Frank Deppes Sozialismus-Bilanz:

Mehr Demokratie und weniger Ökonomiezentriertheit

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Berlin am 1. Mai 1976, Parade vor dem Palast der Republik
Berlin am 1. Mai 1976

Der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe legt mit "Sozialismus. Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven" eine bilanzierende Stellungnahme persönlichen wie politischen Zuschnitts vor. So faktenreich und informativ das Buch ist, so ist es doch von einer Ökonomiezentriertheit durchzogen, welche dann demokratischen und menschenrechtlichen Defiziten im "real existierenden Sozialismus" nur einen geringen Stellenwert zuschreibt.

"Der Arbeiter-Adorno" wurde Frank Deppe zu seinem 80. Geburtstag von "Jacobin" genannt. Die deutsche Ausgabe des US-amerikanischen sozialistischen Magazins interviewte auch den Marburger Politikwissenschaftler, der zu den bedeutendsten Abendroth-Schülern zählt. Affirmativ betrachtet vertritt er daher eine an der Arbeiterbewegung ausgerichtete Sozialismuskonzeption. Kritisch kommentiert mündete diese in einer positiven Einstellung gegenüber dem früheren "real existierenden Sozialismus". Auch wenn Deppe damit der DKP nahestand, so sank er nie auf deren Niveau marxistisch-leninistischer Plattheiten. Als eine Art Bilanz legte Deppe jetzt eine Monographie "Sozialismus" vor, worin es um "Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven" entsprechend des Untertitels gehen soll. Um es gleich vorab zur Einordnung zu sagen: Der Autor breitet darin sein jahrzehntelang erworbenes Wissen aus. Und genau dies macht das Buch bezogen auf Deppe selbst wie das Sozialismus-Thema relevant. Gleichwohl findet man darin auch Einseitigkeiten und Leerstellen, die eine kritische Kommentierung notwendig machen.

Cover

Dies beginnt bereits damit, dass Deppe sich zwar mit dem "Sozialismus"-Verständnis beschäftigt. Eine eigenständige Definition legt er indessen nicht vor, auch eine dazugehörige Typologie vermisst man. Es wäre angesichts der historischen Entwicklung schon wichtig gewesen, inwieweit nicht nur die Ablehnung des Kapitalismus als ökonomisches System und die Negierung des Privatbesitzes von Produktionsmitteln für eine Zuordnung relevant wären. Wie stünde es da um demokratische Beteiligungs- und Entscheidungsmöglichkeiten und individuelle Grund- und Menschenrechte? Diese Aspekte spielen im Buch keine so große Rolle. Man vermisst dabei die klare Aussage dazu, dass Diktaturen das sozialistische Staatsmodell waren und eben diese Ordnungssysteme abzulehnen sind. Auch die jeweiligen Repressionsmaßnahmen bilden kein relevantes Thema. Dafür durchziehen die Ausführungen zwar immer wieder berechtigte Einwände, die auf die sozialen Folgen des Kapitalismus bezogen sind und dabei auf einschlägige politische und soziale Widersprüche verweisen.

Aufgrund der Fixierung auf den Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus werden aber viele andere Themen eher ignoriert. Gleichwohl liefert Deppe interessante Einschätzungen, die sowohl die Entwicklung beider ökonomischer wie politischer Systeme betreffen. Er ist bei all dem auch nicht unkritisch, heißt es doch etwa: "In ihren politischen Einschätzungen und Prognosen haben sich Marx und Engels oftmals geirrt, wie auch Lenin …" (S. 124). Doch was hat dies für Konsequenzen, wenn die Genannten als Klassiker verehrt werden? Deppe benennt auch als einen "Tiefpunkt … die stalinistische Verkürzung des Marxismus-Leninismus" (S. 127). Indessen wird vom Autor nicht ausführlicher und differenziert gefragt, warum es zu derartigen Entwicklungen kam und ob nicht auch Grundannahmen und nicht nur Rahmenbedingungen dafür verantwortlich waren. Eine kritische Bilanz zum "real existierenden Sozialismus" fehlt ebenso. Ganz allgemein wird aber schon deutlich, dass eine aktuelle Konzeption von Sozialismus ergänzungs- und veränderungswürdig wäre.

Deppe macht darauf in den Schlussteilen aufmerksam. Da geht es um alte und neue Fragen, die in politischer und publizistischer Form wieder relevant werden. Es fallen etwa die Namen von Thomas Piketty und Bernie Sanders. Jedoch erörtert Deppe nicht näher, dass der Letztgenannte ja für einen Reformsozialismus als Wohlfahrtsstaat plädierte. Gerade diese Auffassung von Sozialismus ist bei ihm kein großes Thema. Er macht indessen darauf aufmerksam: "Im 21. Jahrhundert muss der Sozialismusbegriff deutlich erweitert werden" (S. 302). Da fallen "Antirassismus", "Feminismus" und "Ökosozialismus" als Stichworte, indessen ohne das Gemeinte in eine entwickelte Konzeption zu integrieren. Deppe hebt dazu indessen berechtigt hervor, dass dabei soziale Fragen nicht selten ignoriert würden. Bilanzierend werden noch die "Dogmatiker, die die reale Analyse durch den Glauben an geschichtliche Gesetzmäßigkeiten ersetzen wollen" (S. 351) kritisiert. So bleibt auch das Bild von Deppe zu Perspektiven des Sozialismus für die Zukunft eher unklar.

Frank Deppe, Sozialismus. Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven, Hamburg 2021 (VSA-Verlag), 363 S., 29,80 Euro

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