2023 feierte die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) "100 Jahre evolutionären Humanismus" – trotz Corona, Krieg und Klimawandel. Das Jahr war überschattet von dem anhaltenden Krieg in der Ukraine und dem Angriff der Hamas auf Israel. Immerhin jedoch scheinen nun mehr und mehr Politikerinnen und Politiker zu erkennen, dass es höchste Zeit ist, die offene Gesellschaft gegen ihre wiedererstarkten Feinde zu verteidigen.
Januar
1923 erschienen das erste Buch von Julian Huxley und das letzte Buch von Peter Kropotkin. Aus diesem Grund feierte die gbs "100 Jahre evolutionären Humanismus", wobei sie den weitverbreiteten Untergangsszenarien unserer Tage unter dem Motto "Wir glauben an den Menschen..." die Utopie einer "besseren Welt" entgegenstellte. In diesem Zusammenhang nahm sich die Stiftung auch ein Beispiel an der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN), die vor 75 Jahren unter den dramatischen Bedingungen der Nachkriegszeit die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verabschiedet hatte.
Ebenfalls im Januar startete mit Unterstützung der gbs die Veranstaltungsreihe des Kortizes-Instituts unter dem Titel "Vom Reiz der Sinne". Dabei ging es um die Frage, wie die Evolution das menschliche Gehirn und die menschliche Wahrnehmung geformt hat. Noch im ersten Quartal des Jahres folgte das Copernicus-Symposium "Welt, Körper, Geist", das den Platz des Menschen im Universum beleuchtete, sowie der Beginn der Veranstaltungsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen", die scheinbar "paranormale" Phänomene wissenschaftlich analysierte. Die Kooperation mit Kortizes setzte sich über das gesamte Jahr fort und gipfelte im großen Kortizes-Symposium "Naturgewalt und Geisteskraft", bei dem drei gbs-Beiräte (Christoph Antweiler, Axel Meyer und Volker Sommer) als Referenten auftraten.
Februar
"Wer die Verfassung nicht versteht, gehört nicht in den Bundestag!": 140 amtierende Bundestagsabgeordnete hatten 2015 für den verfassungswidrigen § 217 StGB gestimmt, der professionelle Freitodbegleitungen in Deutschland bis zu seiner Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 untersagte. Mit Blick auf die geplante Neuregelung der Suizidassistenz stellte die gbs (in Kooperation mit Dignitas, DGHS und dem Verein Sterbehilfe) den betroffenen MdBs eine "gelbe Karte" zu, um sie an ihr "Foul am demokratischen Rechtsstaat" zu erinnern und sie davor zu bewahren, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen. Pünktlich zu dieser öffentlichkeitswirksamen Aktion stellte das Hans-Albert-Institut (HAI) in seiner Stellungnahme "Den letzten Weg selbst bestimmen" Leitlinien für eine faktenbasierte, rationale und weltanschaulich neutrale Regelung der Suizidhilfe vor.
Parallel zu der Sterbehilfe-Aktion in Berlin veröffentlichte die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) ein von Johann-Albrecht Haupt (HU / ifw) erstelltes Datenblatt, das zeigte, dass die Kirchen 2023 erstmals Staatsleistungen in Höhe von mehr als 600 Millionen Euro erhalten haben. Wie absurd diese Zahlungen sind, die laut Verfassung schon seit mehr als 100 Jahren abgelöst sein sollten, verdeutlichte ein Aufsatz von ifw- und gbs-Beirat Rolf Schwanitz (Staatsminister a.D. im Bundeskanzleramt), der auf der Website des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) veröffentlicht wurde und zu dem Ergebnis kam, dass es "weder vermittelbar noch gerechtfertigt" sei, "diesem milliardenschweren einhundertjährigen Geldregen weitere Entschädigungszahlungen folgen zu lassen. Alle vorstellbaren Ausgleichsansprüche sind dadurch bereits abgegolten."
