Derzeit läuft der aktuelle 007-Film "Keine Zeit zu sterben" in den Kinos, nachdem der Start wegen der Pandemie mehrfach verschoben werden musste. Er fällt äußert positiv auf durch Emotion und Emanzipation: Er hat viel Tiefgang und trägt der #MeToo-Dabatte Rechnung.
Vorab eine Spoiler-Warnung: In diesem Text werden wesentliche Handlungsinhalte verraten. Wer den Film noch nicht gesehen hat, dies aber noch tun will, sollte den Text lieber erst im Nachhinein lesen.
Die Figur des wohl bekanntesten Geheimagenten der Filmgeschichte ist im 21. Jahrhundert angekommen. Der neue James Bond, geprägt vom gefeierten Darsteller Daniel Craig, bricht mit alten Tabus und errichtet dafür neue, die in der Vergangenheit nicht als solche wahrgenommen wurden. Erstmals1 kommt (sieht man von der angedeuteten homoerotischen Szene in "Skyfall" ab) Homosexualität vor – mit einem schwulen Quartiermeister "Q", der einen Mann zum romantischen Dinner erwartet. Auf der anderen Seite ist Schluss mit der Übergriffigkeit und dem Sexismus Bonds, die ansonsten zum Standardinventar ebenso gehörten wie der Wodka-Martini oder der ikonische Satz: "Mein Name ist Bond, James Bond".
Vorbei sind die Zeiten, in denen eine Frau einfach gegen die Wand gedrängt wurde, um ihr mittels Sex als Befragungsmethode Informationen zu entlocken (zu sehen noch 2015 in "Spectre") oder der Agent ungefragt zu ihr unter die Dusche stieg ("Skyfall", 2012). Ganz zu schweigen von der Szene aus "Feuerball" aus dem Jahr 1965, in dessen Titelsong es heißt "Any woman he wants he'll get" ("Jede Frau, die er will, wird er bekommen"): Hier wird die Frau nicht nur nicht gefragt, sondern erst gegen offenkundigen Widerstand geküsst und dann als "Preis für ihr Schweigen" zum Sex genötigt. Cary Fukunaga, Regisseur der neusten Bond-Episode, geht sogar so weit, den von Sean Connery verkörperten MI6-Agenten (für viele noch immer DER Bond) "im Grunde genommen einen Vergewaltiger" zu nennen.
Stattdessen hat Bond diesmal gleich zwei selbstbewusste Agentinnen an seiner Seite, eine davon hatte vor seiner Rückkehr zum Geheimdienst gar seinen Platz als Nummer 007 eingenommen. Frauen sind nicht mehr wahlweise austauschbare Accessoires oder verängstigte, wehrlose Opfer, die man mitunter herablassend behandeln darf, sondern Akteurinnen. Sie treten bestimmt auf und dürfen jetzt selbst cool und unerschrocken sein. Das "Von oben herab" ist weg, die früher allgegenwärtige männliche Überlegenheit. Der Begriff "Bond-Girl" wurde durch "Bond-Frau" ersetzt. Es gibt zwar amüsante zweideutige Situationen, es sind aber die Frauen, die (scheinbare) Avancen machen, um die Sache dann aber gleich wieder klarzustellen. Dabei tritt die Hauptfigur wesentlich zurückhaltender auf: als er sich einen Smoking anzieht, bittet James Bond sogar darum, dass die anwesende CIA-Agentin sich umdreht.
So kommt es, dass der zum letzten Mal von Daniel Craig verkörperte James Bond, der bisher nichts anbrennen ließ, diesmal tatsächlich nur mit seiner Lebenspartnerin Madeleine schläft, mit der er noch dazu ein Kind (!) hat. Man bekommt also erstmals in einem Film ein Bond-Kind zu Gesicht (die "Dunkelziffer" dürfte hier angesichts permanenter Eskapaden hoch sein), bei dem er sich in der Rolle des Vaters erproben darf und gegen Ende – höchst verwundert über sich selbst – von "seiner Familie" spricht. In der 15 Jahre und fünf Filme umfassenden Craig-Ära hat sich die einstige unberühr- und unverwundbare Killermaschine weiterentwickelt, hin zu einem Menschen – der sich verliebt, der Verluste erlebt, unter denen er leidet, der scheitern kann; in dessen Überlegungen und Handlungen nicht mehr nur strategische Erwägungen zum Wohle der Mission, sondern auch Emotionen einfließen. Bis hin zur finalen suizidalen Entscheidung im aktuellen Film, unter dem die Menschheit vor einer DNA-programmierbaren Biowaffe rettenden Raketenhagel keinen erkennbaren Fluchtversuch zu unternehmen, da er aufgrund des Kontakts mit derselben Frau und Kind nie wieder berühren darf. So verabschiedet sich James Bond – der jetzt auch fast weinen darf – mit einer Liebeserklärung und dem wiedergefundenen Kuscheltier seiner Tochter in den Hosenträger geklemmt und … stirbt augenscheinlich.
