Am vergangenen Mittwoch hielt Michael Schmidt-Salomon den Eröffnungsvortrag zur Gründung des "Deutschen Kitaverbandes" in Berlin. Dort plädierte der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung für eine seriöse und weltoffene Bildung. Der hpd dokumentiert den Vortrag.
Es ist mir eine große Ehre, hier und heute bei der Gründung des Deutschen Kitaverbandes sprechen zu dürfen. Vermutlich werden die Bibelkundigen unter Ihnen das Zitat im Titel meines Vortrags gleich erkannt haben: Es stammt aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 19, Vers 14) beziehungsweise dem Lukasevangelium (Kapitel 18, Vers 16). Dort verkündet der biblische Jesus: "Lasset die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran! Denn ihnen gehört das Himmelreich."
Kurz nachdem ich dem Organisationsteam der heutigen Veranstaltung den Titel meines Vortrages übermittelt hatte, fand ich exakt dieselbe Überschrift in einem Beitrag des christlichen Medienmagazins "pro". Dort allerdings endet das Bibel-Zitat keineswegs mit einem Fragezeichen. Denn die Macher des Magazins sind fest davon überzeugt, dass Kitas gerade auch dazu genutzt werden sollten, "die Jüngsten mit dem Glauben vertraut zu machen" – und zwar auch dann (ja, vielleicht sogar in besonderem Maße dann), wenn die Kinder aus einem konfessionsfreien Elternhaus stammen. "Durch liebevolle und glaubwürdige Erwachsene, durch kindgerechte Erzählungen und Materialien, durch Feste und Rituale", so heißt es in dem Artikel, "kann es gelingen, den Samenkorn des Glaubens in kleine Herzen zu pflanzen."
Dem stimmt Angela Kunze-Beiküfner, die stellvertretende Direktorin des Pädagogisch-Theologischen Instituts der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, ausdrücklich zu. Man solle "das eigenständige geistliche Leben im Kindergarten anerkennen, all die Morgenkreise und Andachten, die bereits heute eine große Anzahl von Kindern aus konfessionslosen Elternhäusern erreichen". Hierin sieht die evangelische Pfarrerin, die mit einer Dissertation zum Thema "Kindertheologisch-sensitive Responsivität pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten" promoviert wurde, eine vornehme Aufgabe christlicher Kitas, die durchaus auch eine Wirkung auf glaubensferne Eltern haben kann. Denn schließlich, so meint Kunze-Beiküfner, "können auch Eltern von Kindern lernen".
In diesem Zusammenhang stellen sich einige interessante Fragen. Erstens: Entspricht ein solches pädagogisches Konzept, das die Kita zum Ort einer zwar sanften, aber doch gezielten Glaubens-Mission macht, dem Bildungsauftrag eines modernen, weltanschaulich neutralen Verfassungsstaates? Zweitens: Kann es in irgendeiner Weise sinnvoll sein, Kita-Träger, die einen solchen weltanschaulichen oder religiösen Anspruch verfolgen, rechtlich und finanziell besser zu stellen als privatgewerbliche Träger, denen es einzig und allein darum geht, sich durch gute, professionelle Arbeit auf dem Markt zu behaupten? Drittens: Dienen gemeinnützige Träger wirklich immer und überall dem Gemeinwohl, wie unterstellt wird, oder führt ihre Dominanz im Kitabereich sogar zu einer Schädigung der Interessen der Allgemeinheit? Und viertens: Wäre es nicht längst schon Zeit für eine grundlegende Reform der Kinder- und Jugendhilfe – so wie es die Monopolkommission der Bundesregierung bereits vor 20 Jahren mit eindringlichen Worten gefordert hat?
Ich werde versuchen, diese Fragen im Rahmen meines Vortrags zu beantworten, indem ich nacheinander die verschiedenen Aspekte dieses Themas beleuchte. Beginnen möchte ich mit einem kurzen Überblick über die deutsche Kitalandschaft und die noch immer nicht behobene Spannung zwischen Angebot und Nachfrage.