März
Auf dem Jahrestreffen des Instituts für Weltanschauungsrecht am Stiftungssitz "Haus Weitblick" wurden aktuelle Themen wie die Neuregelung der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch sowie zur Freitodbegleitung diskutiert. Das mit hochrangigen Juristinnen und Juristen besetzte Institut, das 2017 von der gbs gegründet wurde, kam zu dem Ergebnis, dass der Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert werden müsse und es zu keiner weiteren Einschränkung des "Rechts auf Letzte Hilfe" kommen dürfe. Zudem plädierten die ifw-Mitglieder für die Abschaffung des sogenannten "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB und debattierten u.a. über das kirchliche Arbeitsrecht, die intransparenten Geheimverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Kirchen zur Ablösung der Staatsleistungen, über Ethikunterricht und bekenntnisfreie Schulen sowie die Möglichkeiten der zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer klerikalen Missbrauchs.
April
Alle Jahre wieder erinnert die Giordano-Bruno-Stiftung daran, dass das "Tanzverbot" an Karfreitag laut einem 2016 erstrittenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht für diejenigen gilt, die aus weltanschaulichen Gründen gegen die "stillen Tage" antanzen. Aus diesem Grund fanden auch 2023 wieder zahlreiche Heidenspaß-Partys in Deutschland statt sowie Aufführungen des Monty-Python-Films "Das Leben des Brian", der aufgrund der Feiertagsgesetze eigentlich nicht öffentlich gezeigt werden darf.
Eine Abschiedsfeier der besonderen Art: Der am 18. November 2022 verstorbene gbs-Gründer Herbert Steffen wollte keine Trauerveranstaltung kurz nach seinem Tod, stattdessen wünschte er sich eine Feier seines Lebens zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die erste Trauerphase überwunden ist. Am 23. April hat die Stiftung den letzten Willen jenes Mannes erfüllt, dessen "langer Weg vom Paulus zum Saulus" viele inspiriert hat. Die von Ulla Wessels und Michael Schmidt-Salomon moderierte Gedenkveranstaltung war eine Feier ganz nach "Herbies" Geschmack, bei der die Tränen nicht nur aus Trauer, sondern auch aus Freude flossen.
Hocherfreut wäre der Stiftungsgründer zweifellos auch von dem unermüdlichen Einsatz der Aktionsgruppe "11. Gebot" um gbs-Mitarbeiter David Farago gewesen: Vom 17. bis 18. April unterstützte das Team mit dem "Hängemattenbischof" aus der Werkstatt von gbs-Beirat Jacques Tilly den Protest von Missbrauchsbetroffenen anlässlich der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im Bistum Freiburg, nur zwei Tage später waren Farago & Co. mit zwei weiteren Tilly-Figuren beim Finale des Bürgerbegehrens des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes+ (DA) gegen die öffentliche Finanzierung des "Evangelischen Kirchentages 2027" in Düsseldorf aktiv.
Mai
"Von der Chance der Krise": Die erste Nationalversammlung am 18. Mai 1848 markierte einen Wendepunkt in der deutschen Geschichte. Erst die Krise der bestehenden Ordnung hatte den Weg zum demokratischen Parlament in der Paulskirche eröffnet. 175 Jahre später wird die Weltgesellschaft ebenfalls von Krisen erschüttert – sind auch sie mit Chancen verbunden? Mit dieser Frage beschäftigte sich eine Veranstaltung, die von der vhs Frankfurt und der gbs im Rahmen der offiziellen Feierlichkeiten zu "175 Jahren Paulskirche" organisiert wurde. Im Goldenen Saal des Frankfurter Stadthauses sprachen die Philosoph*innen Klaus-Jürgen Grün (Goethe-Universität Frankfurt), Irina Kummert (Ethikverband der Deutschen Wirtschaft) und Michael Schmidt-Salomon (gbs) unter der Moderation von Miriam Claudi (Studium Generale der vhs Frankfurt) darüber, ob auch in der gegenwärtigen Situation "mit der Gefahr das Rettende wächst", wie es Friedrich Hölderlin einmal formuliert hat.
