Bistum Hildesheim: Bricht der Damm?

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Hildesheimer Dom
Hildesheimer Dom

Das Bistum Hildesheim ist eines der flächengrößten Bistümer Deutschlands. Es verwaltet und umsorgt eine katholische Diaspora im Norden Deutschlands. Zum Bistum gehören Teile Niedersachsens und Bremens. Die geographische Einordnung ist deshalb wichtig, weil seit einigen Tagen so einiges über das Bistum Hildesheim zu lesen und zu hören ist, das auch Nichtkatholiken interessieren dürfte, denen allenfalls die Aufteilung Deutschlands in Bundesländer geläufig ist.

In Hildesheim befindet sich das örtliche Bodenpersonal des allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gottes. Hier waltet und schaltet Bischof Heiner Wilmer im Auftrag seines Herrn. Heiner Wilmer befindet sich in einer sehr unangenehmen Situation. Ihn umtreiben nämlich Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen durch Untergebene seines göttlichen Bodenkommandos. Gleichzeitig, aber offenbar sehr viel schwerwiegender scheint ihn der Ruf seiner Kirche zu umtreiben.

Ein von Wilmer in Auftrag gegebenes Gutachten über Missbrauchsfälle zwischen 1957 und 1982, das im September 2021 vorgestellt wurde, identifizierte 71 Tatverdächtige, unter ihnen 45 sogenannte Geistliche. Orte des Missbrauchs waren katholische Kinderheime. Im Gutachten wurde außerdem festgestellt, dass das Bistum die Täter durch Vertuschung und Versetzung vor staatlicher Strafverfolgung geschützt und die Opfer ohne jegliche Hilfe alleingelassen hätte. Es sei der Kirche vorrangig darum gegangen, den eigenen Ruf zu wahren und selbst staatliche Stellen hätten Nachsicht gegenüber den Tätern gezeigt. Ein angekündigtes Folgegutachten für die Zeit von 1983 bis 2017 steht noch aus.

Zwei aktuelle Entwicklungen machen die schleppende Aufarbeitung des Missbrauchsskandals gerade wieder deutlich. Zunächst ist von einer Klage zu lesen, die beim Landgericht Hildesheim gegen das Bistum eingereicht wurde. Ein erstes Missbrauchsopfer der katholischen Kirche im Bistum Hildesheim hat mit Unterstützung einer Betroffeneninitiative ein gerichtliches Schmerzensgeldverfahren auf den Weg gebracht. Eingeklagt wird eine Summe von mindestens 400.000 Euro zuzüglich eines Schadensersatzes für alle künftigen materiellen Schäden wie Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall oder Rentenverringerungen. Zwar habe das Opfer von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) der katholischen Bistümer bereits eine Summe von über 50.000 Euro erhalten; allerdings wirkten solche geringen Zahlungen auf die Betroffenen eher bagatellisierend. Das Opfer sei zum Tatzeitpunkt jünger als 14 Jahre alt gewesen. Dem nun eingeschlagenen Klageweg seien Versuche einer außergerichtlichen Einigung vorausgegangen, die aber von Bischof Wilmer abgelehnt worden seien.

Die Klage am Landgericht Hildesheim ähnelt einem anderen aktuellen Fall im Bistum Trier. Man orientiert sich an einem wegweisenden Urteil des Kölner Landgerichts vom Juni 2023, das einem Opfer, das als Messdiener viele Jahre lang von einem Priester sexuell missbraucht worden war, 300.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen hatte.

Der zweite Vorgang in dieser Angelegenheit im Bistum Hildesheim betrifft einen engagierten Pfarrer, dem bei seinem moralischen Urteil – anders als seinen Vorgesetzten – die Opfer näher stehen als die Täter. Pfarrer Matthias Eggers von der St.-Petrus-Kirche in Wolfenbüttel hat nämlich die schleppende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen angeprangert und übt öffentlich massive Kritik. Eggers wird mit den Worten zitiert: "Der Wille zur schonungslosen Aufklärung und Aufarbeitung ist weiterhin nirgends wirklich vorhanden." Und: "Es gibt überall viele schöne Worte, aber immer nur so viele Taten, bis die Öffentlichkeit das Interesse verliert." Offenbar wird im Bistum nun erwogen, Eggers aus dem Amt zu entfernen. Durch das Bistum eingeräumt wird lediglich, dass man ihn gebeten habe, auf seine Aufgabe als Pfarrer freiwillig zu verzichten. Doch auch von einem drohenden Amtsenthebungsverfahren sei die Rede.

Dass sich in Wolfenbüttel nun Widerstand regt, und zwar über die katholische Gemeinde hinaus, ist ein Hoffnungsschimmer. Zwar habe sich Bischof Wilmer zu Beginn seiner Amtszeit für die Aufarbeitung ausgesprochen und angekündigt, "jeden Stein umdrehen zu wollen". Laut Eggers sei im Laufe der Jahre aber lediglich eine "verbale Fassade errichtet [worden], die nun der Realität nicht mehr standhält". Und wir gottlosen Aufklärer wissen auch, warum. Gerne wird in diesen Tagen aus Anlass seines hundertsten Geburtstages wieder Karlheinz Deschner, der Autor der zehnbändigen Kriminalgeschichte des Christentums, zitiert: "Aufklärung ist Ärgernis, wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher."

Der internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) setzt sich für die konsequente Trennung von Staat und Religion ein. Dazu gehört auch, dass Straftatbestände – und sexueller Missbrauch gehört zweifelsfrei dazu – vom Rechtsstaat und seinen Institutionen wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten verfolgt werden. Die Praxis der Kirche, die basierend auf einer eigenen Rechtsgestaltung und Rechtsausübung den klerikalen Verbrechern mehr Schutz als den Opfern dieser Verbrechen gewährt, muss beendet werden. Gerne verweisen wir in dem Zusammenhang auch auf die Kampagne des Bundes für Geistesfreiheit Bayern: Zahlengesichter.

Wer eine islamische Paralleljustiz, die sich an der Scharia orientiert, ablehnt und angesichts der jüngsten Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland empört aufschreit, darf auch eine kirchliche Paralleljustiz nicht länger dulden. Den anhängigen Klagen auf Schmerzensgeld sei so viel Erfolg beschieden, dass der Damm bricht.

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