Der Krieg in Nahost bewegt sowohl Juden wie auch Palästinenser, die in München leben. Darüber sollte mehr gesprochen werden – und die Stadtspitze sollte eine wichtige Aufgabe wahrnehmen.
Der Artikel ist Hauptgewinner des ersten Helmut-M.-Selzer-Journalistenpreises des hpd, der am Wochenende verliehen wurde. Diesjähriger thematischer Schwerpunkt waren die Werte der Offenen Gesellschaft. Mehr zur Preisverleihung und der Begründung der Jury lesen Sie hier.
Es fehlt etwas in München. Man kann es spüren, hören, sehen – in den Worten und Gesichtern von Menschen. Es mangelt an der Bereitschaft zuzuhören und andere Positionen auszuhalten. Dieses Defizit prägt den Diskurs über den Israel-Palästina-Konflikt an vielen Orten, auch in München. Jüdische Menschen leiden unter Antisemitismus in der breiten Gesellschaft, palästinensische beklagen Desinteresse der Stadtpolitik. Darauf sollten die Verantwortlichen im Rathaus reagieren.
Wie mächtig das Gegeneinander ist, war diese Woche wieder zu erleben, beim Versuch eines Podiums mit einem jüdischen und einem palästinensischen Vertreter: statt echter Diskussion vor allem gegenseitige Vorwürfe. Und doch, der Versuch war und ist wertvoll. Es kamen Traumata auf die Bühne, auf der einen Seite verursacht durch Hamas-Terror und Raketen, auf der anderen durch Vertreibung und Gaza-Krieg.
Das Unvermögen, einen kleinen Schritt auf den anderen zuzugehen, ist symptomatisch für die Feindseligkeit zwischen den beiden Communitys in München, der palästinensischen, der jüdischen und ihren jeweiligen Unterstützern. Mehr Empathie für die andere Seite wäre wünschenswert, sei es bei der Israelitischen Kultusgemeinde als wichtigem gesellschaftspolitischem Akteur, sei es bei den auf der Straße so lauten Palästina-Gruppen. Vermutlich aber ist das nach dem 7. Oktober und Zehntausenden Toten in Gaza noch zu viel verlangt.
Also alles laufen lassen? Nein. Es ist Zeit, dass sich die Institutionen stärker einbringen, die alle Menschen in dieser Stadt repräsentieren. Oberbürgermeister, Bürgermeister, Stadtrat, seine Mitglieder, die Parteien. Sie sollten den Boden bereiten für gutes Streiten.
Eine schwärende Wunde der Menschen mit palästinensischen Wurzeln – und vieler weiterer Muslime – ist die Erfahrung, mit ihren Sorgen von den meisten Repräsentanten der Stadt ignoriert zu werden. Warum, fragen sie, warum kommt nicht mal einer aus dem Rathaus auch zu uns und fragt, wie es uns geht? Ja, warum nicht?
Mitgefühl mit jüdischen Menschen schließt Mitgefühl mit palästinensischen Menschen nicht aus. Es ergänzt sich. Wer Palästinensern zuhört, spürt oft eine Entfremdung von Staat und Politik, langfristig birgt das ein Risiko fürs demokratische Miteinander. Viele fühlen sich in die antisemitische Ecke gestellt und empfinden das als ungerecht.
Warum blickt jemand mit palästinensischen Wurzeln anders auf den Staat Israel als ein Biodeutscher? Ein respektvoller Austausch kann helfen, das zu verstehen. Man sollte lernen, Kritik an der Politik Israels, und sei sie radikal, zu unterscheiden von Antisemitismus.
Wer Juden abwertet, weil sie Juden sind, verlässt das demokratische Spielfeld, das ist klar. Aber wenn zu oft "Antisemitismus" gerufen wird, wo bei genauerem Hinsehen keiner ist, schadet das dem Kampf gegen diese Art der Menschenfeindlichkeit. Der inflationäre Gebrauch dieses so gravierenden Vorwurfs entwertet ihn und verdeckt echten Antisemitismus. Darunter leiden Jüdinnen und Juden.
Natürlich, lösen wird man den Nahostkonflikt nicht von München aus. Aber es geht um ein besseres Miteinander beider Seiten. Um die Wirkung des Konflikts auf München zu verstehen, auch um Emotionen ihren Platz zu geben, sollte die Stadt den Diskurs aktiver als bisher fördern. Indem sie Räume bereitstellt und ihre Repräsentanten auf die Podien gehen, zuhören, sprechen, gegenhalten. Auch Widerspruch kann ein Zeichen von Respekt sein. Diesen erwartet die palästinensische Community zurecht.
Der Text erschien am 27.11.2024 zuerst auf der Website der SZ. © Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Nachveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content.







8 Kommentare
Kommentare
Beate Müller am Permanenter Link
ich fühl mich gut, ich bin einer der Guten!
der Artikel ist - wirklich, wirklich, wirklich! - genau das, was ich erwartet hatte, vom hpd, von der Süddeutschen, von allen, die wissen, dass sie auf der richtigen Seite stehen
SG aus E am Permanenter Link
Was macht Sie so gewiss, auf der 'richtigen' Seite zu stehen? Welche Seite ist denn
Beides, das Masaker im Süden Israels und die Zerstörung Gazas werden in die Geschichte eingehen. Und auch das viel zu lange Schweigen des Westens.
https://www.blaetter.de/ausgabe/2025/september/gaza-als-epochenbruch
Beate Müller am Permanenter Link
"Und handelte der preisgekrönte Artikel nicht davon, dass hier die 'richtige' Seite nicht gibt?" genau das ist doch hier die "richtige Seite" - man entscheidet sich nicht für eine Seite,
Sie entscheiden sich natürlich auch nicht, Zitat SG aus E: "Beides, das Masaker im Süden Israels und die Zerstörung Gazas werden in die Geschichte eingehen" Und was machen wir jetzt damit? Drüber reden?
lachmann am Permanenter Link
Der erste Kommentar (eine der Guten) könnte Spuren von Ironie enthalten?
Guggemos, Walter am Permanenter Link
Golda Meir, der ehemaligen israelischen Ministerpräsidentin wird der Satz zugeschrieben: „Der Nahostkonflikt wird erst dann enden, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen.“
uwe hauptschueler am Permanenter Link
Der Konflikt wird von religiösen Extremisten auf beiden Seiten befeuert. Solange man nicht bereit ist, religiöse Verblödung als Ursache des Problems zu bekämpfen, wird sich da nichts lösen lassen.
lachmann am Permanenter Link
In den Völkermord Plänen unterscheidet sich die Hamas kaum von der NSDAP. Der 7.
Bedingungslose Kapitulation des NS-Regimes war notwendig, Nürnberger Prozesse notwendig, Entnazifizierung notwendig. Auch die Vertreibung von Sudeten und Schlesier war unter dem Gesichtspunkt der "Kollektiven Schuld" zu akzeptieren. Unterdrückung und Verfolgung von Nicht-Muslimen im Nahen Osten über Jahrhunderte. In der Kairoer Erklärung der Menschenrechte steht: " Artikel 2:
..... es ist verboten, einem anderen das Leben zu nehmen, außer wenn die Scharia es verlangt"
Für eine dauerhaften Frieden müssen die Muslime das Existenzrecht Israel anerkennen.
Helga Baumann am Permanenter Link
Zu Lachmanns Kommentar
Für einen dauerhaften Frieden müssen nicht nur die Muslime das Existenzrecht Israels, sondern natürlich auch die Israelis das Existenzrecht der Palästinenser anerkennen.