Die deutsche Kita-Landschaft: Warum die Interessen der Eltern im gegenwärtigen System keine Rolle spielen
Wie Sie sicherlich alle wissen, werden derzeit etwa ein Drittel der deutschen Kitas von der öffentlichen Hand getragen und zwei Drittel von sogenannten freien Trägern. Die Quote der öffentlichen Kitas ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken: 1994 stellten öffentliche Träger noch 47,4 Prozent aller Kitaplätze bereit, 2016 waren es nur noch 33 Prozent. Diese Abschwächung der "Staatsquote" ist nicht unbedingt problematisch, denn es tut den staatlichen Einrichtungen und ihren Angeboten durchaus gut, wenn sie Konkurrenz von nicht-staatlichen Trägern erhalten. Problematisch sind eher die unausgewogenen Kräfteverhältnisse innerhalb der Gruppe der freien Träger. Denn die beiden christlich-konfessionellen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie stellen noch immer knapp die Hälfte aller nicht-staatlichen Kita-Plätze. Innerhalb der einflussreichen Bundes-AG der freien Wohlfahrtspflege fallen auf sie sogar mehr als Zweidrittel der Kita-Plätze.
Dem können die anderen Wohlfahrtsverbände nur wenig entgegensetzen. Einzig der Paritätische fällt mit inzwischen 18 Prozent der Kitaplätze innerhalb der Bundes-AG einigermaßen ins Gewicht. Aber der Paritätische Wohlfahrtsverband kann aufgrund seiner heterogenen Struktur kaum mit einer Stimme sprechen. In ihm finden sich nicht nur Fachverbände, die sich für Kitas kaum interessieren dürften wie etwa die Deutsche Tinitus-Liga oder der Bundesverband der Kehlkopfoperierten, sondern auch Organisationen mit einem geradezu gegensätzlichen weltanschaulichen bzw. politischen Profil – auf der einen Seite etwa pro familia und der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, auf der anderen Seite das Johannische Sozialwerk, der Verband der Sozialwerke der Christengemeinschaft sowie mehrere anthroposophische Vereinigungen, die in sich selbst wiederum große Unterschiede aufweisen, je nachdem wie stark sie "versteinert" sind, d. h. inwieweit sie den weltanschaulich-religiösen Vorgaben Rudolf Steiners folgen oder nicht.
Träger, die nicht in einem Wohlfahrtsverband organisiert sind, stellen heute 26,8 Prozent der nicht-staatlichen Kita-Plätze. Dies ist ein großer Fortschritt gegenüber 1994, als ihr Anteil nur bei 14,7 Prozent lag, aber auch hier lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen: Die allermeisten dieser freien Träger außerhalb der Wohlfahrtsverbände sind als gemeinnützig anerkannt. Dies kann Unterschiedliches bedeuten: Zum Teil handelt es sich hier um Elterninitiativen, die aus der Not heraus eigene Kitas gegründet haben. Der überwiegende Teil der Träger jedoch verfolgt mit der öffentlich finanzierten Kita-Arbeit ganz spezifische Zwecke, entweder pädagogischer Art (wie einige Montessori-Kinderhäuser) oder aber religiös-weltanschaulicher Art, etwa Kita-Einrichtungen, die von muslimischen, christlich-orthodoxen, freikirchlichen, freireligiösen oder auch humanistischen Organisationen getragen werden. Weniger als 2 Prozent der Kita-Plätze stellen momentan privatgewerbliche Träger – und hierunter fallen auch noch einige Betriebs-Kitas, die an bestimmte Wirtschaftsunternehmen angeschlossen und somit nicht vollumfänglich für die Allgemeinheit zugänglich sind.
Überschlägt man diese Zahlen, so kann man davon ausgehen, dass etwa 70 Prozent der nicht-staatlichen Kita-Plätze in Deutschland in der Hand von Organisationen liegen, welche die Kinder nicht zuletzt auch deshalb zu sich kommen lassen, weil sie darin eine Chance sehen, ihre jeweiligen weltanschaulich-religiösen (und hierbei überwiegend christlich-konfessionellen) Anschauungen zu verbreiten. Das Angebot an solchen Einrichtungen ist also recht hoch, schauen wir uns nun an, wie es um die Nachfrage bestellt ist.
Kein Zweifel: Vor einigen Jahrzehnten hat es eine solche Nachfrage gegeben. Denn über weite Strecken der Geschichte war Deutschland ein genuin christliches Land. Von 1870 bis 1970 gehörten weit über 90 Prozent der Bevölkerung entweder der katholischen oder der evangelischen Kirche an. Tatsächlich ging der Anteil der Kirchenmitglieder auf dem Gebiet der Bundesrepublik innerhalb von 100 Jahren nur um magere 6 Prozentpunkte zurück, von 98,6 Prozent im Jahr 1871 über 95 Prozent im Jahr 1939 auf 93,6 Prozent im Mai 1970.
