wurde, und niemand kontrollierte die Menge, bis Mitternacht.
Jetzt hat es immer noch einen unguten Geschmack, Leute nur deswegen in die engere Gruppe eng zu Beobachtender zu sortieren, weil sie eine von 3 bestimmten Nationalitäten hat. Aber ich denke gerade deswegen kann man sagen, hätte die Polizei all die, die vielleicht nur so ähnlich aussehen, schnell kontrollieren und gehen lassen müssen, damit von der fraglichen Maßnahme so wenig wie möglich zu Unrecht betroffen sind.
Ob sich jemand aggressiv verhält - das halte ich auch nur für ein einseitig gültiges Kriterium. Ja, der ist wohl näher zu beobachten. Aber sich kurz bei einer Kontrolle zusammenreißen kann fast jeder, wenn er will, auch wenn er aggressiv ist, und um so mehr, wenn es eine geplante Aggressivität ist, wie ja im Raum steht.