Ein neues Forschungsinstitut an der International University (IU), Standort Essen untersucht die Gemengelage aus islamistischen, türkisch-nationalistischen und rechtsextremen Radikalisierungsprozessen. Im Bereich des türkischen Faschismus haben die renommierten Wissenschaftler bisher deutlich Ross und Reiter benannt. Bleibt diese kritische Klarheit erhalten? Noch ist es für eine umfassende Bewertung zu früh – Recherchen und Gespräche fördern vielversprechende Signale, aber auch strittige Töne zu Tage.
Bereits im Jahr 2022 hat sich an der IU ein Team aus Wissenschaftlern zusammengetan, um "alarmierenden Entwicklungen" in Sachen Radikalisierung mit einem fächerübergreifenden und praxisnahen Ansatz entgegenzutreten. Im Jahr 2023 wurde dann das Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention (ZRP) an der IU am Standort Essen mit einer Auftakt-Vortragsreihe erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Ende April erfolgte die Erweiterung des ZRP zu einem Institut. Anlässlich der Institutsweihe fand ein Fachtag zum Thema Rechtspopulismus statt.
Ausgangslage: Extremistische Bedrohungen oder Diskurs?
Das ZRP versteht sich selbst als "einzigartig" in der deutschen Forschungslandschaft. Sein Anspruch ist es, "blinde Flecken" des Phänomens Radikalisierung sichtbar zu machen sowie relevante Praxisfelder mit bewährten Handlungsempfehlungen zu unterstützen. Es ist gewillt, die Präventionsarbeit durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse aktiv mitzugestalten, um gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen wirksamer zu begegnen.
Zu diesem Zweck bestehen enge Kooperationen mit der Sozialen Arbeit sowie mit verwandten Disziplinen wie der Erziehungswissenschaft, der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Kriminologie. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach Ursachen, Prävention und Distanzierung.
Als dringliche Ausgangslage für die Forschungsarbeit werden Jugendgewalt, das Reichsbürgermilieu, die Grauen Wölfe und der Islamismus genannt. Das ZRP verweist beispielhaft auf die Silvesterkrawalle, die Publikmachung rechtsextremer Remigrationspläne, islamistische Demonstrationen mit Kalifat-Forderungen, den islamistisch motivierten Angriff auf Michael Stürzenberger in Mannheim sowie die tödlichen Attacken in Magdeburg und Aschaffenburg.
Es fügt hinzu: "Diese Vorfälle haben die ohnehin hitzige Debatte um Migration, Sicherheit und gesellschaftliche Integration weiter angeheizt." Sind es die Ereignisse selbst oder der Diskurs darüber, die die Notwendigkeit von Forschung, Prävention und Deradikalisierung begründen? Letzteres ließe sich auch anders sehen: Leider brauchte es erst diese Vorfälle, damit ein gesellschaftliches "Aufwachen" einsetzt.
Klartext einerseits
Nun zu den Forschenden: Geleitet wird das ZRP von Prof. Dr. Burak Çopur, einem ausgewiesenen Experten für Migration, Integration sowie türkeibezogenen Extremismus. Besonders hervorzuheben sind seine klaren Positionen zu den Netzwerken des türkischen Faschismus in Deutschland: So fordert er im Interview mit dem Cicero, die Strukturen der Grauen Wölfe, der Union Internationaler Demokraten (UID) und der DITIB "endlich zu zerschlagen". Anerkennung verdient auch, dass Çopur die Ursachen für den aggressiven Separatismus radikalisierter türkisch-muslimischer Jugendlicher nicht allein in sozialen und strukturellen Faktoren sieht. Vielmehr rückt er familiäre Erziehungserfahrungen in den Fokus – eine Sozialisation, in der ultranationalistisches und religiös-fanatisches Gedankengut "von Kindesbeinen an eingetrichtert" wird.