Danach aber, in den letzten knapp 50 Jahren, sind die weltanschaulichen Verhältnisse gewaltig ins Wanken geraten: Der Anteil der Katholiken und Protestanten ist seither um fast 40 Prozentpunkte geschrumpft – von 93,6 Prozent im Jahr 1970 auf 55 Prozent im Jahr 2016. Gleichzeitig hat sich der Bevölkerungsanteil der konfessionsfreien Menschen nahezu verzehnfacht, nämlich von 3,9 Prozent im Jahr 1970 auf 36,2 Prozent Ende 2016. Damit leben heute deutlich mehr konfessionsfreie Menschen in Deutschland als Katholiken (28,5 Prozent) oder Protestanten (26,5 Prozent). Und angesichts des stabilen Trends der letzten Jahrzehnte ist schon heute absehbar, dass in 5 bis 6 Jahren mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft mehr angehören wird.
Noch klarer werden die Konturen dieses historisch einmaligen Säkularisierungsprozesses, wenn man nicht nur die nominellen Religionszugehörigkeiten, sondern die tatsächlichen Haltungen der Bürgerinnen und Bürger unter die Lupe nimmt: So ist der Anteil der "praktizierenden Gläubigen", also der Menschen, die mindestens einmal im Monat eine Kirche, Synagoge oder Moschee aufsuchen, auf den historischen Tiefstand von 12 Prozent der Bevölkerung gesunken. Mit anderen Worten: 88 Prozent der Deutschen suchen in ihrem Alltag, sofern sie sich dies aussuchen können, keinen Kontakt zu religiösen Institutionen.
Wohl noch aussagekräftiger sind die Studien, die in den letzten Jahren das Vertrauen der Menschen in unterschiedliche gesellschaftliche Institutionen abgefragt haben. In all diesen Umfragen landeten die religiösen Institutionen auf den hintersten Plätzen, meist auf dem allerletzten Platz. So auch in der breit angelegten SINUS-Studie aus dem Jahr 2016, die sich auf die für Kitas besonders relevante Gruppe der 18–34-Jährigen konzentrierte. Das Ergebnis war frappierend: 81,5 Prozent der Befragten in Deutschland gaben an, religiösen Institutionen nicht zu vertrauen, europaweit waren es sogar 85,5 Prozent der Befragten. Zum Vergleich: Der Polizei misstrauen nur 47 Prozent der jungen Europäer.
Halten wir fest: Mehr als 80 Prozent der heutigen bzw. kommenden Elterngeneration misstraut ausgerechnet jenen Institutionen, die mehr als die Hälfte aller nicht-staatlichen Kitas stellen! Womit lässt sich dieses gravierende Missverhältnis erklären? Nun, ganz einfach damit, dass die Nachfrage in der Bevölkerung keinen nennenswerten Einfluss auf das Angebot im Kitabereich hat. Denn die Vergabe und Bezuschussung von Kitaplätzen findet in einem durch Sonderrechte verriegelten Raum statt, der kartellartige Züge aufweist.
Schon vor 20 Jahren hat die Monopolkommission, welche die Bundesregierung auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik berät, die "mangelnde Konsumentensouveränität" im Sozialbereich und die "kartellgleich wirkenden Absprachen" zwischen dem Staat und den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege kritisiert. In dem 1998 veröffentlichten 12. Hauptgutachten der Kommission heißt es dazu: "Die Leistungsberechtigten haben keinen oder aber nur einen geringen Einfluss auf die Qualität und die Ausgestaltung des Angebots. (…) Das Kartell der zugelassenen Anbieter stellt einen genuinen Bestandteil des Systems dar, mithin sind wettbewerbliche Reformen innerhalb des Systems nicht möglich."
Um diese strukturellen Defizite aufzuheben, schlug die Monopolkommission u. a. die Gleichstellung der gewerblichen mit den frei-gemeinnützigen Dienstleistungsträgern vor. "Folglich", so heißt es im 12. Hauptgutachten, "darf steuerrechtlich nicht mehr zwischen erwerbswirtschaftlich orientierten sowie steuerbegünstigten gemeinnützigen Unternehmen differenziert werden. Auch der Zugang zu Subventionen (…) sollte an einen sachlichen Bezug geknüpft werden. Die Benachteiligung privatgewerblicher Leistungserbringer in bezug auf Spendenvergünstigungen und Förderung ehrenamtlicher Arbeit ist ebenso aufzuheben."
