„Moonlight“ – Der beste Film des Jahres

Mittellos, schwarz, homosexuell

Donald Trumps Geschrei gilt allem Fremden. Schwarze, Homosexuelle, Atheisten, ja, selbst Frauen haben es in den Amerika in diesen Tagen nicht leicht. Es ist nicht verwunderlich, dass der objektiv beste Film des Jahres aus den USA kommt und die Welt aus der Perspektive eines an den Rand gedrängten jungen Mannes in den Blick nimmt.

"Blau ist eine warme Farbe", das wissen Cineasten spätestens seit Abdellatif Kechiches’ Verfilmung des gleichnamigen Comics der Französin Julie Maroh. Das Liebesdrama mit Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos in den Hauptrollen gewann 2013 in Cannes die Goldene Palme. Vier Jahre später gewinnt der US-amerikanische Regisseur Barry Jenkins mit "Moonlight" den wichtigsten Filmpreis der Welt. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass ein Film, der einen schwulen schwarzen Jungen und dessen Aufwachsen in Miami in den Mittelpunkt stellt, in einer Zeit den Oscar für den Besten Film (und zahlreiche andere Preise) gewinnt, in der sich die rechtskonservativen Kräfte in den USA im Aufwind befinden. Als Abdellatif Kechiches unter die Haut gehendes Drama in Cannes ausgezeichnet wurde, demonstrierten in Frankreich die konservativen Kräfte lautstark gegen den Plan der Regierung, schwulen und lesbischen Paaren die Ehe zu erlauben.

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Alex R. Hibbert als "Little" alias Chiron | Photo by David Bornfriend

Barry Jenkins Film läuft seit etwa einer Woche auch in den deutschen Kinos und man kann auch hierzulande aktuell keinen besseren Film sehen. Jenkins, der selbst in einem sozialen Brennpunktviertel Miamis groß geworden ist, erzählt darin eine Geschichte, die abseits der typischen Miami-Bilder spielt, nämlich dort, wo Armut, Drogen und Gewalt regieren. In diesem Miami abseits des Bling-Bling-Küstenstreifens wächst der sensible Chiron auf.

Hier, wo der Rückhalt der Eltern notwendig wäre, steht der Junge ganz allein da. Sein Vater ist schon lange weg ist, seine Mutter liegt irgendwo im Drogenrausch. Bei dem muskulösen Juan und seiner Freundin Teresa findet er das, was ihm fehlt – ein Zuhause. Er wird derjenige sein, der dem Jungen Halt und Orientierung gibt. "Du musst selbst entscheiden, wer du sein willst, niemand wird dir das abnehmen", sagt er ihm in einer der berührendsten Szenen im Film.

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Ashton Sanders als Chiron | Photo by David Bornfriend

"Moonlight" stellt sich und den Zuschauern die Frage, wer dieser Chiron eigentlich ist. In drei Teilen wird davon erzählt, wie aus dem neunjährigen zarten Little ein mit Muskelpaketen und Goldzähnen ausgestatteter Gangster mit dem Namen Black wird. Barry Jenkins hat es sich mit seinem zweiten Langfilm nicht einfach gemacht. Die Figuren sind komplex, sie entziehen sich vollkommen dem herkömmlichen Schema von gut und böse.

Der Schlüssel zu Chiron liegt im Mittelteil des Films, der für sich genommen ein Porträt des Teenagers bildet, das Aufschluss über die Empfindsamkeit und Komplexität dieses jungen Mannes gibt. Denn wenngleich er genauso schwarz ist und aus genauso armen Verhältnissen kommt wie alle anderen, so unterscheidet ihn doch etwas Wesentliches: er liebt nicht so wie sie. Das macht ihn zur persona non grata unter den Ausgegrenzten. "Ich weine manchmal so viel, dass ich befürchte, in meinen Tränen zu ertrinken", gesteht Chiron seinem Freund Kevin, bevor er mit ihm das erste Mal erlebt, was Zärtlichkeit und Liebe bedeuten. Dieser Freund wird es aber auch sein, der ihn in die brutale Wirklichkeit seines dreifachen Randgruppendaseins als mittelloser schwarzer homosexueller Teenager zurückholt.

Jenkins konzentriert sich ganz auf Chiron und dessen Innenleben, der Rassismus in den USA wird nicht gesondert thematisiert. Er gehört zum Grundton des Films. Andere aktuelle (und allesamt Oscar-nominierte) Filme befassen sich direkter mit der (historischen) Situation der Schwarzen in den USA. Jeff Nichols erzählt in "Loving" die bewegende Geschichte eines "gemischtrassigen" Paares in den fünfziger Jahren in den USA und ihren Kampf für ihre Liebe. Denzel Washington zeigt in "Fences", wie die alltägliche Erfahrung des Rassismus einen Menschen innerlich zerfressen kann und in Theodore Melfis "Hidden Figures: Unerkannte Heldinnen" lernen wir drei schwarze Mathematikerinnen kennen, die das US-Raumfahrtsprogramm nach vorn gebracht haben. Ende des Monats kommt außerdem Raoul Pecks mit dem Publikumspreis der Berlinale ausgezeichneter Dokumentarfilm "I’m not your Negro" in die deutschen Kinos. Dass das Thema Rassismus im US-amerikanischen Kino aktuell so eine große Rolle spielt, hat sicherlich auch etwas mit den Ereignissen in Ferguson und dem Erstarken der extremen Rechten in den vergangenen Jahren zu tun.

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Trevante Rhodes als "Black" alias Chiron | Photo by David Bornfriend

Mit Jeremy Kleiner, Brad Pitt und Adele Romanski hatte Jenkins die Produzenten an seiner Seite, die sich bereits in der Vergangenheit für die filmische Aufarbeitung der Geschichte des schwarzen Amerika eingesetzt haben. Mit ihrer Unterstützung sind so unterschiedliche Arbeiten wie Steve McQueens mit drei Oscars ausgezeichnetes Drama "12 Years a Slave", Ava DuVernays Bio-History-Pic "Selma" oder Chat Hartigans Komödie "Morris aus Amerika" entstanden. Mit Barry Jenkins haben sie dem Filmemacher der Stunde ihr Vertrauen gegeben, der sich bereits in seinem ersten Langfilm "Medecine for Melancholy" mit dem existenziellen Dasein in Minderheiten auseinandersetzte.

"Moonlight" ist außergewöhnlich intensiv erzählt, leise in seinem Ton, überwältigend in der Bildsprache. Dazu trägt auch der klassisch-vibrierende Score von Nicholas Britell bei, weil er die herkömmlichen Erwartungen der musikalischen Untermalung einer Ghetto-Geschichte unterläuft und die Handlung so immer wieder auf die Ebene einer übergreifenden Menschheitserzählung hebt. Einer Erzählung, in der das Individuum einen Weg in einer Gesellschaft finden muss, die mit Individualismus und (sexueller) Selbstbestimmung immer noch starke Schwierigkeiten hat.

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Ein außergewöhnliches Coming-of-Age-Drame – Barry Jenkins "Moonlight"

Auch Chiron hat mit dieser Identität zu kämpfen. Jenkins tut uns nicht den Gefallen, das für die Zuschauer zu lösen. Sie bleiben zurück mit einem Film, der – im Gegensatz zu etwa Martin Scorseses neuem Film, dem religiösen Machwerk "Silence" – ebenso viele Fragen aufwirft wie er Antworten gibt, der nicht in erster Linie eine Gesellschaft beschreibt sondern zuvorderst in die Psyche eines Menschen blicken lässt. Genau darin liegt seine Stärke.