Mit an Bord sind außerdem Prof. Dr. Kemal Bozay und Prof. Dr. Emre Arslan – zwei Wissenschaftler, die sich mit grundlegenden Arbeiten zu den Grauen Wölfen und dem türkischen Nationalislamismus, insbesondere in Bezug auf deren Aktivitäten in Deutschland, einen Namen gemacht haben. Bozay und Arslan beleuchten schonungslos in "Graue Wölfe heulen wieder" (Bozay) oder "Der Mythos der Nation im transnationalen Raum" (Arslan) die Ideologie und Organisation der Ülkücü-Bewegung in Deutschland.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Burak Çopur haben beide einen Artikel zu den Repressionen gegen türkische und kurdische Geflüchtete in Deutschland durch Erdoğans Schergen veröffentlicht – erschienen 2022 in einem Sammelband über die Verfolgung von Geflüchteten in der Bundesrepublik durch transnationale Akteure. Ein mutiger und relevanter Beitrag, der den Blick auf jene richtet, die als Minderheiten innerhalb von Minderheiten oft durch das Raster intersektionaler Analysen fallen und deren Verfolger nicht dem gängigen Bild des weißen Täters entsprechen.
Weiter setzt sich das ZRP-Team aus erfahrenen Spezialisten zusammen: Von Prof. Dr. Bärbel Bongartz, die zur Radikalisierung der Mittelschicht forscht, über Prof. Dr. Dr. Veronika Zimmer und Prof. Dr. Mehmet Kart mit dem Schwerpunkt Islamismus- und Rechtsextremismusforschung, bis hin zu Prof. Dr. Jens Ostwaldt und Yannick von Lautz, die sich beide mit Deradikalisierung und Evaluation beschäftigen.
Kontraproduktive Rassismusdefinition andererseits
Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz stuft im Bericht für 2024 den Islamismus als "größte Gefahr für Leib und Leben" ein, den Rechtsextremismus als größte Bedrohung "für unser demokratisches Zusammenleben". Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der Fachtag zur Eröffnung des neuen Instituts sich mit dem Thema Rechtspopulismus befasste.
Zweifelhaft hingegen erscheint die Beteiligung des Kölner Vereins interKultur an jener Fachtagung, insbesondere mit seiner Meldestelle für "antimuslimischen Rassismus" in NRW – MEDAR. Diese wird wissenschaftlich von Prof. Dr. Kemal Bozay begleitet.
Irritierend ist dabei nicht die Auseinandersetzung mit Rassismus, problematisch ist vielmehr die Verwendung des Begriffs "antimuslimischer Rassismus" als Geschäftsgrundlage. Der Terminus dient nicht selten dazu, statthafte Islam(ismus)kritik pauschal als rassistisch abzuwehren. Prominente Fälle wie die von Henryk M. Broder oder Sigrid Herrmann, die im Bericht des Expertenkreises Muslimfeindlichkeit denunziert werden oder die von Farid Hafez angezettelte Hetzkampagne gegen Ahmad Mansour machen dies deutlich.
Was genau soll mit dieser Kooperation erreicht werden? Für die Analyse und Bekämpfung des Islamismus ist der Begriff des antimuslimischen Rassismus ungeeignet. Er birgt die Gefahr, Täter als Opfer zu verkleiden und sie somit der Verantwortung zu entledigen. Jüngst zeigte eine Studie, dass 20 Prozent der befragten Muslime ressentimentgeladene Kränkungen offenbaren, die sie für Extremismus anfällig machen – "antimuslimischer Rassismus" als Kampfbegriff kann solche Dynamiken potenzieren. Man stelle sich vor, ein Forschungszentrum zum Thema Rechtsextremismus würde mit einer Meldestelle für "Ostdeutschenfeindlichkeit" kooperieren, die das Erstarken der Neonazis im Osten als Stigmatisierung oder schlichte Folge von Vorurteilen gegen Ostdeutsche interpretieren – auch das wäre ausgesprochen unangemessen.
Zudem verkennt der Begriff "antimuslimischer Rassismus" eine wichtige Differenzierung: Der Islam ist keine Rasse, er ist nicht vollständig mit den Subjekten identifiziert. Da wiederholen Antirassisten im Grunde die identitäre Islamdefinition von Islamisten und Rechtsextremen – bloß unter anderen Vorzeichen.
Möglicherweise will Prof. Dr. Bozay gerade dies verhindern und darauf achten, dass der Begriff nicht missbraucht wird, um notwendige Auseinandersetzungen mit dem Politischen Islam zu verunmöglichen. Zugleich ist zu betonen, dass
interKultur e.V. in vielen Bereichen wertvolle Arbeit leistet – etwa in der interkulturellen Frauenarbeit, in Projekten gegen LGBTQ-Feindlichkeit oder in der offenen Kinder- und Jugendarbeit in benachteiligten Quartieren Kölns.