All dies ist der Bundesregierung bereits vor 20 Jahren ins Merkheft geschrieben worden. An den kartellartigen Strukturen hat sich seitdem aber kaum etwas verändert. Daher hat die Monopolkommission vor 4 Jahren noch einmal nachgelegt. Im 20. Hauptgutachten von 2014 heißt es: "Die Monopolkommission kritisiert die ungleiche Förderpraxis von Kindertageseinrichtungen auf Länderebene zulasten privat-wirtschaftlicher Anbieter. Aus Sicht der Monopolkommission sind notwendige Fördermaßnahmen, besonders mit Blick auf den massiven erforderlichen Ausbaubedarf an Kindertageseinrichtungen, unabhängig von der Trägerschaft zu gewähren."
Die Begründung, welche die Kommission hierfür vorgelegt hat, ist einsichtig, denn: das "Wahlrecht für Leistungsberechtigte ist nicht so zu interpretieren, dass sich die Leistungsberechtigten lediglich zwischen kommunalen und bereits etablierten großen freien Trägern entscheiden können. Vielmehr ist es auch mit Blick auf das Leistungsangebot neuer und/oder kleiner Wettbewerber zu sehen, die in Zeiten flexibler Arbeitsmarktverhältnisse adäquate Kinderbetreuungsangebote liefern können." "Möglicherweise", so fügte die Monopolkommission in aller Vorsicht hinzu, "ist die bisherige Dominanz konfessioneller Träger (…) – mit Blick auf das Zurücktreten des Einflusses der Kirchen in der Gesellschaft – nicht ausschließlich Ausdruck eines Nachfragewunsches, sondern vielleicht mangelnder Alternativen für die Eltern."
Angesichts der Tatsache, dass mehr als 80 Prozent der gegenwärtigen bzw. kommenden Elterngeneration gerade religiösen Institutionen misstraut, dürfen wir diesen Sachverhalt durchaus etwas schärfer formulieren: Wir können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die allermeisten Eltern in Deutschland nicht wollen, dass ihre Kinder in der Kita in irgendeiner Weise religiös beeinflusst werden – selbst wenn dies auf sanfte Weise in Morgenkreisen, Andachten und Spielen geschieht. Sie erwarten von einer guten Kita eben keine Glaubensmission, sondern eine professionelle pädagogische Arbeit, einen Ort, an dem sich ihre Kinder wohl fühlen und frei entfalten können, an dem sie etwas über sich und die anderen erfahren und an dem sie Fähigkeiten lernen, die ihnen später helfen werden, ihren eigenen Platz in der Welt zu finden.
Wenn solche Eltern eine Wahlmöglichkeit haben und sich dennoch für einen konfessionellen, statt für einen kommunalen Kindergarten entscheiden, so liegt dies häufig daran, dass die kommunalen schlechter ausgestattet sind. Doch diese bessere Ausstattung der konfessionellen Einrichtungen ist weniger ein Verdienst der Kirchen als Ausdruck des Versagens des Staates, der noch immer an den falschen Enden spart und das Geld gleichzeitig an den falschen Stellen ausgibt. Denken Sie nur an die sog. Staatsleistungen in Höhe von inzwischen 500 Millionen Euro, welche die Kirchen jährlich zusätzlich zur Kirchensteuer, zusätzlich zu den milliardenschweren Leistungen für Caritas und Diakonie, aus dem allgemeinen Steuertopf erhalten. Dank dieser Staatsleistungen tragen Konfessionsfreie und Muslime mit ihren Steuern noch immer zum Gehalt deutscher Bischöfe sowie zur besseren Ausstattung konfessioneller Kitas bei. Eigentlich sollten diese Sonderprivilegien längst schon abgeschafft sein, nämlich mit dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung am 14. August 1919, welche die Trennung von Staat und Kirche festlegte. Aber trotz des eindeutigen Verfassungsauftrags, der 1949 auch in das deutsche Grundgesetz aufgenommen wurde, ist nichts geschehen! Und so befinden wir uns nun seit etwa eineinhalb Monaten, nämlich seit dem 14. August 2018, im "100. Jahr des Verfassungsbruchs" – ein Skandal, den wir, wie ich meine, nicht länger hinnehmen sollten!
Gerade im Bereich der Wohlfahrtspflege, insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe, ist die von der Verfassung geforderte Trennung von Staat und Kirche nur in höchst unzulänglichem Maße erfolgt. Nicht zuletzt mit öffentlichen Geldern haben sich Caritas und Diakonie zu den größten nicht-staatlichen Arbeitgebern Europas entwickeln können, die ihre enorme Marktmacht, wenn es darauf ankommt, rigoros ausspielen – nicht nur gegenüber ihren eigenen Arbeitnehmern, die weit weniger Rechte besitzen als ihre Kollegen in nichtkonfessionellen Betrieben, sondern auch gegenüber Eltern, deren Kinder eine konfessionelle Kita besuchen.
