Muslime in Deutschland für Radikalisierung anfällig

Mouhanad Khorchide erklärt Ressentiment-Studie

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Prof. Mouhanad Khorchide
Prof. Mouhanad Khorchide

Eine neue Studie des Zentrums für Islamische Theologie in Münster zeigt: Ein Teil der muslimischen Bevölkerung in Deutschland fühlt sich nicht nur ausgegrenzt – sondern äußert auch gefährliche Feindbilder. Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide warnt vor Alarmismus, will aber neue Wege der Prävention gehen.

Anfang Juni sorgte ein Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) bundesweit für Schlagzeilen. Die niedersächsische Tageszeitung hatte mit der Überschrift "Warum Muslime wirklich radikal werden: Deutsche Islam-Forscher finden 'starken' Gefühls-Faktor" über eine neue Studie der Forschungsstelle Islam und Politik der Universität Münster unter der Leitung des islamischen Theologen Mouhanad Khorchide berichtet. Jeder fünfte in Deutschland lebende Muslim mit Migrationshintergrund weise demnach eine emotionale Verfassung auf, die Radikalisierung begünstigt. Betroffen seien Muslime, die sich gekränkt sähen, starke antiwestliche oder antisemitische Feindbilder pflegten und zugleich eine geringe Kritikfähigkeit zeigten. Die Münsteraner Forscher würden diese Kombination von Einstellungen unter dem Begriff "Ressentiment" zusammenfassen.

Am Mittwoch hatten der Professor Mouhanad Khorchide, der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT), und der Soziologe Levent Tezcan gemeinsam mit Olaf Müller und Dr. Sarah Demmrich zu einer Pressekonferenz geladen und gaben sich viel Mühe, dem durch die Berichterstattung der NOZ vermittelten Eindruck entgegenzutreten. Für die Studie, erklärte Khorchide, seien 1.900 Menschen befragt worden. Bei 20 Prozent hätten Gefühle der Zurückweisung oder Kränkung zu Ressentiments geführt: "Dass etwa 20 Prozent dieser befragten 1.900 Menschen solche Gefühle der Kränkung aufzeigen, heißt nicht, dass 20 Prozent der Befragten radikalisiert oder anfällig für Radikalisierung sind, sondern nur, dass 20 Prozent solche Gefühle der Kränkung aufweisen." Damit es zu einer Radikalisierung komme, müssten weitere Faktoren dazukommen – wie extremistische Einstellungen, eine Ablehnung der Demokratie oder die Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung. Die Studie, zeigte dann Sarah Demmrich auf, belege, dass sich 88 Prozent der befragten Muslime in Deutschland wohlfühlen, 85 Prozent die Demokratie befürworten, 75 Prozent mit ihrem Leben zufrieden seien und 73 Prozent sich "unbedingt und ohne Abstriche" integrieren wollen.

Allerdings blieb stehen, was die NOZ geschrieben hatte: Die 20 Prozent der befragten Muslime, die das Gefühl haben, gekränkt worden zu sein, sind anfälliger für Extremismus. Deutlich wird das bei den genannten Gründen für die Kränkung. Neben erlebter Ablehnung – zum Beispiel wegen des Tragens eines Kopftuchs – sind diese zum Teil hochpolitisch: Aussagen wie "Wertvorstellungen von Leuten wie mir werden immer unwichtiger", "Probleme von Leuten wie mir sind für die meisten Politiker unwichtig", "Der Westen wird alles tun, um zu verhindern, dass der Islam wieder zu einer Hochkultur wird" und "Juden haben zu viel Macht und Einfluss in der Welt" wirken eher ideologisch denn als eine Reaktion auf Probleme, denen man als Minderheit ausgesetzt ist.

Doch Khorchide setzt auf Sozialarbeit und Kommunikation: Es sei notwendig, die einseitige Konzentration auf die sicherheitspolitischen Aspekte von Radikalisierung zu überwinden und stärker die emotionale Ebene zu berücksichtigen. Maßnahmen sollten ausgebaut und gezielt gefördert werden, die Muslime in ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft bestärken und die positiv und identitätsstiftend wirken: "Dazu zählt beispielsweise der weitere Ausbau von Räumen, in denen Muslime Anerkennung und Teilhabe erfahren – etwa durch die Stärkung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen." Ebenso wichtig sei die gezielte Förderung von Projekten in den Sozialen Medien, die konstruktive, positive Erzählungen über das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in einer pluralen Gesellschaft verbreiten. "Innerislamisch", sagte Khorchide, "liegt eine wichtige Aufgabe bei den Moscheegemeinden und bei den islamischen Organisationen. Sie sollten positive lebensweltliche Erfahrungen von Muslimen und Musliminnen sichtbar machen und die Chancen betonen, die das Leben in Deutschland bietet."

Ob das hilft, wenn Menschen der Ansicht sind, dass Juden zu viel Macht hätten und der Westen die Muslime davon abhalten würde, wieder eine Hochkultur zu werden, ist wohl eine Frage des Glaubens.

Online wird das Zentrum für Islamische Theologie allerdings aktiv werden: "Das Integrationsministerium NRW unterstützt nun ein umfangreiches Projekt für eine breit angelegte Plattform auf TikTok und Instagram. Unter den Namen 'Muslim aktiv' und 'Weltoffen' soll diese Initiative ein Gegenangebot zur islamistischen Plattform 'Muslim Interaktiv' darstellen", so Mouhanad Khorchide. Die bewusst gewählten Namen würden ein klares Zeichen setzen und sollen das öffentliche Bewusstsein schärfen. Ab September geht das Projekt online.

Ob die geplante Social-Media-Offensive auf TikTok und Instagram ein echtes Gegengewicht zu islamistischen Influencern darstellen kann, wird sich zeigen.

Die Studie, welche die Debatte auslöste, wurde am Mittwoch nicht veröffentlicht. Sie wird erst im August bei Springer Nature unter dem Titel "Islamismus als gesellschaftliche Herausforderung – Ursachen, Wirkungen, Handlungsoptionen" erscheinen.

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