Vorsicht Schiefheilung: Islamakteure in der Präventions- und Deradikalisierung
Ein weiterer Knackpunkt bleibt die Rolle von Moscheegemeinden und islamischen Verbänden in der Prävention. Wohin steuert das ZRP in dieser Frage?1
Kurz umrissen, wie die bundesweite Handhabe bisher aussieht: Zum einen wird dem islamischen Religionsunterricht ein präventiver Nebeneffekt zugeschrieben. In NRW ist auch die DITIB mit dieser Aufgabe betraut. Erinnert sei auch an den Fall des Islamlehrers Ali, der schiitischen Islamismus propagierte und das nordrhein-westfälische Schulministerium durch seine Doppelrolle hinters Licht führte. Geistliche sollen in der Prävention eine Rolle spielen, etwa als Ansprechpartner für radikalisierte Personen. Aufgrund ihrer religiösen Autorität gelten sie als besonders zugänglich – beispielsweise als Gefängnisseelsorger oder Imame. Es ist bekannt, dass bereits legalistische Islamisten mit Aufgaben der Terrorprävention betraut wurden. Zum anderen sollen an islamisch-theologischen Instituten – etwa in Münster oder Osnabrück – sowie am Islamkolleg Osnabrück religiöse Fachkräfte mit einem vermeintlich zeitgemäßen Islamverständnis ausgebildet werden, um radikalen Auffassungen entgegenzuwirken. Die Bilanz bislang: Vertreter des Politischen Islam nehmen über Beiräte Einfluss, viele Absolventen zeigen eine deutliche Nähe zu extremistischen Strömungen.
In diesem Kontext fällt die Publikation "Islamische Vereine in der Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit"2 von Prof. Dr. Jens Ostwaldt, Sozialwissenschaftler am ZRP, ins Auge: Ostwaldt fokussiert vor allem die These, dass anerkannte Moscheegemeinden ein alternatives Umfeld zu radikaler Indoktrination bieten können.
Die Herausforderungen dieses Ansatzes sieht Ostwaldt interessanterweise in einer dreifachen Stigmatisierung, die da wäre:
- Wenn Radikalisierte durch religiöse Angebote zurückgewonnen werden sollen, verstärke sich das stereotype Bild, Radikalisierung sei primär religiös motiviert.
- Werden muslimische Jugendliche in Moscheen gezielt als Zielgruppe für Prävention angesprochen, kann das eine Reaktanz im Sinne der selbsterfüllenden Prophezeiung erzeugen: "Dann sind wir eben radikal."
- Gegen Radikalismus Engagierte in Moscheegemeinden riskieren, als Verräter innerhalb der eigenen Community diffamiert zu werden.
Entgegnungen
Erstens: Der Faktor Religion in der islamistischen Radikalisierung ist nicht zu vernachlässigen. "Die intensive Auseinandersetzung mit theologischen Themen stellte für viele einen Wendepunkt dar." betont Islamwissenschaftler Ednan Aslan auf Basis biografischer Interviews mit straffälligen Muslimen in Österreich gegenüber der Welt. Auch Fethi Benslama, Psychoanalytiker mit Praxiserfahrung in Frankreichs Banlieues stellt fest: Ein junger Islamist möchte als Übermuslim noch religiöser als seine Eltern sein – denen wirft er Abfall von der reinen Lehre vor.3
Zweitens: Der Reaktanz-Ansatz greift zu kurz. Ja, Zuschreibungen sind problematisch, aber sie allein zum Erklärungsmuster zu machen, ist ein Entlastungsnarrativ. Radikalisierung hat ideologische, kulturelle wie soziale Ursachen, nicht bloß diskursive. Die politische Theologie des Islamismus liefert Orientierung entlang eines klaren Freund-Feind-Schemas – die Empfänglichkeit liegt oft in familiärer, religiöser oder kultureller Sozialisation. Jugendliche werden nicht automatisch zu Opfern ihrer Etikettierung.