Hierzu ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Trier: Dort kam es 2012 zu einem regelrechten Aufstand der Eltern, als bekannt wurde, dass die katholischen Kitas künftig noch größeren Wert auf eine spezifisch christliche Erziehung legen sollen, um auf diese Weise die "große pastorale Chance, die in der Arbeit der Kindertageseinrichtungen liegt", zu nutzen. Viele Eltern waren hierüber hochgradig empört, doch ihr Protest zeigte keinerlei Wirkung, was allerdings niemanden verwunderte. Schließlich befanden sich zum damaligen Zeitpunkt knapp 70 Prozent der Trierer Kindergärten in katholischer Trägerschaft.
Den meisten Eltern blieb also gar keine andere Möglichkeit, als ihre Kinder weiterhin in eine katholische Einrichtung zu geben. Die Kirchenverantwortlichen waren sich dessen voll bewusst, weshalb sie unnachgiebig auf ihrem Standpunkt beharrten, dass eine katholische Kita nun einmal ein Ort der Glaubensunterweisung sei. Wem dies nicht passe, so wurde argumentiert, der brauche seine Kinder ja nicht in eine katholische Einrichtung zu schicken und könne doch, wenn er es wolle, eine eigene Kita gründen.
Wie das Beispiel zeigt, haben die normalen Marktregeln im Kitabereich keine Gültigkeit. Der Kunde ist dort keineswegs König, sondern vielmehr Untertan, der zu schlucken hat, was ihm vorgesetzt wird. Dies ist die logische Konsequenz einer Organisationsstruktur, in der eben nicht die Nachfrage das Angebot bestimmt, sondern das Angebot von einem bilateralen Kartell des Staates und der großen Wohlfahrtsverbände vorgegeben wird. Unter solchen Bedingungen kommt es fast unweigerlich dazu, dass das gesetzlich garantierte Recht der Eltern, aus einer Vielfalt von Kita-Trägern die passende Institution auswählen zu können, in vielen Fällen nicht gewährleistet wird.
Allerdings verstößt diese besondere Struktur der deutschen Kita-Landschaft nicht bloß gegen die Rechte der Eltern und auch nicht nur gegen die Rechte neuer Anbieter, die sich auf dem Markt nicht etablieren können, sie verstößt auch gegen die Rechte der Kinder, die einen Anspruch auf seriöse Bildung haben – ein Thema, mit dem ich mich im nun folgenden zweiten Teil meiner Ausführungen etwas näher beschäftigen werde.
11 Kommentare
Kommentare
Frank Spade am Permanenter Link
Eine überzeugende Darstellung. Danke.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Respekt für die ausführliche Darstellung der aktuellen Kita-Landschaft.
M.E. Evolution und Religion schließen sich gegenseitig aus. Warum und wieso, darüber kann man lange diskutieren und wurde auch auf dieser Seite bereits diskutiert.
Angela am Permanenter Link
Dass hier auch einmal der intellektuelle Dünnschiss, wie er leider zum Standardprogramm vieler deutscher Kitas gehört aufgegriffen wird war echt überfällig. Vielen Dank für diesen Artikel.
Anmerken möchte ich allerdings noch, dass zu einer Entkonfessionalisierung der Kitas auch eine Entkonfessionalisierung der Erzieher*innen-Ausbildung gehört. Dies bezieht sich sowohl strukturell auf die Trägerschaft der jeweiligen Ausbildungseinrichtungen als auch auf die Inhalte insgesamt. Es ist schon erschreckend, wenn angehende Erzieher*innen oftmals faktisch geszwungen sind, ihre Ausbildung in einer Fachschule ihrer jeweiligen Konfession zu absolvieren. Aber auch hinsichtlich der einschlägigen Curricula dieser, auch öffentlicher, Fachschulen scheint noch Kompetenz zur Vermittlung spezifisch religiöser Themen einen weitaus breiteren Raum einzunehmen als die zur Vermittlung technisch-naturwissenschaftlicher Kenntnisse und Zusammenhänge. Von der Religionsfreiheit der einschlägig Beschäftigten einmal ganz zu schweigen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Lasset die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran! Denn ihnen gehört das Himmelreich."