Wie die Geschichte unter diesen Voraussetzungen weitererzählt wird, bleibt abzuwarten. Denn dass der britische Geheimagent zurückkehren soll, wird bereits im Abspann klargestellt. Für die Macho-Figur 007, der ein Geschlechterverständnis aus den 50er Jahren zugrunde liegt, war es jedenfalls definitiv Zeit zu sterben, auch wenn ihr der ein oder andere Vertreter des männlichen Geschlechts, der sich von der Emanzipation ungerecht behandelt fühlt, sicher nachtrauern wird. Die Bedeutung, ein solch populäres Beispiel chauvinistischer Kultur nicht weiter zu reproduzieren, ist nicht zu unterschätzen.
1Korrektur (29.10.2021, 21:30 Uhr): Bereits in früheren Filmen kamen vereinzelt queere Figuren vor, allerdings entweder auf der Seite der Bösewichte oder als "falsch" konnotiert (Analyse auf queer.de). Neu ist, dass Homosexualität als etwas Normales dargestellt wird.
21 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Na also, geht doch, Chauvinismus ade, Humanismus willkommen.
David Z am Permanenter Link
Interessant, wie die Wahrnehmung auseinandergeht. Ich halte diesen Bond für ziemlich misslungen. Aus all den Gründen, die die Autorin als Bereicherung darzustellen versucht.
Der Film hat sicher seine Momente. Aber um eine Abkehr vom bisherigen Bond Schema zu erzielen, muss man nicht woken Kitsch einbauen. Aber genau das ist hier leider passiert. Und in einer ziemlichen Penetranz. An so vielen stellen fühlt man sich ideologisch belehrt, dass es schon peinlich ist. Man fühlt sich an alte DDR Romane erinnert, in der in jeder geeigneten Szene der ideologisierte Klassenkampf untergebracht wurde. Schrecklich.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Na ja, -wenn ich das Foto sehe von der halbnackten Dame mit Revolver- das ist doch weiter sexistisch. Entscheidendes hat sich nicht geändert.
Gisa Bodenstein am Permanenter Link
Das sehe ich nicht so, es ist schließlich eine exklusive Party, wo man sich schick anzieht, und das Kleid sitzt perfekt bei jeder noch so akrobatischen Aktion ;-) Das Entscheidende - und das liegt in meinen Augen viel
Hans Trutnau am Permanenter Link
Klingt (zu) gut; muss ich trotz der Spoilerwarnung wohl ansehen.
Kein Spoiler - noch besser finde ich den neuen Hinweis auf die Kommentarspalte (wenn offen) unten rechts an den Artikeln in der Übersicht.
margrit66 am Permanenter Link
Genau diese Menschwerdung macht den aktuellen Bond zu dem schwächsten der 007-Filmgeschichte.
Gisa Bodenstein am Permanenter Link
Danke für Ihre Anmerkungen. Sie haben natürlich Recht damit, dass es auch früher schon Gegenspielerinnen oder andere Agentinnen gab.
Und zum monogamen Familienmenschen: Das mit der Monogamie ergibt sich nur, weil er zwei mal einen Korb bekommt. Er von sich aus hätte da nichts dagegen gehabt ;-)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Gisa, dass Bond der Held ist, der die (teilweise wirklich starken und ebenbürtigen weiblichen Gegenspieler - siehe Barbara Bach in "Der Spion, der mich liebte") mindestens am Ende rettet, ist der Thematik ge
Leon Paysan am Permanenter Link
James Bond war immer eine Männerphantasie über einen chauvinistischen Supermacker, der die Puppen tanzen lässt. Darum und nur darum ging es bei diesen Filmen.
Das hatte seine Berechtigung und findet auch heute sicher noch pantoffelige Interessenten.
Wenn das nicht mehr gewünscht ist, dann macht halt Schluss mit Bond-Filmen, statt die Leinwand mit "007 Der impotente Kastrat und Fußabstreifer Ihrer Majestät" zu besudeln.