Drittens: Gerade Ostwaldts dritter Punkt sollte ihn doch aufhorchen lassen: Wer soll die Prävention in Moscheen und Islamverbänden eigentlich leisten, wenn diese selbst illiberal sind? Kein deutscher Islamverband distanziert sich von der globalen Jihad-Fatwa gegen Israel. Feuer mit Feuer bekämpfen? Den Bock zum Gärtner machen? Die einzige wirklich liberale Moschee in Deutschland, die von Seyran Ateş gegründete Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, steht unter Polizeischutz. Sie steht völlig isoliert dar. Der etablierte Verbandsislam lehnt Ateş' Projekt ab.
Çopur mit klarem Urteil, Sozialarbeiter liefert interessante Einblicke
Zu den genannten Fallstricken der Prävention befragte der hpd Prof. Dr. Burak Çopur von der International University sowie den Sozialarbeiter Thomas Rüth von der Caritas SkF Essen, der auch 2023 an der Auftaktveranstaltungsreihe des ZRP mitwirkte.
"Gerade die DITIB- und Milli Görüş-Moscheen sind ein verlängerter Arm Erdoğans, die massiv mit einer islamistisch-nationalistischen Ideologie Einfluss auf die türkischstämmige Community in Deutschland ausüben und damit die Integration erschweren", äußerte Prof. Dr. Burak Çopur.
Thomas Rüth nahm sich Zeit für ein längeres Gespräch. Als Beobachter schilderte ich ihm meinen Eindruck, dass Prof. Dr. Burak Çopur ohne falsch verstandene Toleranz forscht und unbequeme Fakten benennt. Rüth, in der Jugendhilfe tätig und immer wieder mit islamistischer Radikalisierung konfrontiert, bestätigte: "Wie soll man ein Phänomen verstehen, wenn man bei der Ursachensuche Scheuklappen aufhat?" Die Wissenschaft sei zu oft "zu weit weg und ringt um konkrete Aussagen".
Rüth kennt Çopur seit vielen Jahren. "Burak ist ein Mensch, der Courage zeigt, er steht mit seiner persönlichen Biografie hinter dem Thema. Insbesondere mit seiner Opposition zu Erdoğan. Deswegen stand Burak auch mal unter Polizeischutz. Das macht man nicht aus Spaß." Rüth ergänzte: "So bekämpft man übrigens auch die AfD. Diese Intransparenz hat die Partei doch erst so erfolgreich gemacht."
Zur Zusammenarbeit mit dem ZRP kam Rüth, weil sein Wohlfahrtsverband wissenschaftlich fundierte Antworten auf das sucht, was er und seine Kollegen auf der Straße an Radikalisierung erleben und beim Blick unter anderem auf Moscheen wahrnehmen.
Apropos Moscheen: Zur Kooperation mit Moscheen schilderte Rüth eine persönliche Erfahrung: Der Bruder einer der islamistischen Attentäter auf den Essener Sikh-Tempel 2016 war einst Klient von Rüths Kollegen und stand im Verdacht, sich auch radikalisiert zu haben. Den strafunmündigen Jungen vermittelte er an einen vertrauenswürdigen Imam einer Essener Moschee. Als der Jugendliche erfuhr, was der Islam im Moscheealltag bedeutet, fand er das "langweilig" und wandte sich allmählich vom radikalen Weg ab. Religion habe somit keine große Rolle gespielt.
Das Gespräch entwickelte sich zu einer pädagogischen Fachdiskussion. Ich schilderte einen anderen Fall, symbolisch für Menschen, die sich gerade wegen ihrer religiösen Suche radikalisieren: Ein mir bekannter Konvertit, der vom Christentum zum salafistischen Islam wechselte, sagte: "Im Christentum maßt der Mensch sich an, Gott ähnlich zu sein, aber wir müssen uns unterwerfen. Gott gibt uns Leitung." Auch hier wurde ein Imam zur Unterstützung hinzugezogen. Doch am Ende dominierte der Salafist das Gespräch. Der Imam sagte mir überfordert: "Er lebt nun mal radikal den ursprünglichen Islam. Ich bin ihm theologisch unterlegen."
Rüth erwiderte auf meine Anekdote: Man müsse das im Einzelfall entscheiden, ein "Pauschalrezept" gebe es nicht. Wenn er in Moscheen zum Beispiel Prediger der Muslimbruderschaft entdecke, werde er misstrauisch, auch wenn die Muslimbruderschaft in Deutschland nicht verboten ist. Solchen Einrichtungen vertraut er weniger. Grundsätzlich sieht er die Beteiligung von Moscheen und deren Imamen kritisch, weil diese in Deutschland häufig "Laienprediger" sind, und über keine theologische Ausbildung verfügen, viele Anforderungen würden "das Ehrenamt schlichtweg überfordern".
