Indien

Muslimische Frauen kämpfen gegen Scharia

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Frauen in Indien
Frauen in Indien

In Indien gilt bei Familienangelegenheiten wie Eheschließungen und Scheidungen die Scharia, das islamische Recht. Allerdings nur für Muslime. Der Oberste Gerichtshof Indiens beschäftigt sich derzeit mit der Frage, ob und inwieweit dies verfassungswidrig ist.

Der Islam ist eine komfortable Religion. Jedenfalls für Männer. Wenn sie es wünschen, können sie ohne Angabe von Gründen ihre lästig gewordene Ehefrau schneller loswerden als einen Handyvertrag. Und zwar indem sie eine Formel murmeln, in der sie die Frau dreimal verstoßen. Der Vorgang nennt sich "Talaq" oder "dreifacher Talaq" und kann auch schriftlich, per SMS, WhatsApp oder Facebook rechtsgültig vollzogen werden.

Da unter muslimischen Gelehrten strittig ist, ob alle drei Verstoßungen unmittelbar hintereinander geäußert werden dürfen oder ob zwischen ihnen Versöhnungsversuche und Bedenkzeiten liegen müssen, wird der Talaq in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich gehandhabt. In Indien dürfen muslimische Männer die weitreichendste Form des Talaq praktizieren: Sofortige Instant-Scheidung durch dreifachen Talaq.

Knapp 15% der Bevölkerung von Indien sind Muslime. Mit rund 150 Millionen Einwohnern stellen sie die größte religiöse Minderheit des Landes dar. Und der Staat gesteht ihnen – wie jeder größeren religiösen Bevölkerungsgruppe des Landes – ein eigenes Familienrecht zu, welches im Muslimischen Personengesetz (Muslim personal law) geregelt ist, das sich an der Scharia orientiert. Familiäre Angelegenheiten wie beispielsweise Eheschließungen und Scheidungen von Muslimen unterliegen in Indien diesem Gesetz, so dass eine Talaq-Scheidung vor dem Staat Indien rechtsgültig ist.

In den vergangenen Jahren wurde von indischen Frauenrechtsgruppen mehrfach die in Indien erlaubte Form der Scheidung per Talaq kritisiert. Während diese Scheidung für Männer nur Vorteile bringt, bedeutet sie für Frauen oft den finanziellen Ruin sowie den Verlust ihres gesellschaftlichen Ansehens. Muslimische Frauenvereinigungen in Indien bezweifeln darüber hinaus, dass die in Indien praktizierte Form des Talaq tatsächlich islamischem Recht entspricht.

Seit Anfang September beschäftigt sich nun der Oberste Gerichtshof Indiens mit der Frage, ob der Talaq verfassungsgemäß ist, da er unter anderem gegen die Gleichberechtigung von Frauen verstößt, denn den Talaq dürfen nur Männer vollziehen. Das Oberste Gericht holte bezüglich dieser Frage Informationen vom All India Muslim Personal Law Board (AIMPLB) ein – jenem Gremium, das für das muslimische Personengesetz zuständig ist. Das AIMPLB erklärte laut Hindustan Times dem Gericht hierzu: "Die Scharia gewährt das Recht zur Scheidung, weil Männer bessere Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung haben. Es ist wahrscheinlicher, dass sie ihre Gefühle kontrollieren können und keine übereilten Entscheidungen treffen." Außerdem, so das AIMPLB laut Hindustan Times, sei es im Falle eines häuslichen Konflikts besser, wenn für einen muslimischen Mann die Scheidung als Option existiere, damit er nicht zurückgreifen müsse auf "kriminelle Wege, sich seiner Frau zu entledigen, indem er sie ermordet". Die Rechte, die in einer Religion gesetzt seien, könnten nicht von einem Gericht in Frage gestellt werden, welches das staatliche Gesetz vertrete, so das AIMPLB. Daher könne auch der Oberste Gerichtshof nicht in die Religionsfreiheit eingreifen und die (religiösen) Personengesetze im Namen einer sozialen Reform neu schreiben.

Die muslimische Rechtsanwältin Farha Faiz, die vor dem Obersten Gerichtshof gegen den Talaq kämpft, konterte am vergangenen Dienstag mit der Petition einer muslimischen Frauengruppe. Diese fordert, Scharia-Gerichte in Indien komplett zu verbieten, da sie eine Parallel-Justiz darstellten. Auch Gremien wie das AIMPLB sollten untersagt werden, um das Land und die indischen Muslime vor Fundamentalisten zu schützen. "Einige Menschen und Organisationen missbrauchen die Freiheit, die ihnen die Verfassung zusichert", heißt es in der Petition nach einem Bericht der Hindustan Times. Laut der International Business Times fügte Rechtsanwältin Faiz hinzu, dass sich Muslime aufgrund von Organisationen wie dem AIMPLB in dem Dilemma befänden, ob Religion über dem Staat stehe.