Das ist ja das Kreuz, das abgeschafft gehört.
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Michael Schmidt-Salomon, Zitat:
"(...) der Verband der Sozialwerke der Christengemeinschaft sowie mehrere anthroposophische Vereinigungen, die in sich selbst wiederum große Unterschiede aufweisen, je nachdem wie stark sie "versteinert" sind, d. h. inwieweit sie den weltanschaulich-religiösen Vorgaben Rudolf Steiners folgen oder nicht."
Wo "Anthroposophie" draufsteht, ist auch Rudolf Steiner drin: all das ist „versteinert“, folgt selbstverständlich den „Vorgaben Rudolf Steiners“. Wozu schreibe ich eigentlich Artikel beim Humanistischen Pressedienst über die Anthroposophie: https://hpd.de/autor/andreas-lichte
A.S. am Permanenter Link
Ein schöner Beitrag!
Aber: Die Realität ist stärker und jeder Wahn zerbricht irgendwann an den Fakten.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„der brauche seine Kinder ja nicht in eine katholische Einrichtung zu schicken und könne doch, wenn er es wolle, eine eigene Kita gründen.“
Der angesprochene Artikel im pro-Magazin zeigt, wie arrogant, selbstverständlich und heuchlerisch der ideologische Missbrauch durch Frühreligiösierung von den Kirchenbürgern gehandhabt wird.
So äußert sich Professor Matthias Hahn von der Evangelischen Hochschule in Berlin ebenso eitel und hämisch über die Monopolstellung der Kirchen in diesem Bereich: „Dennoch gibt es in jeder größeren Stadt christliche Kindergärten, und auch christliche Schulen erleben einen großen Zulauf. Viele konfessionslose Kinder besuchen die von Diakonie, Gemeinden, Vereinen oder Stiftungen getragenen Einrichtungen.“ (sie haben ja auch keine andere Wahl, muss man an dieser Stelle ergänzen) „Diese Kinder haben noch nie in ihrem Leben etwas über Religion gehört. Aber sie haben das Recht darauf, dass ihnen dieser wichtige Teil des Lebens erschlossen wird“ und „Kinder haben ein Recht auf Religion – auch und gerade wenn sie in konfessionslosen Elternhäusern aufwachsen.“
Damit setzt er das Kirchen(un)recht unverfroren über das Elternrecht.
„Das dürfe aber nicht erzwungen und die Kinder nicht instrumentalisiert werden.“
Genau das konterkariert aber Kerstin Enk, Leiterin des evangelischen Kindergartens, wenn sie die zahlreichen religiösen Rituale aufzählt, mit denen die Kinder überzogen werden:
sie wünschen zum Geburtstag nicht nur Glück, sondern auch Segen,
sie sprechen vor dem Essen ein Tischgebet,
feiern mit dem Pfarrer eine Wochenandacht.
„Hier wird niemand indoktriniert.“ behauptet sie dann aber gegen all die Belege, die sie gerade aufgeführt hat. Und „Kein Kind wird gezwungen zu beten, aber alle sind eingeladen sich zu beteiligen, wenn in der Gruppe Tischgebete entwickelt werden oder der Ablauf von Andachten besprochen wird .“
Das nenne ich keine sanfte Indoktrination mehr sondern Gehirnwäsche durch massiven Gruppenzwang. Sie spricht es selbst an, wenn sie sagt „Religiöse Erziehung funktioniert über mehrere Wege. Aber es passiert auch ganz viel in der Beziehung zwischen Erziehern und Kindern, auch unter den Kindern selbst“ . Was wird da unter den Kindern selbst passieren ? Ausgrenzung und Mobbing, wenn ein Kind nicht beten will.
Auch Kunze-Beiküfner vom PTI scheut sich nicht, sich innerhalb weniger Zeilen selbst und Professor Hahn zu widersprechen: „Im Religionsunterricht gibt es ein Überwältigungsverbot, das gilt de facto auch für Kindergärten“, sagt sie. „Vielmehr sollte die Gemeinde das eigenständige geistliche Leben im Kindergarten anerkennen, all die Morgenkreise und Andachten, die bereits heute eine große Anzahl von Kindern aus konfessionslosen Elternhäusern erreichen. Und, so ergänzt die Pfarrerin, schließlich können auch Eltern von Kindern lernen.“
Wie anders als durch Überwältigung kann man Kindern den Sinn von Gebeten und Morgen- und Wochenandachten vermitteln ? Und der letzte Satz drückt deutlich die Hoffnung aus, dass die Kinder als Instrumente der Missionierung ihrer Eltern dienen sollen.
