Vor genau einem Jahr, am 24. Februar 2022, begann Russland seinen völkerrechtswidrigen und brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine. Im Zuge Russlands kriegerischer Aktivitäten kam es auch in Deutschland zu einer stärkeren Fokussierung auf die Rolle von Desinformation. Obwohl das Wissen um die Funktionsweisen und Ziele von Desinformation von großer Bedeutung ist, um sinnvolle Interventionsmöglichkeiten zu entwickeln, wurde das Thema in Deutschland zuvor jedoch lange vernachlässigt.
Eine Untersuchung des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) aus dem Oktober 2022 offenbarte bereits einen signifikanten Anstieg des Glaubens an pro-russische Propaganda- und Desinformationsnarrative innerhalb der deutschen Bevölkerung. Dabei zeigte sich auch, dass einige Bevölkerungsgruppen anfälliger waren als andere. In unserem neuen CeMAS Research Paper "Ein Jahr russischer Angriffskrieg: Die Rolle von Desinformation in Deutschland" werfen wir einen detaillierten Blick auf die Entwicklungen im Bereich Desinformation und die Herausforderungen bei ihrer Erfassung seit Kriegsbeginn. Das Paper erfasst dabei wiederkehrende Muster, die hilfreich sind, um daraus politische und gesellschaftliche Maßnahmen abzuleiten.
Pro-russische Desinformation erreicht ein deutsches Publikum
Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ging ein Anstieg russischer und pro-russischer Desinformations- und Propagandakampagnen einher, die auch in Deutschland zumindest in Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fielen. Während andere Länder wie Taiwan oder die baltischen Staaten bereits jahrelange Erfahrung im Kampf gegen Beeinflussungsversuche aufweisen, ist die Debatte und systematische Auseinandersetzung mit Desinformation als Bedrohung für Gesellschaft und Demokratie trotz akuter Bedrohungslage in Deutschland vergleichsweise neu.
Pro-russischen Akteur:innen dienen Proganda und Desinformationskampagnen zur negativen Beeinflussung der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit in Bezug auf den Krieg in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene. Dabei zeigte sich, dass pro-russische Narrative in bestimmten politischen Gruppen besonders verfangen: Die Wähler:innen der rechtsextremen AfD erreichten die höchsten Zustimmungswerte im Hinblick auf russische Propagandanarrative, gefolgt von der Wähler:innenschaft der Linken, die die zweithöchsten Zustimmungswerte aufwies.
Fragmentierung innerhalb der Desinformations-Sender:innen
Wo zu Beginn RT DE dominierte, hat dessen Abschaltung durch die EU im März 2022 Raum für andere Akteur:innen gemacht. Dazu gehören russische Botschaften sowie die sogenannten "Alternativmedien" und pro-russische Influencer:innen. "Alternativmedien" wurden unter anderem von ehemaligen RT-Mitarbeiter:innen gegründet, deren Verhältnis zu Russland schwerer nachweisbar ist als es bei RT der Fall war. Hinter dem YouTube-Kanal "InfraRot Medien – Sicht ins Dunkel" steht zum Beispiel Ivan Rodionov als Geschäftsführer, der von 2014 bis Oktober 2021 beim russischen Sender RT DE tätig war.
Neben unterschiedlich stark mit dem russischen Staat verwobenen "Alternativmedien" erreichten pro-russische Influencer:innen und Blogger:innen große Reichweiten, etwa der Blog "Anti-Spiegel" des in Sankt Petersburg lebenden Thomas Röper. Auf dem Blog werden russische Propagandanarrative und Lügen über den russischen Angriffskrieg verbreitet. Außerdem werden Meldungen aus russischen Medien für ein deutsches Publikum übersetzt und veröffentlicht. Der Telegram-Kanal des "Anti-Spiegels" verzeichnete seit Beginn des russischen Angriffskriegs ein starkes Wachstum.