Fazit: Chance auf Richtungswechsel, wenn chronische Krankheiten der deutschen Islamismusdebatte überwunden werden
Die starke Präsenz aufrichtiger Forscher und mutiger Kritiker des türkischen Nationalislamismus lässt hoffen, dass das ZRP tatsächlich einen Richtungswechsel in der nordrhein-westfälischen Präventionslandschaft einleiten kann. Der längst überfällige Abschied von Akteuren wie der DITIB sowie die grundlegende Neuausrichtung oder gar das Ende von Programmen wie "Wegweiser", die mit fragwürdigen Islamverbänden kooperieren, wäre ein notwendiger Schritt.
Gleichzeitig scheint auch das ZRP nicht gänzlich frei von den chronischen Krankheiten der deutschen Islamismusdebatte zu sein. Noch immer wird Islamfeindlichkeit vorschnell als Motor von Radikalisierung gesehen. Symptomatisch dafür steht der Begriff "antimuslimischer Rassismus", der – bewusst oder unbewusst – dazu beiträgt, inakzeptable islamische Praktiken unter ein pauschales Kritikverbot zu stellen. Damit wird genau das reproduziert, was man eigentlich verhindern will: die Essentialisierung von Religion.
Ebenso problematisch ist der Irrglaube, man könne radikale Tendenzen durch ein vermeintlich moderates religiöses Auffangbecken abwenden. Wer annimmt, Muslime seien in erster Linie über ihre Religion präventiv erreichbar, reduziert sie auf das Merkmal "Islam". Doch macht man junge Menschen wirklich resilient gegenüber dem Abrutschen in den Extremismus, indem man sie an geschlossene Moscheegemeinden bindet, deren Vertreter selbst nicht fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen? Wie repräsentativ diese Perspektive – aufgeworfen durch Oswaldts Publikation und angedeutet von Sozialarbeiter Rüth – für das ZRP ist, bleibt unklar.
Tatsächlich müsste die Anpassungsleistung von radikalisierungszugeneigten Personen an die Offene Gesellschaft erfolgen. Nicht Separation, sondern Begegnung, Gemeinsamkeit statt Differenz, kritisches Denken, Ambiguitätstoleranz und ein gestärkter individueller Selbstwert böten wirksamere Abwehrmechanismen gegen Radikalismus. Welche Zugänge jenseits des riskanten Religiösen in der Praxis möglich sind, kann und sollte das ZRP erforschen.
Dabei – und für alles Weitere – kann man ihm nur viel Erfolg wünschen. Verbunden mit der Hoffnung, dass die positiven Signale überwiegen mögen.
1 Selbstverständlich beanspruchen Wissenschaft und Forschungseinrichtungen Objektivität und Unabhängigkeit – ob und inwieweit sie diesem Anspruch stets gerecht werden, ist eine andere Frage. Tatsächlich lassen sich Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen klar erkennen: etwa Unterschiede zwischen der Vorurteilsforschung um Andreas Zick in Bielefeld und dem Zentrum für Antisemitismus- und Rassismusforschung (CARS) unter Stephan Grigat an der KatHO, dem IMIS – Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien in Osnabrück oder der Migrationsforschung an der HU Berlin mit Ruud Koopmans. Unterschiedliche Haltungen, Forschungsansätze und Thesen können im Sinne der Wissenschaftsfreiheit selbstredend auch innerhalb eines Instituts nebeneinander bestehen, gleichwohl zeichnen sich gewisse Trends ab.
2 Ostwaldt, J. (2023). Islamische Vereine in der Distanzierungs-und Deradikalisierungsarbeit. In Deradikalisierung und Distanzierung auf dem Gebiet des islamistischen Extremismus: Erkenntnisse der Theorie-Erfahrungen aus der Praxis (pp. 297-314). Wiesbaden, Springer Fachmedien Wiesbaden.
3 vgl. Benslama, F. (2017). Der Übermuslim: Was junge Menschen zur Radikalisierung treibt. Matthes & Seitz Berlin Verlag.