Es sollte auch klar sein, dass es im Kindergarten nicht um die Vermittlung von Glaubensinhalten gehen kann, das ist nicht das Samenkorn, das aufgehen soll. Es ist das Sozialverhalten, das eingeübt werden soll: Wer nicht betet, gehört nicht dazu ! Ein bisschen Ehrfurcht vor dem „imaginären Silberrücken“ soll eingepflanzt werden, an dem die Kultbeamten der Kirchen gerne partizipieren, als quasi Erleuchtete, die ganz geheimste Geheimnisse kennen. Und schon mal ein bisschen Glauben als wohltuendes Gefühl.
Übrigens wird im Text von pro DAS Samenkorn eingepflanzt, und nicht DER Samen-Korn !
Zum Schluss kann ich mir eine kleine Rosine aus der Bibel nicht verkneifen. Im Kapitel vor dem Titelzitat heißt es:
Matthäus Die Rede über das Leben in der Gemeinde: 18,1-35
18 1 In jener Stunde kamen die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist im Himmelreich der Größte? 2 Da rief er ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte 3 und sagte: Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. 4 Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich.
Und das war gewiss kein Kind, das durch die Indoktrinierung im Kindergarten zum Missionar seiner Eltern gemacht wurde. Die Botschaft geht in diesem Zusammenhang an die ErzieherInnen in den evangelischen und katholischen Kindergärten, an deren Leiter und ihre Chefideologen.
Und es sei noch ein wirklich hübsches säkulares „Tischgebet“ in Erinnerung gerufen:
Piep, piep, piep,
wir ham uns alle lieb,
jeder isst soviel er kann,
nur nicht seinen Nebenmann
Hans Gerhard Oelsner am Permanenter Link
Ich darf es pointieren : Auch hier zeigt
sich wieder die staatlich/religiöse Gesellschaftsverdummung zwecks besserer Ausbeutung für ausufernde
Befriedigung von Eitelkeit und Pfründen.
in einer Lobbykratie....Götteleikratie...
Leistungsverteilungsmangelkratie...
Faktenleugnerkratie ... kurzum :
nach wie vor ---> Doofenland ... doch es
gibt da erfreulicherweise die Realisten
der GBS ---> DANKE !
Tom am Permanenter Link
So erwartbar die Gegenerschaft zu konfessionellen Kitas und die Forderung nach Evolutionsunterricht überall, so verblüffend ist die kritiklose Übernahme von 20 Jahre alten Äußerungen einer Monopolkommission.
Und ist es wirklich richtig, die Empfehlungen von fünf Betriebswirtschaftlern/Unternehmern zum Maßstab für die Entwicklung von Kitas zu machen? Ist die Forderung nach mehr "privat-gewerblichen" Kitas, d. h. ja wohl gewinnorientierten Kitas, als Witz gemeint? Empfiehlt er wirklich in bester neo-liberaler Tradition die Privatisierung und Gewinnorientierung der Einrichtungen? Ist in einer gewinnorientierten Kita tatsächlich das Kind König oder nicht doch eher der Aktionär, Gesellschafter usw. Sehr seltsam!
Ich habe nichts gegen Gewinnorientierung, wiewohl es mir bei einer Kita seltsam vorkommt. Dass aber für gewinnorientiertes Handeln die gleichen Erleichterungen gelten sollen, wie für gemeinnütziges verstehe ich nicht. Vielleicht ist die plausibelste Erklärung auch, dass man eben auf solchen Veranstaltungen auch was für das Publikum sagen muss. Dass freilich die kleinen gemeinnützigen Kita-Initiativen vor Ort in dem von Schmidt-Salomon favorisierten Modell als erstes verschwinden dürften, hat er seinen Zuhörern aber wahrscheinlich verschwiegen.
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Tom Sie schreiben: "Empfiehlt Michael Schmidt-Salomon wirklich in bester neo-liberaler Tradition die Privatisierung und Gewinnorientierung der Einrichtungen?
So etwas ähnliches habe ich auch gedacht ... Danke für die Ausformulierung!
Ralf Haderlein am Permanenter Link
Ein spannender Beitrag zur Frage der Trägervielfalt, der zu einigen Fragen und auch Diskussionen sicherlich herausfordert und dies ja auch tun soll.
Kann Bildung wertneutral sein? Und wenn nein, welches Werte sind dann die richtigen Werte?
