Kolumne: Sitte & Anstand

Krippenspiel

Genau ein Typ. Genau eine Frau. Genau ein Kind. Sonst niemand. Das ist die mächtigste Botschaft der christlichen Religion. Was eigentlich genau in der Bibel drinsteht, oder was vielleicht von den diversen Propheten, deren Visionen noch nicht behandelbar waren, verkündet worden ist – kümmert eher weniger. Heilige Geister, geteilte Meere, umgeworfene Tische, theologische Spitzfindigkeiten, das alles verblasst vor der eigentlichen Botschaft, die die Kirchen in ihrem jährlichen Propagandafeldzug aufführen. Genau ein Typ. Genau eine Frau. Genau ein Kind. Maria, Josef und das kleine süß-heilige Heititeiti. Gibt es eine solidarische Gesellschaft von Menschen in dem einprägsamsten Bild, das die Kirche verbreitet und den Leuten einbläut mit Trompete und Gesang?

Explizit nein. Es gibt, neben der Kleinstfamilie, keine Menschheit. Gibt keine Armut außer der eigenen. Maria, Josef und Knuddelmausi sind nicht eingebettet in ein soziales Umfeld, sie sind ausgeschnitten aus allem, was Solidarität oder Demokratie oder politisches Aufbegehren verspricht, die Menschheit, das sind die Doofis da draußen. Feindliche Umwelt. Wir gehen und lassen uns zählen. Absentieren uns. Befehl von oben. Die Kleinfamilie wird verkündet als heiliges Standardmodell des Zusammenlebens. Bisschen Vieh vielleicht noch, Ochs und Esel und Meerschwein. Aus dem Stallfenster dampft alles ab, was an das Konzept "Mitmenschen" erinnert. Der Gott findet das cool. Er ist bei den Kaisers und den Päpsten und den Statthaltern zu Gast. Gib den Leuten den Rückzug ins Private, ihr kleines Familienglück/-unglück, das hält sie auf Trab. Das lässt ihre Blicke auf den kleinen Schnullimax wenden, ab von aller Unbill der Welt. Und damit sie nicht darauf kommen, dass es da eine Wärme gibt zwischen den Menschen, eine Verbundenheit, kennen sie noch nicht einmal Sex.

Jesus kommt ja vom lieben Gott! Der hat Maria nach hohen wissenschaftlichen Standards imprägniert. Von Jesu Geschwistern, die die Bibel noch erwähnt, ist beim Krippenspiel nix zu sehen. Die kommen ja erst später und haben den kleinen Spatzihasi auch eher genervt. Davon, dass er seinen Jüngern empfiehlt, ihre Familien zu verstoßen und sich ihm zuzuwenden, ist hier noch nix zu hören. Jesulein ist Mamas und Papas großer Liebling – er ist etwas mega mega Besonderes. Die Engel trompeten sich heiser. Heilige Männer aus aller Welt kommen angereist, um dem Säugling zu huldigen (hoffentlich kackt er nicht grad). Das Kind, die kleine, zerfurchte Radaubanane, ist nicht weniger als das allergrößte Wunder auf der Welt. Betet es an! Mit Schalmei, Myrrhe und Gedöns rückt der unfähigste Mensch in den Mittelpunkt der Welt. Es geht nichts über unseren Schnuckipups, unseren Carl-Conrad, unser Christkind, das aller-allergelungenste Oberwunder der Welt, auf ewig dazu ausersehen, sich für etwas Spezielles zu halten, einen Gott, und selbst noch im Sterben von oben auf die Menschen herunterzublicken.

Die Kleinstfamilie, abgewandt von der Welt, ist der sichere Weg in die Überbehütung. Den totalen Narzissmus. Endstation Einsamkeit. Die letzte Loslösung des Menschen aus Gesellschaft und Verantwortung. Mein Kind ist viel geiler als dein Kind, bete es an!

In Prenzlauer Berg und rundum im reichen, selbstgenügsamen Land sind die Kirchen für gewöhnlich an Weihnachten immer voll, sonst ja nie. Die Weihnachtsgeschichte überzeugt halt die Leute.

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