Feindbild Frau - ein neues, altes Phänomen

frauentagsdemo_2020.jpg

Frauenkampftag-Demo 2020 in Berlin
Frauenkampftag-Demo

Im Jahr 1908 forderten 15.000 Frauen in New York bessere Arbeitsbedingungen und das Wahlrecht für Frauen. Dieses Ereignis inspirierte damals Clara Zetkin, einen internationalen Frauentag zu fordern. 1977 legten die UN den 8. März als Tag für Frauenrechte und Weltfrieden fest. Was heute sehr nach Flower Power klingt, bleibt für viele Frauen weltweit ein Kampf um Grundrechte.

Als die ersten Warnungen weltweit aufgrund der Corona-Pandemie bekannt wurden, nahmen die Zahlen der Demonstrantinnen am internationalen Frauentag im März 2020 in vielen Regionen ab, doch in Ländern wie Pakistan, Türkei und Algerien demonstrierten dennoch Tausende gegen die drastische Gewalt, die Frauen angetan wird. Denn in diesen Ländern ist es für Frauen gefährlich, die Straße zu betreten. "Wenn ich ausgehe, will ich frei sein, nicht mutig", stand auf dem Plakat einer Algerierin in Algier. Dieser Slogan wird weltweit von Frauen verwendet, um auf die Vertreibung von Frauen aus dem öffentlichen Leben aufmerksam zu machen.

Einige Monate später, am 25. November 2020, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, kündigte der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Joseph Borell, den Gender Action Plan (GAP) III an. "Ein zentrales Ziel des neuen Aktionsplans ist es, Frauen, Mädchen und junge Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Rechte uneingeschränkt wahrzunehmen und ihre Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben zu stärken." Der von der Europäischen Kommission adaptierte Aktionsplan sieht "ehrgeizige Pläne zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Rolle der Frau im gesamten auswärtigen Handeln der Europäischen Union" vor. So soll die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt ein Fokus der Außenpolitik der EU werden. Denn, so Borell, "wenn wir allen die gleichen Rechte gewähren, stärkt dies unsere Gesellschaften".

Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen hat viele Formen, eine davon ist staatliche Gesetzgebung, die Frauen von der Teilnahme am öffentlichen Leben ausschließt und ihnen ihre Menschenrechte aberkennt. Gegenüber Staatsregierungen wie dem iranischen Regime und dem saudischen Königshaus, welche Frauen ihre Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben durch Gesetze systematisch verwehren, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten Sanktionen einleiten, wenn der Gender Action Plan III nicht lediglich Papier bleiben soll. Wer Grundrechte wie Gleichberechtigung nicht konsequent in der Außenpolitik vertritt, kann sie auch nach Innen nicht verteidigen.

Der Kampf um gewaltfreie Räume für Frauen hat auch in der westlichen Welt eine neue Dimension bekommen seit wie in anderen Teilen der Welt versucht wird, Frauen mit Drohungen aus der (digitalen) Öffentlichkeit zu vertreiben.

Im Zuge des Anschlags in Halle 2019 durch einen Rechtsextremen wird das Thema Frauenhass endlich verstärkt auch in Deutschland aufgegriffen. Spätestens seit den Attentaten in Santa Barbara 2014 und Toronto 2018 ist das Phänomen Terrorismus gegen Frauen durch Rechtsextreme ein mörderischer Fakt geworden. Doch bevor der Hass auf Frauen in Anschlägen gipfelt, gibt es bereits etliche Warnzeichen: Drohungen in sozialen Medien gegen Frauen, Drohbriefe an Aktivistinnen, Androhungen von sexueller Gewalt, um Frauen zum Schweigen zu bringen, systematische Verfolgung von Feministinnen on- und offline, um sie einzuschüchtern…

Frauenverachtung ist ein klassischer Einstieg in Radikalisierung und ein Grundpfeiler extremistischer Ideologien. Sowohl Rechtsradikale als auch Islamisten streben die Unterordnung von Frauen unter Männer an, die Entrechtung von Frauen ist eines ihrer Hauptziele. Frauenverachtung muss als Merkmal von Extremismus anerkannt, bekämpft und strafrechtlich relevant werden. Dankenswerterweise hat unter anderem Staatsministerin Dorothee Bär vorgeschlagen, frauenverachtende Motivation bei Straftaten als strafverschärfend zu berücksichtigen.

Bereits im November 2020, am gleichen Tag der Verkündung des GAP III, hatten über 50 bekannte Frauen und Organisationen den Appell "Bekämpft Geschlechterapartheid! Gegen jeden Extremismus!" in Deutschland unterzeichnet, den wir, die Autorinnen, ins Lebens gerufen haben. Darin werden konkrete Maßnahmen genannt, mit denen frauenverachtendem Extremismus vorgebeugt werden kann. Diese Maßnahmen sollten nicht weiter aufgeschoben werden.