Die "woken" Hexenjäger könnten ja auch einfach mal vorm Kino stehenbleiben oder am Fernseher umschalten und andere Leute sehen lassen, was die eben sehen wollen, oder?
Andreas am Permanenter Link
@ Leon Paysan Was ist eigentlich das Antonym von "woke"? "Verpennt"? So wie Menschen wie du, die ein ewiggestriges Menschen- und Frauenbild verteidigen?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Es gibt etliche kulturelle Stellvertreteraktionen, die sich entwickelt haben, um nicht im "normalen Leben" ein unangepasstes Verhalten zu zeigen. Sport z. B. ist eine Art Ersatzhandlung für Krieg.
Wir haben in uns nicht nur den Rationalisten, der die Welt ausgewogen betrachtet. Wir sind eben Menschen. Kino ist ein Ort, den man aufsucht, wenn man etwas erleben möchte, was sonst verwehrt oder unmöglich ist. Auch Vergnügungsparks bieten die Möglichkeit, relativ sicher in andere Rollen zu schlüpfen. Gerade, weil der Alltag heute strenge Regeln des Miteinanders erfordert. Trotzdem steckt in jedem noch das wilde Tier der Evolution.
Ich finde es eine kulturelle Errungenschaft, dass wir quasi intime Einblicke in das Leben animalischer Kunstfiguren haben, die ein heute unmögliches Leben zeigen. Das sind Stellvertreter oder Avatare für das Tier im Menschen, die viele Aggressionen abbauen helfen. Dass ein James Bond oder Superman kein Vorbild sein kann, ist jedem Menschen klar. Das ist kein ewig gestriges Menschen- und Frauenbild, sondern Teil von uns selbst, dass wir nicht mehr ausleben dürfen, weil sonst die Gesellschaft nicht mehr funktioniert.
Schlaue Ingenieure haben Dampfdruckkochtöpfen Sicherheitsventile eingebaut. Aus gutem Grund. James Bond ist so ein Sicherheitsventil. Wenn es zugeschweißt würde, kann es übel enden. Alle Menschen ihres Menschseins zu entwöhnen hat nicht funktioniert. Selbst die stärkste Ideologie (eine der ersten war die Religion) kann nicht gegen 4 Millionen Jahre Menschheitsevolution anstinken...
Andreas am Permanenter Link
@ Bernd Kammermeier "James Bond ... ist ..." KEIN "Teil von mir selbst." Ich brauche keine Superhelden.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das steht jedem frei, was er von sich und seiner Evolution akzeptiert. Menschen sind ja durchaus unterschiedlich veranlagt.
Die (aus meiner Sicht) wenigen Aggressionsfreien sollten jedoch nicht in die Überheblichkeit verfallen, den anderen ihre zivilisatorisch evolvierten Ersatzhandlungen madig zu machen. Der Schuss geht nach hinten los.
Also: Immer schön locker bleiben und denen, die es wollen, ihre altmodischen Helden gönnen. Sie werden medial aufbereitet gebraucht. Schätzungsweise die nächsten zehntausend Jahre noch, wenn wir das als Menschheit überleben...
Andreas am Permanenter Link
@ Bernd Kammermeier Eine biologistische Daseinsberechtigung für James Bond? Fragen wir das Bond-Girl, ob das o.k. ist?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ja, das ist für jedes Bond-Girl o.k., weil die gut verdient haben und weil die Mitwirkung in einem Bond-Film stets ein Karriere-Booster ist. Oder halten Sie das alles für Realität?
Andreas am Permanenter Link
@ Bernd Kammermeier Sie sollten schon schon das Bond-Girl selber fragen, Sie wollen doch keine Frauen bevormunden, oder?
Ob "Bond-Girl" ein "Karriere-Booster" ist? Es besteht zumindest die Gefahr, dass Frau danach auf "Sex-Symbol" festgelegt ist, und keine Charakter-Rollen mehr bekommt – letzteres halte ich für "Realität", insofern ist auch ein Bond-Film Spiegel der "Realität" (was wir unter "Realität" verstehen, wäre genau genommen noch mal eine andere, erkenntnistheoretische Frage).
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich bin aus der Filmbranche und kenne die Gagen. Ich weiß auch, dass weibliche Schauspieler früher (und teilweise noch heute) deutlich schlechter bezahlt wurden als ihre männlichen Kollegen.
