Rezension

Lale Akgüns Plädoyer für einen aufgeklärten Islam

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Lale Akgün sprach beim "Düsseldorfer Aufklärungsdienst" über ihr aktuelles Buch.
Lale Akgün in Düsseldorf

Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün plädiert in ihrem Buch "Platz da! Hier kommen die aufgeklärten Muslime. Schluss mit der Vorherrschaft des konservativen Islams in Deutschland" für einen aufgeklärten Islam. Auch wenn man diese Grundausrichtung nicht teilt, finden sich in dem Buch viele kritische Informationen eben zu den Islamverbänden und deren orthodoxem Religionsverständnis, welches zu gesellschaftlichen Problemen führt.

Bei Religionen handelt es sich um "Sinnsysteme" voller Widersprüche. Unter Berufung auf das Christentum wurden sowohl Diktaturen gerechtfertigt wie Grundrechte eingefordert. Eine ähnlich mögliche Deutungsbreite scheint es beim Islam zu geben. Denn gegen die dominanten konservativen Auffassungen melden sich immer mehr liberale Interpretationen zu Wort. Lale Akgün darf als eine ihrer prominenten Stimmen gelten. Sie wurde als engagierte Bundestagsabgeordnete der SPD wie als aufgeklärte Muslimin mit säkularer Orientierung bekannt. Davon zeugt auch ihr neuestes Buch "Platz da! Hier kommen die aufgeklärten Muslime. Schluss mit der Vorherrschaft des konservativen Islams in Deutschland". Darin formuliert sie eine Frontstellung gegen die orthodoxen Islamverbände, die fälschlicherweise als Interessenvertretungen der Muslime wahrgenommen würden. Diese Auffassung ist durchaus nachvollziehbar, gehört doch nur ein Bruchteil der Gläubigen den gemeinten Verbänden an. Akgün will deren Dominanzanspruch brechen.

Cover

Am Beginn steht die Feststellung, dass es eine einzig richtige Deutung des Islam nicht gebe. Hier konstatiert Akgün interessante Gemeinsamkeiten zwischen konservativen Islamisten und rechten Islamhassern. Sie will stattdessen einen aufgeklärten Islam begründen und erinnert: "Alles, was Muslime heute in der westlichen Welt tun und lassen, verdanken sie Aufklärung und Säkularität" (S. 42). Danach geht die Autorin ausführlicher auf den "politischen Islam" ein, sei er doch ein gefährlicher Akteur im politischen Raum. Sie warnt auch vor dessen Anspruch, eine "islamische Demokratie" umsetzen zu wollen. Denn die damit einhergehende Auffassung habe nichts mit einem demokratischen Rechtstaat zu tun. Danach werden die Potenziale für eine Reform erörtert: "Ist der Islam mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar? Ja, wenn der Koran und die Sunna mit Verstand und zeitgemäß ausgelegt werden. Nein, wenn der Koran wortwörtlich verstanden wird, und die Menschen ihr Leben nach den Regeln des Koran und der Sunna von damals ausrichten sollen" (S. 119 f.).

Danach geht es um die Integrationspolitik und den Islam, wobei Akgün auch die Islamverbände kritisch ins Visier nimmt. Sie kritisiert hier auch die Naivität vieler Politiker, die in ihnen einen Bündnispartner sehen: "Sie übersehen (oder wollen übersehen), dass die islamischen Verbände allesamt einen orthodoxen, fundamentalistischen Islam vertreten" (S. 165). Insbesondere bezogen auf die Frauen müsse sich die Reform zeigen, handele es sich doch um die Schlüsselfrage zum Thema. Akgün positioniert sich dabei auch sehr deutlich zur Kopftuch-Frage. Sie entwickelt außerdem noch Grundauffassungen für einen "deutschen Islam", der von Aufklärung und Säkularität geprägt sein solle. Dabei werden als wichtige Stichworte genannt: Pluralismus, Rechtstaatlichkeit und Unabhängigkeit. Ihr geht es bei all dem nicht um einen Abschied vom Islam, bezeichnet die Autorin sich doch selbst als "überzeugte Muslimin" (S. 231). Deutlich heißt es aber: " … kein Gehorsam gegen Imame und Muftis, die mit einer Steinzeitdeutung des Islam kommen" (S. 232).

Es geht demnach in dem Buch um eine liberale Deutung dieser Religion. Man kann deren Angemessenheit mit guten Gründen verwerfen, gleichwohl ignoriert man dann auch Reformen zu einer Verbesserung. Denn die Gläubigen dürften nicht so einfach ihre Religion aufgeben, sie wären aber möglicherweise für eine aufgeklärte Umdeutung empfänglich. Akgün tritt dafür mit persönlicher Überzeugung ein. Man kann eine solche Entwicklung aber auch als notwendigen Prozess ansehen, womit der Einfluss von Islamisten unter Muslimen zurückgedrängt werden kann. Genau dieser stellt sich als besonderes Problem dar, worauf die Verfasserin immer wieder verweist. Unabhängig davon, welcher Deutung man zustimmt, klärt das Buch über die einschlägigen Potentiale auf. Die Autorin schärft auch immer wieder den kritischen Blick, sei es bezogen auf die Auffassungen von einer "islamischen Demokratie", sei es hinsichtlich der Einstellungen in den Islamverbänden. Auch in einer pluralistischen Gesellschaft hätte der Islam seinen Platz, aber primär in seiner aufgeklärten Variante.

Lale Akgün, Platz da! Hier kommen die aufgeklärten Muslime. Schluss mit der Vorherrschaft des konservativen Islams in Deutschland. Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2020, 240 Seiten, 18 Euro

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