Noch immer keine Rechtssicherheit im Verfahren Dr. Rolf Gössner ./. Bundesamt für Verfassungsschutz

Nach mehr als zwölf Jahren in die dritte Runde

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Dr. Rolf Gössner bei der "Freiheit statt Angst"-Demo 2014
Dr. Rolf Gössner bei der FSA 14

Die Bundesregierung und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben kürzlich Revision gegen das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen eingelegt. Mit diesem Urteil war die über 38jährige geheimdienstliche Überwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Dr. Rolf Gössner auch in zweiter Instanz für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig erklärt worden (Az. 16 A 906/11).

Mit seiner Entscheidung bescheinigt das Oberverwaltungsgericht (OVG), wie schon das Verwaltungsgericht erster Instanz, dem beklagten Verfassungsschutz einen dauerhaften, schweren Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen essentielle Grundrechte des Klägers. Aufgrund der "jahrzehntelangen, gezielt auf seine Person bezogenen Informationssammlung, -auswertung und -speicherung in Form einer Personenakte und der damit verbundenen Grundrechtseingriffe", so das OVG, stehe dem Kläger ein "Rehabilitationsinteresse" zu.

Rolf Gössner sieht im Urteil des OVG, dessen Begründung mittlerweile vorliegt, einen "gerichtlichen Sieg über geheimdienstliche Verleumdungen und Willkür sowie über antidemokratische Denk-, Interpretations- und Handlungsmuster eines staatlichen Sicherheitsorgans. Das ist eine erfreulich klare Entscheidung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung. Tatsächlich liest sich die Urteilsbegründung wie Nachhilfe-Unterricht für das Bundesamt für Verfassungsschutz: gerichtliche Nachhilfe in Sachen Demokratie, Bürgerrechte, Verfassung und Rechtsstaat."

Doch die neue Bundesregierung mit ihrem zuständigen Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) sieht sich offenbar nicht verpflichtet, diesen skandalösen Überwachungsfall endlich abzuschließen und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Im Gegenteil: Trotz eindeutiger Urteile in erster und zweiter Instanz zugunsten des Klägers, mit denen dem "Verfassungsschutz" gehörig die Leviten gelesen werden, legte sie Revision gegen das Berufungsurteil ein. Damit landet diese kafkaeske Überwachungsgeschichte nach insgesamt 48 Jahren, und bisher zwölf Jahren Verfahrensdauer, vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – mit ungewissem Ausgang. Das bedeutet: Der vom Bundesinlandsgeheimdienst "Verfassungsschutz" praktisch zum "Staats- und Verfassungsfeind" erklärte Kläger muss noch immer auf Rechtssicherheit und seine rechtskräftige Rehabiltierung warten – voraussichtlich wiederum jahrelang.

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte bereits nach der Berufung in einem Presse-Interview zu diesem Fall gesagt: "Ich habe dafür null Verständnis. Die Behörde sollte die Gerichtsentscheidung endlich akzeptieren." Dieser Fall rufe geradezu nach politischen Konsequenzen. Doch offensichtlich wollen Bundesregierung und Bundesamt auch dieses Urteil nicht auf sich sitzen lassen, mit dem ihnen ein fast vier Jahrzehnte langer Grundrechtsbruch zur Last gelegt wird. Tatsächlich ist ein so lang währender Grundrechtsbruch gegenüber einem Bürger dieses Landes bislang wohl keinem anderen staatlichen Sicherheitsorgan gerichtlich bescheinigt worden; im Übrigen hätte dieses Urteil, würde es denn rechtskräftig, Auswirkungen auf gesetzliche Regelungen und künftige Überwachungstätigkeit: die schier uferlose Gesinnungsschnüffelei müsste jedenfalls erheblich eingeschränkt und parteilose Einzelpersonen und Berufsgeheimnisträger müssten künftig vor geheimdienstlicher Ausforschung weit besser geschützt werden. Genau dies wollen Bundesinnenminister und Bundesregierung offenkundig vermeiden und setzen mit ihrer Revision zumindest auf Zeit.