Kurz nach dem großen Stiftungstreffen in Oberwesel (12.-14. Mai) beteiligte sich die gbs an der Kampagne "Solidarität mit Islamforscherin Susanne Schröter", bei der rund 850 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter viele Hochschulprofessorinnen und -professoren, die Politik und die Universität Frankfurt dazu aufforderten, die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) gegen vermeintlich "woke" Diffamierungen in Schutz zu nehmen. Anlass der Stellungnahme waren die Angriffe auf Schröter nach einer Veranstaltung mit dem ehemaligen Grünen-Politiker Boris Palmer, die medial für großes Aufsehen gesorgt hatte.
Juni
Vom 7. bis 11. Juni war das Team des "11. Gebots" beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg im Einsatz. Dieses Mal wurde "Moses" mit seiner Steintafel "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" vom "Nackten Luther" begleitet, womit die gbs-Aktionsgruppe auf den christlichen Judenhass hinwies, der gerade auch in der Geschichte Nürnbergs katastrophale Folgen hatte. Ansonsten bot der 7. Juni einen guten Grund zum Feiern, denn 30 Jahre zuvor war der Start des Great Ape Project (GAP) erfolgt, das den Großen Menschenaffen bestimmte Grundrechte verschaffen möchte, die bislang ausschließlich dem Menschen vorbehalten sind, nämlich das Recht auf Leben, den Schutz der individuellen Freiheit und das Verbot der Folter. gbs-Beirat Colin Goldner (Koordinator des Great Ape Project Deutschland) nahm den Jahrestag zum Anlass, um die Höhen und Tiefen in der Geschichte der Initiative zu erläutern, die 2011 durch die gbs wiederbelebt wurde und heute zu den wichtigsten Projekten der internationalen Tierrechtsbewegung gehört.
Was macht die Menschheit im Anthropozän? Wo liegen die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz? Und welche Gefahren sind mit verengten Debattenräumen verbunden? Dies waren nur drei der Themen, mit denen sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Bertha von Suttner-Studienwerks bei ihrem Treffen vom 16. bis 18. Juni am gbs-Stiftungssitz "Haus Weitblick" beschäftigt haben. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten lobten die "wunderbare Atmosphäre" in Oberwesel und die "vielen interessanten Gespräche", die oftmals bis tief in die Nacht gingen.
Juli
2021 sorgte der "Hängemattenbischof" ("11 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle") vor dem Kölner Dom für internationale Schlagzeilen, im Juli 2023 kehrte die Aktionsgruppe "11. Gebot" mit dem "Zappel-Woelki" auf die Domplatte zurück. Tillys Großskulptur zeigt Kardinal Woelki, der sich in der teuflischen Bedrohung des Missbrauchsskandals verzweifelt an den Kölner Dom klammert und damit einen seiner Türme zum Einsturz bringt. Dies sorgte in Köln ebenso für Erheiterung wie das mitgelieferte Gedicht im Stil des "Struwwelpeters": "Ob der Woelki heute still / Wohl bei Tische sitzen will?" / Also sprach in ernstem Ton / Papa Staat zu seinem Sohn / Und Mutter Kirche blicket stumm / Auf dem ganzen Tisch herum […]."
Wenige Tage nach der Kölner Aktion fand im "Haus Weitblick" das 2. gbs-Sommerforum statt, bei dem kluge, junge Menschen Vorschläge erarbeiteten, wie sich die Philosophie des evolutionären Humanismus noch etwas besser in die Gesellschaft hineintragen lässt. Für gute Stimmung sorgte auch die positive Nachricht, dass beide angedachten Gesetzesinitiativen zur Neuregelung der Suizidhilfe bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag scheiterten, was die Giordano-Bruno-Stiftung, die sich (u.a. mit ihrer Aktion im Februar 2023) genau dafür eingesetzt hatte, entsprechend kommentierte.
August
Die Erosion des Glaubens schreitet weiter voran. Dies ist das Ergebnis einer Analyse, welche die 2005 von der gbs initiierte Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) im August 2023 veröffentlichte. Demnach waren 2022 nur noch 48 Prozent der Deutschen Mitglied einer der beiden christlichen Großkirchen, während der Bevölkerungsanteil der Konfessionsfreien auf 44 Prozent gestiegen ist. Wie stark der Trend zur Säkularisierung tatsächlich ist, lässt sich laut fowid-Leiter Dr. Carsten Frerk nicht zuletzt auch daran ablesen, dass nur noch 6 Prozent der Bevölkerung ihren Glauben praktizieren. Frerks Analysen wurden später im Jahr durch die "Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) untermauert, die zu dem Ergebnis kam, dass der Bevölkerungsanteil der säkular denkenden Menschen in Deutschland (unabhängig von einer vielleicht noch nominell vorhandenen Kirchenmitgliedschaft) schon bei 56 Prozent liegt.