Und woher wollen Sie (der mir ja die Erfahrung abspricht, für Bond-Girls sprechen zu sprechen) wissen, dass sich weibliche Schauspieler ausschließlich im Charakterfach besetzt sehen möchten und nicht als Sexsymbol? Ich finde das ziemlich anmaßend. Zumal die Rolle des James Bond auch keine ausgeprägte Charakterrolle ist. Das sind schon eher die Gegenspieler, die bei männlichen Schauspielern sowieso beliebter sind als Heldenrollen.
Bezüglich der Realität in Bezug auf James Bond-Filme muss man nicht ernsthaft diskutieren. Das sind Unterhaltungsfilme, die einem als Zuschauer ein bisschen Nervenkitzel, Spaß und Spannung bringen. Mehr nicht. Und das ist völlig legitim, weil das Kino und die Medien insgesamt von publikumswirksamen Filmen leben. Einen Woody Allen gab es, weil sein Verleih mit Actionknallern Kohle gemacht hat. Kino ist ein Geschäft, nichts sonst. Kosten-Nutzen-Rechnung.
Insofern ist nichts davon Realität, selbst dokumentarisch angehauchte Filme spiegeln reale Geschehnisse nur durch die Brille des Autos und/oder Regisseurs. Aber James Bond ist eine Kunstfigur, die als Avatar Abenteuer erlebt, die uns allen in der Realität verwehrt sind. Oder vermuten Sie, das Agentenleben sei genauso schillernd und farbenfroh?
Ich gönne Ihnen ja Ihr Faible für intellektuelle, künstlerisch wertvolle Filme (das habe ich auch), aber das Brot wird mit Kommerzfilmen à la James Bond oder Star Wars verdient...
Andreas am Permanenter Link
@ Bernd Kammermeier Ich sage – scherzhaft: "Sie sollten schon schon das Bond-Girl selber fragen ..." und von Ihnen kommt – ernsthaft: "Und woher wollen Sie (der mir ja die Erfahrung abspricht, für Bond-
"Sex-Symbol" als Rolle ist für Sie also voll in Ordnung – da muss man Frau erst gar nicht danach fragen – und sowieso gerechtfertigt durch das übergeordnete Ziel Ihrer Lebensphilosophie: Geld.
Leon Paysan am Permanenter Link
Dieses ewiggestrige Menschen- und Frauenbild existiert nur in der Phantasie des aggressiven woken Lynchmobs.
Welch völlig ins Negative verzerrte Menschenbild muss man haben, sich anzumaßen, andere über Dinge zu belehren, die die längst wissen?
Hören Sie doch bitte auf, Ihren eigenen Sexismus auf andere zu projizieren, danke!
Sie werden kaum einen hpd-Leser finden, der frauenfeindlich ist, irgendetwas gegen die Gleichstellung der Geschlechter hat oder sonst irgend einer groben Menschenfeindlichkeit anhängt. Das passiert alles in Ihrem Kopf.
Hören wir doch bitte endlich damit auf, krampfhaft den Feind in den eigenen Reihen zu suchen.
Schauen Sie in die Moscheen und Kirchen, in rechtsextreme Kreise, da gibt es tatsächlich Sexisten und die lesen das hier nicht.
Sie dürfen mich übrigens gerne siezen, das gehört sich bei uns so, ist eine Frage des Respekts. ;-)
Andreas am Permanenter Link
@ Leon Paysan, Zitat: "des aggressiven woken Lynchmobs" – Danke! Reicht, um zu verstehen, dass ich nicht mit Ihnen reden kann und will.
Gibt es einen Grund dafür, "Respekt" vor Ihnen zu haben? Welchen denn?
Leon Paysan am Permanenter Link
Das einzige, was Leute wie Sie damit erreichen, sich anzumaßen, andere zu belehren, ist Trotz.
Wenn man Menschen, die keine Sexisten sind, oft genug vorwirft, Sexisten zu sein, dann werden sie welche.
Wer die aktuelle Sprachregelung nicht mit macht oder gar anderer Meinung ist, ist Konterrevolutionär und mit dem darf man nicht reden - wahrscheinlich, weil einem sonst selbst die Verbannung droht (oder schlimmer noch, man sich geirrt haben könnte).
Wir haben den Moralterror der 50er Jahre doch nicht überwunden, um jetzt einen neuen Moralterror aufzuziehen. Und den Sozialismus haben wir zum Glück auch hinter uns gelassen.
Nein, Sie gehören nicht zur Avant Garde, Sie gehören zu einer kleinen Minderheit, die Spaltet und Hass sät.
Sie sind herzlich eingeladen, Ihren Mitmenschen auf Augenhöhe zu begegnen, statt sie von oben herab zu belehren.