Kolumne: Sitte & Anstand

Lach jetzt nicht!

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"Braco"
"Braco"

Der Kroate "Braco" verdient sein Geld mit Angucken und Schweigen. Superjob! Und es funktioniert: Ich habe mich von ihm anstarren lassen, und er hat ungeheuer positive Energien freigemacht.

Irgendwann im Laufe dieser intensiven Minuten wandert sein linkes Auge ein bisschen nach innen. Auch glaubt man, Bracos linken Mundwinkel ganz leicht zucken zu sehen, oder vielleicht ist "zucken" zu viel gesagt: Der Mundwinkel scheint sich kurz zu überlegen, ob er in ein entspanntes Grinsen übergehen soll, und der linke Mundwinkel ist in diesem Fall der Spiegel der Seele: Geld verdienen kann so einfach sein! Die Welt kann sorgenfrei sein, wenn man nur genügend Gläubige um sich schart.

Dem Kroaten Josip Grbavac ist das in den letzten Jahren bombig gelungen: Als "Braco" hat er Zigtausende davon überzeugt, dass er etwas Besonderes sei, etwas, das Heilkräfte habe – auch wenn er nur aussieht wie der netteste Klempner des Viertels, plus mieser Frisur, ein solcher Vokuhila, mit dem man eben nur noch Schlagersänger oder spiritueller Begleiter werden kann. Braco hat sich für letztere Schiene entschieden, vielleicht kann er nicht so gut singen, man ahnt es nur, denn seine Stimme bleibt seit 2002 ungehört: Braco schweigt. Er tut das, was alle Verführer und Abzocker tun, die sich auf eine Bühne stellen, nur tut er es konsequenter als alle – er guckt nur.

Er steht da, in Jeans, sein Hemd schlabbert, und er schaut genau so, wie man nie möchte, dass einen ein Fahrlehrer anschaut. Minutenlang. Und, seien wir ganz ehrlich: Es wirkt! Braco, der derzeit coronabedingt nur über das Internet Leute anstarren kann, bewirkt etwas in einem: Auch mir hat er den Vormittag verzaubert. Glücklicherweise habe ich ihn ohne Livestream auf YouTube gefunden: Braco hebt den Blick in die Kamera, hinter ihm ist so ein goldfarbenes, seltsames Dingens, halb Kristall, halb Kotzflecken, sie spielen eine hingeschusterte Dudelmusik, die recht ungeniert von Whitney Houstons "One Moment in Time" abgekupfert ist – und dann starrt er einen an, mit seinen unendlich lieben Augen, mit diesem "Honey, ich tu' es nie wieder, du weißt doch, ich lieb' nur dich"-Blick, und es ist ein Staring Contest, bei dem man letztlich machtlos ist – zumal man ja doch anfängt, die Kommentare durchzulesen, die diesen hyperknuffigen, nie enden wollenden, haselnussbraunen Dauerblick einordnen: "Wenn die Nichtlachen-Challenge zum Job wird." – "Achtung! Wer das Video bis zu Ende anschaut, wird schwanger" – "Wenn du vor den Augen deines Hundes ein Steak isst". ROFL! Ich finde Braco jetzt auch toll, vor allem, wenn er nichts kostet, und ich mag auch gar nicht darüber nachdenken, wie genau er zum kroatischen Superheiler aufsteigen konnte, nachdem sein Mentor beim gemeinsamen Spaziergang an einem Strand in Südafrika verschwand – mitgenommen von einer plötzlich auftauchenden Superwelle, wie Braco versichert. Ja doch, das stimmt! Das muss einfach stimmen. Das habe ich in seinen Augen gesehen.

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