Im August 2023 jährte sich zudem der Geburtstag des österreichischen Komponisten, Dirigenten und Autors Gerhard Wimberger zum 100. Mal. Die Giordano-Bruno-Stiftung erinnerte an ihren 2016 verstorbenen Beirat mit einer ungewöhnlichen Video-Collage zu Wimbergers letztem großen Werk – der "Passion Giordano Bruno", die 10 Jahre zuvor bei den "Salzburger Festspielen 2013" das Publikum begeistert hatte. Erstmals setzte die gbs in diesem Video auch Mittel der KI ein, was dem technikaffinen Komponisten Gerhard Wimberger sicherlich gefallen hätte (siehe hierzu die Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Video-Collage, die Auskunft über die Entstehungsgeschichte der "Passion Giordano Bruno" gibt).
September
Wie groß das Themenspektrum der Giordano-Bruno-Stiftung ist, wurde in diesem Monat in besonderer Weise deutlich: Zunächst zählte die gbs zu den Unterstützern des "8. Internationalen Cradle to Cradle-Congress", der unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom 8. bis 9. September an der TU Berlin stattfand. Dann gehörte sie zu den Trägern des "Safe Abortion Day", der mit Nachdruck die Abschaffung des § 218 StGB einforderte. Wenig später beteiligte sie sich am Protest internationaler Missbrauchsopfer vor den Toren des Vatikans, was zu hektischen Reaktionen vonseiten der italienischen Ordnungsbehörden führte. Dass die römische Polizei die Teilnahme des "Hängemattenbischofs" an der Demonstration und sogar das Mitführen des gbs-Transparents "Aufklärung auf Katholisch" untersagte, sorgte für große mediale Resonanz. Inzwischen haben die beiden "säkularen Rom-Pilger" David Farago und Ricarda Hinz den verbotenen Aufklärungsbanner dem "Haus der Geschichte" in Bonn übergeben.
Die Vielfältigkeit der Stiftungsthemen erkennt man auch an der aktuellen Ausgabe des "bruno."-Jahresmagazins, das Ende September 2023 herauskam. Auf dem Cover des "bruno." 2023 überbringt Charles Darwin augenzwinkernd "die frohe Botschaft des evolutionären Humanismus", wonach wir zwar "mit dem Schlimmsten rechnen müssen, aber auf das Beste hoffen dürfen". Die Titelgeschichte des Hefts zeigt: Auch wenn die Herausforderungen, denen sich die Menschheit im "Anthropozän" stellen muss, gewaltig sind, sollten wir nicht übersehen, dass selbst dramatische Krisen (wie die "Klimakrise") mit Chancen verbunden sind. Ein finaler Abgesang auf unsere Spezies wäre verfrüht.
Oktober
Seit Oktober 2023 fördert das von der gbs mitgegründete Bertha von Suttner-Studienwerk (BvS) 31 Stipendiatinnen und Stipendiaten. Bei der Ausschreibung des "Suttner-Stipendiums 2023" waren mehr als 230 Bewerbungen eingegangen – keine leichte Aufgabe für die Auswahlkommission des BvS, die aus der großen Menge qualifizierter Nachwuchstalente die besten 16 Kandidat*innen bestimmen musste. Zusammen mit den 10 Alumni, deren Förderung im Oktober 2023 ausgelaufen ist, konnten nun schon 41 "herausragende junge Talente" vom Angebot des humanistischen Studienwerks profitieren.
