Kolumne: Sitte & Anstand

Jesus, deine Brüste tun mir weh

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Nicht alles in Island ist so wildromantisch wie der Grundarfjörður-Kirkjufell-Berg.
Der Grundarfjörður-Kirkjufell-Berg in Island

Skandal im Atlantik: Die Isländische Kirche hat den Heiland als Transsexuellen abgebildet. Aua, all die verletzten religiösen Gefühle! Unser Kolumnist sagt, wie die Kirche es nächstes Mal besser machen kann.

Auch in Island ist manchmal was los. Wobei: "In" oder "auf" Island, wie sagt man eigentlich? "Auf" unterstreicht das Inselhafte der Insel, wohingegen "in" das Land im Nordatlantik irgendwie größer macht: Islandfans meiner entfernteren Bekanntschaft drängten immer sehr darauf, dass es keinesfalls "auf", sondern unbedingt "in" zu heißen habe, und sie konnten mächtig die Augen verdrehen, wenn man es versehentlich mal wieder falsch gesagt hatte. Nur durch die Verwendung einer missliebigen Präposition hatte man ihre heiligen Islandgefühle verletzt, hatte, was das Zentrum ihres Denkens und Strebens war, zu einer weniger bedeutenden Insel diminuiert.

Hatten sie deswegen recht? Um im Skandinavischen zu bleiben, möchten wir mal an das gute alte schwedische Sprichwort erinnern: "Smaken är delad som baken", das heißt auf Deutsch: "Der Geschmack ist geteilt wie der Arsch", beziehungsweise: "Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall", oder auch: "Über Geschmack lässt sich streiten."

Gestritten haben sie jetzt mächtig in oder auf Island, und einmal mehr hat sich gezeigt, dass zur Geschmacksfrage eine Glaubensfrage hinzukommen muss, damit nicht alle nur schulterzuckend ihres Weges gehen. Kirche! Sie erinnern sich? Das sind die, die aller Welt seit zweitausend Jahren verkünden, wie böse die Menschheit sei, und dass allein sie das Heilmittel wüssten. Das sind die mit den Hexenverbrennungen, die, die nur von den weniger Geschmackssicheren eine Kinderfickersekte genannt werden, das sind die, die an jeden Wegesrand ein gefoltertes Hinrichtungsopfer hinstellen wollen, damit ...

Ja, wozu eigentlich? Damit alle Leute sich richtig mies fühlen? Nicht wenige Menschen jedenfalls stößt dieser abscheuliche, sadistisch fixierte Folterkult grundlegend ab, und noch selten ist aber jemand hingegangen und hat die Abhängung und Umnietung all dieser knackig gebauten Hingerichteten verlangt. Wer sich über religiöse Symbole aufregt, dem fehlt nämlich die nötige Qualifikation, die Lizenz zum Echauffieren, ihm fehlt dasjenige, worauf die Religiösen sich immer zu gern berufen: ihr religiöses Gefühl. Es sei verletzt worden. Ob humanistische Gefühle verletzt werden, ob Kinder vielleicht verletzt werden, wenn sie sich mit Abbildern des Gemarterten herumschlagen müssen, ob man ganz allgemein und ideologiefrei Statuetten von Gefolterten erst mal abstoßend findet – kümmert niemanden. Die Religiösen aber dürfen immer rumkrakeelen, wenn ihnen mal wieder was gegen die Gewohnheiten verstößt, und man lässt sie gewähren und tut ihnen letztlich genervt ihren Willen, auf dieselbe Weise, wie man Einjährige verkehrt erzieht.

In oder auf Island haben sie jetzt auch wieder ihren Willen gekriegt, die Festgefügten, die an einen Heiland glauben, der, an ein Düsenkreuz gefesselt, in die Stratosphäre hochgedüst ist, nein, pardon, der vorher abgenommen wurde von seinem Kreuz und dann alleine hochflog. Der Skandal war dieser: Die Isländische Kirche hatte sich ein buntes Banner ausgedacht, um ihre Schäflein in die Sonntagsschulen zu locken. Und es gibt in der Tat vieles, was an dem Banner scheußlich ist: Die schlimme Stimmungsaufheller-Buntheit. Die zwanghaft unbelebte Diversität mit Kindern in allen Farben und einer Kopftuchfrau, die aus dem Kirchenfenster schaut, der grundsätzliche Wille zur Infantilisierung des Betrachters, der aus dem Plakat spricht. Oder dass die vier diversen Kinder überhaupt gar nicht miteinander in Kontakt kommen, da jedes nur einsam vor sich hinwurschtelt.

Quelle: http://cdn.mbl.is/
Quelle: http://cdn.mbl.is/

Das alles aber ist nirgends Aufreger gewesen. Stattdessen sind die Erzchristen beim Anblick der zentralen Figur explodiert: Jesus, so wie man ihn sich vorstellt. Weißes Gewand. Bart. Er tanzt. Und er hat die Brüste einer Frau. Herrje, da hat es aber gedonnert und geblitzt in den Kommentarspalten, und da ist man doch froh, dass man das Isländische so schlecht beherrscht, weil man nie in oder auf Island gewesen ist. War der Heiland etwa transsexuell? Strenggenommen müsste er ja tatsächlich divers gewesen sein, schließlich hat der Herrgott ihn ohne jedes Vögeln in eine Frau implantiert, und er war der Herrgott selber, und für den hat aber niemals die Notwendigkeit einer geschlechtlichen Fortpflanzung bestanden, weswegen man ihn sich am ehesten ohne irgendein Geschlechtsmerkmal vorstellen sollte.

Klar, dass die Isländische Kirche ihr Banner irgendwann von ihrer Homepage genommen und sich so halbwegs entschuldigt hat bei all denen, deren religiöse Gefühle vom ganzen Irrsinn der letzten zwei Jahrtausende unbeschadet geblieben sind, um sich dann an einem halbdebilen bunten Motiv aufzuhängen. Sicher wird derzeit an einem Update gearbeit: Jesus ohne weibliche Brüste, dann aber auch ohne Bart, und vielleicht auch mal ein bisschen üppiger und wabbliger, denn weder im Himmel noch auf Erden hat der Gott ja körperlich arbeiten müssen. So ein richtig gut genährter moppeliger Lebemann sollte er mal sein, vielleicht auch schwarz, oder warum nicht mal ein Asiat? Breit und zufrieden sitzt er da, auf dem nächsten Banner, ein richtiger prächtiger Buddha, und drüber steht: "Jesus hat euch lieb". Bitte, Isländische Kirche, mach uns die Freude. Und wenn es nur für die Dauer eines Shitstorms ist.

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