Bildung ist immer kontextabhängig und kann nie wertneutral sein. Egal in welcher Trägerschaft, nimmt der jeweilige Träger immer über Konzeption etc. Einfluss auf die jeweilige Haltung der Einrichtung. Warum ist dann die eine Haltung besser als die andere? Den Kommentaren zur neoliberalen Tradition und den daraus abgeleiteten gewinnorientierten Selbstsucht manchen Unternehmen ohne Rücksicht auf Verluste (hier erinnere ich nur an das Thema Diesel) kann man nur zustimmen. Aber zurück, welche Vorstellung von Bild von Kind zeigen sich in dem Vortrag? Da braucht es mehr als nur schlagwortartig das SGB VIII zu zitieren, was im übrigen Grundlage für jegliche staatliche Förderung und damit jede Kita ist. Und auch der Deutsche Kita-Verband kann und wird keine wertneutrale Bildung umsetzen können, es wird eher spannend werden, welche Haltung, welches Bild vom Kind, welche Werte und Überzeugungen er prägt und ob dies sich dann auch bei den Trägern und dessen Einrichtungen wiederfindet, die Mitglieder in diesem Verband werden/sind. Oder wird es zu einem zweiten Sammelbecken unterschiedlicher Träger werden, wie dies im Artikel über den Paritätischen Wohlfahrtsverband kritisch gesehen wurde.
Markt. Wenn man dem Artikel folgt, dann scheint der Mark alles zu richten. Ist das so? Wenn, dann müsste das ja in Hamburg schon längsten geschehen sein, in einer Stadt in der der Anteil an konfessionsgebundener (evagelisch-katholisch) Menschen knapp 38% beträgt (2015) und zudem die Refinanzierungssysteme der Kitas derart gestaltet sind, dass Eltern völlig selbständig auswählen können, welche Einrichtung sie besuchen. D.h. kein Kind, keine Förderung (das sieht in anderen Bundesländern anders aus). Das sog. Kita-Gutschein-Modell ist ein Marktmodell. Attraktiv sind in Hamburg diejenigen Kinder, die mindestens einen 10 Stunden Gutschein haben, unattraktiv 4 oder 5 Stunden Gutscheine. Verlierer dieses Systems sind die sozial schwachen Familien. Obwohl dort freier Zugang zum Kita-Markt für unterschiedliche Träger ist, hat sich keine nennenswerte privat-gewerbliche Trägerszene entwickelt. Wenn also dieses Modell das "Heil der Welt" sein sollte, dann darf man das nicht nur postulieren, sondern muss es auch aufzeigen, wo die Grenzen liegen.
Aktuelle Diskussionen. Interessant finde ich, dass die aktuellen Diskussionen überhaupt nicht aufgegriffen wurde. Benannt wurden Forderungen, die über 20 Jahre als sind. Schauen wir in die aktuelle Politik, sehen wir das Scheitern jeglicher Bemühungen, die Kinder in den Mittelpunkt politischen Handelns zu stellen. (Ob da ein neuer Trägerverband wirklich viel Bewegung in die Szene bringen kann?). Um was geht es: um 5,5 Mrd. Euro über das sog. Gute-Kita-G. Betrachtet man nun die Stellungnahmen der Fachausschüsses des Bundesrates zum Kabinettsentwurf, bleibt unterm Strich die Vermutung, dass einige Bundesländer ihre Wahlversprechen der beitragsfreien Kitas über Bundesgeld finanzieren wollen. Und innerhalb der Länder muss im Angesicht der aktuellen dortigen Diskussionen und Veränderungen von Kita-Gesetzen die Frage gestellt werden, welchen Stellenwert Kitas oder noch radikaler, welchen Stellenwert Kinder an sich haben.
Über die Debatte, welche Werthaltung in einer Kita die richtige sei oder ob es einige Werthaltungen in unserem deutschen gesellschaftlichen System eigentlich gar nicht geben dürfte ist eine Scheindebatte und freut die Finanzministerien, da das Eigentliche und damit die Frage einer guten Kita-Finanzierung in den Hintergrund gerät.
Und eines sei noch gesagt, es gibt in Deutschland viele Kommunen, die froh wären, wenn Träger Einrichtungen übernehmen würden. Wer hier noch von flächendeckenden Kartellen und Hinterzimmerpolitik das Wort redet, muss sich fragen lassen, ob er die Szene wirklich erfasst hat.
Gerade in Anbetracht aktuellster Politik brauch wir kein GEGEN mit Scheindiskussionen, sondern ein MITEINANDER im Sinne unserer Kinder.