Die Freude über die neuen Stipidentiat*innen wurde Anfang Oktober überschattet von dem Entsetzen über den Terrorangriff der Hamas gegen israelische Männer, Frauen und Kinder. gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon reagierte darauf zunächst mit einem kurzen Statement, in dem er eine "Zeitenwende" im Umgang mit dem Politischen Islam einforderte. Wenig später veröffentlichte er einen Ausschnitt aus seinem 2016 erschienenen Buch "Die Grenzen der Toleranz" zum Thema "Der islamische Faschismus", um den häufig anzutreffenden Fehlinformationen über die Motivation der Hamas entgegenzuwirken. In einem ausführlichen Artikel mit dem Titel "Symbolpolitik allein genügt nicht!" zeigte die gbs schließlich auf, welche Schritte ergriffen werden müssten, um die offene Gesellschaft effektiver zu verteidigen. Inzwischen wurden zumindest einige Forderungen, welche die gbs schon seit Jahren erhebt, umgesetzt. So wurden erste Schritte unternommen, um dem Islamischen Zentrum Hamburg, der Zentrale des iranischen Mullahregimes in Deutschland, das Handwerk zu legen. Ob diese Reaktionen nur Strohfeuer sind oder ob im Hinblick auf den militanten wie den legalistischen Islamismus tatsächlich ein Umdenken stattfindet, wird zu beobachten sein.
Am 24. Oktober musste die gbs den Tod des deutschen Soziologen, Philosophen und Wissenschaftstheoretikers Hans Albert (Gründungsbeirat der Giordano-Bruno-Stiftung und Namensgeber des 2020 gegründeten Hans-Albert-Instituts) bekanntgeben. Albert, der zu den weltweit führenden Vertretern des Kritischen Rationalismus zählte, starb in seiner Heimatstadt Heidelberg im Alter von 102 Jahren. Zu seinem 100. Geburtstag hatte die Stiftung die Videodokumentation "Hans Albert - Der Jahrhundertdenker" produziert, die anlässlich seines Todes noch einmal über die Social-Media-Kanäle der gbs verbreitet wurde.
Ende Oktober zeigte sich, dass zivilgesellschaftliches Engagement tatsächlich etwas bewegen kann. Die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments verständigten sich nämlich darauf, von der geplanten anlasslosen Massendurchleuchtung privater Kommunikation abzusehen. Möglich wurde diese "historische Einigung", die (im Kontrast zu den ursprünglichen Plänen der EU) das Recht auf anonyme Kommunikation unangetastet lässt, nur "unter dem Eindruck massiver Proteste gegen die drohenden verdachtslosen Chatkontrollen", wie der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) schrieb. Die Giordano-Bruno-Stiftung war an diesen Protesten aktiv beteiligt: Schon vor zwei Jahren hatte sie mit einer aufsehenerregenden Aktion vor einer anlasslosen Massenüberwachung und einer Aufhebung des digitalen Briefgeheimnisses in der EU gewarnt.
November
Am 21. November reagierte das Hans-Albert-Institut (HAI) auf das "50-Punkte-Manifest" der BILD-Zeitung, das angeblich verdeutlichen sollte, "was unsere freie Gesellschaft zusammenhält", mit einem alternativen "50-Punkte-Entwurf". Das von HAI-Koordinator Florian Chefai verfasste "Manifest der offenen Gesellschaft" formuliert aus kritisch-rationaler und humanistischer Perspektive politische Leitlinien, die tatsächlich dazu beitragen könnten, "klare Kante" zu zeigen und das Profil der offenen Gesellschaft zu stärken.
Zwei Tage später fand in Berlin die Anhörung der "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" statt, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde, um Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs zu prüfen. Bei diesem Termin kamen mit gbs-Beirat Philipp Möller (Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien) und Jessica Hamed (Stellvertretende Direktorin des ifw) gleich zwei Personen aus dem gbs-Spektrum zu Wort. Während Möller die religiösen Vorstellungen kritisierte, die sich hinter der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs verbergen, stellte Hamed klar, dass es rechtsunlogisch sei, Blastozyten, Embryos oder Föten als Grundrechtsträger zu betrachten, weshalb sich jede Kriminalisierung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs von vornherein verbiete. Hierzu hatte das ifw bereits im Oktober eine von Jessica Hamed, Michael Schmidt-Salomon und Jörg Scheinfeld verfasste Stellungnahme veröffentlicht, die sich u.a. auf Artikel 1 der UN-Menschenrechtserklärung stützt. Dort heißt es nämlich aus guten Gründen, "dass alle Menschen mit Würde und Rechten geboren sind – nicht gezeugt oder empfangen."