Wie bei Rechtsradikalen gibt es auch für islamischen Extremismus frühe Warnzeichen. Wenn an Schulen die Trennung der Geschlechter gefordert wird, wenn weibliche Lehrkräfte nicht als Autorität akzeptiert werden, wenn Sexualkundeunterricht boykottiert wird, wenn Eltern Mädchen die Teilnahme an Sport- und Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten verwehren wollen, wenn Mitschülerinnen beschimpft werden, weil sie sich angeblich "unkeusch" anziehen oder verhalten, ist dringendes Eingreifen erforderlich. Denn bereits hier manifestiert sich Frauenverachtung, die die Grundlage für Extremismus bildet. Es entsteht ein Klima der Herabsetzung von Mädchen und Frauen, das in späteren Stadien zu physischer Gewalt gegen Frauen führt, von Jungfräulichkeitstests über Angriffe auf "unkeusche" Frauen im öffentlichen Raum und Zwangsverheiratungen bis zu Genitalverstümmelungen, sogenannten Ehrenmorden und Anschlägen auf Frauen wie in Turku und Manchester.

In Deutschland ist das Leben der Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihrer Familie durch Rechtsextremisten gefährdet, die Anwältin Seyran Ateş muss durch Personenschutz vor Islamisten geschützt werden. Die beiden Frauen sind prominente Beispiele, doch auch Journalistinnen, Aktivistinnen und Politikerinnen werden mittlerweile mit Hass überschüttet, wenn sie sich für Frauenrechte einsetzen. Saudische und iranische Geflüchtete werden auch in Deutschland bedroht, wenn sie auf die Geschlechterapartheid in ihren Herkunftsländern aufmerksam machen. Gegen die Angreifer wird kaum vorgegangen.

Das Feindbild Frau, wie der Spiegel titelte, ist nicht neu. Doch in den letzten Jahren bekommt Gewalt gegen Frauen auch in Deutschland eine neue, politische Dimension. Sie zielt auf die Einschüchterung von Stimmen, die Menschenrechte für Frauen ohne Wenn und Aber verlangen, für jede Frau, in jeder Gemeinschaft, in jedem Land. Das Phänomen der politischen Gewalt gegen Frauen bei der Machtergreifung von Islamisten wurde in den jetzt so bezeichneten islamischen Ländern angewandt, um ihre Herrschaft über die Straße durchzusetzen und letztlich gesetzlich zu verankern. Diese Methode der Gewalt wird beispielsweise durch die algerische Frauenrechtlerin Marieme Hélie-Lucas so beschrieben:

"Die erste Stufe sind Angriffe auf die legalen Rechte der Frauen (Forderungen eines besonderen 'muslimischen' Familienrechts; Geschlechtertrennung in Krankenhäusern, Schwimmbädern etc.), verbunden mit partikularistischen Forderungen im Schulbereich (das Recht auf das Kopftuch bei Lehrerinnen, nicht-laizistische Bildungsgänge etc.). […] All das hat sich in Algerien von den 70ern bis in die 90er-Jahre nach genau diesem Muster entwickelt, angefangen beim Angriff auf die Rechte der Frauen und ihre Existenz in der Öffentlichkeit. Denn die Islamisten wussten nur zu gut, dass die Regierung bereitwillig die Frauenrechte eintauschen würde gegen die Aufrechterhaltung eines gewissen sozialen Friedens mit ihnen."

Rechtsextremisten und Islamisten überschneiden sich in ihren Einstellungen, gerade was ihre entschlossene Ablehnung jeder Gleichberechtigung von Frauen und Männern angeht. Der Kriminologe Simon Cottee der University of Kent hat bereits 2018 auf die offensichtlichen Parallelen nicht nur bei der frauenverachtenden Motivation, sondern auch bei der Wahl der Anschlagmethoden aufmerksam gemacht.

Doch bislang wird die politische Dimension von Frauenhass weiter unterschätzt. Wer frauenverachtende Einstellungen pflegt, vertritt oft auch ein antisemitisches, homophobes und rassistisches Weltbild. Wo Gewalt gegen Frauen verharmlost wird, wird Extremismus der Weg bereitet. Um Extremismus vorzubeugen, müssen die verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen benannt und bekämpft werden. Dazu gehört auch, sowohl die Ursachen von rechtsextremer als auch islamistischer Gewalt gegen Frauen zu erforschen, um effektive Prävention betreiben zu können.

Die Zeit läuft uns davon. Wir, die Initiatorinnen des November-Appells, verlangen endlich konkrete Handlungen in der Innen- und Außenpolitik - weil Menschenrechte unteilbar sind. Wer für Gleichberechtigung eintreten will, muss auch Menschenrechte für Frauen konsequent vertreten. Deshalb fordern wir heute am internationalen Frauentag erneut die Beantwortung und Umsetzung unseres Appells ein. Denn anders als der Außenbeauftragte der EU Joseph Borrell sagt, werden Frauen nicht die gleichen Rechte gewährt, sie stehen ihnen zu!

Mina Ahadi, Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland
Naïla Chikhi, Mitgründerin der Initiative Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung
Rebecca Schönenbach, Vorsitzende von Frauen für Freiheit e. V.

Unterstützen Sie uns bei Steady!