Landeskirche Hannover: Vertuschung und Bestürzung

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Marktkirche St. Georgii et Jacobi in Hannover. Seit 1925 Predigtstätte des Landesbischofs.
Marktkirche St. Georgii et Jacobi in Hannover.

Kürzlich berichteten wir über die schleppende Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im katholischen Bistum Hildesheim. Heute geht es um die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers. Sie ist mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern die mitgliederstärkste Landeskirche in Deutschland und umfasst große Teile Niedersachsens.

Während sich im katholischen Bistum Hildesheim die aktuellen Wogen um die Aufklärung von sexuellem Missbrauch zu glätten scheinen, man sich in Deeskalation übt und absehbar wohl ergebnislos, aber hoffnungsfroh zur Tagesordnung übergehen wird, rumort es nun bei den Protestanten. Es geht auch dort um den Umgang mit sexualisierter Gewalt. Dem seit 2011 amtierenden Landesbischof Ralf Meister wird von Betroffenen nicht mehr zugetraut, den notwendigen Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozess voranzutreiben.

Er wurde von Betroffenen in der vergangenen Woche in einem Brief zum Rücktritt aufgefordert: "Wir haben als Kinder und Jugendliche sexualisierte Gewalt in Kirchengemeinden der Landeskirche Hannovers erlebt und uns deswegen zu verschiedenen Zeitpunkten in unserem Erwachsenenleben an die Kirche gewandt", wird aus dem Brief zitiert. Und weiter: "Leider sind wir dabei im Wesentlichen immer wieder enttäuscht worden. Unseren Hinweisen wurde auch seit 2010 nicht oder nur mit wesentlicher zeitlicher Verzögerung nachgegangen. Kirchengemeinden wurden nicht informiert."

Eine in der Landeskirche eingerichtete Fachstelle für Sexualisierte Gewalt würde, so die Betroffenen, ihren Aufgaben nicht angemessen nachkommen. Neben der schleppenden oder ausbleibenden Bearbeitung von Mails oder der Weitergabe von Daten ohne Zustimmung heißt es auch: "Betroffenen wird immer noch nicht geglaubt, wenn die Täter noch im Dienst sind".

Das Rumoren in der Hannoverschen Landeskirche ähnelt dem im Bistum Hildesheim. Beide Kirchen haben sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch ihr göttliches Bodenpersonal zu verantworten. Beide Kirchen kommen der Aufarbeitung nur zögerlich nach. Und beide Kirchen scheinen die grundsätzliche Auffassung zu vertreten, dass die Aufklärung von Verbrechen an Minderjährigen in ihrer eigenen Zuständigkeit liegt, und nicht etwa in der des Staates und seiner dafür vorgesehenen Institutionen. Was sie unterscheidet, ist, dass man an der katholischen Spitze darüber nachdenkt, wie man par ordre du mufti den Pfarrer einer kleinen Kirche mit aufklärerischen Ambitionen los wird, während sich bei den Protestanten die Rücktrittsforderungen nach demokratischen Gepflogenheiten an die Leitungsebene richten.

Es versteht sich von selbst, dass es zwar innerkirchliche Unterstützung für die Belange der Betroffenen gibt. So hat etwa Detlev Zander, der ein Sprecher im bundesweiten Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, die Forderung nach einem Rücktritt von Landesbischof Ralf Meister unterstützt. Aber der Landesbischof erhält – wie nicht anders zu erwarten – auch Rückendeckung durch leitende Gremien der Landeskirche. Man sei überzeugt, "dass Ralf Meister seiner Verantwortung als Landesbischof gerecht wird" und dass die Mitarbeiter der von den Betroffenen kritisierten Fachstelle ihre Aufgaben "professionell, mit großem Engagement und im Sinne der Betroffenenorientierung erfüllen". Man verweist auf Personalmangel. Und selbstverständlich erhält Meister auch Rückendeckung durch seinen Kollegen, den Oldenburger Bischof Thomas Adomeit. Dieser habe "ein großes Vertrauen, dass auch unsere Schwestern und Brüder in Hannover ordentlich mit dem Thema umgehen".

Wie das Vertrauen in die Schwestern und Brüder genau begründet sein soll, bleibt ein wenig unklar, wenn man sich einzelne Fälle und den Umgang damit genauer ansieht. Im Februar wurde der Bericht einer unabhängigen Aufarbeitungskommission in Hannover vorgestellt, aus dem hervorgeht, dass in einer Kirchengemeinde im Landkreis Osnabrück in den 70er-Jahren ein Diakon in der Ausbildung ein elfjähriges Mädchen vergewaltigt haben soll. Erst 2021 wurde bekannt, dass die damals Elfjährige (heute unter dem Pseudonym "Lisa Meyer") den Vorfall schon 1974 der ehrenamtlichen Betreuerin einer kirchlichen Ferienfreizeit gemeldet hatte. Die einzige Folge, die diese Meldung gehabt hatte, sei gewesen, dass dem Mädchen verboten wurde, darüber zu reden. Erst zwei Jahre später soll der zuständige Gemeindepfarrer Kenntnis erhalten haben und weitere neun Monate soll es bis zur Entlassung des Diakons gedauert haben. Ihm waren inzwischen sieben weitere Kinder und Jugendliche zum Opfer gefallen, denen "keinerlei Beachtung geschenkt, Unterstützung oder Hilfe angeboten worden" sei. Die Taten seien vertuscht und bis zum Tod des Serientäters im Jahr 2018 nie strafrechtlich verfolgt worden. Aus Sicht der betroffenen Kirchengemeinde ist die Zusammenarbeit mit der Landeskirche bei der Aufklärung mangelhaft, man wirft der Kirche unzureichende Unterstützung und fehlendes Interesse vor.

Ein weiterer konkreter Fall ist Nancy Janz, die heute eine Sprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt bei der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. Sie wurde als Jugendliche durch einen evangelischen Pastor in Celle misshandelt und hat dem Kirchenparlament, das jetzt im Kloster Loccum bei Hannover tagte, ihre Erfahrungen geschildert: "Ich wollte einfach, dass es aufhört, weil er nicht auf mein Nein hörte". Sie hatte sich damals der Frau des Kirchenvorstehers anvertraut. Es sei getuschelt worden, Konsequenzen hätte es keine gegeben. Janz erzählte auch von den Reaktionen im Kirchenamt, nachdem sie sich später an die zuständige Hannoversche Landeskirche wandte: "Überfordert, die Institution schützend, ausweichend, intransparent und manipulativ".

Was wir hier von außen wahrnehmen, ist eine Absurdität, die darin liegt, dass der Rechtsstaat die Aufklärung von Verbrechen denen überlässt, die für die Verbrechen verantwortlich sind – sicherlich nicht persönlich, aber durch ihr Amt in einer Institution, deren Mitarbeiter sich schuldig gemacht haben. Das ist in etwa so, als würde man es einer Mafia-Organisation überlassen, die durch ihre Mitglieder begangenen Verbrechen intern aufzuklären, oder einer selbsternannten Scharia-Polizei, auf nächtlichen Straßen und auf Pausenhöfen ein eigenes Rechtssystem zu pflegen.

Was wäre wohl geschehen, hätten die Eltern von Lisa Meyer oder Nancy Janz damals Anzeige bei der Polizei erstattet? Hätten Polizei und Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen? Hätte es Gerichtsverfahren und Verurteilungen gegeben? Die Antwort ist natürlich Spekulation, aber je nach Ausgang vielleicht der eigentliche Skandal. Das "klerikale Kartell" (Helmut Ortner) war und ist mächtig.

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