Am 25. November wurde am gbs-Sitz in Oberwesel der "Festakt zum 80. Geburtstag von Gerhard Vollmer" zelebriert. Die Veranstaltung stellte Vollmers herausragende Bedeutung für die Entstehung der "evolutionären Erkenntnistheorie" und die Verbreitung eines "naturalistischen Weltbildes" heraus, das die philosophische Grundlage für die Arbeit der gbs bildet. Aus Anlass des runden Geburtstages hatten das HAI, die gbs und die Bundesarbeitsgemeinschaft humanistischer Studierender bereits zuvor einen Wettbewerb unter dem Vollmerschen Motto "Wir irren uns empor!" ausgeschrieben. Die Gewinnerbeiträge werden zusammen mit den Festvorträgen von Michael Schmidt-Salomon, Volker Sommer, Rüdiger Vaas und Franz Josef Wetz in der nächsten Ausgabe der gbs-Schriftenreihe erscheinen. Darüber hinaus ist eine ausführlichere Festschrift für Gerhard Vollmer im Hirzel-Verlag geplant.
Dezember
Zum 75. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die Vereinten Nationen veröffentlichte die gbs ein rund 20-minütiges Video, das erklärt, wie die Menschenrechte entstanden sind, weshalb sie aktuell in besonderer Weise bedroht werden und wie wir sie gegen die "Internationale der Nationalisten" verteidigen könnten. In der Abschlussmoderation des Videos heißt es dazu: "Die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte wird kaum durch Politiker erfolgen, die sich in erster Linie für nationale Interessen engagieren. Die Weltzivilgesellschaft muss hier Verantwortung übernehmen: Es liegt an uns, die Grenzen in den Köpfen zu überwinden."
Fazit
2023 war das erste Jahr nach dem Tod des Stiftungsgründers Herbert Steffen. Er fehlte vor allem bei den zahlreichen Treffen und Veranstaltungen, die am Stiftungssitz "Haus Weitblick" stattfanden. Dennoch musste die Stiftungsarbeit natürlich weitergehen. Das gbs-Team (vor allem die Vorstandsmitglieder Michael Schmidt-Salomon und Ulla Wessels, das Kuratorium und der Mitarbeiterstab) dankt in diesem Zusammenhang allen Freunden und Förderern, Stiftungsmitgliedern und Kooperationspartnern, die es ermöglicht haben, dass die gbs ihre Aktivitäten in diesem Jahr nicht nur fortsetzen, sondern sogar noch ausweiten konnte!
Insgesamt war 2023 ein (durch die außenpolitischen Entwicklungen) zwar hochdramatisches, für die gbs jedoch nicht minder erfolgreiches Jahr: So konnte die Stiftung ihren Teil dazu beitragen, dass sowohl die Einschränkung des "Rechts auf Letzte Hilfe" in Deutschland als auch die Aufhebung des digitalen Briefgeheimnisses in der EU verhindert wurde. Darüber hinaus stehen mittlerweile – nicht zuletzt auch dank der juristischen Expertise des ifw – die Chancen nicht allzu schlecht, dass § 218 StGB in absehbarer Zeit tatsächlich fällt – ein Ziel, für das sich die Frauenbewegung seit 150 Jahren unermüdlich eingesetzt hat.
Im kommenden Jahr wird die gbs ihr 20-jähriges Bestehen feiern können. Seit Längerem ist sie ein wichtiger Rückhalt für alle Initiativen, die kritisch-rationale, evidenzbasierte, humanistische Positionen in der Gesellschaft stärken wollen. Wie es scheint, hatte gbs-Gründer Herbert Steffen recht, als er mit Blick auf die vielfältigen Projekte, die aus der gbs hervorgegangen sind, im ersten gbs-Jahresmagazin ("bruno." 2019, S. 18) formulierte: "Wenn es die gbs nicht schon gäbe, müsste man sie glatt erfinden!"
Erstveröffentlichung auf der Website der gbs (dort auch mit vielen Fotos).