In Deutschland wurde zudem die pro-russische Influencerin Alina Lipp zum Sprachrohr russischer Propaganda. Bereits vor dem 24. Februar war Lipp auf ihrem YouTube-Kanal "Glücklich auf der Krim" aktiv. Der Kanal hat aktuell 4.650 Abonnent:innen, wird aber seit 11 Monaten nicht mehr bespielt. Durch ihren Telegram-Kanal "Neues aus Russland" erreicht sie inzwischen über 185.000 Abonnent:innen. Ihre reichweitenstärksten Nachrichten, die sie auf Deutsch und seit Sommer 2022 auch auf Russisch veröffentlicht, erhalten teilweise über zwei Millionen Views.
Ein weiterer Ansatz der Verbreitung von Desinformation ist der massenhafte Einsatz von Fake-Accounts. Im August 2022 veröffentlichte t-online eine Recherche über ein Netzwerk von hunderten Fake-Accounts, die in Kommentaren Links zu gefälschten Nachrichten-Seiten posteten. Ein Großteil der gefälschten Nachrichten wandte sich gegen die Sanktionen gegen Russland. Diese Kampagne bezog sich neben Deutschland unter anderem auch auf Großbritannien, Frankreich, Italien oder die Ukraine.
Gezielte Desinformationskampagnen und Mobilisierung gegen ukrainische Geflüchtete
Desinformation wurde wiederholt und gezielt eingesetzt, um die Solidarität mit der Ukraine und den von dort Geflüchteten zu zersetzen. In den falschen Beiträgen ging es etwa um eine angebliche Veruntreuung von Hilfsgütern, angebliches aggressives Verhalten von Geflüchteten oder um die Behauptung, die Unterstützung der Ukraine stelle eine Bedrohung der eigenen Grundbedürfnisse dar. Falsche Behauptungen über Geflüchtete aus der Ukraine verbleiben dabei nicht im digitalen Raum, sondern werden auch in die analoge Welt übertragen.
Insbesondere im Sommer 2022 gab es breite Befürchtungen einer möglichen Mobilisierung im Herbst und Winter. Während die pro-russischen Proteste und Proteste gegen die Energiekrise zahlenmäßig zum Winter zurückgingen, findet sich insbesondere in kleineren Orten und im Osten Deutschlands flüchtlingsfeindliche Agitation. Ab Herbst 2022 kam es infolgedessen vermehrt zu flüchtlingsfeindlichen Protesten und Attacken. Auch Ortsverbände der AfD mobilisierten gegen Geflüchteten-Unterkünfte.
Das verschwörungsideologiosche Milieu integrierte die Thematisierung des russischen Angriffskriegs und die Energiekrise als Folge der Sanktionen gegen Russland ebenfalls und positionierte sich überwiegend pro-russisch. Das Thema "Blackout"wurde in rechtsextremen und verschwörungsideologischen Telegram-Kanälen insbesondere zu Beginn des Kriegs und im Herbst 2022 vielfach zu Mobilisierungszwecken aufgegriffen.
Desinformation ist ein Angriff auf liberale Demokratien
Desinformation ist eine fundamentale Herausforderung für demokratische Gesellschaften. In der Corona-Pandemie führten falsche Behauptungen über Impfungen oder Masken zu reduziertem Schutzverhalten und erschwerten die Bewältigung der Pandemie. Nicht erst seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine wird Desinformation gezielt als Propagandamittel genutzt, um westliche Demokratien zu destabilisieren und die Solidarität mit der Ukraine zu untergraben.
Während Krisen akute Stressoren darstellen, die die Resilienz von Gesellschaften und Individuen herausfordern und empfänglicher machen für Stimmungsmache und Beeinflussungsversuche, muss Desinformation als chronischer Stressfaktor verstanden werden, der liberale Demokratien im Mark erschüttern soll. Die Auseinandersetzung mit Propaganda und Desinformation muss über das sogenannte "Debunking", also dem Ausgleich des Informationsdefizits, hinausgehen. Desinformation darf nicht nur als Informations- oder Sicherheitsproblem verstanden werden. Es ist ein Angriff auf die Demokratie als Ganzes.
Die ganze Studie von CeMAS ist hier online verfügbar.